Jesus war anders

(...) Ein Papst, der es wagen würde, sich zum Sprachrohr von Nicht-Katholiken, von Außenseitern in Not gegen die Verwaltungsroutine der Regierenden zu machen, riskierte selbst in den eigenen Reihen Protest und Auseinandersetzung. Er triebe den Massenauflauf der Claqueure auseinander, er forderte auf zu Nachdenken und Handeln statt zu Zunicken und Fähnchenschwenken.

Gerade dazu ist das römische Papsttum nicht fähig. Das ist es, was die Menschen begreifen und weswegen sie der Institution Rom nicht mehr glauben. F. M. Dostojewski hat recht: In der Wahl zwischen dem Wort des Propheten aus Nazaret und dem Schwert des Cäsar hat die römische Kirche sich ein für allemal zugunsten der drei Prinzipien ihrer kirchenstaatlichen Herrschaft entschieden: Macht, Masse und Magie.

Der Weg dieses Abfalls ist lang, und er scheint irrevesibel.

Seine Stationen:

  1. Aus der Botschaft Jesu, die eine umfassende Veränderung des Lebens von Angst in Vertrauen bewirken wollte, hat man eine theologische Lehre gemacht. Man hat den Menschen die Mündigkeit wieder weggenommen, die Jesus den "einfachen Leuten vom Lande", den "theologisch Inkompetenten", gegen das Urteil der beamteten Gottesexperten gerade zurückgeben wollte. Ja, man hat über die Beamtenschaft professoraler Theologen hinaus sogar noch ein eigenes unfehlbares Lehramt, bestehend aus den Bischöfen im Verein mit dem römischen Papst, eingesetzt, dem es obliegt, "die ganze Lehre des Christus dem Volke der Gläubigen vorzulegen". Alle Forderungen nach Demokratisierung, Mitsprache, Erneuerung scheitern an diesem Grundprinzip der römischen Kirche. Aus Mystik, Spiritualität und Innerlichkeit ist Dogmatismus, Formalismus und kontrollierte Äußerlichkeit geworden.
  2. Und Ritualismus. Wie es heute praktisch steht, ist ein Papst zugleich der oberste Priester seiner Kirche, der Nachfolger Petri, der Stellvertreter Christi. Nie wird es eine Verständigung mit den Kirchen der Reformation geben können, solange dieses Amtsprinzip der römischen Klerikerkirche erhalten bleibt. Ein Priestertum von Frauen ist unter solchen Umständen undenkbar.
  3. Nicht vom Menschen her, nicht von unten her, wie etwa Martin Luther es wollte, sondern streng von oben, aus dem Absolutheitsanspruch ägyptischer Pharaonen und römischer Kaiser, die als Gottes Stellvertreter auf Erden schalteten und walteten, begründet sich dieses "geistliche" Regiment, bei dem der Papst den Bischof setzt und der Bischof den Priester und der Priester die Sakramente. An die Stelle der Intuition trat die Institution. An die Stelle des Personalen das Pastorale, an die Stelle des Existierens das Dozieren im Status weltenthobener Unfehlbarkeit.

"Wir haben uns geirrt." "Auch wir sind nur Menschen." Das sind Sätze, die der römische Papst nicht über die Lippen bringen kann. Sie wären so tödlich für seine Machtfülle wie die Erklärung des japanischen Kaisers 1946, daß er nicht länger Gott sei.

Was würde, zurückgekehrt, Jesus dem Abgesandten der römischen Kirche heute sagen? Etwa dieses:

"Ihr habt die Botschaft meiner Menschlichkeit an ein Verfahren gehorsamer Vermassung und duckmäusiger Anpassung verraten. Aus der unglaublichsten Revolution aller Zeiten habt ihr ein barockes Bürgertheater gemacht. Aus dem Außerordentlichen einer Person habt ihr die Übernatürlichkeit eurer Ämter gemacht. Wo ich Partei ergriff zugunsten der Menschen gegen die Mächtigen, habt ihr meinen Namen mißbraucht, um den Mächtigen recht zu geben gegenüber den Ohnmächtigen. Wo ich prophetisch begeisterte, selbstbewußte und freie Menschen wollte, habt ihr eine Priesterschaft errichtet, die sich mästet an den Schuldgefühlen und Ängsten der von ihr Abhängigen. Wo ich die Händler und Wechsler aus dem Tempel jagte, habt ihr Banken zum Heiligen Geiste gegründet und mafiose Geschäfte getrieben. Wo ich Grenzen aufsprengte und verschlossene Türen öffnete, habt ihr Barrikaden gebaut und den Glauben an Gott in ein Prämiensystem eurer Orthodoxie verwandelt.

"Ihr schließt aus, wo ich einlud, ihr verurteilt, wo ich Verständnis wollte, ihr wollt recht haben vor Gott und den Menschen, wo ich wußte, daß Menschen nur leben können aus einer Liebe, die sich nicht mehr auf "Rechte" beruft. Ihr habt den Menschen Gott aus dem Herzen gestohlen, indem ihr Selbstmißtrauen und Angst verbreitet habt, wo ich Verkrümmte sich aufrichten und Gelähmte in ihr eigenes Leben zurückkehren ließ. Ihr habt die Wunder meiner Menschlichkeit ersetzt durch eure Riten und Rubriken. Ihr habt aus dem Gott, den ich als "Vater" den Menschen zu bringen kam, einen Lokalgötzen eures Konfessionalismus, Dogmatismus und Cäsaropapismus gemacht. Deshalb seid ihr nicht das Leben, deshalb verwaltet ihr den Tod." (...)

Quelle: Eugen Drewermann in DER SPIEGEL 25/1996/56 + 58 (Auszug)