Freimaurerloge P2

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat kaum ein Skandal mehr den kriminellen Charakter großer Teile der Freimaurerei enthüllt als die Machenschaften der Freimaurerloge Propaganda Due (P2). Um dem interessierten Leser einen Einstieg in die Materie zu geben, haben wir geeignet erscheinende Auszüge aus den Darstellungen von Dr. Andreas von Bülow (dem ehemaligen Bundesminister), E. R. Carmin und Juan Maler (der unter seinem bürgerlichen Namen als Hauptmann in der Spionageabwehr der Deutschen Wehrmacht diente) zusammengestellt:

 

Feimaurerloge P2 und der transatlantische Terror

 

Suarez Mason wiederum verdankte seinen Aufstieg der geheimen italienischen Freimaurerloge Propaganda Due, gemeinhin P2 genannt. Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, in Italien mit der Zusammenführung von Spitzenpolitikern, Großindustriellen, Militär‑ und Polizeiführern sowie den Chefs von Geheimdiensten zu gemeinsamem politischen Handeln verdeckt einen autoritären Staat zu schaffen. Die Loge war nach dem Bericht des italienischen Parlaments aus dem Jahre 1984 als neutrales Instrument für Operationen gedacht, die das italienische politische Leben beeinflussen und kontrollieren sollten. Auf die Aktivitäten dieser Gruppierung wird im weiteren Verlauf einzugehen sein. Der CIA­ und Mossad‑Mitarbeiter Richard Brenneke sagte im italienischen Fernsehen aus, er habe die Loge P2 seit 1969 gekannt und mit ihr bis Anfang der achtziger Jahre zu tun gehabt. Die US-Regierung habe die P2 mit bis zu zehn Millionen Dollar im Monat unterstützt. Die CIA habe die Einrichtung genutzt, um in den siebziger Jahren günstige Bedingungen für eine regelrechte Explosion des Terrorismus in Italien und anderen Ländern zu schaffen. Die P2 sei auch weiterhin aktiv und werde zu den gleichen Zwecken benutzt wie zu Beginn der siebziger Jahre. Der Großmeister der Loge, Licio Gelli, sicherte seinen Logenbrüdern die Geheimhaltung ihrer Namen zu. Lediglich das Pentagon in Washington besitze eine komplette Liste aller Logenbrüder.

 

Das Schöffengericht Bologna kam in einem Strafverfahren zu dem Ergebnis, daß die Loge P2 Kriminelle angestiftet, bewaffnet und finanziert habe, um mit Mitteln der Subversion und des Rechtsterrorismus im Rahmen einer »Strategie der Spannung« die Vorbedingungen für einen Staatsstreich zu schaffen. Gelli arbeitete der sich unter dem vormaligen Ministerpräsidenten Aldo Moro abzeichnenden Tendenz zum Zusammengehen von Christdemokraten und Kommunisten in der italienischen Politik entgegen, indem er die offene wie verdeckte Kontrolle über Führungspositionen der italienischen Verwaltung anstrebte. Neben den bereits erwähnten führenden Vertretern des Militärs und der Polizei zog er drei Minister, 36 Mitglieder des Parlaments, die Polizeichefs der vier größten italienischen Städte sowie die Spitzen zahlreicher anderer Verwaltungseinheiten in seine Loge. In der italienischen Staatsverwaltung hatte die P2 insgesamt 422 Mitglieder, darunter 19 im Innenministerium, vier im Auswärtigen Amt, 32 im Erziehungs‑, 21 im Staats‑, 67 im Schatz‑, drei im Gesundheits‑, 52 im Finanz‑, 21 im Justiz‑, vier im Kultus‑, drei im Forschungs‑ und zwei im Verkehrsministerium. Dazu gelang das Eindringen in die Bank von Italien mit Zugang zu wesentlichen Überseeverbindungen. Im einzelnen waren die Mitglieder nur dem Großmeister Gelli bekannt.

 

Hinzu kamen die P2‑Kontakte zur Banca Nazionale del Lavoro, einer Bank, über deren Filiale in den USA später subventionierte Kredite des amerikanischen Landwirtschaftsministeriums, die für die Förderung der Ausfuhr amerikanischen Weizens bestimmt waren, rechtswidrig in Kredite für Waffenlieferungen an den Irak Saddam Husseins in der Größenordnung von rund fünf Milliarden US‑Dollar umgewandelt wurden.

 

Im Ergebnis habe es sich um eine Art Schattenregierung gehandelt, in der die P2, ein Teil der Geheimdienste, die organisierte Kriminalität und der Terrorismus unmittelbar miteinander verknüpft gewesen seien. Der förmliche Antrag eines amerikanischen Journalisten auf Freigabe der CIA‑Akte Gelli nach dem »Freedom of Information Act« wurde mit Hinweis auf die Schutzwürdigkeit nationaler Interessen der Verteidigung und der Auswärtigen Politik, aber auch der Methoden und Quellen der CIA abgewiesen.

 

Quelle: "Im Namen des Staates - CIA, BND und die kriminellen Machenschaften der Geheimdienste" von Andreas von Bülow, München 1998 / 2000, S. 232 f

 

 

 

 

(...) Nach dem Auffliegen der Existenz der Loge Propaganda 2 im Frühjahr 1981 und der damit unmittelbar im Zusammenhang stehenden vorübergehenden Verhaftung Calvis, und nach dessen Verurteilung zu vier Jahren Freiheitsentzug und 16 Milliarden Lire Geldstrafe wegen der illegalen Ausfuhr von (allerdings lächerlichen) 24 Millionen Dollar, wurde Bischof Marcinkus von Johannes Paul II. zum Pro‑Präsidenten der Pontifikalkommission, also praktisch zum Regierungschef des Vatikan-­Staates und damit automatisch zum Erzbischof befördert; seine Stellung als Chef der Vatikanbank behielt er natürlich ebenfalls noch jahrelang bei.

 

Jedenfalls konnte Calvi im Verein mit der Vatikanbank nach dem Tod Johannes Paul II. seine haarsträubenden Betrügereien ungehindert, ja in verstärktem Ausmaß fortsetzen. Noch 1982, als sich die Schlinge nicht nur sprichwörtlich, sondern buchstäblich schon langsam um Calvis Hals legte, beauftragte der Papst den Ambrosiano‑Chef mit der Neuordnung der vatikanischen Finanzen, und zwar angeblich mit den Worten: »Wenn es Ihnen gelingt, den Vatikan von diesen Schulden zu befreien, dann können Sie freie Hand bei der Neuordnung der Finanzen haben.«

 

Mit den Schulden war etwa eine Milliarde Dollar gemeint, was in etwa genau der Summe der Außenstände der Calvi‑Banken entspräche...

 

Mehr als 400 Millionen Dollar, also mehr als ein Fünftel der insgesamt abhanden gekommenen Summe von 1,3 Milliarden Dollar, sind erst nach Lucianis mysteriösem Tod in einem nicht weniger mysteriösen Panama­-Dreieck verschwunden.

 

Wie mächtig der Einfluß der Propaganda 2 war und ist, läßt sich daran ersehen, daß Calvi ungeachtet seiner Verurteilung im Juni 1981 (er kam natürlich gegen Kaution auf freien Fuß) an die Spitze der Ambrosiano zurückkehrte und vom Aufsichtsrat einstimmig wieder als Generaldirektor bestätigt wurde. Noch 1982 überwies Calvi direkt von der Mailänder Mutterbank 470 Millionen Dollar nach Peru, von wo aus sie wieder klammheimlich auf mehrere Nummernkonten der Propaganda 2 in der Schweiz weitergeleitet wurden. Und nach dem Auftauchen der Liste mit den Namen der annähernd tausend P2‑Logenbrüder, was zum Sturz der damaligen Regierung geführt hatte, weil sich darunter etliche amtierende Minister befanden, überwies Calvi wiederum 95 Millionen Dollar über eine Reihe bemerkenswerter Stationen ‑ Rothschild in Zürich, Rothschild auf Guernsey und die Banque Nationale de Paris in Panama ‑ an die panamesische Firma Bellatrix, ein Tarnunternehmen der Propaganda 2.

