Patriot Act - legislativer Frankenstein
Sechs Wochen nach dem
verhängnisvollen 11. September 2001 paukten Justizminister John Ashcroft und Bush unter dem Deckmantel der 'Nationalen
Sicherheit' ein infames Maßnahmenpaket durch den Kongreß, dessen Mitglieder
durch weitere Terrorwarnungen aufgeschreckt und wegen eines Milzbrand‑Alarms
gerade aus ihren Büros evakuiert worden waren: Die Rede ist vom PATRIOT Act oder
dem Antiterrorgesetz. Die vollständige Bezeichnung dieses 'legislativen
Frankensteins' (Zitat der Wochenzeitung The Nation) lautet
U.S.A. PATRIOT Act.
Dies ist ein Kürzel und steht für: 'Uniting and Strengthening America
by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism'. Auf deutsch: 'Amerika vereinen und stärken,
indem man angemessene Werkzeuge bereitstellt, um den Terrorismus abzufangen und
zu vereiteln.' Das Wort Patriot als
Kürzel ist schlau gewählt, denn wer möchte schon 'unpatriotisch' erscheinen und
die damit verbundenen Maßnahmen ablehnen?
Nachdem Präsident Bush dieses
Antiterrorpaket am 26. Oktober 2001 mit seiner Unterschrift zu geltendem Recht
erklärt hatte, gestanden viele
Parlamentarier ein, daß sie gar keine Zeit gehabt hätten, die 342 Seiten starke
Vorlage genau zu studieren. Andernfalls hätten sie kaum ihre Zustimmung
geben können, denn der PATRIOT Act verletzt gleich mehrere Zusätze der amerikanischen
Verfassung; beispielsweise
• das
Recht auf freie Meinungsäußerung (l. Zusatz),
• den
Schutz vor willkürlichen Hausdurchsuchungen (4. Zusatz),
• das
Recht, sich nicht selbst zu belasten (5. Zusatz) und
• das
Recht auf einen fairen Gerichtsprozeß (6. Zusatz).
Und so sehen die 'Freiheiten'
des amerikanischen Bürgers eineinhalb Jahre nach dem 11. September noch aus:
• Versammlungsfreiheit:
Religiöse und politische Gruppen können nun überwacht werden, auch wenn
sich kein Mitglied jemals einer kriminellen Tat verdächtig gemacht hat.
• Das
Bank‑ und das Arztgeheimnis sind so gut wie aufgehoben.
• Informationsfreiheit:
Der Freedom of Information Act
wurde torpediert, indem die Behörden nun die Offenlegung fast aller
Dokumente unter Berufung auf die 'nationale Sicherheit' verweigern können. Der
Staat läßt sich also nicht mehr von seinen Bürgern kontrollieren. Außerdem
werden öffentliche Hearings vermehrt hinter geschlossenen Türen abgehalten.
• Redefreiheit:
Die Behörden wollen jetzt beispielsweise genau überwachen, welcher Bürger welche Bücher in
öffentlichen Bibliotheken ausleiht. Ein Bibliothekar, der seinen Kunden
über diese Überwachung aufklärt, kann streng bestraft werden.
• Der große
Lauschangriff auf Telefon und Internet ist ab sofort mit minimaler
Kontrolle durch die Gerichte erlaubt ‑ auch der großflächige, wie ihn
beispielsweise das FBI‑Programm Carnivore möglich macht, das jegliche Bewegung auf dem Internet automatisch aufzeichnet.
• Recht
auf eine juristische Vertretung: Vertrauliche Gespräche zwischen dem
Angeklagten und seinem Anwalt dürfen abgehört werden. Wird jemand einer
terroristischen Handlung verdächtigt, darf
man ihm einen Anwalt grundsätzlich verweigern.
• Schutz
vor willkürlichen Hausdurchsuchungen: Auf bloßen Verdacht hin kann jedes
Haus und jedes Büro durchsucht werden ‑ auch ohne Hausdurchsuchungsbefehl.
• Das
Recht auf einen schnellen und öffentlichen Prozeß: Neuerdings dürfen die
Bundesbehörden Ausländer auf unbestimmt
lange Zeit und ohne Ansetzung eines Prozesses gefangenhalten.
• Das
Recht auf Freiheit: Menschen können jetzt aufgrund geheimer Anklagen eingekerkert werden. Sie wissen nicht, was
man ihnen vorwirft und erhalten keinen Zugang zu allfälligen Beweisen oder Belastungszeugen.
Anlaß zur Hoffnung gibt die
Tatsache, daß zum Jahresbeginn 2003 bereits über 135 amerikanische Städte und
Gemeinden (darunter San Francisco und Denver) die Umsetzung des PATRIOT Act verweigert haben. Auch viele Counties
‑ Landkreise ‑ haben sich offiziell dagegen gewandt und sich für
den Schutz der Bürgerrechte stark gemacht.
Die Bush‑Regierung
benutzt also die Terroranschläge vom 11. September 2001, um in einem
schleichenden Staatsstreich endlich einen diktatorischen Überwachungsstaat zu schaffen,
der Orwells Big Brother klein und
harmlos aussehen läßt. Davor hatte sich dies wesentlich schwieriger gestaltet.
Als beispielsweise im Oktober 2000 der US‑Kongreß über den sogenannten Fugitive Apprehension Act entscheiden sollte, hatten massive Bürgerproteste
noch verhindert, daß das Repräsentantenhaus es dem Senat gleichtun und das
Gesetz verabschieden konnte. Dieses Gesetz hätte es den Behörden ermöglicht,
ohne Richterbeschluß freie Bürger und deren Wohnungen zu überwachen, Einsicht
in ihre Bankkonten zu nehmen oder gar ihren Besitz zu konfiszieren. ‑ Nun,
nach dem 11. September, ist mit dem PATRIOT
Act all dies und noch viel mehr erlaubt.
Quelle: ZeitenSchrift, (Schweiz), 38/2003