Jonathan Pollard
Als sie sich das erste Mal trafen, war Jonathan Pollard ein amerikanischer Jude, der in tiefstem Herzen
davon überzeugt war, es gäbe eine heilige Allianz zwischen den Vereinigten
Staaten von Amerika und Israel. Er sah keinen Widerspruch zwischen seiner
totalen Loyalität zu Amerika und gleichzeitig zu Israel; für ihn war das ein
und dasselbe. Diese Ideologie entsprang einem langen Indoktrinierungsprozeß,
den viele jüdische Jugendliche durchliefen. Grundlage war die großzügige Hilfe
Israels in Form der Shlichim
oder, wie sie auch genannt wurden, Sendboten Alias, Leute, die in der jüdischen
Gemeinde arbeiten, um in den jugendlichen die Liebe zu Israel zu wecken. In
Jonathan Pollards Fall waren sie besonders
erfolgreich.
Der junge Mann hatte 1982 in der AIPAC, einer proisraelischen Lobby, gearbeitet, die ein weiteres Glied
in der Kette von Organisationen darstellt, die die jüdische Gemeinde an Israel
binden, insbesondere an die israelische Rechte. Pollard,
der bereits dem amerikanischen Geheimdienst angehörte, hatte freiwillig seine
Dienste zum Wohle Israels angeboten. Wie üblich wurde sein Name an die
Geheimdienstabteilung in der israelischen Botschaft in Washington
weitergeleitet und von dort dem Mossad als potentieller Sayan weitergegeben. Nach
gründlicher Überprüfung, wobei auch die Verbindung des Mossad zur Anti‑Diffamierungs‑Liga
genutzt wurde, stufte man ihn als geeigneten Kandidaten ein: Er war ein
zionistischer Fanatiker und saß auf einem guten Posten im Forschungsbereich des
amerikanischen Geheimdienstes; dort hatte er Zugang zu wichtigen Informationen
über den Nahen Osten und Afrika. Und er war Jude, so daß er nicht zu einem
bezahlten Spion gemacht werden mußte. Er war sogar sehr gut für die Operation
Rentier geeignet, worunter man die Wiederherstellung der Verbindungen zwischen
den Geheimdiensten Amerikas und Südafrikas verstand. Nicht, daß die beiden
keine Verbindungen gehabt hätten, aber diese würden nun vom Mossad kontrolliert
werden und sehr viel sicherer und lukrativer sein.
Pollard zögerte keinen Augenblick, als
Uri mit Hilfe einer Empfehlung von einem Freund Pollards
in Israel mit ihm Kontakt aufgenommen hatte. Der AIPAC wurde mitgeteilt, daß
der Mossad an Pollard nicht interessiert sei, und Pollard wies man an, die jüdische Organisation nicht mehr
zu kontaktieren. Er war nun ein Sayan für den Mossad
oder, wie ihm gesagt wurde, für eine Organisation für die Sicherheit Israels.
Pollard erhielt kein Geld für seine
Arbeit, da es die erklärte Politik des Mossad ist, jüdische Helfer nicht zu
bezahlen. Auf diese Weise könnte nie behauptet werden, daß sie irgend etwas aus einem anderen Grund als aus Liebe und Sorge
für Israel täten.
Uri hatte den Südafrikanern Fotos von den sowjetischen
»SSC3«-Waffensystemen geliefert (die der Mossad vom dänischen Geheimdienst
erhalten hatte), auf die die Amerikaner damals scharf waren. Dadurch wurde der
südafrikanische Geheimdienst für die Amerikaner sehr interessant. Pollard hatte hierbei seinen freundschaftlichen Kontakt zu
einer Person genutzt, mit der er zusammen zur Schule gegangen war und die
später ein hoher Offizier im südafrikanischen Geheimdienst wurde. Dies alles
war Teil der Operation Rentier.