 

Zweifellos wäre es für die Propaganda 2 oder wohl auch für die hinter ihr stehende, »noch mächtigere Organisation« überaus lästig gewesen, hätte das von Luciani geplante Reinemachen im Vatikan seinerzeit tatsächlich stattgefunden, denn dann hätten sich die Brüder andere Schleichwege für ihre Raubzüge und für ihren Kapitaltransfer suchen müssen ‑ und zu diesem Zweck gab und gibt es eben nichts Besseres als das »Institut für religiöse Werke«.

 

1981 wurde offenbar, daß Licio Gelli und die Propaganda due nicht etwa nur versucht hatten, Italien unter ihre Kontrolle zu bekommen: Die Loge hatte Italien tatsächlich unter Kontrolle, und Gelli war Italiens heimlicher Herrscher. Ohne ihn lief nichts. Daß die Loge schließlich doch aufflog, zumindest eine kleine Spitze des Eisberges, war dem größenwahnsinnigen Leichtsinn Sindonas und Calvis zuzuschreiben und eben der Tatsache, daß nicht alle Menschen völlig korrupt sind und es auch der Loge wohl nicht möglich war, sämtliche nichtkorrupten Staatsanwälte, Richter und Finanzprüfer umzulegen. Darüber hinaus wäre es durchaus möglich, daß auch das Auffliegen der Propaganda due nur die äußere Erscheinung einer Auseinandersetzung im inneren Kreis der über der Loge stehenden Kräfte war, einer Auseinandersetzung, die nicht nur zwischen den Kapitalinteressen und Machtansprüchen der um die Rockefellers und Rothschild versammelten Gruppen stattfindet, sondern sich, wie Lincoln & Co zeigten, auch innerhalb der geheimnisvollen Prieuré de Sion.

 

Immerhin hat Gelli auch danach noch eindrucksvolle Demonstrationen seines Einflusses geliefert, die auch die »ganz gewöhnliche Politik« betreffen. So setzten Gelli und Umberto Ortolani 1979 mehrere politische Hebel in Bewegung, um eine Verbindung zwischen dem früheren Regierungschef Andreotti und dem sozialistischen Parteiführer Craxi herbeizuführen. (Letzterer verteidigte Calvi nach dessen Verhaftung sogar im Parlament noch als italienischen Saubermann). Ungeachtet der Enttarnung der Loge waren diese Bemühungen ‑ wenn auch mit Verzögerung ‑ von durchschlagendem Erfolg gekrönt worden: Bettino Craxi wurde italienischer Premierminister, und sein Außenminister hieß Andreotti.

 

Es war ja nicht anzunehmen, daß ein Mann wie Gelli, nachdem er 1983 nach einem mehrmonatigen Luxusaufenthalt im angeblich ausbruchssichersten Gefängnis der in derlei Dingen so peniblen Schweiz justament einen Tag, bevor die Schweiz dem italienischen Auslieferungsbegehren nach langem und schwerem Zögern schließlich stattgab, mir nichts, dir nichts verschwinden, in Pension gehen und sich in einem Schaukelstuhl auf der Veranda seiner Hazienda nahe Montevideo nur noch die Zeit vertreiben würde.

 

Jedenfalls war sein Verschwinden ein neuerlicher Beweis dafür, daß er nach wie vor »die Puppen tanzen lassen« konnte, oder, wie Bettino Craxi, einer der Nutznießer von Gellis Großzügigkeit, sagte: "Die Flucht Gellis bestätigt, daß der Großmeister über einen Kreis mächtiger Freunde verfügt."

 

Dem war in der Tat so. Zu Beginn der neunziger Jahre waren die Dunkelmänner der Loge wieder obenauf. Pietro Longo, Exchef der Sozialdemokraten und Logenmitglied Nr. 2223, saß wieder im Vorstand seiner Partei. Admiral Antonio Geraci, Mitgliedsnummer 2096, wurde Oberbefehlshaber der NATO‑Truppen in Südeuropa, und Staatspräsident Cossiga war noch immer stolz darauf, durch ein brüderliches Duz‑Verhältnis mit Gelli verbunden zu sein, der mittlerweile, obschon von einem italienischen Gericht verurteilt, schon wieder Haftverschonung genoß und sogar seine Kandidatur für das Europa‑Parlament ankündigte, diesmal auf der Liste der Grünen. Daß er schließlich doch wieder ins Gefängnis zurück mußte, besagt nicht, daß sich seine alten Freunde nicht darum kümmerten, daß es dem Großmeister an nichts fehlt. Die Wahl Berlusconis dürfte ihn zweifellos erheitert und darüber hinweggetröstet haben, daß die Bauernopfer der nationalen Erneuerung ausgerechnet seine alten Freunde Andreotti und Craxi sein mußten.

 

Sindona und Calvi waren allerdings für die mächtigen Freunde innerhalb und außerhalb der P2 zu einem lästigen Ballast geworden. Sindona wurde in New York wegen insgesamt 99 Gesetzesverstößen angeklagt und in 65 Fällen für schuldig befunden. In Italien wurde er unter anderem der Anstiftung zum Mord an dem Untersuchungsrichter Ambrosoli angeklagt. Sindona starb aus nie geklärten Gründen schließlich in einem italienischen Gefängnis, während er auf eine Gerichtsverhandlung wartete, die ihm, Calvi und Gelli sowie dem ehemaligen Chef der italienischen Geheimpolizei, Musenicci, unter anderem eine Verschwörung im Zusammenhang mit dem blutigen Bombenanschlag in Bologna im Jahr 1980 vorwarf.

 

Roberto Calvi, der es vorgezogen hatte, ins englische Exil zu gehen, wurde am 18. Juni erhängt aufgefunden. Seine Leiche hing an einem selbst für trainierte Akrobaten schwer zugänglichen Pfeiler der Blacksfriars‑Brücke, mit den Füßen knapp über den kalten Wassern der Themse, und in seinen Taschen fand man zwölf Pfund Zementbrocken und Ziegel. Offenbar haben bestimmte Maurerbrüder das Initiations‑Ritual ganz und gar wörtlich genommen, wo es heißt, der Verräter werde dort gehenkt, wo der Fluß seine Leiche bedeckt. Die Prozeßakten wurden geschlossen.

 

Knapp zehn Jahre später geisterte dann die Version durch den internationalen Blätterwald, die Mafia habe Calvi liquidiert. Selbst wenn dies zutrifft, besagt das nicht viel, denn auch hier sind die Grenzen zwischen den Brüdern zuweilen ziemlich verschwommen. Abgesehen davon sind der Mafia andere Methoden zu eigen: »sasso in bocca«, wie man in Familienkreisen zu sagen pflegt.

 

Calvi hatte sich indessen diesen »Lohn der Brüder« wirklich nicht verdient. Schließlich hat er vor allem und größtenteils für andere gestohlen und betrogen. Yallop dazu: »Die italienischen Christdemokraten, Kommunisten und Sozialisten waren nicht die einzigen politischen Gruppierungen, die einen Biß in den goldenen Apfel tun durften. Millionen flossen auf Gellis diskrete Anforderung hin an die Militärregierungen, die in Argentinien, Uruguay und Paraguay damals herrschten [ ... ] Millionen flossen heimlich und illegal an die Kassen der >Solidarität< in Polen. Bei diesen Geldern handelte es sich um eine Mischung aus Beutegeldern Calvis und Mitteln der Vatikanbank, die letzten Endes aus den von den katholischen Gläubigen gefüllten Sammelbüchsen stammten.«

 

Hier wird verständlich, warum der Papst aus Polen seine schützende Hand über Marcinkus hielt und warum der Vatikan auch nach 1981 noch Calvis Dienste in Anspruch nahm, obwohl der damalige italienische Finanzminister Adreatta den Vatikan geradezu angefleht hatte, Calvi die Unterstützung zu entziehen, um sich nicht selbst noch mehr in Schwierigkeiten und in Verruf zu bringen. Offenbar war der Finanzminister ein vatikantreuer Katholik.

 

Der Vatikan steckte selbst viel zu tief in allem mit drin. Die Betätigungen des »Instituts für religiöse Werke«, der Vatikanbank (von denen hier ja nur ein Bruchteil angeführt werden konnte), sind selbst wiederum nur ein Teil der vermögenspolitischen Gesamtaktivitäten des Vatikans. Die »Außerordentliche Sektion«, die zweite, die eigentliche, von der Weltbank und der Bank für internationalen Zahlungsausgleich in Basel als Zentralbank anerkannte »Vatikanbank«, war und ist im täglichen Spekulationsgeschäft an den großen Börsen der Welt nicht weniger aktiv. Sie widmete sich stets besonders dem Devisenmarkt und arbeitete eng mit der Credit Suisse und der Schweizerischen Bankgesellschaft zusammen.

