USA: Von der einzigen Supermacht zur Weltherrschaft?

Volkhard Mosler (7 / 2001)

Die Abscheu vor dem Terrorismus scheint die Welt zu einigen. Alle großen Staaten einschließlich der VR China und Rußland unterstützten eine UNO-Resolution zur Bekämpfung des Terrorismus, den die USA im Sicherheitsrat der UNO eingebracht hatten. Die Taliban-Regierung Afghanistans und die islamistischen Terroristen Bin Ladens scheinen völlig isoliert. Sollte die Welt nach einer beschränkten Strafaktion der USA gegen die Terroristen im Auftrag der zivilisierten Welt weniger gefährlich, ein Stück zivilisierter und friedlicher sein, fragt Volkhard Mosler.

Die Realitäten sind leider entgegengesetzt: Der jetzige "Antiterrorkrieg" ist aus Sicht der USA nur der Auftakt für einen "langen Feldzug" (George W. Bush), um aus der Rolle der einzigen Weltsupermacht zur Weltvorherrschaft zu gelangen. Nichts anderes meint Bush, wenn er sagt, daß er "durch die Tränen seiner Augen eine große Chance für Amerika" sieht. Weltherrschaft würde bedeuten, daß der jetzige militärische und wirtschaftliche Vorsprung der USA gegenüber seinen wichtigsten Konkurrenten Japan, China, Rußland und Europa festgeschrieben und zementiert wird. In dem Maße, wie die Konturen dieses "Kreuzzuges" (Bush) Gestalt annehmen, werden auch die Risse in der Allianz gegen den Terrorismus offen hervortreten. Die wahren Absichten von Bush und seinem Vizepräsidenten Cheney, der schon dem Kabinett von Bush senior angehörte, zielen zunächst auf den Ausbau der US-Militärmacht. Neue Waffensysteme wie z. B. das geplante Antiraketensystem sollen die USA unangreifbar machen. Der neue Generalstabschef der US-Streitkräfte, Richard B. Myers, vertritt diese Linie: "Die USA müssen sicherstellen, daß die Nutzung des Weltraums zu unseren Bedingungen erfolgt". Begründet wird diese Militarisierung mit dem Hinweis auf die Bedrohung durch sogenannte Schurkenstaaten wie Nordkorea und Irak. Tatsächlich sind mit "Schurkenstaaten" alle jene gemeint, die sich dem ökonomischen Diktat der USA nicht bedingungslos unterwerfen.

Ein Signal für den neuen außenpolitischen Kurs der Unterwerfung gab US-Außenminister Colin Powell als er ankündigte, Washington werde seine Beziehungen zu anderen Staaten künftig danach bemessen, wie gut sie im Kampf gegen den internationalen Terrorismus mit den USA zusammenarbeiten. "Ich drohe nicht, aber das wird eine neue Meßlatte sein"(Financial Times Deutschland, 18.9.01). "Uneinsichtige Staaten müssen mit Konsequenzen rechnen", fügte er hinzu. Die Liste möglicher Strafmaßnahmen reiche vom Einfrieren von US-Hilfsgeldern über wirtschaftliche Sanktionen bis zu militärischen Vergeltungsschlägen.

Der Krieg gegen Afghanistan ist nur der Anfang. Algerien, Sudan, Somalia, Pakistan, Irak, Iran und Libyen sind weitere Kandidaten für eine Spezialbehandlung durch die USA. Von Anfang an war die Bush-Regierung bemüht, nachzuweisen, daß der Irak mit Bin Laden zusammenarbeitet. Saudi Arabien, das zusammen mit Pakistan die Taliban-Regierung in Afghanistan bis vor kurzem unterstützte, zählt natürlich nicht zu den Schurkenstaaten. Das Beispiel Saudi Arabiens zeigt, daß die "neue Meßlatte" gar nicht Antiterrorbekämpfung mißt, sondern den Grad der Bereitschaft einer Regierung, sich den USA zu unterwerfen.