Eine Zeitlang benutzte Uri Pollard,
um die unterschiedlichsten Informationen zu erhalten, wobei er ihn nie
übermäßig beanspruchte, damit er nicht in Verdacht geriet. In seinen Berichten
warnte Uri ständig davor ‑ das muß man im Hinterkopf behalten ‑,
daß er sich nicht sicher sei, ob Pollard ihm immer
die Wahrheit sage. Wenn er aus eigenem Antrieb Informationen liefere, sei das
gefährlich, weil er sich dadurch in Schwierigkeiten bringen könne. Aber da Pollard sich der Gefahr nicht bewußt
war, konnte Uri ihm nicht helfen.
Irgendwann 1984 waren Uri und seine Vorgesetzten sich
einig, daß Pollard eine Schwachstelle sei. Ständig
versuchte er, mehr als verlangt zu tun, wodurch er unnötige Risiken einging und
eher zu einer Belastung denn zu einem Gewinn wurde. Man führte ihn daher von
nun an auf einer gesonderten Liste als Schläfer. Pollard
wurde informiert, daß er Israel von großem Nutzen gewesen sei und daß der
israelische Geheimdienst beschlossen habe, ihm zu seiner eigenen Sicherheit
eine Abkühlungsphase zu verordnen. Käme man später zu dem Schluß,
daß es für ihn wieder sicher wäre, mit der Arbeit fortzufahren, würde man ihn
kontaktieren und aktivieren.
Pollard war nicht begeistert, machte
aber laut Uri kein Theater. Man muß in Erinnerung behalten, daß er bis dahin
noch nicht einen roten Heller erhalten hatte, sondern alles aus rein ideologischen
Gründen gemacht hatte.
Nicht lange nach Pollards
Einstufung als ruhendes Mitglied stieß Rafi Eitan auf ihn. Er war zwar kein Mossad‑Offizier
mehr, aber wie sagt man so schön: einmal ein Mossad‑Mann,
immer ein Mossad‑Mann. Er besaß Zugang zu den Mossad‑Akten, sowohl durch seine Vergangenheit als Mossad‑Mitglied als auch in seiner Eigenschaft als
Berater des Premierministers in Fragen des Terrorismus und als LAKAM‑Chef.
Er glaubte, mit der Pollard‑Akte
auf eine Goldader gestoßen zu sein. Da er nicht an die Mossad‑Regeln
bezüglich der jüdischen Helfer gebunden war, aktivierte er Pollard
mit dem entsprechenden Kode. Er arrangierte unter sogenannten
natürlichen Umständen ein Treffen Pollards mit seinem
neuen Operateur Avian Sellah.
Sellah, ein dekorierter Pilot, der an der
Bombardierung der irakischen Nuklearanlage in Osirak
teilgenommen hatte, war wie geschaffen für den Job. Er wollte in den
Vereinigten Staaten studieren und sollte gleichzeitig für den LAKAM arbeiten.
Er mußte Pollard nicht rekrutieren, sondern nur
aktivieren, und die Begegnung der beiden wurde von Eitan
so organisiert, daß es wie ein Zufall aussah: Sie trafen sich über einen
Dritten, einen Verwandten Pollards, der einen Vortrag
Sellahs gehört hatte. Sellah
wurde deshalb als Operateur gewählt, weil er Spezialist für Targeting
(Zielauswahl) war und mit Pollard, dem Experten für
Geheimdienstanalyse, fachsimpeln konnte. Die Tatsache, daß Sellah
kein ausgebildeter Geheimdienstmann war, trug auch zu Pollards
Sturz bei. Dieser wurde jetzt bezahlt und überschlug sich nun vor Aktivitäten.