 

»Das Pontifikat Johannes Paul II. hat sich als Glücksfall für Geldjongleure und Krämerseelen, für Kriecher und Lumpen, für internationale Polit‑ und Finanzgangster wie Calvi, Gelli und Sindona erwiesen!« urteilt David Yallop.

 

Während Wojtyla lateinamerikanische Priester wegen ihrer politischen Betätigung tadelte, begehrliche Blicke auf die eigene Ehefrau als eine Art von Ehebruch verurteilt und neuerdings per Enzyklika einem »demokratischen Sozialismus« sozusagen mit menschlichem Antlitz das Wort redet »sorgen die Männer hinter den Kulissen dafür, daß die Kassen klingeln wie nie zuvor ( ... ) Der jetzige Papst hat nicht nur zugelassen, daß der Vatikan eine ganze Reihe von Freimaurern aus einer ganzen Reihe verschiedener Logen offiziell in seinen Mauern duldet, er hat auch seinen Segen dazu gegeben, daß die Kirche sich eine hausgemachte Loge eigener Spielart zugelegt hat. Ihr Name ist Opus Dei ‑ Werk Gottes«.

 

Quelle: "Das schwarze Reich - Geheimgesellschaften und Politik im 20. Jahrhundert" von E. R. Carmin, 5. Auflage, München 2000, S. 580 - 584

 

 

 

 

Halbweltfiguren mit mehr als zweifelhaftem Leumund drängen sich so immer wieder nach oben in der ... internen Geschichte der Freimaurerei. Es ist alleine ihrer Macht zuzuschreiben, dass man sie später in Schulbüchern ausnahmslos als Helden glorifiziert. Alle jene "Nationalisten", "champions of Liberty" wie man sie in einer berühmten Briefmarkenserie der USA vorgestellt hat (Die Serie erschien durch mehrere Jahre hindurch und nannte die folgenden Personen: Ramon Magsaysay/Philippinen, Simon Bolivar, Lajos Kossuth, José de San Martin, Ernst Reuter, T. G. Masaryk, Ignacy Jan Paderewski, Garibaldi, Mahatma Gandhi, Sun Yat Sen und Gustav Mannerheim) erhielten ihren festen Platz im glorreichen Kampf gegen Thron und Altar. Nur diejenigen, die nicht im rechten Augenblick Volk und Reich folgten, die im falschen Moment auf den Zug aufstiegen und dann als Spätkommer den nächsten Schritt störten, den nämlich der erneuten Auflösung der Nationalstaaten in Regionen oder in kontinentale Zusammenschlüsse, wurden mit anderer Elle gemessen. Jetzt sollten nationale Instrumente nur noch fremden Zwecken dienen. Das politische Ethos, das staatsmännischem Handeln zugrundegelegt werden durfte, wurde ein ganz anderes. Szalasi war kein Kossuth, Mussolini kein Garibaldi. Auch diejenigen, die noch im vorigen Jahrhundert mit so viel Elan und Eigenwillen und fremder Hilfe das System einer dreiunddreissiggradigen Freimaurerei aufbauen durften, mit örtlichen Machtverschiebungen von London nach Charleston und nach Rom und wieder nach London, wurden inzwischen verdaut. Nur, wer etwa noch nach dem II. Weltkrieg meinte, da Extratouren sich erlauben zu dürfen, der musste es erleben, dass eine lückenlose Phalanx geordneter Hierarchie im Weltfreimaurertum ihm gegenüberstand und über die Klinge springen. Das eben erlebte ein Gelli und sein Anhang.

 

Im Abstand von zwei Jahren und mit dem Wissen dessen, was inzwischen ans Tageslicht kam, können wir heute genauer noch urteilen. ... Auf dem Boden der damals geschilderten und nach wie vor gültigen Fakten, können wir heute zunächst einmal unseren damaligen Satz vollauf bestätigen, in welchem wir sagten: "Im Grunde genommen liegt es bei allen Logen gleich, manchmal nur alles um eine Macht‑ und Betrachtungsstufe höher. Insofern nämlich, da die Brüder an einem Ort bereits in der Lage sind "legal" zu erreichen, was andernorts noch "illegal" angestrebt wird". Gelli und die Seinen haben in Wirklichkeit nichts anderes getan, als das, was die Grossen Brüder von London aus ganz "legal" tun. Es war von dort gesehen, der Versuch, ein Konkurrenzunternehmen aufzubauen, wobei man sich der gleichen Waffen einer Geheimgesellschaft bediente. Dabei hatte man sogar erstaunlich Viele ohne grosse Schwierigkeiten bewegen können, von dem einen Boot in das andere umzusteigen.

 

Der Kampf der Herrschenden, die Abtrünnigen zu vernichten, wurde mit einer Rücksichtslosigkeit ausgefochten, die nur bei Philosophen zu finden ist. Als erstes einmal musste man die öffentliche Meinung anheizen und so etwas wie ein P 2 ‑ Trauma schaffen. Natürlich war dann die Bank Calvis, der Ban­co Ambrosiano ein einziges Schwindelunternehmen (und nicht etwa die Welt­bank und der IMF) und die Gläubiger würden niemals einen Pfennig mehr von diesem so gerecht von dem Weltgewissen gerichteten Betrüger bekommen. Und in Argentinien wurde noch unter der Militärregierung nur ein Einziger eingesperrt, damit er nicht an den Wahlen sich beteiligen konnte, der Admiral Massera, und das war einer der Männer Gellis. Und Peru musste ver­sinken in Terrorismus und Subversion, denn es hatte mit den Geldern Gellis Argentinien Exocet für den Malvinenkrieg (Krieg um die Falkland-Inseln) verkauft. Und Kolumbien, dass als einziger Lateinamerikaner so treu auf der Seite der Philosophie blieb bei den Abstimmungen in der OEA, erreichte natürlich einen Waffenstillstand mit den subversiven Banden. Doch am aufregendsten ist noch der weitere Lebenslauf unseres P 2 ‑ Haupthelden, Licio Gelli. Nachdem man erst einmal überall klargestellt hatte (mit Ausnahme Masseras, der öffentlich erklärte: "Argen­tinien verdankt Gelli sehr viel"), dass es sich um einen s c h 1 e c h t e n Menschen, um etwas Böses bei ihm handelt, und man z. B. völlig unter den Tisch fegte, dass man in dem Gepäck, das man bei Gellis Tochter in Rom beschlagnahmte, einen "Plan für die demokratische Wiedergeburt" fand, den man bis heute nicht zu veröffentlichen wagte, war der Tenor aller Nachrich­tenorgane auf der ganzen Welt automatisch gleichgeschaltet. "Gelli" war kurz­um etwas Negatives, so wie es ohne Diskussion ein "Nazi" eben ist oder ein "homosexueller General". Nach rückwärts forschen ist dann absolut tabu. Das erschwert natürlich die Beurteilung neuer Fakten. Da begibt sich z. B. der schon seit einem Jahr "meistgesuchte Verbrecher" am 13. September 1982 zur Schweizerischen Bankgesellschaft nach Genf, um unter dem Namen Marco Bruno Ricci in einem ebenfalls gefälschten argentinischen Pass eine grössere Geldsumme abzuheben, die man mit etwa 60 Millionen Dollar um­schreibt. Das Geld soll (angeblich) auf Anordnung Calvis von den Ambrosiano‑Töchtern in Lima und Nassau dorthin für ihn überwiesen worden sein. Gel­li wird sofort verhaftet. Das sieht im ersten Augenblick so aus, als sei die­se Haft regelrecht gesucht worden, als fühlte Gelli sich hinter schweizer Ge­fängnismauern sicherer. In der Tat wird er in Haft genommen in dem Gen­fer Gefängnis Champ Dollon. Doch es ist eine Auslieferungshaft, nachdem ein Genfer Gericht ihn wegen der in der Schweiz begangenen Verfehlung des Gebrauchs falscher Papiere nur bedingt verurteilt. Der italienische Auslieferungsantrag macht einen langwierigen Prozess durch, da in ihm politische Handlungen mit gemeinen Straftaten vermischt sind. Doch endlich hat man das Feld gesäubert und eine Auslieferung liegt im Bereich des Wahrschein­lichen.

