Präventive Angriffskriege

 

"Die Anstifter des Kriegs ohne Ende"

 

Dieser Krieg gegen den Irak als erstes Angriffsziel ist das Werk einer verhältnismäßig kleinen Gruppe von Leuten, die seit zwölf Jahren darauf hingearbeitet haben. Das meint auch Tom Friedman von der New York Times, den die israelische Zeitung Ha'aretz am 4. April zitierte: 'Ich könnte Ihnen die Namen von 25 Personen nennen (von denen sich die meisten im Umkreis von fünf Häuserblöcken von diesem Büro befinden) ‑ wenn man die vor anderthalb Jahren auf eine einsame Insel geschickt hätte, dann wäre es nicht zum Irakkrieg gekommen.' Von diesen Leuten handelt der folgende Artikel.

 

Vizepräsident Dick Cheney tritt nur selten in der Öffentlichkeit auf, doch immer, wenn er es tut, nimmt der Kurs der amerikanischen Politik anscheinend eine Wende zum Schlimmeren.

 

Am 16. März 2003 verließ Cheney sein Versteck, um im Fernsehsender NBC in der Sendung 'Meet the Press' Tim Russert ein einstündiges Interview zu geben. Darin machte Cheney deutlich, daß Saddam Hussein nichts tun könne, um einen amerikanischen Angriff abzuwenden. Wiederholt verwies Cheney auf die Anschläge vom 11. September als die 'historische Wasserscheide', welche erstmals einen unilateralen Präemptivkrieg der USA rechtfertige.

 

Dabei hatte derselbe Cheney sich schon vor einem Dutzend Jahren die Idee des Präemptivkrieges zu eigen gemacht ‑ allerdings nicht gegen Saddam Hussein, der ja von den Regierungen Reagan und Bush mit Massenvernichtungswaffen ausgerüstet worden war, sondern gegen jedes Land oder jede Gruppe von Ländern, die Amerikas globale militärische Vorherrschaft in der nachsowjetischen Ära in Frage stellen könnten. Was die entscheidende Frage des Präemptivkrieges anbelangt, sagte Cheney hier also bewußt die Unwahrheit. Tatsächlich war fast alles, was Cheney in diesem Interview sagte, Desinformation, die zum Teil bereits öffentlich als solche bloßgestellt worden war. So behauptete Cheney, Saddam Hussein bemühe sich, in den Besitz von Atomwaffen zu gelangen. Dabei hatte nur wenige Tage zuvor der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Mohammed El Baradei, vor dem UN‑Sicherheitsrat ausgesagt, daß derartige Behauptungen auf gefälschten Dokumenten beruhten. Im Magazin The New Yorker vom 31. März hat der Journalist Seymour Hersh ausführlich beschrieben, wie IAEA­-Ermittler binnen weniger Stunden dahinterkamen, daß die angeblichen Schreiben der Regierung des Niger, worin der Verkauf von 500 Tonnen Uranrohmasse ('yellow cake') an Bagdad bestätigt wird, grobe Fälschungen waren, bei denen längst ausrangierte offizielle Briefbögen benutzt worden waren. Hersh schrieb, die Fälschungen seien über den britischen Geheimdienst MI6 an die Regierung Bush weitergeleitet worden. Sie stammten laut Hersh entweder vom britischen (steht ebenso wie die CIA und andere "Dienste" stark unter mosaistischem Einfluß. Roland Bohlinger) oder israelischen Geheimdienst oder aus irakischen Oppositionskreisen, die mit dem Irakischen Nationalkongreß (INC) des Dr. Achmed Tschalabi zusammenhängen. Cheney wiederholte auch den bereits zur Genüge diskreditierten Vorwurf, Saddam Hussein unterhalte 'schon lange' Beziehungen zur Terrororganisation Al Qaida, und es sei 'nur eine Frage der Zeit', wann Saddam Hussein die Bin‑Laden‑Bande mit biologischen, chemischen und schließlich nuklearen Massenvernichtungswaffen beliefern werde. Dabei ist es dem ehemaligen CIA‑Direktor R. James Woolsey, der zum harten Kern der Kriegsfraktion gehört, trotz eifriger Bemühungen nicht gelungen, irgendwelche glaubwürdigen Beweise für Verbindungen zwischen Saddam Hussein und Al Qaida beizubringen, und schon gar nicht für die Zeit vor dem 11. September.

 

Den bevorstehenden Krieg betreffend versprach der Vizepräsident, die militärische Eroberung des Irak würde problemlos wie 'ein Spaziergang' ablaufen. Gegen Ende des Fernsehauftritts verstieg Cheney sich zu der Prognose, der amerikanische Präemptivkrieg zum Sturze Saddam Husseins werde Stabilität im Mittleren Osten herbeiführen. Als maßgebliche Autorität berief er sich auf Dr. Bernard Lewis (Jude), den britischen Arabienexperten und Urheber des verheerenden Konzepts, die Sowjetunion durch das Ausspielen der 'islamischen Karte' in einem 'Krisenbogen' zu bekämpfen: 'Ebenso wie Männer vom Schlage eines Bernard Lewis, meines Erachtens einer der großen Kenner dieses Teils der Welt, glaube ich fest daran, daß eine starke, unerbittliche Antwort der USA auf Terror und Bedrohungen der Vereinigten Staaten, auf lange Sicht dazu führen wird, ich sage das ganz offen, in jenem Teil der Welt für Ruhe zu sorgen.'

 

Ziemlich genau 80 Stunden nach Cheneys Fernsehauftritt begannen die USA den unprovozierten, völlig unnötigen Krieg gegen den Irak.

 

Quelle: "Geschichte und Urheber der neuen US-Doktrin präventiver Angriffskriege" von Jeffrey Steinberg (1. Teil) in "Deutsche Freiheit" vom 1.10.2005, S. 27 f (zitiert "Neue Solidarität" vom 16.4.2003, S. 3 f)