Der Januar ist
nach Janus, dem Gott der Torbögen, der Durch- und Übergänge benannt. Mit seinen
beiden Gesichtern schaute er zugleich nach vorne und zurück. Zwar nannten die
alten Römer ihn zuerst, wenn sie ihre Götter im Gebet anriefen, doch scheinen
sie ihn sonst wenig beachtet zu haben. Sein Kopf zierte die kleinste römische
Kupfermünze, den As. Die Tür zu seinem Tempel stand immer offen, sie wurde nur
in Friedenszeiten geschlossen. Das geschah in Rom in 700 Jahren vor Augustus
nur zwei Mal, während der Regierungszeit des Augustus dreimal. In der
Kaiserzeit scheint darauf kaum mehr geachtet worden zu sein.
Die Zeit zwischen
Weihnachten und Neujahr ist so etwas wie Janus-Zeit. Die Festtage sind mit
ihren familienspezifischen Besonderheiten verstrichen, die Arbeit nimmt noch
nicht den gewohnten Gang auf. In diesem zeitlichen Niemandsland, in dieser
Grauzone kann man dem Vergangene nachgrübeln und über das, was auf uns zukommt.
Manche entschließen sich zu allerlei guten Vorsätzen, andere legen sich Pläne
zurecht. Doch verfliegt dies alles rasch, wenn das Neue Jahr mit der alten
Routine einsetzt und sich, dem Samsara (Seelenwanderung) gleich, wieder
dahinzuwälzen beginnt.
Heute scheint Janus
Blick in die Ferne Recht zu kommen, denn der Blick auf das Nächstliegende
enttäuscht. Eine der materiellen Grundlagen der Lebensplanung, das Geldsystem,
kriselt. Wertversprechen aller Art, welche die Zukunft wirtschaftlich absichern
sollten, lösen sich in Luft auf. Für qualifizierte Arbeitsleistungen schwindet
die Nachfrage. Zuerst hörte man davon von Ferne, dann steht es in der Zeitung
und betrifft den einen oder anderen Bekannten und dann ... Da hilft kein
"Es wird schon werden" oder "Augen zu und durch". Darauf
baut ja auch niemand ernsthaft. Solche Sprüche helfen über das Eingeständnis
weg, daß wir keine Antwort auf die Kinderfrage finden "Warum?"
Hypothesen gibt es genug, auf Schuldige zeigt man gerne, aber kreuz und quer.
Das überzeugt nicht, weil es keinen Sinn macht und die Frage nicht beantwortet.
Jeder sucht das
Beste und nicht nur für sich, er mißgönnt es auch dem anderen im Grunde nicht.
Schließlich ist "dies Gib und Nimm die Basis jeglichen
Verständnisses". Aber genau hier tut sich ein Loch auf: Die Basis trägt
und stimmt nicht mehr. Wo bleibt die versprochene Verständigung, wenn immer
deutlicher zu erkennen ist: "The winner takes it all"? Wo ist die
Gewinnerseite? Man steht letztlich auf der falschen Seite. Aber gab, gibt es
eine richtige Seite? Wie groß sind die Großen noch, die an allem Schuld waren?
Merril Lynch mußte vor Jahresende noch 7,5 Mrd. US-Dollar aufnehmen, um nicht
das Handtuch zu werfen. Mit 5 Mrd. US$ half Temasek, der Staatsfonds Singapurs
aus. UBS brauchte 11 Mrd. US$ zum Überleben, und wieder springt Singapur ein.
Und ein Geldgeber aus dem Nahen Osten, der nicht genannt werden will. Citigroup
brauchte mindestens 7,5 Mrd. Dollar und bekam sie von Abu Dhabi, und Morgan
Stanley weitere 5 Mrd., die von der China Investment Corp. kamen. Im letzten
Jahr (bis Oktober, nach AP und Washington Times vom 24. Dezember) sind in den
reichen USA Kreditkartenüberziehungen im Wert von 17,3 Mrd. geplatzt - ein
Anstieg um 26%. Um 18% haben die Kredite, für die 90 Tage und länger keine
Zahlung mehr erfolgt ist, zugenommen, auf insgesamt 960 Mrd. Dollar. Und das
war nur der Anfang.
Ohne Geld und
Wertpapiere kann man nichts kaufen und ohne Energie läuft nichts. Deshalb
kündigte Kazim Jalali der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates des Iran am
Heiligabend an: Im Iran bereiten wir uns auf den Bau von 19 weiteren
Kernkraftwerken mit einer Leistung von 20.000 MW vor. Bangladesh bekam am
26.12. - wenn auch widerwillig - grünes Licht vom IAEA in Wien für den Bau
seines ersten 1.000 MW Kernkraftwerks in Roopur. Der japanische Premierminister
Yasuo Fukuda betonte am Vorabend seines viertägigen Staatsbesuchs in China,
beide Länder könnten ohne einander nicht mehr auskommen. Japan ist der größte
Investor in China, China der größte Handelspartner Japans. Gleichzeitig
vereinbarten die Wissenschaftler von Chinas Experimental Advanced
Superconducting Tokamak in Anhui und Japans Versuchsreaktor JT-60 in Naka
künftig in der Fusionsforschung eng zusammenzuarbeiten. Und genau zu dem
Zeitpunkt strich der US-Kongreß ganze 149 Mio. Dollar aus dem Haushalt 2008,
den Beitrag zum ITER-Projekt in Cadarache, Südfrankreich. Die USA steigen damit
zum zweiten Mal aus dem internationalen Fusionsforschungsprojekt wieder aus.