 

Am 10. August 1983 verschwindet Gelli aus dem Gefängnis. Die ganze Welt steht Kopf, zumindest sichtbar in der Schweiz und in Italien. Inmitten der tollsten Versionen, Gerüchte und Vorwürfe bewahrt die Lausanner "24 Heures" den Humor. Sie bringt eine Zeichnung von dem supermodernen Gefängnistor mit der Aufschrift: "10. August, Tag der offenen Türen".


 

Man kann den ersten Teil des Fluchtweges rekonstruieren. Er beweist einen mit seinen 64 Jahren recht wirklichkeitsnahen Logenchef. In der Zelle hinterlässt man einen Wattebausch, einen Blutfleck und eine Spritze. Das könnte auf Entführung hindeuten. Tina Anselmi, Vorsitzende des italienischen Parlamentarischen Untersuchungsausschusses gegen die Loge P 2, meint denn auch: "Der Vorgang bestätigt meine persönliche Befürchtung, dass mit allen Mitteln eine Einvernahme Gellis in Italien verhindert werden sollte". Am 23. Juni 1983 hatte das schweizerische Bundesgericht eine provisorische Haftentlassung Gellis abgelehnt. Der Abschub über die Grenze nach Italien stand also drohend bevor. Um 3 Uhr morgens an jenem 10. August öffnet der Gefängniswärter Edouard Ceresa Gelli die Zellentür und gibt dem Insassen Lederhandschuhe und eine Drahtschere. Damit schneidet Gelli ein Loch in den Aussenzaun und wirft in die Nähe der Umfassungsmauer einen Nachschlüssel für seine Zellentür. Während Ceresa auf einen Wachtturm steigt, kriecht Gelli unter eine Wolldecke in Ceresas grauen Citroenfurgoneta in der Garage des Gefängnisses. Bald darauf, insgesamt sogar dreimal, ruft die Polizei an und macht auf das Loch im Zaun aufmerksam, das sie aus vorbeifahrenden Fahrzeugen gesehen hat. Jedesmal nimmt Ceresa selbst das Gespräch entgegen und blockiert so die Warnungen. Um 7 Uhr 30 erst, bei Dienstschluss, fährt Ceresa mit seiner Frau in jenem Citroen aus dem Gefängnis heraus. Unterwegs setzt man sich um. Nach etwa einem Kilometer Fahrt ist man in Frankreich. Beim Grenzübergang werden keine Ausweispapiere verlangt. Gelli sitzt neben dem Chauffeur. Man steigt in Monniaz in zwei Mietwagen um, die dort warteten, und fährt damit zu dem kaum benutzten Flughafen Annecy‑Meytet. Dort wartet bereits ein Hubschrauber auf sie. Es ist pünktlich 8 Uhr 30. Das alles war wie bei einem generalstabsmässigen Planspiel sogar vorgeübt worden. Denn schon einmal, am 29. Juni flog ein Herr Mauro Deverini mit einem Hubschrauber von Annecy nach Nizza und wurde beim Aussteigen ordnungsgemäss mit seinen Papieren überprüft. Am 4. August bestellte dann der gleiche Herr einen weiteren Flug für den 10. August und zahlte bar bei der Bestellung. Der Pilot wurde in seinem Hotel in Annecy um 11 Uhr abends am 9. August angerufen: "Morgen früh um 8 Uhr 30 pünktlich starten wir". Später berichtet der Pilot: "Zwei Männer schleiften den dritten Fahrgast förmlich zu meiner Maschine. Es war ein älterer Herr, sein Kopf fiel manchmal zur Seite. Der Mann war wie betäubt. Als anderer Mitfahrer wird Gellis Sohn Raffaello (33) später identifiziert. Während des Fluges verlangt Deverini plötzlich eine Richtungsänderung nach Monte Carlo, da der ältere Herr schnell zum Zahnartz müsse. Man erfuhr weiterhin, dass die drei Fluggäste von einem dunkelblauen Rolls‑Royce mit Genfer Kennzeichen und einer weiteren Limousine abgeholt und hinunter zum Hafen gefahren wurden. Das war um 10 Uhr morgens. Von dort an bis heute nur Vermutungen. Mit gefälschtem spanischem Pass, der ihm vom Opus Dei beschafft worden sei, durch Frankreich nach Spanien, heisst die eine. In einer Genfer Villa nach wie vor versteckt, die andere. Auf der Insel St. Honorat vor Cannes in einem Trappistenkloster eine weitere. In dieser Richtung soll sogar (nach "Quick") der französische Geheimdienst suchen, denn, so sagt man dort, "Gelli wurde aus Genf rausgeholt, weil seine Auslieferung an Italien bevorstand. Wenn der auspackt, dann kommt der ganze Sumpf von Korruption und Erpressung der P 2 ans Tageslicht. Wir haben Informationen, dass Gelli als das Gehirn von P 2 von seinen eigenen Männern hingerichtet werden soll. Die haben alle zu viel zu verlieren". Uns scheint diese Kombination nicht zuzutreffen. Wenn Lebensgefahr für Gelli besteht, dann nur von der gleichen Stelle her, die auch Calvi richtete. Am wahrscheinlichsten scheinen uns jene Versionen, die von einem erfolgreichen Entweichen nach Südamerika sprechen, obwohl auch dort inzwischen in mehrfacher Weise bereits die Hand der Londoner Grossloge sichtbar wurde und der Boden für P 2 ‑ Leute nicht mehr sicher ist, wie wir noch sehen werden.

 

Am 19. August 1983, ganze 9 Tage nach seinem Verschwinden, stimmt das Bundesgericht in Lausanne einstimmig für Auslieferung Gellis an Italien. Der Gerichtsbeschluss fusst auf der Europäischen Auslieferungskonvention und war somit vorauszusehen.

 

