Die Kreuzigung Christi
(...) Und die Geschichte
bekommt hier Flügel, die Personen lösen die Sohlen vom Erdboden, sie reiten,
aber nicht nur ins Heilige Land zurück, sondern zurück in die Zeit — und es
beginnt jene hundertmal geschriebene Vision: Die Kreuzigung Christi. Aber wie
ist das gemacht. —!
Die
Kreuzigung Christi, gesehen mit den profanen Augen eines Heutigen — oder sagen
wir: Damaligen, denn das Buch ist annähernd vierzig Jahre alt. Da es ein gutes Buch
ist, so wird nie ein deutscher Doktorand die literarische Vaterschaft Zolas
oder Flauberts an diesen Dingen nachweisen — aber das kann uns ja nur recht
sein.
Es ist also die
Leidensgeschichte Christi, naturalistisch aufgedröselt, dargestellt, wie ein
Zeitungsbericht darstellt, mit allen kleinen menschlichen Zügen, rekonstruiert,
erfunden, dazuphantasiert: das teilnahmslose Volk, die reaktionären Juden, die
Cliquen, die Klüngel, die religiösen und politischen Hintergründe — und über
allem, wie von Shaw gezeichnet, die
Briten des Altertums: die Römer. Die Stadt heult auf, weil sie die Gelegenheit
wittert, den Römern eins auszuwischen. «Pontius malte unterdessen ganz
teilnahmslos Buchstaben auf ein umfangreiches Pergamentblatt, das auf seinen
Knien lag.» Und der, um den es sich handelt
— welch ein Handel! —, den sieht der Held erst später. Er weiß aber: «Während
soeben auf einem für Sklaven bestimmten Todeshügel der Mann aus Galiläa, der
unvergleichliche Freund der Menschen, an seinem Kreuz erstarrte und jene reine
Stimme der Liebe und Geistigkeit für immer stumm wurde — blieb der Tempel da,
der ihn mordete, glanzumgossen und triumphierend, mit dem Blöken seiner Herden,
dem Lärm seiner Spitzfindigkeiten, dem Wucher in den Säulenhallen, dem Blut auf
den Altären, der Ungerechtigkeit seines harten Hochmuts, der Zudringlichkeit seines ewigen
Weihrauchs...» Er sollte später einen Nachfolger bekommen, der Tempel - mit
eben dem Bildnis des Gekreuzigten ... Und dann gehen sie auf den Kalvarienberg.
(...)
(...) Es ist ein
schönes Buch. Nicht nur, weil es, wie in dem gescheiten Nachwort von Richard A.
Bermann steht, die Überschwenglichkeiten der bigotten portugiesischen
Gesellschaft der damaligen Zeit verspottet.
Sondern,
weil es den Urheiland sieht, den, der heute verehrt wird, und den diese selben
Anhänger damals gekreuzigt hätten. «An diesem Tage, da die Soldaten, die dich
heute mit Blechmusik eskortieren, die Magistratspersonen, die heute jeden
einsperren, der dich beleidigt oder verleugnet, die besitzenden Klassen, die
dich heute verschwenderisch mit Gold und Kirchenfenstern beschenken — da sie
sich mit ihren Waffen und Gesetzbüchern und Börsen vereinigt hatten, um deinen
Tod zu erlangen, des Revolutionärs, Feindes der Ordnung, Schreckens der Besitzenden
... jawohl, von nun an und durch alle künftigen Jahrhunderte würde immer wieder
vor dem Holz der Scheiterhaufen, in der Kälte der unterirdischen Kerker, an der
Treppe der Schafotte — würde dieser schimpfliche Skandal von neuem beginnen,
daß Priester, Patrizier, Richter, Soldaten, Gelehrte und Kaufleute sich verbünden
würden, um auf der Höhe eines Hügels grausam den Gerechten zu töten, der, von
Gottes Glanz durchdrungen, die
Anbetung im Geiste lehren oder das Reich der Gleichheit verkünden würde.»
Man nennt mich Zimmermann ... Sie haben ihn getötet und
töten ihn heute noch — alle Tage: Priester, als feldgraue Militärbeamte verkleidet,
wenn es die Mode verlangt; Kaufleute, die den Verkehr mit einem Bankhaus
abbrechen, weil es für die Kommunisten ein Konto unterhält; Soldaten, die das
Gebet wie einen Schnaps vor der Schlacht konsumieren; und Richter. Richter im
schwarzen Talar und mit fertigem Urteilsspruch, mit klassenharten Augen und
trübem Verstand, mit unberührtem Herzen. Priester, Kaufleute, Soldaten und
Richter — das Kreuz in Händen. Ein Opfertod, der zweitausend Jahre dauert.
Quelle:
Kurt Tucholsky bespricht 1925 „Die
Reliquie“ von Queiroz (Auszug)
Anmerkung:
Der Erlöser, die Amtskirche und das fortdauernde Martyrium; so sieht es auch
der mit Lehrverbot belegte katholische Priester Eugen Drewermann, der an seinem
65. Geburtstag auch den formalen Schlussstrich zog und der katholischen Kirche
den Rücken kehrte. Der interessierte Zeitgenosse sollte unbedingt
www.luebeck-kunterbunt.de/Rangfolge/Jesus_war_anders.htm
lesen,
um jenseits der Dogmen der Amtskirchen die wahre Größe des Heilands und seiner
Lehre zu begreifen.