Die Bush-Regierung hat zunächst gezögert, die Taliban-Regierung Afghanistans militärisch anzugreifen, weil die Taliban in der Vergangenheit Rußlands Einfluß im zweitgrößten Erdölgebiet der Welt am Kaspischen Meer eindämmen half. Dies ist umgekehrt auch der Grund, warum Rußland unter seinem Präsidenten Wladimir Putin sich der Front anschloß: er hofft, daß er seinen blutigen Vernichtungsfeldzug gegen das tschetschenische Volk als Teil der internationalen Antiterrorfront gegen islamische Fundamentalisten endlich siegreich beenden kann. Der Konflikt mit den USA ist jedoch vorprogrammiert. Die US-Regierung hat schon unter Präsident Clinton die Region um das Kaspische Meer zum Einflußgebiet der USA erklärt, und die Unterwerfung Afghanistans ist aus der Sicht der USA auch ein Schritt auf dem Weg zu diesem strategischen Ziel ihrer Weltherrschaftspläne.

Deutschland und die EU

Auch Deutschland und die Staaten der Europäischen Union haben sich der Antiterrorfront angeschloßen. Man muß "dabei sein", um "mäßigenden" Einfluß auf die Bush-Regierung ausüben zu könnten, war die Devise in Berlin und Paris. Washington hat jedoch der Nato die kalte Schulter gezeigt. Die Nato darf Solidarität üben, aber die Entscheidungen über den zukünftigen Weg wollen die USA mit niemand teilen. Nur der Brückenkopf der USA in der EU, Großbritannien, darf mitmachen. Dies dient auch dazu, das politische Gewicht Englands innerhalb der Europäischen Union und damit auch den Einfluß der USA zu vergrößern.

Führende Vertreter deutscher Unternehmerverbände sind sehr besorgt über die Antiterrorkampagne der USA. Im Handelsblatt (17.09.01) heißt es: "Seit geraumer Zeit streiten die USA und die Europäer über die Politik gegenüber den so genannten Schurkenstaaten. Während Washington auf eine harte Linie dringt, haben viele europäische Staaten sowohl gegenüber Irak, Iran als auch Libyen eine Öffnung betrieben". Wenige Tage vor dem 11. September hat sich der BDI-Hauptgeschäftsführer Ludolf von Wartenberg für eine "Emanzipation" von der US-Politik gegenüber Irak stark gemacht. (Handelsblatt, 4.9.2001) Die neue US-Politik mit der Brechstange könnte dieser "Emanzipation" schaden. "Falls die Amerikaner allerdings mit Macht einfordern, daß sich auch die Europäer ihrer harten Embargohaltung anschließen, werden wir uns dem nicht entziehen können", befürchtet etwa der Vorsitzende der Nordafrika Mittelost Initiative (NMI) der deutschen Unternehmerverbände Klaus Lederer. "Die Eskalation", schreibt das Handelsblatt, komme "aus Sicht der Wirtschaft zu einem schlechten Zeitpunkt". Über eine für den 6. Dezember geplante große NMI-Konferenz in Stuttgart, "zu der etliche arabische Staatschefs eingeladen sind", heißt es: "Ob sie stattfinden kann, hängt nun davon ab, wie umfassend die militärische Vergeltung der USA ausfallen wird" (Handelsblatt, 17.09.01).

So sehen deutsche Unternehmerverbände kurzfristig keine Alternative zur Unterwerfungsgeste. Die Lehren aus der neue internationalen politischen Offensive der USA sind schon seit dem Golfkrieg 1991 bekannt. Die Europäische Union muß nach Einführung des Euro sich dem Ausbau ihrer Militärmacht zuwenden. Die Kampagne der Konservativen und der Generalität der Bundeswehr für eine Erhöhung der Militärausgaben, um die Bundeswehr noch rascher zu einer weltweit einsatz- und schlagfähigen Truppe zu machen, hat ihre Wurzel in der Sorge deutscher Kapitalisten, im internationalen wirtschaftlichen Konkurrenzkampf wegen mangelnder militärischer Schlagfähigkeit des eigenen Nationalstaates abgehängt zu werden. Nach dem 11. September zeigte sich die rot-grüne Bundesregierung gelehrig: Trotz Eichels Sparkurs war sie bereit,3 Milliarden DM zusätzlich für die "Sicherheit" auszugeben.