Den Fängen der italienischen Justiz entkam auch Calvi, wie wir bereits früher noch berichten konnten. Sein Verbleib nach dem Verschwinden über Venedig und Triest am 11. Juni 1982 war der Welt zunächst genauso unerklärlich wie der Gellis ein Jahr später. Ja, bis zum Auffinden seiner Leiche in London hatte man überhaupt jegliche Spur verloren. Nur Jene, die auf ihr Opfer in London warteten, waren offenbar im Bilde. Der übrigen Welt galten alle Spuren als völlig verwischt. Das letzte, was man von ihm wusste, war der Abschied von seinem Chauffeur und von seiner Leibgarde im Zentrum Roms. Die Börse verzeichnete ein "Erdbeben" aller mit seinem Namen verbundenen Papiere, doch die NZZ sagt noch am 14. Juni: "Was dieses Erdbeben ausgelöst haben könnte, ist ‑ angesichts der sicher sehr robusten Verfassung von Calvis Finanzimperium ‑ noch ungewiss." Man sprach natürlich als Begründung dafür von dem anhängigen Prozess wegen betrügerischem Bankrott seiner Bank, dem Banco Ambrosiano. Er war bereits verurteilt und provisorisch wieder auf freien Fuss gesetzt worden. Bald wurde klar, dass er bei dieser Flucht in den beratenden Händen eines "Freundes", des Sarden Flavio Carboni war. Inszeniert war diese Freundschaft von Francesco Pazienza worden, einem Berater Calvis mit vielen Verbindungen im Freimaurerbereich. Merkwürdige Dinge geschahen auf diesem abenteuerlichen Weg im Ausland. Die Flucht, auf einem Schmuggelschiff aus dem Triester Hafen beginnend, endete zunächst im österreichischen Klagenfurt. Dort kam Calvi unter in der Villa eines Geschäftsmannes der Holzbranche, dessen eine Tochter Michaela die Freundin jenes Mannes war, der Calvi in Triest "übernommen" hatte. Carboni hatte diesen Schmuggler, Silvano Vittor, zum Leibwächter des Bankiers ernannt. Die Schwester aber von Michaela ist die Freundin Carbonis, der dann "wie zufällig" am gleichen Abend in Klagenfurt eintrifft. Man reiste gleichzeitig, aber auf getrennten Pfaden weiter nach London, Calvi und sein Aufpasser-Beschützer direkt, Carboni und Freundin über die Schweiz und via Amsterdam. In London, so sagt Carboni später aus, habe er "Calvi völlig durcheinander angetroffen." Sein Sohn widerspricht dem. Er habe mit seinem Vater telefoniert, und dieser sei wohl "wie verfolgt", aber keineswegs verstört und zerstreut gewesen. Im übrigen warnte Vater Calvi seinen Sohn bei diesem Telephongespräch, im Augenblick nicht in das gefährliche Europa zu reisen (er befand sich damals in New York, wie wir noch erfahren). Dann wich Carboni ein wenig nach Schottland aus. Er war noch dort, als man, sieben Tage nach dem Verlassen seiner Heimat, Calvi erhängt unter der Themsebrücke der Schwarzen Brüder fand. Carboni liess sich daraufhin sicherheitshalber von einem "immer bereiten" Züricher Freund im Privatjet von Schottland in die Schweiz fliegen, wo er sich im Bleniotal versteckt hielt, bis dann das von Coroner David Paul präsidierte Londoner Gericht am 23. Juli 1982 auf Selbstmord entschied. Das war das vorgesehene Zeichen. Carboni fühlte sich daraufhin sicher und zog um in das Haus eines weiteren Freundes in Lugano. Die Bleibe hatte ihm ein ebenfalls befreundeter Anwalt vermittelt. Bei einer Ausfahrt wurde er dann mit Bruder und Freundin festgenommen. Man hatte gehofft, dabei auch Gelli und Ortolani zu erwischen, doch Carboni erklärte (und das klingt sehr plausibel), weder den einen noch den anderen zu kennen. Um einer Auslieferung an Italien zuvorzukommen (wo man ihn wegen Fluchthilfe für Calvi vor Gericht stellen wollte) sandte er die Tonbandaufnahmen seiner Gespräche mit Calvi ans Gericht in Mailand. Denn Carboni hatte tatsächlich seine Unterhaltungen vorsorglich (!) laufend auf Tonband aufgenommen, ein Verfahren, das man doch wohl nur ausführt, wenn man meint, sich später damit verteidigen zu können (zu müssen). Was hat Carboni also vorausgewusst? In seinem Kampf gegen eine Auslieferung schaltete er dann wieder einmal "gute Freunde" ein. Diesmal war es der neue Sekretär der Christdemokraten, Ciriaco de Mita und der ebenfalls neuinthronisierte Grossmeister der Grossloge von Italien, Armando Corona. Der Letztgenannte hatte den neuen Posten mit der Auflage übernommen, den "Augiasstall der P 2" bei den Logen im Sinne der "Engländer" auszumisten. Was Wunder, sagt man sich, dass Carboni zu ihm gute Verbindungen hatte, zogen sie doch beide am gleichen Strange ‑ beinahe sogar im wahren Sinne des Wortes. Noch in der Schweiz wird Carbone dann von dem Londoner Polizeichef John White besucht. Man hat Probleme, die Selbstmordversion aufrechtzuerhalten. Vor allem die Witwe des Erhängten Clara Calvi, lässt keine Ruhe und setzt alle Hebel in Bewegung, um den Mord aufzuklären. Sie beschuldigt öffentlich Carboni, "ihren Mann für 20 Millionen Dollar verkauft zu haben."

 

Am 26. Juni erklärt die britische Kriminalpolizei noch den italienischen Behörden gegenüber, dass der unter der Blackfriar‑Bridge gefundene Calvi erwürgt worden sei. Das ergäbe sich vor allem daraus, dass der Knoten der Schlinge um Calvis Hals zu kompliziert (in der Art eines Rituals vollzogen) sei, als dass er von Calvi selbst hätte geknüpft werden können. Das Gericht allerdings kommt dennoch, wie gesagt, am 23. Juli zu dem Schluss, dass Calvi Selbstmord begangen habe, da laut dem pathologischen Befund der Leichnam keine Anzeichen von Fremdeinwirkung aufgewiesen habe. Für Mord lägen keine ernsthaften Indizien vor. Schon die Flucht, fügt man wenig plausibel in solche Vermutungen ein, war der Versuch, aus einer ausweglosen finanziellen Situation auszubrechen und zu verschwinden. Am 31. Mai 1982 noch hatte die italienische Zentralbank doch Calvi aufgefordert, für 1,4 Milliarden Dollar Schulden in Form von Schuldverschreibungen am Euromarkt und Zinsen aufzukommen, die bei vier Niederlassungen seiner Bank seit 1978 aufgelaufen wären. Dazu war er, wie wir noch erfahren werden, nicht in der Lage, da die Vatikanbank nicht zu ihren Bürgschaften stand. Dass Calvi Italien für immer verlassen wollte, steht daher heute ausser Zweifel. Er hatte bereits eine Wohnung in Manhattan gekauft (in der sich bereits seine Frau mit den Kinder befand) und Fühler nach Südamerika ausgestreckt für den Fall, dass er sich nicht definitiv in New York niederlassen könnte. Zur finanziellen Abdeckung der Zukunft transferierte Calvi, bevor er Italien den Rücken kehrte, noch 18 Millionen Dollar auf ihm zur Verfügung stehende Auslandskonten. Doch gerade diese Pläne waren es, die von Anfang an der Selbstmordthese widersprachen. Als bereits klar wird, dass diese zusammenbricht, erschienen prompt Pressenotizen, die erneut von der Fährte abbringen sollen und die besagen, dass "sich Roberto Calvi in seinem letzten Lebensabschnitt laut Aussagen aus seinem Kreis (ausgerechnet) von Gelli bedroht gefühlt habe". Von Flavio Carboni erfährt man (UPI), dass er sich im September 1982 auch als Berater sandinistischer und salvadorianischer Guerrilleros betätigt habe., Die Presse erlaubt sich sowieso so Einiges in diesem ganzen Fall P 2. Für uns Deutsche wirkt es auf die Lachmuskeln, wenn man da eine empörte Geschichte in der NZZ liest. Man beschwert sich darüber, dass das staatliche Fernsehen der italienischen Schweiz am 3. August 1982 ausführlich den Standpunkt der tessinischen Verteidiger Carbones bringt: "Seit wann, so fragt man sich, kann eine Partei, unabhängig davon, ob sie schliesslich recht bekommt, während eines schwebenden gerichtlichen Verfahrens von dieser Tragweite ihre Thesen vollumfänglich und unbestritten am Schweizer Fernsehen oder Radio vortragen?" Wir wollen der offensichtlich etwas bedarften NZZ da gerne bei der Beantwortung einer so schwerwiegenden Frage unter die Arme greifen. Seit Wann? fragen Sie? Wir antworten: Seit dem 8. Mai 1945. Das derzeit wohl deutlichste Beispiel dafür ist der Fall Barbie.

 

Im Februar 1983 wurde Klaus Barbie (Altmann) trotz fehlenden Auslieferungsabkommens von der soeben installierten "demokratischen" Regierung Boliviens an Frankreich ausgeliefert. Noch nach Jahr und Tag wurde dort keine Anklage gegen ihn erhoben. Trotzdem veröffentlicht "Quick" unter der Überschrift "Rückkehr des Nazi‑Mörders" am 10. Februar 1983 einen Artikel von einem forschen Herrn Emde, lügt von einer "eintätowierten SS‑Nummer" bei Barbie, bringt wie als Paradepferd aus einem Hetzfilm eine erfundene Darstellung "Ein SS‑Kommando erschiesst auf Befehl von Klaus Barbie einen französischen Widerstandskämpfer". In den USA erscheint eine Schrift in welcher Barbie (wie übrigens in fast  a 1 1 e n  Zeitungen der ganzen Welt!) 4000 Juden exekutiert und 7000 deportiert haben soll. Eine Jüdin namens Ravage bringt im "Clarin" in Buenos Aires einen ganzseitigen Bericht von ihrem Abtransport als kleines Mädchen mit ihrer Mutter nach Auschwitz. Auf der dortigen, in Holocaustberichten berühmt gewordenen Rampe, flüstert eine Frau der Mutter zu: Sagen Sie, dass das Mädchen 16 Jahre als ist, denn solche unter 13 gehen sofort in die Vergasungsräume, denn man will hier keine Kinder haben". Am gleichen Tage müssen wir lesen, dass der Berater der Auslandsoperationen der betrügerischen Herstattbank, Dany Dattel als Vierjähriger in Auschwitz eingeliefert worden und bei Kriegsende befreit worden sei (Herr Dattel hatte diese Vergangenheit erwähnt, denn er "konnte sich daraufhin mit dem Hinweis auf sein frühkindliches Verfolgungsschicksal als einziger höherer Angestellter der Herstatt-Bank dem Zugriff des Gerichts entziehen" - NZZ).

