Uneingeschränkte Weltherrschaft der USA
Iran scheint das nächste Opfer
zu werden. Vieles deutet darauf hin: die verbalen Attacken in den Massenmedien;
die Konstruktion eines Bedrohungsszenarios durch das iranische Atomprogramm;
der Vorwurf an die Staatsführung, Terrorgruppen zu unterstützen und schließlich
die Überbetonung unentwegter diplomatischer "Bemühungen" zur
Entschärfung einer Krise, die real nicht existiert.
Denn es geht auch diesmal
nicht um Atomwaffen oder Terroristen. Nach Jugoslawien, Afghanistan und Irak
ist Iran für die USA ein weiteres "Hindernis", welches beiseite
geräumt werden soll, um den Globus nicht nur militärisch und politisch, sondern
auch ökonomisch unangefochten zu beherrschen. Alle damit in Zusammenhang
stehenden Aktivitäten geschehen nicht zufällig oder aus aktuellem Anlass ‑
sie sind Teil eines geostrategischen Masterplans.
Rückblick
Im März 1999, kurz vor der
Bombardierung Jugoslawiens, verabschiedete der US‑Kongress das
Seidenstraßenstrategie‑Gesetz (Silk Road Strategy Act). Darin werden die
Interessen der USA in einer riesigen Region definiert, die sich vom Mittelmeer
bis an die chinesische Grenze erstreckt.
Die enorme Bedeutung dieses
Gebietes schilderte Zbigniew Brzezinski, Sicherheitsberater des früheren US-Präsidenten Jimmy Carter, bereits
1997 in seinem Buch "Die einzige Weltmacht".
Und schon Mitte des 19. Jahrhunderts
erhielt der Kampf um die Vorherrschaft über das rohstoffreiche Zentralasien,
bei dem im Laufe der Zeit lediglich die Kontrahenten wechselten, einen Namen:
"The Great Game" ("Das Große Spiel").
Öl ist nicht genug
In voller Übereinstimmung mit
dem von Brzezinski entwickelten Konzept, über die Kontrolle Zentralasiens die
Welt zu beherrschen, verfolgt das US-Gesetz mehrere Ziele.
Zuallererst geht es natürlich
um Öl, und davon gibt es vor allem rund um das Kaspische Meer reichlich.
"Nebenbei" existieren in der Region aber auch noch bedeutende
Vorkommen an Erdgas, Uran und Gold.
Die geografische Lage der
Ölfelder bringt es jedoch mit sich, dass es nicht genügt, sie "nur"
zu besitzen. Das schwarze Gold muss transportiert werden. Dafür braucht man
Pipelines zu Seehäfen, welche man wiederum unter Kontrolle haben muss. Und
genau deshalb wollen die USA die gesamte Region zwischen dem Balkan und China
in einen Flickenteppich amerikanischer Protektorate verwandeln.
Russlands Monopol über die
Pipelines in seiner ehemaligen Einflusssphäre soll gebrochen und der Bau von
Ost‑West-Pipelines unter Umgehung Iran vorangetrieben werden.
Gleichzeitig will man verhindern, dass Iran Einfluss auf die Länder Zentralasiens gewinnt. Die Vorherrschaft in dieser
Region würde die amerikanische Wirtschaft einerseits unabhängiger vom Öl der
Golf‑Staaten machen, richtet sich aber andererseits neben Russland und
Iran auch gegen die Konkurrenten aus China und Europa ‑ mit Ausnahme
Großbritanniens.
Sichelschnitt im Kaukasus
Dass die alte Kolonialmacht bei der Neuauflage des Beutezuges im
eurasischen Wirtschaftsraum mit von der Partie sein will, erklärt die
bedingungslose Waffenbrüderschaft Tony Blairs mit George Bush, u. a. in Irak.
Der Schulterschluss von London und Washington auf politischer und militärischer
Ebene deckt sich mit der Integration britischer und amerikanischer
Geschäftsinteressen. So fusionierte beispielsweise BP mit der amerikanischen
Gesellschaft Amoco zum größten Ölkonzern der Welt. Und der ist eifrig bei der
Sache, die Seidenstraßenstrategie in
die Praxis umzusetzen. Ein Meilenstein auf diesem Weg ist die 2005 fertiggestellte
Pipeline BTC, die von Baku am Kaspischen Meer über Georgiens Hauptstadt Tbilisi
zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan führt. Die 1770 km lange Leitung ist die
erste (größere) auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion, die Russland umgeht.