Sorge bereiten
nicht nur der Wert des Geldes und das Versiegen der Energie. In letzter Zeit
mischen sich auch in die Rufe nach Demokratie etwas unsaubere Töne. Rußland
wird der Rückfall in die Autokratie vorgeworfen, China die Willkür eines
Einparteiensystems, den Muslimen, daß sie sich noch immer an das Rechtssystem
des Korans halten wollen. In den Staaten Osteuropas, die sich nach dem
Zerbrechen des russischen Jochs mit fliegenden Fahnen dem Westen angeschlossen
haben, macht sich Enttäuschung breit. Selbst die eingefleischten Sapadniki, die
Westler Rußlands sehen in der westlichen Demokratie nichts Vorbildliches mehr.
Das "one man, one vote" ist in der westlichen Plutokratie längst mehr
oder weniger unverhohlen dem "one Dollar, one Vote" gewichen. Das
Abendland hat seine Seele gegen Dollar verkauft, für die es kaum noch etwas zu
kaufen gibt. Das letzte was davon geblieben ist, "freedom and
democracy" ist eine ärgerliche, weil leere Phrase. Gleichzeitig ließ sich
das "Alte Europa" gegen das Neue ausspielen - und verspielen?
Wenn's nicht klappt
geben die USA voll Verachtung ihren europäischen Gefolgsleuten die Schuld, wie
dem Iran für ihr Versagen im Irak: "Es gibt keine Einheit der Europäischen
Führer" klagte 2006 Brzezinski, "sind denn", fragt der ehemalige
US-Sicherheitsberater als Beleg rhetorisch "die Europäer wirklich bereit,
ernsthaft Teheran gegenüberzutreten oder sich auch einmal Amerika
entgegenzustellen? Wir Amerikaner haben [...] erfahren, daß es kein einiges
Europa gibt, das wir ernst nehmen können, wir haben keinen Partner". Die
Enttäuschung erklärt sein Buch "The Grand Chessboard", das große
Schachbrett, das sinnigerweise im Deutschen als "Die einzige
Weltmacht" titelt: "Europa ist Amerikas unverzichtbarer
geopolitischer Brückenkopf auf dem Eurasischen Kontinent". Von Harold
Mackinder hatte er gelernt: "Wer über Osteuropa herrscht, beherrscht das
Herzland. Wer über das Herzland herrscht, beherrscht die Weltinsel (Eurasien).
Wer über die Weltinsel herrscht, beherrscht die Welt". Von dieser
Perspektive soll Hitler geträumt haben, sie hatte sich Stalin dargeboten, sie
sollte nach dem Sturz der Sowjetunion mit allerlei bunten Revolutionen den USA
zu fallen. Aber die "Weltherrschaft" ist - von ihrer Wünschbarkeit
abgesehen - fraglicher denn je. Zuvor müßte ein selbstbewußteres Rußland
niedergehalten, die chinesisch-amerikanische Rivalität entschieden und der
islamische Raum, mit dem Iran als dominierender Regionalmacht
"befriedet" werden.
Der Kriegsverlauf
im Irak und gegen die selbstgezüchteten "Terroristen", die man eher
Widerstandskämpfer oder Freischärler nennen sollte, überzeugt nicht. Auch die
Kriegsübung Israels im Libanon im letzten Jahr, bei der die Offensive gegen den
Iran geübt werden sollte, ist gescheitert. 2.000 Hizbollah-Freischärler konnten
30.000 Soldaten Israels mit ihren 400 angeblich unverwundbaren
Merkawa-4-Panzern in Schach halten. Selbst die Super Bunker Buster Bomben aus
den USA konnten keine Wendung erzwingen. Der Israelischen Luftwaffe ist im
Libanon nur gelungen, was der US Air Force im Ernstfall immer gelingt, Städte
und Landschaften in ein verwüstetes Trümmerfeld zu verwandeln. Das bringt
keinen Sieg, sondern schürt bei gesunden Menschen nur Haß.
Rußland hat die
Botschaft aus den USA verstanden. Dazu bedurfte es nicht vor kurzem der dummen
Worte des Tschechischen Außenministers Prinz Schwarzenberg, er habe nichts
dagegen, wenn das geplante US-Radar in Tschechien das russische Territorium
"beobachtet". Oder des tschechischen Vizepremiers Alexandr Vondra vor
der Heritage Foundation in den USA: "Das US-Raketenabwehrsystem in Europa
brauche mehr als die zwei geplanten Stützpunkte in Polen und Tschechien".