 

Lügen haben kurze Beine. Es geht doch wirklich nichts über eine Welt demokratischer Rechtsstaaten. Doch nicht nur die Flut von Lügen und übelsten Verleumdungen widert die Kulturnationen an. Es geschieht noch viel Grausigeres. Seit mehr als einem Jahr ohne Anklageerhebung im Gefängnis schält sich heraus, dass es in Frankreich und in den USA starke Kräfte gibt, die einen öffentlichen Prozess verhindern wollen, da Barbie zu viel weiss. Sein Verteidiger, Jaques Verges teilt mit: "Seit Februar 1984 hat Barbie 1500 Tabletten geschluckt und 100 Injektionen bekommen. Dabei wird der Patient wegen einer Krankheit behandelt, die er gar nicht hat. Es ist ganz so, als ob jemand Barbies Tod herbeiwünschte. Wenn er stirbt ist es Mord".

 

Eine Vorverurteilung durch die Medien erlebt ja auch der ehemalige Auschwitz‑Arzt Dr. Mengele. Den neuesten Stand dieser Lügen bringt "Reuter" im Mai 1984 aus Asunción:  "Durch Todesselektionen für die Gaskammern und medizinische Versuche hat Dr. Josef Mengele die Mitverantwortung für die Ermordung von Hunderttausenden nach Auschwitz deportierten Juden und Zigeunern." Man erinnert sich in Argentinien, dass Dr. Mengele vor seinem notwendigen Untertauchen von "etwa zwölf medizinischen Versuchen" sprach, die er vorgenommen habe. Der Rest ist auch hier freie Erfindung.

 

Nun gut, trotz deutlich assistierenden Freunden reist Carboni am 30. Ok­tober 1982 nach Italien. Er hatte die gerichtlichen Schritte in der Schweiz so­gar am Ende noch abgekürzt, indem er sich auf einmal eines anderen besann und sich mit einer freiwilligen Fahrt nach Italien einverstanden erklärte. Er fühle sich unschuldig, auch insofern, dass er sich in einem Augenblick, da al­le sich von Calvi abkehrten, als Reisebegleiter seinem erst relativ vor kurzem bekannt und befreundet gewordenen Calvi "anschloss". Einziger Punkt, den man ihm dann in Italien vorwirft, ist, sich an einem betrügerischen Bankrott der Calvi‑Bank beteiligt zu haben. Zunächst verweigert er seine Aussage vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, spricht jedoch dann vor den Mailänder Richtern. Er stellt ihnen die Kontoauszüge seiner Schweizer Banken zur Verfügung und belegt damit, o Staunen über Staunen, dass nicht er etwa Geld von Calvi erhalten habe, sondern im Gegenteil aus Freundschaft Calvi Geld lieh. Es ergibt sich sogar, dass Carboni Calvi schon im März 1982 auf dem römischen Flugplatz Ciampina zwei Milliarden Lire in bar und weitere in Brillianten und Edelsteinen gegeben hat, als zinslose Anleihe unter Freunden. Calvi habe in solchen Fällen immer sofort, wenn er wieder flüssig war, das empfan­gene Geld zurückgezahlt. Ihn habe mit Calvi, den er im August 1981 kennen­lernte, eine "uninteressierte Freundschaft" verbunden. Über Kontakte im Va­tikan habe er mit Calvi Zusammentreffen vereinbart.

 

Im Januar 1983 wird der Todesfall in London erneut gerichtlich aufgegriffen und diesmal steht auch für die Juristen in der City fest: es war Mord. Am 30. März 1983 stellt das Londoner Obergericht unter Lord Lane Verfahrensfehler bei dem vorherigen Gerichtsverfahren fest. Sohn Carlo sagt aus, es habe die konkrete "Gefahr" bestanden, dass sein Vater Finanzbetrügereien enthüllen und Namen nennen würde. Sein Anwalt weist auf die seltsame Tatsache hin, dass sich sowohl der Leibwächter Silvano Vittor wie auch sein "Freund" Flavio Carboni "durch eine überstürzte Abreise aus London verdächtig gemacht haben". Im Juni 1983 kommt es zu einer erneuten Untersuchung der Mordumstände. Der Anwalt der Familie, George Carman, spricht "von einer raffinierten kriminellen Organisation, die ihn beseitigt hat". In seinen Taschen, in Jacke und Hose, befanden sich fünf Backsteine, angeblich Symbol einer italienischen Freimaurer‑Loge, der Calvi angehörte. Diese Backsteine könnten nach Auffassung des Scotland‑Yard‑Inspektors John White, "die rituelle Bedeutung einer Demütigung gehabt haben". Hinter dem Mord stecke, so der Inspektor, "ein kompliziertes Netz finanzieller Intrigen". Die "Baseler Zeitung" drückt es so aus: "Die Umstände weisen auf eine makabre Inszenierung hin, die für Kenner der Geheimnisse Calvis (d. i. für Freimaurer) eine unmissverständliche Warnung sein soll". "Wer aber", fragt die NZZ, "solle durch einen solchen Ritualmord abgeschreckt werden? " (6. 7. 1982).

 

Die Witwe geht in einem Interview mit der "Sunday Times" so weit, dem Vatikan nachzusagen, er hätte das grösste Interesse daran gehabt, dass Ihr Mann nicht wie beabsichtigt zur Berufungsverhandlung am 21. Juni 1982 nach Mailand zurückkehre. "Der Vatikan hat verbergen wollen, dass seine Bank pleite ist ... Mein Mann hat in Zusammenarbeit mit dem Opus Dei ein Geschäft zur Übernahme der Schulden der Vatikanbank machen wollen. Sechs Wochen vor seinem Tode ist mein Mann von einem führenden christdemokratischen Politiker, der den Gegnern von Opus Dei im Vatikan nahesteht, vor dem Geschäft mit der Organisation gewarnt worden. Danach war mein Mann immer sehr, sehr ängstlich" sagt Clara Calvi. Schon früher erwähnt der Sohn Carlo Calvi, dass sein Vater ihm von London aus telefoniert habe, er möge seine in der Schweiz befindliche Schwester Anna verständigen, sofort nach den Vereinigten Staaten zu reisen und nicht wieder zurückzukehren. Der Vater versprach dabei seiner Familie, sie am folgenden Tage zweimal anzurufen, doch da war er bereits tot. Beachtlich ist, dass nur von der italienischen Presse der Widerstand gegen die widersinnige Selbstmordbehauptung aufrechterhalten wurde und ja dann auch zu einer Revision führte. Mit Calvi verschwand ein kleiner schwarzer Aktenkoffer, den er aus seiner Wohnung mit auf die Flucht nahm. Enthielt dieser die Zahlen, nach denen man seitdem forscht? Enthielt er vor allem die Wahrheit über die Rolle des Vatikans, das heisst des am 27. Juni 1942 von Pius XII. gegründeten Istituto per le Opere di Religione, dessen Vorsitz der amerikanische Erzbischof Marcinkus führte ?

 

Wir richten daher unsere Blicke jetzt auf den Banco Ambrosiano, die Bank Calvis.

