USA: Von der einzigen Supermacht zur Weltherrschaft? Die Abscheu
vor dem Terrorismus scheint die Welt zu einigen. Alle großen Staaten
einschließlich der VR China und Rußland unterstützten eine UNO-Resolution zur
Bekämpfung des Terrorismus, den die USA im Sicherheitsrat der UNO eingebracht
hatten. Die Taliban-Regierung Afghanistans und die islamistischen Terroristen
Bin Ladens scheinen völlig isoliert. Sollte die Welt nach einer beschränkten
Strafaktion der USA gegen die Terroristen im Auftrag der zivilisierten Welt
weniger gefährlich, ein Stück zivilisierter und friedlicher sein, fragt
Volkhard Mosler. Die Realitäten
sind leider entgegengesetzt: Der jetzige "Antiterrorkrieg" ist aus
Sicht der USA nur der Auftakt für einen "langen Feldzug" (George W.
Bush), um aus der Rolle der einzigen Weltsupermacht zur Weltvorherrschaft zu
gelangen. Nichts anderes meint Bush, wenn er sagt, daß er "durch die
Tränen seiner Augen eine große Chance für Amerika" sieht. Weltherrschaft
würde bedeuten, daß der jetzige militärische und wirtschaftliche Vorsprung
der USA gegenüber seinen wichtigsten Konkurrenten Japan, China, Rußland und
Europa festgeschrieben und zementiert wird. In dem Maße, wie die Konturen
dieses "Kreuzzuges" (Bush) Gestalt annehmen, werden auch die Risse
in der Allianz gegen den Terrorismus offen hervortreten. Die wahren Absichten
von Bush und seinem Vizepräsidenten Cheney, der schon dem Kabinett von Bush
senior angehörte, zielen zunächst auf den Ausbau der US-Militärmacht. Neue
Waffensysteme wie z. B. das geplante Antiraketensystem sollen die USA
unangreifbar machen. Der neue Generalstabschef der US-Streitkräfte, Richard
B. Myers, vertritt diese Linie: "Die USA müssen sicherstellen, daß die
Nutzung des Weltraums zu unseren Bedingungen erfolgt". Begründet wird
diese Militarisierung mit dem Hinweis auf die Bedrohung durch sogenannte
Schurkenstaaten wie Nordkorea und Irak. Tatsächlich sind mit
"Schurkenstaaten" alle jene gemeint, die sich dem ökonomischen
Diktat der USA nicht bedingungslos unterwerfen. Ein Signal für
den neuen außenpolitischen Kurs der Unterwerfung gab US-Außenminister Colin
Powell als er ankündigte, Washington werde seine Beziehungen zu anderen
Staaten künftig danach bemessen, wie gut sie im Kampf gegen den
internationalen Terrorismus mit den USA zusammenarbeiten. "Ich drohe
nicht, aber das wird eine neue Meßlatte sein"(Financial Times
Deutschland, 18.9.01). "Uneinsichtige Staaten müssen mit Konsequenzen
rechnen", fügte er hinzu. Die Liste möglicher Strafmaßnahmen reiche vom
Einfrieren von US-Hilfsgeldern über wirtschaftliche Sanktionen bis zu
militärischen Vergeltungsschlägen. Der Krieg gegen
Afghanistan ist nur der Anfang. Algerien, Sudan, Somalia, Pakistan, Irak,
Iran und Libyen sind weitere Kandidaten für eine Spezialbehandlung durch die
USA. Von Anfang an war die Bush-Regierung bemüht, nachzuweisen, daß der Irak
mit Bin Laden zusammenarbeitet. Saudi Arabien, das zusammen mit Pakistan die
Taliban-Regierung in Afghanistan bis vor kurzem unterstützte, zählt natürlich
nicht zu den Schurkenstaaten. Das Beispiel Saudi Arabiens zeigt, daß die
"neue Meßlatte" gar nicht Antiterrorbekämpfung mißt, sondern den
Grad der Bereitschaft einer Regierung, sich den USA zu unterwerfen. Die
Bush-Regierung hat zunächst gezögert, die Taliban-Regierung Afghanistans
militärisch anzugreifen, weil die Taliban in der Vergangenheit Rußlands
Einfluß im zweitgrößten Erdölgebiet der Welt am Kaspischen Meer eindämmen
half. Dies ist umgekehrt auch der Grund, warum Rußland unter seinem
Präsidenten Wladimir Putin sich der Front anschloß: er hofft, daß er seinen
blutigen Vernichtungsfeldzug gegen das tschetschenische Volk als Teil der
internationalen Antiterrorfront gegen islamische Fundamentalisten endlich
siegreich beenden kann. Der Konflikt mit den USA ist jedoch vorprogrammiert.