Imperialismus

Das Streben nach Weltherrschaft der USA entspringt nicht den besonders reaktionären Ideen eines George W. Bush. Es entspringt vielmehr dem Bedürfnis der großen amerikanischen Konzerne, die sich abzeichnende Wirtschaftkrise durch eine neue Globalisierungsoffensive zu lösen. Jede Krise führt unweigerlich zu einer Verschärfung der wirtschaftlichen Konkurrenz um Absatzmärkte, billige Rohstoffe, überhaupt neue Profitquellen. Die Konkurrenz findet aber seit über hundert Jahren in wichtigen Bereichen nicht mehr auf dem Wege der reinen Preiskonkurrenz statt. Ein Beispiel ist der jetzt ausgebrochene Kampf den großen Fluggesellschaften. Lufthansa sieht sich von Billigflügen von United Airlines bedroht, die wiederum durch staatliche Beihilfen der Bush-Regierung nach dem 11. September an die amerikanische Fluglinien fließen. Schon wird der Ruf nach Beihilfen der Europäischen Union laut. Die nächste Runde wird dann auf politischer Ebene ausgetragen: Zwischen einzelnen Staaten oder im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO.

Dieser Umschlag von der rein wirtschaftlichen Konkurrenz in die politische zwischen Staaten war historisch schon vor über hundert Jahren eingetreten, als in den damaligen Industrieländern der Konzentrationsprozeß eine Stufe erreicht hatte, die wir als Monopolkapitalismus bezeichnen können, das heißt die Konzerne hatten eine Größe erreicht, wo die Binnenmärkte nur noch von einigen wenigen Konzernen beherrscht wurden, die nun mit Hilfe ihrer jeweiligen Nationalstaaten internationale Ausdehnung suchten. Dabei stoßen sie auf andere Monopole, die ebenfalls ihre Nationalstaaten mobilisieren. Die Konkurrenz droht, vom "friedlichen" Wirtschaftskampf in politisch-militärische Formen umzuschlagen. MarxistInnen nennen dieses Stadium des Kapitalismus 'Imperialismus'.

Ein Beispiel aus jüngster Zeit war der Golfkrieg 1991. Er wurde von den USA mit Unterstützung der westlichen Industrienationen um die Kontrolle der Ölfelder Arabiens geführt. Der Sieg der US-Streitkräfte über den Irak hatte aber über den unmittelbaren Zweck der Kontrolle der Ölfelder hinaus einen weiteren, politischen. Er half den USA, zusammen mit zwei Kriegen auf dem Balkan (Bosnien 1994, Kosovo 1998), das Vietnamsyndrom zu überwinden, das heißt die verheerende Niederlage vom Vietnamkrieg (1965-75) vergessen zu machen, das Selbstbewußtsein in die Unbesiegbarkeit der US-Army wiederherzustellen.

Die militärischen Siege halfen den USA nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sich als einzige verbliebene Supermacht zu etablieren und auch innerhalb der NATO in der Auseinandersetzung mit den europäischen Mächten den amerikanischen Führungsanspruch zu behaupten. Die wiedergewonnene politisch-militärische Vorherrschaft war bei den wirtschaftlichen Verhandlungen der WTO, des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank immer mit am Tisch. Nur die USA waren stark genug, weltweit die Spielregeln einer globalisierten Weltwirtschaft zu bestimmen, die Öffnung der Märkte für die Multis zu erzwingen.
Heute sind die USA die bei weitem größte und gefährlichste Militärmacht. Sie haben auch ein Jahrzehnt des wirtschaftlichen Aufschwungs hinter sich, während dessen die US-Wirtschaft um mehr als ein Drittel wuchs, während die russische Wirtschaft sich im gleichen Zeitraum halbierte, Japan stagnierte und Deutschland nur sehr langsam wuchs. Aber sie besitzen längst nicht die wirtschaftliche Vormacht wie unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg , als sie 40 Prozent der Weltproduktion stellte.

Aber die USA sind nicht allmächtig, sie müssen mit Japan und der Europäischen Union, Kompromisse schließen. Japan ist zwar geschwächt, aber keinesfalls schwach und die Europäische Union ist mit dem Euro eine neue Herausforderung für die USA. Bei der bevorstehenden Welthandelskonferenz im November im Golfemirat Katar werden die USA es nicht schaffen, der EU und Japan ihren Willen zu diktieren. Angesichts des internationalen Charakters der Krise könnten sogar neue Handelskriege zwischen den großen Spielern aufbrechen.
Die Supermacht ist keinesfalls allmächtig. Es ist kaum zehn Jahre her, seitdem japanische Firmen strategisch wichtige neue Industrien beherrschten und es unter Analysten Mode war vom bevorstehenden Jahrhundert Ostasiens zu sprechen, wo Japans Wirtschaft die der USA überholen würde. Die US-Industrie hat mit einer radikalen Umstrukturierung einerseits und einer permanenten Wirtschaftskrise andererseits diesen Alptraum überwunden. Aber die Furcht bleibt bestehen. Im Kapitalismus ist keine Führungsmacht stabil, der heutige Aufstieg kann schon bald vom Fall gefolgt sein.