 

Vorher schalten wir hier nur noch ein, dass es ununterbrochen recht blu­tig im weiteren Verlauf der Dinge zugeht. Einen Tag bevor man Calvis Leiche entdeckt, stürzt sich seine Sekretärin Graziella Teresa Carrocher aus dem Bürogebäude des Banco Ambrosiano in Mailand in die Tiefe. Sie war beein­druckt von den Kurseinbrüchen nach dem Verschwinden ihres Chefs, dem sie nach Jahrzehnten engsten Zusammenarbeitens niemals unlautere Absichten zugetraut hatte. Der stellvertretende Generaldirektor der gleichen Bank, Fran­cesco Dall Cha nimmt den gleichen Weg in den Tod und stürzt sich im Innen­hof der Bank aus einem Fenster im vierten Stock. Das war am 1. Oktober 1982. Der Stellvertreter und dann Nachfolger Calvis in der Leitung des Fi­nanzinstituts, Roberto Rosnoe, wird schon Anfang 1982 auf offener Strasse überfallen, doch der Mörder wird von seiner Leibgarde umgelegt und kann sein Opfer gerade noch durch einen Beinschuss verletzen. Dieser Mörder aber hatte, wie man klären konnte, Kontakte zu unserem Flavio Carboni. Damit ist eigentlich schon das Soll für einen lesenswerten Kriminalroman erfüllt. Es wird aber noch prickelnder, wenn man von Anfang an auf einen "Betrüger" und "Verbrecher" gestossen wird, und am Ende das alles wie ei­ne Seifenblase zerplatzt. Denn das ist das Erschütternde bei einer Analyse der Meldungen, die sich um den eigentlichen Stein des Anstosses ranken: die eingangs so überbehandelte Bank stellt sich hinterher als ein Unternehmen heraus, das mit sauberen Händen gehandhabt wurde.

 

Die Mehrheit der Ambrosianobank (so, wie sie aussah, als Calvi ins Ausland ging), lag bei vier in Panama eingetragenen Banken. Darum haben weder die italienische Notenbank noch die Börsenaufsichtsbehörde genauen Einblick in die Besitzverhältnisse gehabt. Die ursprünglich gutbürgerliche Bank geriet vermehrt (wie alle Banken auf der ganzen Welt) in das Fahrwasser zweifelhafter Geschäfte, als Calvi dem Angebot der Stunde nicht widerstehen konnte und 1974 das Finanzkonsortium "La Centrale Finanziaria Generale" des in New York zu 25 Jahren Gefängnis wegen betrügerischen Bankrotts der Franklin‑Bank eingekerkerten Michele Sindona übernahm. Damit wurde der Banco Ambrosiano Nachfolger eines Unternehmens, das sich mit gutem Erfolg der Wiedereingliederung schmutzig erworbener Kapitalien über unkontrollierte Europlätze befasste. Da andererseits die Banco Ambrosiano schon von je her engste Beziehungen zu Finanzinstituten des Vatikans hatte, (er war seinerzeit als Bank des Mailänder Klerus entstanden. Die Banco Cattolico del Veneto, Tochtergesellschaft des Banco Ambrosiano, arbeitet mit hoher Beteiligung des Vatikans), war es das Gegebene, dass der Vatikan nun auch bei den neuen, lukrativen Geschäften kräftig mitmischte. Geschäftspartner Calvis war der bereits mehrfach erwähnte Erzbischof Paul Marcinkus mit seinem IOR. Bereits im Mai 1981 hatte der italienische Schatzminister Baniamino Andreatta daher das IOR gebeten, alle Beziehungen zum Banco Ambrosiano abzubrechen. Doch erfährt man von den weiteren Geschäften, dass Calvi noch 1982 dem IOR eine Summe von 180 Mill Dollar auszahlte und dass andererseits beim Tod Calvis Bürgschaften des IOR in Höhe von 1,287 Milliarden Dollar zugunsten des Banco Ambrosiano bestanden (Quelle: "Familia Cristiana", Rom). Als Calvi 1982 in Liquiditätsschwierigkeiten kam, verweigerte Marcinkus jedoch die Honorierung dieser Verpflichtungen und wies nach dem Tode Calvis Dokumente vor, wonach eben dieser Calvi auf die Bürgschaften verzichtet hatte. Kardinalstaatssekretär Casaroli, der persönlich die Verteidigung der Vatikanfinanzen bei dieser Gelegenheit in die Hände nahm, verteidigte sich mit dem Satz, dass das IOR vom Banco Ambrosiano keine Geldbeträge entgegengenommen habe und daher auch nichts zurückzuzahlen hätte. Der Vatikan ernannte im November 1982 eine Expertengruppe, bestehend aus dem Schweizer Phillipp de Weck, dem Nordamerikaner Joseph C. Brennan und dem Italiener Carlo Cerutti (zu denen dann noch der Deutsche Hochgrad Hermann J. Abs stiess), um eine Umorganisation der Aufsichtsorgane der Vatikanbank vorzunehmen. "Das TABU über die spekulativen Kapitalismus‑Methoden und Praktiken der Gegenwart wurde daher weder angetastet noch in Frage gestellt. Im Gegenteil, man machte den Bock zum Gärtner, indem man drei gewiefte Bankiers der internationalen Hochfinanz als Sachgutachter über den Milliarden‑Coup bestellte" ("Das Neue Volk", Wien, Nr. 1/1983). Immerhin hatten aufgeregte Geister in der italienischen Zentralbank von einer Summe in Höhe von 1,4 Milliarden Dollar als Schuldenberg des BA gesprochen und die Presse forderte, dass der Vatikan für diese Summe einzustehen hätte. Stimmen aus dem Vatikan gingen daraufhin zum Gegenangriff über: "Der Bankenpool, der sich mit der Ambrosianoschuld befasst, ist zusammengesetzt von verschiedenen Banken, von denen man notorisch weiss, dass einige von ihnen sich unter der vollständigen Kontrolle der Freimaurerei befinden" (ANSA und EFE aus dem Vatikan, 10. Oktober 1982). Papst Johannes Paul II. beschwichtigte vor dem Kardinalskollegium: "Nicht die Vatikanbank trägt die Schuld. Sie ist vielmehr das Opfer dunkler Machenschaften und trickreicher Finanzmanipulationen geworden". Seit Monaten schon hielten sich damals die drei leitenden Beamten des IOR hinter den Mauern des Kirchenstaates auf, da sie eine Festnahme durch die italienischen Behörden befürchten müssen.

 

Nach dem Verschwinden Calvis hatte sich der Verwaltungsrat des BA nicht auf einen Nachfolger einigen können und trug daher der italienischen Noten­bank die Führung der Bank an. Diese setzte drei Herren als Verwaltungskommissare ein. Ihnen oblag es als erstes, Klarheit über die Finanzlage der Bank zu schaffen. Schwierig war es insbesondere, ein klares Bild bei der in Luxem­burg eingetragenen Arnbrosiano‑Holding zu bekommen. Diese umfasste sämtli­che ausländischen Beteiligungen des Mailänder Mutterhauses und unterstand

weder einer italienischen noch einer luxemburgischen Bankenaufsicht. Erst auf Grund der Vorgänge in Italien wurde die BAH in Luxemburg Anfang Juli 1982 unter Zwangsverwaltung gestellt. Auf einer ersten Gläubigerversammlung Ende Juli in London sprach man von 1,4 Milliarden Dollar Verpflichtungen des BA und von 400 Millionen Dollar bei der BAH. Inzwischen hatten sich in Italien auf Drängen der Notenbank sechs Banken zu einem Rettungskonsortium zusammen­ getan. Sowohl in Italien wie in London wurden Stimmen laut, die die Stimmungsmache gegen Calvis Bank als übereilt bezeichneten. Unter Beschuss kam vor allem die englische Midland Bank, die einen Kredit von 40 Millionen Dollar "in default" erklärt hatte und damit die Zwangsverwaltung in Luxemburg eingelei­tet hatte. "Nach Auffassung anderer Banken wurde diese am Euromarkt weit­herum gefürchtete Waffe viel zu rasch eingesetzt... Diese mit recht bitteren Worten geführte Auseinandersetzung mag als Beleg dafür angesehen werden, dass dem Fall Ambrosiano am Euromarkt weit grössere Bedeutung zukommt, als diese etwa die involvierte finanzielle Streitsumme erwarten lässt" (NZZ, fb aus London). Als am 27. August 1982 das Mailänder Konkursgericht for­mell die Insolvenz des BA feststellt, da wird vielfach ebenfalls von einem

"verfrühten Urteil" gesprochen. Das könne gar nicht gefällt werden, bevor nicht die genaue Schuld und Vermögenslage abgeklärt sei. Die abgetretenen Verwaltungsräte der Bank konnten den Insolvenzbescheid nicht verhindern. Der Konkursrichter war der erstaunlichen Meinung, dass ein signifikanter Liquiditätsmangel für seinen Entscheid ausreicht. Man hat den Eindruck, das hier ähnlich wie in dem später zu behandelnden, gänzlich andersartigen Fall des Generals Kiessling es an jeweils verantwortlicher Stelle nicht genü­gend Zivilcourage und Nachdenken gegeben hat, dass der Ritualmord an der Themse sofort alle mögliche Liebedienerei bewirkte. So, wie man seit zwei Jahren unisono P 2 als schwarzes Schaf unbesehen bespie, war jetzt Rober­to Calvi dran.

