Angelsächsisches Erbe

 

Ich glaube, die Mehrheit der Amerikaner wird durch die eben in Deutschland zu Ende gehenden und in Japan nun beginnenden Kriegsprozesse stark beunruhigt. Sie verletzen das fundamentale Prinzip der amerikanischen Gesetzgebung, welches fordert, daß ein Individuum nicht nach einem Gesetz verurteilt werden kann, das erst nach Begehen der als strafbar bezeichneten Handlung in Kraft getreten ist. Der Prozeß der Besiegten durch die Sieger kann nicht unparteiisch sein, wie auch die Formen seiner Rechtsprechung getarnt sein mögen. Über diesen Urteilen schwebt der Rachegeist und Rache ist selten Gerechtigkeit. Das Aufhängen der elf deutschen Verurteilten wird in den amerikanischen Annalen eine Tat sein, die wir lange bedauern werden. In diesen Prozessen haben wir die russische Auffassung dieser Art von Prozessen ‑ nämlich Interesse der Politik und nicht der Gerechtigkeit ‑ zur unseren gemacht und dabei wenig Rücksicht auf unser angelsächsisches Erbe genommen. Dadurch, daß wir dieses Interesse der Politik in den Mantel eines legalen Verfahrens einhüllen, laufen wir Gefahr, auf Jahre hinaus jeglichen Begriff von Gerechtigkeit in Europa in Mißkredit zu bringen. ... Mir erscheint unsere Haltung überall in der Weit während des ganzen Jahres nach dem Siegestag, einschließlich der Anwendung der Atombombe auf Hiroschima und Nagasaki, als ein Aufgeben der Prinzipien der Gerechtigkeit und Menschlichkeit. ... Wir haben einen weiten Weg zurückzulegen, ehe wir dem amerikanischen Volke sein angeborenes Glaubenserbe an die Rechtschaffenheit und Unparteilichkeit seiner Justiz völlig wiedergeben können!

 

Quelle: Robert T. Taft - republikanischer Senator, Jurist und Sohn des 27. US-Präsidenten William H. Taft - anläßlich einer Universitätsfeier in Ohio Anfang Oktober 1946