Wirtschaftlich war das Projekt
höchst umstritten, aber darum ging es ja nicht. Der Einfluss Russlands und
Irans auf die Anrainer des Kaspischen Meeres sollte zurückgedrängt werden, und
das hat man erreicht. Die rund drei Milliarden Dollar Baukosten kamen
größtenteils als Kredite von der Weltbank und der Bank für Europäischen
Wiederaufbau. In beiden Institutionen sind die USA große Kapitalgeber.
Hilfreiche Lakaien
Die wirtschaftliche
Entwicklung der neuen Energielieferanten und Transitländer liegt freilich nicht
im Sinne der USA. Staaten wie Aserbaidschan, Georgien, Turkmenistan oder
Afghanistan werden auch künftig nicht über einen Vasallenstatus hinauskommen.
Dafür sorgen Weltbank, IWF und WTO, die in ihrer Geschichte schon 'zig Länder
ruiniert haben.
Argentinien, das durch die
aufgezwungene Wirtschaftspolitik in den Staatsbankrott getrieben wurde, dürfte das bekannteste Beispiel aus
der jüngeren Vergangenheit sein.
Beinahe hätte die Türkei das
gleiche Schicksal ereilt. Dass es nicht dazu kam, liegt an ihrer Rolle
innerhalb der amerikanischen Strategie. Die Türkei ist neben Afghanistan und
Pakistan ein wichtiges Transitland für den Abtransport der Bodenschätze
Zentralasiens. Ein zweiter Aspekt ist aber nicht weniger bedeutsam:
Die Beziehungen der Türkei zu
den arabischen Nachbarn sind historisch belastet (Osmanisches Reich). Und das
ist noch eine äußerst vorsichtige Formulierung, nicht wenige sprechen von
latenter Feindschaft. Genau die aber macht die Türkei zum potenziellen
Verbündeten der Amerikaner, welche sich aus der (Öl‑) Abhängigkeit von
ihren einstigen Günstlingen am Persischen Golf lösen wollen.
Faustrecht
Zur Durchsetzung ihrer
ökonomischen Interessen in Asien brauchen die USA natürlich auch ein Netz
militärischer Stützpunkte in der Region. Thomas Friedman, früherer Assistent
von US-Außenministerin Madeleine Albright, hat diese Notwendigkeit - aus Sicht
der USA, versteht sich - auf den Punkt gebracht:
"Die unsichtbare Hand des
Marktes funktioniert nicht ohne die sichtbare Faust. McDonalds kann nicht
prosperieren ohne McDonnel‑Douglas." Und in diesem Zusammenhang muss
man auch die Besetzung Afghanistans nach dem 11. September 2001 sehen. Die
Terroranschläge waren allenfalls ein willkommener Vorwand. In erster Linie ging
es um die Sicherheit der Erdöl‑ und Erdgasleitungen, die einmal vom
Kaspischen zum Arabischen Meer führen sollen. Dafür aber waren die Taliban,
früherer Verbündeter der USA, kein Garant mehr.
Iran ist der Schlüssel
Die Rolle Europas (ohne
Großbritannien) im "Großen Spiel" lässt sich wohl am treffendsten so
beschreiben: Es gibt sie nicht! Den europäischen Konsortien fehlen die
Pipelines aus der kaspischen Region über das Schwarze Meer und den Balkan nach
Westeuropa. Der entscheidende Korridor befindet sich in den Händen der anglo‑amerikanischen
Rivalen. Im Iran ist die Situation eine andere: Hier tätigte der französische Konzern
Total‑Fina‑Elf große lnvestitionen und gründete zusammen mit der
russischen Gasprom sowie der malaysischen Petronas ein Joint venture mit der
National Iranian Oil Company. Die USA ließen bestimmt nichts unversucht, um den
Handel zu verhindern, da er ihre strategischen Interessen konterkariert. Nichts
- außer Krieg. Somit wäre ein Militärschlag gegen Iran die logische Konsequenz.
Zumal man so mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen könnte: Iran wäre als
bedeutender Machtfaktor in der Region ausgeschaltet. Die USA hätten eine
(kosten)günstige Verbindung zwischen Kaspischem Meer und Persischem Golf sowie
eine vergrößerte Operationsbasis für weitere Aktionen in Mittelasien. Russland
und Frankreich wären durch den Verlust eines bedeutenden Wirtschaftspartners
erheblich geschwächt. Vor diesem Hintergrund wird ein erneuter Krieg am Golf
erklärbar, nur, dass er eben den Angreifer ‑ und nicht den Angegriffenen ‑
als Schurken entlarvt.
Quelle: Ullrich Rothe in P.T. MAGAZIN März/April/Mai
2006, S. 44 f