Der Bush-Cheney Flügel der herrschenden Klasse Amerikas fürchtet, daß die chinesische Wirtschaft in zwei bis drei Jahrzehnten die größte der Welt sein wird, vorausgesetzt, sie kann die gegenwärtigen Wachstumsraten beibehalten. Die riesige Zahl von Steuerzahlern könnten dann Militärausgaben finanzieren, die gleich hoch oder größer als die der USA wären. Solche Kalkulationen sind gewöhnlich falsch, weil sich Gegenwartstrends nie ohne weiteres in die Zukunft fortschreiben lassen. Aber die Befürchtung, daß die gegenwärtige Vorherrschaft der USA mittelfristig nicht garantiert ist, bleibt richtig. Eine außer Kontrolle geratende Wirtschaftskrise könnte zum Beispiel die amerikanische Wirtschaft ähnlich schwächen wie dies für die russische und japanische Wirtschaft zu beobachten war.

Die sich abzeichnende Wirtschaftskrise in den USA und weltweit erklärt auch den Druck für eine Erhöhung der Rüstungsausgaben und für militärische Optionen überhaupt. Eine solche Wende, so spekuliert die Bush-Cheney Regierung, könnte die meisten anderen Mächte zwingen, sich Amerikas Diktat zu unterwerfen. Die USA könnten mit einer neuen Aufrüstung von Antiraketensystemen China in einen Rüstungswettlauf zwingen, den es ähnlich wie Rußland endlich verlieren würde.
Aber nicht nur China würde auf diese Weise in die Knie gezwungen, sondern auch Europa und Japan. Jede Erhöhung der internationalen Spannungen, ob durch Krieg oder als Folge einer neuen Drehung der Rüstungsspirale mit Antiraketensystemen, würde Europa und Japan zwingen, auf die militärische Führung der USA zurückzugreifen, wie sie es im Golfkrieg 1991 taten. Und wie damals würden sie den Preis dafür bezahlen, indem sie die USA bei den wirtschaftlichen Globalisierungsverhandlungen nachgeben.

Aber es kann auch anderes kommen. Die Bush-Cheney Regierung kann leicht ihr Konto überziehen, wie tendenziell schon vor dem 11. September. Die Ablehnung sämtlicher internationaler Verträge oder Beschlüsse durch die USA, soweit sie ihre Handlungsfreiheit einschränken könnte (Rüstungskontrollen, Umweltschutz, Schaffung eines internationalen Gerichtshofes gegen Menschenrechtsverletzungen, Antirassismus-Beschluss der UNO etc.) hatten vor dem 11. September die Kritik an dem Vormachtstreben der USA international anschwellen lassen.
Die Regierung Bush nutzt die Anschläge vom 11. September aus, um die Kritiker ihrer Weltherrschaftspläne mundtot zu machen. Aber sie können nicht verhindern, daß es im Laufe ihres "Kreuzzuges gegen Terror" zu neuen Rissen und Spaltungen kommen wird, sowohl zwischen den USA und den Europäischen Mächten wie auch innerhalb der herrschenden Klasse der USA selbst. Ihre Kriegspläne machen überhaupt nur Sinn, weil es ihnen bislang nicht gelungen ist, aus ihre Rolle als einzige Supermacht in eine Weltvorherrschaft zu verwandeln. Genau aus diesem Grund werden die Risse in der angeblich so entschlossenen internationalen Antiterrorfront bald sichtbar werden und Spaltungen nach sich ziehen, auch innerhalb der USA. Und dies wird den prinzipiellen Gegnern des Imperialismus neue Möglichkeiten für ihre Argumente eröffnen.

Volkhard Mosler ist ehemaliger SDS-Aktivist und heute Mitlgied in der sozialistischen Organisation Linksruck.

 

Quelle: Sozialismus von unten, Nr. 7, Herbst/Winter 2001