Das Thomasevangelium

 

DIES SIND DIE VERBORGENEN WORTE, DIE DER LEBENDIGE JESUS SAGTE, UND DIE DIDYMOS JUDAS THOMAS AUFGESCHRIEBEN HAT.

 

(1) Und er sagte: "Wer die Auslegung dieser Worte findet, wird den Tod nicht kosten."

 

(2) Jesus sagte: "Nicht aufhören zu suchen soll der Suchende, bis er findet. Und wenn er findet, wird er verwirrt sein, und wenn er verwirrt ist, wird er sich wundern, und er wird Herr sein über die Welt."


 

(3) Jesus sagte: "Wenn aber die, die euch führen, zu euch sagen: 'Seht, das Königreich ist im Himmel', dann werden die Vögel im Himmel vor euch da sein. Wenn sie aber zu euch sagen: Es ist im Meer', werden die Fische vor euch da sein. Denn das Königreich ist in eurem Inneren und in eurem Äußeren. Wenn ihr euch selbst erkennt, dann wird man euch erkennen, und ihr werdet wissen, daß ihr die Kinder des lebendigen Vaters seid. Wenn ihr aber nicht zum Verständnis eurerselbst gelangt, dann werdet ihr in Armut sein, und ihr werdet die Armut selbst sein."

 

(4) Jesus sagte: "Ein Greis wird auch in seinem Alter nicht zögern, ein kleines, sieben Tage altes Kind nach dem Ort des Lebens zu fragen, und er wird leben. Denn viele Erste werden die Letzten sein, und sie werden zu einem Einzigen werden."

 

(5) Jesus sagte: "Erkenne das, was dir vor Augen liegt, und das, was vor dir verborgen ist, wird sich dir enthüllen. Denn es gibt nichts Verborgenes, das sich nicht offenbaren wird."

 

(6) Seine jünger fragten und sprachen zu ihm "Willst du, daß wir fasten? Wie sollen wir beten, sollen wir Almosen geben? Welche Speisevorschriften sollen wir beachten?" Jesus sagte: "Ihr sollt nicht lügen und nichts tun, was ihr haßt, weil sich alles vor dem Himmel offenbart. Denn es gibt nichts Verborgenes, das nicht offenbar wird, und nichts Verdecktes, das nicht enthüllt wird."


 

(7) Jesus sagte: "Selig ist der Löwe, den der Mensch ißt ‑ denn dadurch wird der Löwe zum Menschen. Und verflucht ist der Mensch, den der Löwe frißt denn dadurch wird der Löwe zum Menschen."

 

(8) Und er sagte: "Ein Mensch ist mit einem klugen Fischer zu vergleichen, der sein Netz ins Meer warf und es voller kleiner Fische aus dem Meer herauszog. Darunter fand der kluge Fischer einen großen, guten Fisch. Er warf die kleinen Fische allesamt ins Meer zurück und wählte mühelos den großen Fisch. Wer Ohren hat zu hören, der soll hören!"

 

(9) Jesus sagte: "Siehe, der Sämann ging hinaus, nahm eine Handvoll (Samenkörner) und säte aus. Einige aber fielen auf den Weg, da kamen Vögel und pickten sie auf. Andere fielen auf Felsen, konnten keine Wurzeln nach unten in die Erde schlagen und keine Ähren nach oben in den Himmel treiben. Andere fielen in die Dornen, und die erstickten den Samen, und Würmer fraßen sie. Wieder andere fielen auf gute Erde. Sie brachte gute Frucht hervor und trug das Sechzigfache und das Hundertzwanzigfache."

 

(10) Jesus sagte: "Ich habe ein Feuer auf die Welt geworfen, und siehe, ich hüte es, bis es lodert."

 

(11) Jesus sagte: "Dieser Himmel wird vergehen, und der über ihm wird vergehen. Die Toten leben nicht, und die Lebendigen werden nicht sterben. In den Tagen, als ihr Totes gegessen habt, habt ihr es lebendig gemacht. Wenn ihr im Licht sein werdet, was werdet ihr dann tun? An dem Tag, an dem ihr eins wurdet, wurdet ihr zwei. Wenn ihr aber zwei werdet, was werdet ihr dann tun?"

 

(12) Die jünger sagten zu Jesus: "Wir wissen, daß du von uns gehen wirst. Wer wird dann unser Führer sein?" Jesus sagte zu ihnen: "wo immer ihr dann seid, sollt ihr zu Jakobus, dem Gerechten gehen, wegen dem Himmel und Erde entstanden sind."

