Die Amerikaner sollen die Suppe in Afghanistan alleine auslöffeln
Wenn sich dem SPIEGEL die Gelegenheit bietet, ein Interview mit dem ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger zu führen, greift das Magazin natürlich zu (DER SPIEGEL 8/2008/110-112), auch wenn es sich nachgewiesenermaßen um einen Kriegsverbrecher handelt. Ebenso wie der Ex-Sponti, Ex-Polizistenschläger, Ex-BRD-Außenminister Joschka Fischer (und Mitglied einer ex-pazifistischen Partei) fordert Kissinger mehr deutsche Soldaten in Afghanistan auch zum Einsatz in umkämpften Gebieten. Leider hat es der SPIEGEL verabsäumt, auf den naheliegenden Umstand hinzuweisen, daß es die USA waren, die die ganze Malaise in Afghanistan – und nicht nur dort – angerichtet haben, so daß es auf der Hand liegt, wer nun auch die Suppe – notfalls alleine – auszulöffeln hat.
Wer sich noch nicht mit der
vielschichtigen Person Kissinger beschäftigt hat, sollte sich gegebenenfalls
vorab einen Überblick durch
www.luebeck-kunterbunt.de/Favoriten/Henry_Kissinger.htm
verschaffen.
(...) SPIEGEL:
Die Wahrheit ist immer konkret: Braucht die Nato mehr deutsche
Truppen im
Süden Afghanistans, wo die eigentlichen
Kampfhandlungen stattfinden?
Kissinger: Es
ist nicht einsehbar, dass allein die Vereinigten Staaten von Amerika permanent für die westlichen
Interessen kämpfen. Zwei Schlussfolgerungen
sind an dieser Stelle möglich:
Entweder es bestehen keine
westlichen Interessen in dieser Region.
Dann brauchen wir auch nicht zu kämpfen. Oder aber, es gibt dort vitale
westliche Interessen. Dann müssen wir dafür kämpfen.
SPIEGEL: Ihre Schlussfolgerang lautet also: Wer die
Gefahr sieht, ist auch verpflichtet, in den Krieg zu ziehen?
Kissinger: Solange er Teil einer Allianz ist, ja. Wir
brauchen mehr deutsche Truppen, und wir brauchen mehr Nato-Truppen in Afghanistan.
Was nicht angeht, ist, dass eines der Nato-Länder seine Soldaten bevorzugt in Gegenden schickt,
in denen nicht gekämpft wird. Das ist keine
gesunde Situation.
SPIEGEL: Viele
Deutsche sagen: Wir können aufgrund unserer Geschichte nicht in gleicher Weise wie andere
Nationen an Kampfeinsätzen teilnehmen. Sie
selbst wurden in Fürth bei Nürnberg geboren und sind in der Hitler-Zeit, im Alter von 15 Jahren, nach Amerika geflohen. Haben Sie für
das deutsche Argument Verständnis oder eher nicht?
Kissinger: Ich verstehe es, aber die deutsche Position ist
auf Dauer nicht haltbar. Wir können in der Nato langfristig nicht zwei Sorten von Mitgliedern haben. Die eine Sorte ist bereit zu
kämpfen, die andere macht Allianz à la
carte. Das funktioniert nicht.
SPIEGEL: Wie
würden Sie die Deutschen zu einer neuen Sicht der Dinge bewegen?
Kissinger: Die
Deutschen selbst müssen entscheiden. Aber wenn sie bei ihrer Haltung bleiben, dann wird
Deutschland in Europa nur eine Sonderrolle spielen können.
Spiegel: Wurzelt
die deutsche und in Teilen auch die europäische Verweigerung gegenüber
den derzeitigen Militäreinsätzen nicht auch in einem tiefen Misstrauen gegenüber
der amerikanischen Supermacht?
Kissinger: Anfang
kommenden Jahres werden wir im Weißen Haus eine neue Regierung
haben. Dann sehen wir, in welchem Ausmaß die Bush-Regierung Grund
oder Alibi für
die europäisch-amerikanischen Streitigkeiten
war. Im Moment verstecken sich viele europäische Regierungen hinter dem unbeliebten Bush. Ich verstehe das, weil diese Regierung am Anfang wirklich schwere
Fehler gemacht hat. (...)
Quelle: SPIEGEL-Gespräch 8 /
2008 / 111 f (Auszug)
Anfänglich wollten die USA mit einer Barriere
islamischer, antikommunistischer Staaten an der sowjetischen Südgrenze den
sowjetischen Einfluss eindämmen. Mit dem Afghanistan-Krieg Anfang der 80er
Jahre begannen die USA jedoch den fundamentalistischen Islam als Schwert gegen
die Sowjets zu benutzen.