Der Mossad hatte aus CIA‑Quellen erfahren, daß man
Pollard auf der Spur war, zog es aber vor, sich nicht
einzumischen, weil man hoffte, die Angelegenheit in aller Stille hinter
geschlossenen Türen zu regeln und den LAKAM auszuschalten. Um Zeit zu gewinnen,
als schon alles drunter und drüber ging, wurde der israelische Botschafter in
den USA auf eine Vortragstournee nach Frankreich geschickt und die
Geschäftsführung Eliyakim Rubinstein, einem
Diplomaten von niedrigerem Rang, übertragen, der keine politischen
Entscheidungen treffen konnte. Nachdem alle LAKAM-Leute
aus den USA abgehauen waren, blieb Pollard sich
selbst überlassen. Er floh in die israelische Botschaft. Die Sicherheitsbeamten
baten Rubinstein um Instruktionen, der sich seinerseits an den Shaback‑Vertreter
wandte. Der wiederum fragte den Mossad-Vertreter um
Rat, der ohne Rücksprache mit dem Hauptquartier und in der Annahme, es sei
alles unverändert, dem Shaback sagte, Pollard gehöre nicht zum Mossad und gehe
sie nichts an. Der Shaback ließ daraufhin verlauten, daß sie
nichts von Pollard wollten, und da alle LAKAM‑Leute außer Landes und unauffindbar waren, lag
der Ball wieder bei Rubinstein, der auch mitgeteilt hatte, daß die Botschaft
von FBI‑Leuten umzingelt war.
Rubinstein war außerstande, Israel auf einer sicheren
Leitung zu erreichen, da alle von der Mossad‑Liaison
kontrolliert wurden; man behauptete, daß sie nicht funktionierten. Also beschloß Rubinstein, die Initiative zu ergreifen. Er
verwies Pollard und seine Frau des Hauses, direkt in
die Arme des überraschten FBI. Viel später erfuhr ich von FBI-Leuten, die mit
der ganzen Sache zu tun gehabt hatten, daß Pollard
von dem Rauswurf genauso überrascht gewesen war wie sie selbst. Man war damals
schon soweit, irgendeinen Kompromiß mit Israel
auszuhandeln. Später kam auch heraus, daß ein großer Teil der von Pollard gelieferten Informationen an den Ostblock im
Austausch gegen die Ausreise von Juden weitergereicht worden war. Diese
Umstände und die Tatsache, daß deren Eingeständnis einer Bestätigung der
Informationen, die die Sowjets bereits in Händen hielten, gleichkam, waren der
Grund, daß Caspar Weinberger, der amerikanische
Verteidigungsminister, für Pollard die Höchststrafe
forderte, ohne das öffentlich näher erklären zu können.
Auch Uri war damals gezwungen, die USA zu verlassen, da
der Mossad befürchtete, daß Pollard seine Mossad‑Verbindungen preisgeben würde, um das Strafmaß
zu drücken. Aber Pollard war sich bewußt,
daß er damit nur vom Regen in die Traufe käme und seine Situation noch sehr
verschlimmern würde. Er hielt den Mund. Das Justizministerium fühlte sich nun
nicht an seinen Teil der Abmachung gebunden, die es mit Pollard
getroffen hatte. Es hatte ihm Strafreduzierung und keine Gefängnisstrafe für
seine Frau zugesichert, falls er alle relevanten Fakten in vollem Umfang offenlegen würde.
Inzwischen hatte sich der Staub
um die Affäre gelegt, und Uri war wieder in den USA und leitete eine große Zahl
verläßlicherer und verschwiegenerer
Sayanim.
Quelle: "Geheimakte Mossad. Die
schmutzigen Geschäfte des israelischen Geheimdienstes" von Victor Ostrovsky, München 1994, S. 243 - 247
Anmerkung: Es gibt auch einen
SPIEGEL-Artikel über den Fall Pollard. Danach wurde Pollard von einem US-Gericht wegen Spionage für Israel zu
lebenslanger Haft verurteilt und bis zur Veröffentlichung jenes
SPIEGEL-Artikels war es diversen hochrangigen israelischen Politikern nicht
gelungen, eine Begnadigung durch den US-Präsidenten zu erwirken.
Es spricht einiges dafür, daß der
Verfassungsschutz (nebst BND und MAD) seine Energie nicht mit hirnrissigen
Verbotsverfahren gegen die NPD verschwenden sollte, sondern der Enttarnung und Unschädlichmachung unzähliger Sayanim
auf deutschem Boden widmen sollte. Außerdem benötigen wir dringend eine
Institution, die die Verfassung vor dem Verfassungsschutz und den anderen
Diensten beschützt!