Rüstungswahnsinn
Die USA geben jeden Tag mehr als eine Milliarde Dollar für Rüstung und
Rüstungsforschung aus!
Von den im neuen Sipri-Jahrbuch
veröffentlichten Rüstungsdaten ist Pankraz nur eine Zahl im Gedächtnis
geblieben, weil sie alle anderen so himmelweit übersteigt: Die USA geben jetzt
jeden Tag mehr als eine Milliarde Dollar ("One Billion Dollar") für
Rüstung und Rüstungsforschung aus. Das muß man sich mal vorstellen: Tag für Tag
mehr als eine Milliarde! Der Rest der Welt begnügt sich mit einem Bruchteil
dieser Summe. Die reinen Rüstungskosten des Deutschen Reiches 1943 mitten im
Zweiten Weltkrieg beliefen sich auf etwa zwanzig Milliarden Reichsmark ‑
im Jahr! Wobei eine Reichsmark damals weniger als ein Viertel des Dollars wert
war.
Wo fließen heute die
gewaltigen Summen hin? Experten sagen: Sehr teuer ist die Entwicklung von
Raketenabwehrsystemen im Weltraum. Und ebenfalls sehr teuer ist die
Konstruktion von sogenannten "Stealth"‑Fliegern oder ‑Schiffen,
deren Beschichtung und Winkelverläufe sie beim Angriff für gegnerische
Teleskope und Radargeräte unsichtbar machen bzw. so spät sichtbar werden
lassen, daß jede Abwehr unmöglich ist.
Ungeheuer teuer schließlich
die komplette Durch‑Elektronifizierung der gesamten Streitkräfte,
dergestalt, daß jeder einzelne Kämpfer einen elektronischen Spiegel in seinen
Helm installiert bekommt, der ihm erlaubt, Bewegungen des Feindes vorab zu
erkennen. Ein Soldat, der sich über solche Bewegungen informieren will, greift
also nicht mehr selbst zum Feldstecher oder zum Radar, um die Lage zu
inspizieren, sondern er verläßt sich voll und ganz auf die computerisierte
Auswertung von Bildern, die Satelliten mit Puls‑Radar‑Optiken
bereits gemacht haben.
Allerdings, ein großer Teil
der US-Rüstungskosten liegt noch woanders, nämlich ‑ nach Auskunft der
Rüstungsexpertin Susan Richards vom Spectator
‑ in der "rasanten Militarisierung", die die amerikanische
Festkörperphysik‑ und Nano-Forschung zur Zeit überhaupt erfährt.
Sämtliche einschlägigen Forschungsinstitute, an welcher Universität auch immer,
werden demzufolge vom Militär unterhalten oder zumindest um einige Ecken herum
von ihm finanziert. Jeder Festkörperphysiker oder Nano-Forscher arbeitet
drüben mittlerweile fürs Militär, ob er will oder nicht, ob er es weiß oder
nicht.
Elektronifizierung und
Militarisierung der Wissenschaft insgesamt sind die größten Kostentreiber im
Rüstungsgeschäft. Wobei man sich fragt, welchen Nutzen die Armee selbst im
Einsatzfalle davon hat. Verwandelt nicht die moderne
"Asymmetrisierung" der Kriegführung jede Rüstungsüberlegenheit
letztlich in einen Nachteil? Der Irak‑Krieg liefert genügend Gründe für
derartige Vermutungen.
Auf der einen Seite dort die
materiell hoffnungslos unterlegenen, doch hochmotivierten und planvoll ihr
Leben einsetzenden Angehörigen der Guerilla (nenne man sie nun Terroristen oder
Widerstandskämpfer), auf der anderen die teuer aufgerüsteten Besatzungstruppen
mit ihren PulsRadar‑Spiegeln im Helm, die nur eins im Sinn haben: selber
unverletzt über die Runden zu kommen und "die ganze Scheiße" so
schnell wie möglich vom Hals zu kriegen. Sie werden durch die Elektronik nicht
motiviert, sondern demotiviert und in ihrer kämpferischen Qualität vermindert.
Einerseits verblassen ihre
taktischen Kompetenzen, die übergehen an integrierte Gesamtsysteme,
andererseits werden ihre Verantwortungen entwertet, da diese ja jetzt in
Systemen stecken. Es ist wie in der übrigen Computerbranche auch: Der autonom
handelnde, selbstverantwortliche Mensch ist faktisch aufgelöst in integrierten
und durchstrukturierten Organisationen. Seitdem per Computer immer neue
Netzwerke aus Hardware und Software in unser Handeln einziehen, verbleibt an
Verantwortung und Kompetenz vielerorts nur noch ein zu vernachlässigender Rest.
Beispiele aus dem zivilen
Leben gibt es in beliebiger Fülle. Die Boden-Stewardeß der Lufthansa
organisiert nicht mehr selbst die Plätze an Bord des Fluges von Frankfurt nach
New York, sie bedient nur noch einen Computer, der intern ein Programm
verwaltet. Der Pilot im Cockpit, der die automatische Navigation eingeschaltet
hat, nimmt nicht mehr mit dem Sextanten selbst die Ortsbestimmung vor, sondern
verläßt sich voll auf das computerisierte Trägheits-Navigationssystem.
Undsoweiter, undsoweiter.
Im Krieg, wo es immer um Leben
und Sterben geht, wirkt sich der Verlust an Kompetenz und Verantwortung auf die
Soldaten der hochgerüsteten Seite demoralisierend und seelisch korrumpierend
aus. Der Feind wird von ihnen gar nicht mehr als gleichrangiger Kämpfer
wahrgenommen, er ist gewissermaßen Teil eines Computerspiels, dessen killing capacity selbstverständlich auf
Optimum programmiert ist und dessen Spielregeln ihn, den Feind, von vornherein
als minderwertig, als Kompagnon und Vollzugsorgan des absolut Bösen, markieren.
Was man über die Massaker von
Haditha und Ischaki zu sehen und zu lesen bekommen hat, entspricht genau diesem
Schema. Und auch die Folterszenen aus Abu Ghraib passen ins Bild. Die
Folterknechte waren da zwar unmittelbar mit dem nackten Fleisch konfrontiert,
aber ihr technischer Spieltrieb blieb ungebrochen, ja, er wurde nun sogar durch
reelle Farben und Gerüche angefeuert und verschaffte wohl hier und da ganz
handfeste Befriedigungen. Technik und Barbarei feierten eine wahrhaft traurige
Hochzeit.
Werfen die von Elektronik und
Nano‑Forschung in Billionenhöhe getriebenen Rüstungskosten wenigstens
einen weltpolitischen, globalstrategischen Nutzen für die
"Führungsmacht" ab? Man muß daran zweifeln. Ihre moralische Autorität
ist weitgehend zerstört. Eine riesige Legitimationskrise steht ihr ins Haus.
Hilfstruppen verkrümeln sich, traditionelle Verbündete gehen auf Distanz. Man
sollte vielleicht doch lieber abrüsten.
Quelle: "Pankraz" (Prof. Dr. Günter Zehm) in JUNGE FREIHEIT vom
30. Juni 2006