Sie wissen, daß es dabei um den "Drang nach Osten" und nicht um
fehlende iranischen Langstreckenraketen geht.
Die Antwort der
Russen sind Interkontinentalraketen neuen Typs, deren Endstufen als cruise
missiles die üblichen Abwehrsysteme unterlaufen. Auf die Aussage des
Sonderberaters dreier US-Präsidenten, Bruce Riedel in der Jerusalem Post vom
22. Dezember "Nach meiner Israelreise im November bin ich überzeugt, daß
Israel den Iran angreifen wird" antwortete der russische Vizeaußenminister
Alexander Lossjukow am 26.12: "Ich weiß, daß wir an der Festigung des
iranischen Luftabwehrsystems teilnehmen". Es handelt sich um russische
Fla-Raketenbatterien S-300, die laut RIA Novosti mit einer hohen
Treffgenauigkeit Marschflugkörper, ballistische Raketen, Elemente von
Präzisionswaffen des Gegners, Flugzeuge und Hubschrauber aller Art, See- und
Erdziele vernichten können.
Die USA konnten den
Nahen Osten in Flammen setzen aber nicht löschen. Wollten sie es denn
überhaupt? Schon am Abend der "Friedensgespräche" von Annapolis
veröffentlicht Israel weitere Siedlungspläne in den besetzten Gebieten,
berichtete Adam Entous bei Reuters am 23. Dezember. Irgendwann ziehen sich die
USA wie einst aus Vietnam über den Großen Teich zurück. Europa müßte dann, wenn
ihm schon der Rock brennt, löschen. Statt sich darauf vorzubereiten, facht
Europa in seiner Unterwürfigkeit die Flammen selbst noch weiter an. Wie sonst
sind die nach dem angeblichen Ende des Kalten Krieges in Deutschland
verbliebenen US Militärbasen zu bewerten, deren Abbau die Bundesregierung nie
zu fordern gewagt hat, oder daß ausgerechnet der UN-Sonderbeauftragte in
Afghanistan, der deutsche Grüne Tom Königs vor der Heinrich Böll Stiftung in
Berlin mehr NATO Soldaten für Afghanistan fordert und die Mehrheit im Bundestag
fast ohne Debatte einem "robusten Auftrag" für die Soldaten in
Afghanistan zustimmt, einer verlogenen Formel für "Kampfeinsätze mit
Kollateralschäden"? Was will man dort erreichen? In Berlin zuckt man mit
der Schulter, tönt "Freiheit und Demokratie" und meint
"Rücksicht auf den großen amerikanischen Verbündeten", Kriecherei
also. Der große Bruder ist aber über alle Berge, wenn sich Wut und Enttäuschung
in die 3,5 Mio. Muslime, die in Deutschland leben, hineingefressen hat und sie
zum Widerstand anfeuert. Man weiß in Berlin, daß der Einsatz in Afghanistan
nicht "zu gewinnen" ist. Aus purer Feigheit und Geistlosigkeit holt
man sich den asymmetrischen Krieg ins Land.
Schon vor dem
ersten Weltkrieg hatte der französische Geopolitiker Paul Demangeon die
Europäer zur Einheit aufgerufen, wenn sie nicht untergehen wollen. "Die
Dominanz auf dem gesamten Eurasischen Kontinent", so schreibt Brzezinski
in seinem erwähnten Buch, "ist noch heute die Voraussetzung für globale
Vormachtstellung. Die Vereinigten Staaten, also eine außereurasische Macht
[...] ist mit ihren Truppen an drei Randgebieten des Eurasischen Kontinents
präsent, von wo aus sie einen massiven Einfluß auf die im eurasischen
Hinterland ansässigen Staaten ausübt. Denn das weltweit wichtigste Spielfeld
Eurasien ist der Ort, auf dem Amerika irgendwann ein potentieller Nebenbuhler
um die Weltmacht erwachsen könnte". Wie lange wollen Europa und
Deutschland dieser verrückten Buhlerei um Weltmacht dienen? Wäre es nicht besser,
mit den natürlichen Verbündeten Rußland, China, Indien und dem Iran dafür zu
sorgen, daß dieses verheerende Spiel endlich in der wirtschaftlichen
Zusammenarbeit der Völker ein Ende findet und der Janustempel in den USA ein
für allemal geschlossen wird? Frankreich könnte einiges bewirken, aber es ist
die Feigheit und Kriecherei der Leute mit dem eingebrannten Schuldkomplex in
Berlin, die das verhindern.
Und nun die Frage
an Sie: "Welche Arbeit, welche guten Vorsätze, welche Anstrengungen könnte
einen Sinn machen, solange diese Buhlerei weiter geht?" Das Neue Jahr
wird's zeigen.
Quelle: http://spatzseite.de
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