Die US-Regierung hat schon unter Präsident Clinton die Region um das
Kaspische Meer zum Einflußgebiet der USA erklärt, und die Unterwerfung
Afghanistans ist aus der Sicht der USA auch ein Schritt auf dem Weg zu diesem
strategischen Ziel ihrer Weltherrschaftspläne. Deutschland
und die EU Auch Deutschland
und die Staaten der Europäischen Union haben sich der Antiterrorfront
angeschloßen. Man muß "dabei sein", um "mäßigenden"
Einfluß auf die Bush-Regierung ausüben zu könnten, war die Devise in Berlin
und Paris. Washington hat jedoch der Nato die kalte Schulter gezeigt. Die
Nato darf Solidarität üben, aber die Entscheidungen über den zukünftigen Weg
wollen die USA mit niemand teilen. Nur der Brückenkopf der USA in der EU,
Großbritannien, darf mitmachen. Dies dient auch dazu, das politische Gewicht
Englands innerhalb der Europäischen Union und damit auch den Einfluß der USA
zu vergrößern. Führende
Vertreter deutscher Unternehmerverbände sind sehr besorgt über die
Antiterrorkampagne der USA. Im Handelsblatt (17.09.01) heißt es: "Seit
geraumer Zeit streiten die USA und die Europäer über die Politik gegenüber
den so genannten Schurkenstaaten. Während Washington auf eine harte Linie
dringt, haben viele europäische Staaten sowohl gegenüber Irak, Iran als auch
Libyen eine Öffnung betrieben". Wenige Tage vor dem 11. September hat
sich der BDI-Hauptgeschäftsführer Ludolf von Wartenberg für eine
"Emanzipation" von der US-Politik gegenüber Irak stark gemacht.
(Handelsblatt, 4.9.2001) Die neue US-Politik mit der Brechstange könnte
dieser "Emanzipation" schaden. "Falls die Amerikaner
allerdings mit Macht einfordern, daß sich auch die Europäer ihrer harten
Embargohaltung anschließen, werden wir uns dem nicht entziehen können",
befürchtet etwa der Vorsitzende der Nordafrika Mittelost Initiative (NMI) der
deutschen Unternehmerverbände Klaus Lederer. "Die Eskalation",
schreibt das Handelsblatt, komme "aus Sicht der Wirtschaft zu einem
schlechten Zeitpunkt". Über eine für den 6. Dezember geplante große
NMI-Konferenz in Stuttgart, "zu der etliche arabische Staatschefs
eingeladen sind", heißt es: "Ob sie stattfinden kann, hängt nun
davon ab, wie umfassend die militärische Vergeltung der USA ausfallen
wird" (Handelsblatt, 17.09.01). So sehen deutsche
Unternehmerverbände kurzfristig keine Alternative zur Unterwerfungsgeste. Die
Lehren aus der neue internationalen politischen Offensive der USA sind schon
seit dem Golfkrieg 1991 bekannt. Die Europäische Union muß nach Einführung
des Euro sich dem Ausbau ihrer Militärmacht zuwenden. Die Kampagne der
Konservativen und der Generalität der Bundeswehr für eine Erhöhung der
Militärausgaben, um die Bundeswehr noch rascher zu einer weltweit einsatz-
und schlagfähigen Truppe zu machen, hat ihre Wurzel in der Sorge deutscher Kapitalisten,
im internationalen wirtschaftlichen Konkurrenzkampf wegen mangelnder
militärischer Schlagfähigkeit des eigenen Nationalstaates abgehängt zu
werden. Nach dem 11. September zeigte sich die rot-grüne Bundesregierung
gelehrig: Trotz Eichels Sparkurs war sie bereit,3 Milliarden DM zusätzlich
für die "Sicherheit" auszugeben. Imperialismus Das Streben nach
Weltherrschaft der USA entspringt nicht den besonders reaktionären Ideen
eines George W. Bush. Es entspringt vielmehr dem Bedürfnis der großen amerikanischen
Konzerne, die sich abzeichnende Wirtschaftkrise durch eine neue
Globalisierungsoffensive zu lösen. Jede Krise führt unweigerlich zu einer
Verschärfung der wirtschaftlichen Konkurrenz um Absatzmärkte, billige
Rohstoffe, überhaupt neue Profitquellen. Die Konkurrenz findet aber seit über
hundert Jahren in wichtigen Bereichen nicht mehr auf dem Wege der reinen
Preiskonkurrenz statt. Ein Beispiel ist der jetzt ausgebrochene Kampf den
großen Fluggesellschaften. Lufthansa sieht sich von Billigflügen von United
Airlines bedroht, die wiederum durch staatliche Beihilfen der Bush-Regierung
nach dem 11. September an die amerikanische Fluglinien fließen. Schon wird
der Ruf nach Beihilfen der Europäischen Union laut. Die nächste Runde wird
dann auf politischer Ebene ausgetragen: Zwischen einzelnen Staaten oder im
Rahmen der Welthandelsorganisation WTO. Dieser Umschlag
von der rein wirtschaftlichen Konkurrenz in die politische zwischen Staaten
war historisch schon vor über hundert Jahren eingetreten, als in den damaligen