 

Von den Verhältnissen der in den letzten Jahrzehnten absolut führenden italienischen Geschäftsbank heisst es ebenfalls schon wenige Wochen nach dem Mord an Calvi, "dass das Risiko der Gläubiger somit minimal sein dürfte" (NZZ, Krb, Rom). Am 9. August 1982 nimmt der "Nuovo Banco Ambrosiano" seinen Betrieb auf. "Nach Meinung der italienischen Bankenaufsicht bestehen gute Hoffnungen, dass nach Abtrennung der risikobeladenen Auslandsbeteiligungen auf dem italienischen Markt wieder eine tragfähige Unternehmensstruktur gebildet werden kann". Schatzminister Andreatta will auf Anregung der Notenbank sogar auch Verlierer ohne rechtliche Ansprüche befriedigen. Im März 1983 verlautbart, dass man auf dem Wege über eine Kapitalerhöhung um 150 Milliarden Lire sogar die Kleinaktionäre weitgehend schadlos halten will, indem man ihnen kostenlos ein Vorkaufsrecht zur Zeichnung dieser Aktien gibt. Anfang Dezember 1983 werden dann die leitenden Herren des alten BA festgenommen, da sie in den Monaten Februar bis Mai 1982 illegale Operationen durchgeführt hätten, die den Tatbestand des betrügerischen Bankrotts erfüllen.

 

Fest scheint inzwischen zu stehen, dass Calvi noch kurz vor seiner Flucht für rund 35 Millionen Dollar Ambrosiano‑Aktien aufgekauft und dann für den siebenfachen Wert (also mit einer nicht gerechtfertigten Überbewertung) an die eigene Tochtergesellschaft in Lima weiterverkaufte. Das dabei gewonnene Geld aber floss in den Vatikan. Diese Vorgänge sollen nach Aussagen des Calvi­-Stellvertreters Rosone eine Aushöhlung des BA zugunsten des IOR verursacht haben. Calvi hätte danach diesen Weg beschritten, als er sich einer Macht gegenübersah, die den Zusammenbruch seines Imperiums beschlossen hatte. In Italien scheint man über diesen Punkt mehr noch zu wissen. Einerseits reist jedenfalls im April 1983 eine Delegation von Vertretern Italiens und des Kirchenstaates nach Südamerika, um dort die Bücher der Tochterunternehmen des AB in Peru, Nikaragua und auf den Bahamas einzusehen. Andererseits vernimmt man bereits im Februar 1983, dass die gesamten Ausstände der Holding auf insgesamt 610 Millionen Dollar veranschlagt werden und dass die neuen Autoritäten bemüht sind, einen Vergleich herbeizuführen, bei welchem alle Forderungen zu etwa zwei Dritteln beglichen werden würden, während man doch vorher davon sprach, die Gläubiger würden keinen einzigen Pfennig bekommen, und eine britische Bank sogar die Zahlungsfähigkeit (in wessen Auftrag?) erklärte. In der Tat kommt es dann zu einem solchen gemeinsamen Vorschlag der Liquidatores sowohl in Mailand wie in Luxemburg, wonach alle Gläubiger einen gemeinsamen Topf bilden, unabhängig davon, ob sie Forderungen gegenüber Luxemburg, Lima oder Nassau haben. Voraussetzung ist allerdings, dass der Vatikan (das IOR also) eine Summe von etwa 150 Mill Dollar beisteuert. Dieses ist dem Vernehmen nach damit einverstanden, soweit man das nicht als Schuldeingeständnis wertet. Politisch wird dabei der Vatikan unter Druck gesetzt mit dem Hintanhalten der italienischen Unterschrift unter das neue Konkordat. Ein derartiger Vergleich würde eine Liquidation verhindern. Im Juli 1983 tritt der gesamte Verwaltungsrat der Ambrosiano Holding dann aus Protest auf die zögernde Behandlung und laufende Einmischung sowohl luxemburgischer wie italienischer Behörden zurück. Man hatte die Nase voll mit den aus dunklem Hintergrund lancierten dauernden Störungsversuchen. Die Nachfolger sind ausnahmslos Engländer, Mitarbeiter der Londoner Firma Touche & Ross & Co. So, wie es 1978/79 gelungen war, den rebellisch gewordenen Weltgoldmarkt wieder unter Dach und Fach zu bringen, war jetzt eine linientreue Steuerung der BAH gewährleistet.

 

Für das gespannte Klima, in welchem diese revolutionären Umwälzungen sich abspielen, ist zum einen der im September 1983 vor einem Mailänder Strafgericht anlaufende Prozess wegen der Ermordung des mit der Untersuchung des Zusammenbruchs der Banken Sindonas beauftragten Anwalts Giorgio Ambrosoli kennzeichnend. Dieser Mord soll von Sindona selbst in Auftrag gegeben worden sein, als er mit Genehmigung der nordamerikanischen Justizbehörden 1979 "auf Urlaub" bei Mafiafreunden in Italien weilte. Vorgeladen wird der greise Vatikan‑Banker Luigi Mennini, der es aber vorzieht, sich im Kirchenstaate zu verstecken. Und vorgeladen ist Carlo Boldoni, der eben erst behauptet hatte, weder Gelli noch Ortolani seien die eigentlichen Führer der P 2, sondern niemand anders als Ministerpräsident Andreotti.

 

Zum andern fällt in diesen Zeitraum (August 1982) die Forderung der Luxemburgischen Bankenaufsicht, die im Grossfürstentum angesiedelten vier italienischen Banken hätten sofort eine Garantieerklärung für ihre Tochtergesellschaften in Luxemburg abzugeben. Man möchte, wie man sieht, nicht noch einmal Probleme erleben, wie sie der BA dem Finanzplatz brachte.

 

Und des weiteren frohlockte man etwas zu früh, als die Festnahme des auf italienischen Wunsch international gesuchten 70‑jährigen Bankiers und Gelli‑Stellvertreters Umberto Ortolani am 26. September 1983 aus Brasilien gemeldet werden konnte. Der Mann musste nämlich sofort wieder auf freien Fuss gesetzt werden, da er die brasilianische Staatsangehörigkeit besitzt und ihm von brasilianischer Seite keinerlei Vergehen zur Last gelegt werden können. Immerhin hatte Ortolani von Paul VI. noch seinerzeit die Ernennung zum "Gentiluomo di Sua Santitá" entgegennehmen können.

 

Die erwähnte Kommission aber, die sich auf Reise nach Südamerika begab, konnte nur Altbekanntes noch einmal feststellen: Eigentümerin der mysteriösen Finanzinstitute in Übersee insbesondere in Panama, war das IOR, der Vatikan. Ihm gehörten sogar recht deutliche 16 % auch des Aktienkapitals des Banco Ambrosiano.

 

Immer wieder brechen Bemerkungen an die Oberfläche, die Calvi als Werkzeug Anderer bezeichnen. Nicht er war demnach der eigentliche Herr des von ihm in der Tat in schwierigster Lage so fähig aufgebauten und arbeitsfähig gehaltenen Finanzimperiums, sondern Andere. "Heute weiss man aber, dass nicht Calvi selbst Herr im Hause war, er war anderen hörig, hatte Befehle auszuführen. . . . Calvi wurde an kurzer Leine geführt, er hatte Konzepte zu realisieren, die auf anderen Schreibtischen entworfen worden waren" (NZZ, Krb Rom in Zusammenfassung zahlreicher italienischer Pressemeldungen). Im Dienste Anderer (doch, waren es die gleichen Anderen?) stand auch ein Carboni, so wie es bei Tschombés Entführung Beaudean gewesen war (diesmal waren es offensichtlich ganz die gleichen in London domizilierten Anderen). "Für die Zukunft rufen wir vertrauensvoll den Schutz des Höchsten an, dessen wir in Dankbarkeit gedenken".

 

Quelle: "Einst sangen die Wälder" von Juan Maler, Buenos Aires 1985, S. 44 - 56