Der Dschihad gegen die Sowjetunion sollte in den
zentralasiatischen Sowjetrepubliken und in Afghanistan geführt werden. Über
militante Propaganda von Radio Liberty wollten die USA die islamischen
Minoritäten in den zentralasiatischen Sowjetrepubliken gegen Moskau aufwiegeln.
Dies zeigte keinen Erfolg. In Afghanistan kam es allerdings zum Dschihad gegen
die Sowjets.
In der traditionellen afghanischen Gesellschaft spielte der Islam zwar eine
wichtige Rolle als eine Angelegenheit des persönlichen Glaubens. Mit Politik
hatte er jedoch wenig zu tun. Dies änderte sich, als Anfang der 60er Jahre
afghanische Studenten, die an Kairos al-Azhar-Moschee studiert hatten, nach
Afghanistan zurückkehrten. Sie hatten mit der ägyptischen Muslim-Bruderschaft
Verbindungen geknüpft und deren Gedankengut übernommen. An der Universität
Kabul gingen sie nun mit Gewalt gegen moderne, linke und kommunistische
Studenten vor. In den frühen 70er Jahren bildete sich um diesen Kern die
Afghanische Islamische Bewegung, welche die Armee zu unterwandern begann.
1973 stürzte Prinz Muhammad Daoud den afghanischen König und rief die Republik
aus. Dagegen machte die islamische Rechte offene Opposition, unterstützt von
Pakistans Zulfikar Ali Butto und Persiens Schah. Auch die CIA unterstützte den
islamischen Widerstand.
1978 wurde die Regierung Daoud durch einen sozialistischen Putsch abgesetzt,
und die neue Regierung schloss einen Freundschaftsvertrag mit den Sowjets. Im
März 1979 begann die afghanische islamische Rechte im Nordosten von Afghanistan
mit einem koordinierten Aufstand, der über den pakistanischen Geheimdienst ISI
durch die CIA unterstützt wurde. Die USA hofften, dass die Sowjets damit zum
Einmarsch in Afghanistan provoziert würden. Ende 1979 kontrollierten die
Aufständischen drei Viertel des Landes. Die Sowjets marschierten ein, und der
Sicherheitsberater von Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski, rieb sich die Hände:
«Diese geheime Operation war eine exzellente Idee. Ihre Wirkung war, dass die
Russen in die afghanische Falle gelockt wurden […]. An dem Tag, an dem die
Sowjets offiziell die Grenze überschritten, schrieb ich an Präsident Carter:
‹Wir haben jetzt die Gelegenheit, der UdSSR ihren Vietnam-Krieg zu bereiten.›»
Während den 80er Jahren wurden Muslime für den Dschihad gegen die Sowjets rekrutiert,
in Ausbildungslagern in der Guerillakriegsführung ausgebildet und nach
Afghanistan geschleust. Gemäss CIA standen 300 000 Mudschahedin unter Waffen,
unter ihnen 35 000 Kämpfer aus 34 Ländern.
Nach dem Abzug der Sowjets war Afghanistan zerstört, und die Bevölkerung
hungerte, während die verschiedenen Kriegsherren miteinander um die
Vorherrschaft kämpften. Es gab kaum noch gemässigte Kräfte im Land, denn die
Mudschahedin hatten im Dschihad neben den russischen Soldaten auch die linken
und die gemäßigten Afghanen umgebracht.
Dreyfuss geht davon aus, dass die USA von ihrem
Stellvertreterkrieg gegen die Sowjets so absorbiert waren, dass ihnen der Blick
dafür fehlte, welche Kräfte sie mit der Unterstützung des Dschihad entfesselt
hatten: Einen bewaffneten radikalen Islam, der nach dem Ende des Krieges
weltweit weiterwirken sollte, so zum Beispiel auf dem Balkan. Es lohnt sich,
dazu Jürgen Elsässers «Wie der Dschihad nach Europa kam» zu lesen. Er
beschreibt, wie das «afghanische Bündnis» zwischen den USA und den Mudschahedin
in den 90er Jahren auf dem Balkan eine Neuauflage erlebte: «Tausende
Mudschahedin haben in den neunzigr Jahren in Bosnien und in Kosovo gekämpft.
Hochgerüstet vom Pentagon, eingeschleust und unterstützt von US-amerikanischen
Geheimdiensten. Der Balkan wurde zum Aufmarschgebiet des heiligen Krieges.»
Auch dem Krieg gegen den Terrorismus schenkt Dreyfuss die nötige Aufmerksamkeit. Er zeigt auf, dass die Clash of Civilization-Theorie von Samuel Huntington den Neokonservativen und der Administration Bush als Vorwand dient, den Einflussbereich der USA über den Nahen Osten hinaus auszuweiten nach Pakistan, Zentralasien, ins östliche Mittelmeer, ins Rote Meer und in die Region des Indischen Ozeans. Zudem erweist sich Dreyfuss als profunder Kenner neokonservativer Interessen- und Machtpolitik.
von Dr. phil. Henriette Hanke Güttinger