Industrieländern der Konzentrationsprozeß eine Stufe erreicht hatte, die wir
als Monopolkapitalismus bezeichnen können, das heißt die Konzerne hatten eine
Größe erreicht, wo die Binnenmärkte nur noch von einigen wenigen Konzernen
beherrscht wurden, die nun mit Hilfe ihrer jeweiligen Nationalstaaten
internationale Ausdehnung suchten. Dabei stoßen sie auf andere Monopole, die
ebenfalls ihre Nationalstaaten mobilisieren. Die Konkurrenz droht, vom
"friedlichen" Wirtschaftskampf in politisch-militärische Formen
umzuschlagen. MarxistInnen nennen dieses Stadium des Kapitalismus
'Imperialismus'. Ein Beispiel aus
jüngster Zeit war der Golfkrieg 1991. Er wurde von den USA mit Unterstützung
der westlichen Industrienationen um die Kontrolle der Ölfelder Arabiens
geführt. Der Sieg der US-Streitkräfte über den Irak hatte aber über den
unmittelbaren Zweck der Kontrolle der Ölfelder hinaus einen weiteren,
politischen. Er half den USA, zusammen mit zwei Kriegen auf dem Balkan
(Bosnien 1994, Kosovo 1998), das Vietnamsyndrom zu überwinden, das heißt die
verheerende Niederlage vom Vietnamkrieg (1965-75) vergessen zu machen, das
Selbstbewußtsein in die Unbesiegbarkeit der US-Army wiederherzustellen. Die militärischen
Siege halfen den USA nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sich als einzige
verbliebene Supermacht zu etablieren und auch innerhalb der NATO in der
Auseinandersetzung mit den europäischen Mächten den amerikanischen
Führungsanspruch zu behaupten. Die wiedergewonnene politisch-militärische
Vorherrschaft war bei den wirtschaftlichen Verhandlungen der WTO, des
Internationalen Währungsfonds und der Weltbank immer mit am Tisch. Nur die
USA waren stark genug, weltweit die Spielregeln einer globalisierten
Weltwirtschaft zu bestimmen, die Öffnung der Märkte für die Multis zu
erzwingen. Aber die USA sind
nicht allmächtig, sie müssen mit Japan und der Europäischen Union,
Kompromisse schließen. Japan ist zwar geschwächt, aber keinesfalls schwach
und die Europäische Union ist mit dem Euro eine neue Herausforderung für die
USA. Bei der bevorstehenden Welthandelskonferenz im November im Golfemirat
Katar werden die USA es nicht schaffen, der EU und Japan ihren Willen zu
diktieren. Angesichts des internationalen Charakters der Krise könnten sogar
neue Handelskriege zwischen den großen Spielern aufbrechen. Der Bush-Cheney
Flügel der herrschenden Klasse Amerikas fürchtet, daß die chinesische
Wirtschaft in zwei bis drei Jahrzehnten die größte der Welt sein wird,
vorausgesetzt, sie kann die gegenwärtigen Wachstumsraten beibehalten. Die
riesige Zahl von Steuerzahlern könnten dann Militärausgaben finanzieren, die
gleich hoch oder größer als die der USA wären. Solche Kalkulationen sind
gewöhnlich falsch, weil sich Gegenwartstrends nie ohne weiteres in die
Zukunft fortschreiben lassen. Aber die Befürchtung, daß die gegenwärtige
Vorherrschaft der USA mittelfristig nicht garantiert ist, bleibt richtig.
Eine außer Kontrolle geratende Wirtschaftskrise könnte zum Beispiel die
amerikanische Wirtschaft ähnlich schwächen wie dies für die russische und
japanische Wirtschaft zu beobachten war. Die sich
abzeichnende Wirtschaftskrise in den USA und weltweit erklärt auch den Druck
für eine Erhöhung der Rüstungsausgaben und für militärische Optionen
überhaupt. Eine solche Wende, so spekuliert die Bush-Cheney Regierung, könnte
die meisten anderen Mächte zwingen, sich Amerikas Diktat zu unterwerfen. Die
USA könnten mit einer neuen Aufrüstung von Antiraketensystemen China in einen
Rüstungswettlauf zwingen, den es ähnlich wie Rußland endlich verlieren würde. Aber es kann auch
anderes kommen. Die Bush-Cheney Regierung kann leicht ihr Konto überziehen,
wie tendenziell schon vor dem 11. September. Die Ablehnung sämtlicher
internationaler Verträge oder Beschlüsse durch die USA, soweit sie ihre
Handlungsfreiheit einschränken könnte (Rüstungskontrollen, Umweltschutz,
Schaffung eines internationalen Gerichtshofes gegen
Menschenrechtsverletzungen, Antirassismus-Beschluss der UNO etc.) hatten vor
dem 11. September die Kritik an dem Vormachtstreben der USA international
anschwellen lassen. Volkhard
Mosler ist ehemaliger SDS-Aktivist und heute Mitlgied in der sozialistischen
Organisation Linksruck. Quelle:
Sozialismus von unten, Nr. 7, Herbst/Winter 2001 |