 

(13) Jesus sagte zu seinen Jüngern: "Vergleicht mich mit jemandem und sagt mir, wem ich gleiche!" Da sagte Simon Petrus zu ihm: "Du gleichst einem gerechten Engel." Matthäus sagte zu ihm: "Du gleichst einem klugen Philosophen." Da sagte Thomas zu ihm: "Meister, völlig unfähig bin ich, in Worte zu fassen, wem du gleichst." Jesus sagte: "Ich bin nicht dein Meister. Denn du hast getrunken und wurdest betrunken von der spru­delnden Quelle, die ich ausgemessen habe." Und er nahm ihn beiseite, zog sich mit ihm zurück und sagte ihm drei Worte. Als Thomas zu seinen Freunden zurückkam, fragten sie ihn: "Was hat Jesus zu dir gesagt?" Da sagte Thomas zu ihnen: "Wenn ich euch nur eines der Worte sage, die er mir sagte, werdet ihr Steine nehmen und sie nach mir werfen, und ein Feuer wird aus den Steinen herauskommen und euch verbrennen."

 

(14) Jesus sagte zu ihnen: "Wenn ihr fastet, schafft ihr euch nur Sünde. Und wenn ihr betet, wird man euch verurteilen. Und wenn ihr Almosen gebt, werdet ihr eurem Geist Schaden zufügen. Und wenn ihr in irgendein Land geht und die Gebiete durchwandert, wenn man euch dort aufnimmt, dann eßt, was man euch vorsetzt und heilt die Kranken unter ihnen! Denn das, was in den Mund hineinkommt, wird euch nicht unrein machen, sondern das, was aus dem Mund herauskommt, ist es, was euch unrein machen wird."

 

(15) Jesus sagte: "Wenn ihr den seht, der nicht aus der Frau geboren ist, werft euch auf euer Gesicht und verehrt ihn. Er ist euer Vater."

 

(16) Jesus sagte: "Vielleicht denken die Menschen, daß ich gekommen bin, Frieden auf die Welt zu bringen. Sie erkennen nicht, daß ich gekommen bin und die Entzweiung auf der Erde gebracht habe: Feuer, Schwert, Krieg. Denn fünf werden in einem Haus sein, drei gegen zwei und zwei gegen drei, der Vater gegen den Sohn und der Sohn gegen den Vater, und sie werden je für sich einzeln stehen."

 

(17) Jesus sagte: "Ich werde euch geben, was kein Auge je gesehen und kein Ohr je gehört hat, was keine Hand je berührt hat und noch nie in eines Menschen Herz gedrungen ist."

 

(18) Die Jünger sagten zu Jesus: "Sage uns, wie unser Ende sein wird!" Jesus sagte. "Habt ihr denn schon den Anfang aufgedeckt, daß ihr nach dem Ende sucht? Denn dort, wo der Anfang ist, wird auch das Ende sein. Selig, wer sich an den Anfang stellen wird, er wird das Ende erkennen, und er wird den Tod nicht kosten."

 

(19) Jesus sagte: "Selig ist, wer wurde, bevor er geworden ist. Wenn ihr meine jünger werdet und auf meine Worte hört, werden diese Steine euch dienen. Denn für euch gibt es fünf Bäume im Paradies, die sich nicht verändern, weder im Sommer noch im Winter, und deren Blätter nicht herabfallen. Wer sie erkennt, wird den Tod nicht kosten."

 

(20) Die jünger sagten zu Jesus: "Sag uns doch, womit das Königreich des Himmels zu vergleichen ist!" Er antwortete ihnen: "Es ist zu vergleichen mit einem Senfkorn, dem kleinsten aller Samenkörner. Wenn es aber auf die beackerte Erde fällt, bringt es einen großen Zweig hervor, der den Vögeln des Himmels zum Schutz dient."

 

(21) Maria sagte zu Jesus: "Mit wem sind deine jünger zu vergleichen?" Er sagte: "Sie gleichen kleinen Kindern, die sich auf einem Feld niedergelassen haben, das ihnen nicht gehört. Wenn die Besitzer des Feldes kommen, werden sie sagen: Gebt uns unser Feld zurück!' Sie ziehen sich in ihrem Beisein aus, damit sie es ihnen lassen und ihnen ihr Feld geben. Darum sage ich: Wenn der Hausherr weiß, daß der Dieb kommt, wird er es bewachen vor dessen Kommen und es nicht zulassen, daß er in das Haus, das sein Reich ist, eindringt und seinen Besitz nimmt. Ihr aber seid auf der Hut vor der Welt! Gürtet euch über euren Hüften mit großer Kraft, daß die Räuber keinen Weg finden, zu euch zu kommen, denn den Lohn, den ihr erwartet, werden sie finden. Möge unter euch ein verständiger Mann sein! Als die Frucht reif war, kam er eilends mit seiner Sichel in seiner Hand und schnitt sie ab. Wer Ohren hat zu hören, der soll hören!"

 

(22) Jesus sah Kinder, die gestillt wurden. Er sagte zu seinen Jüngern: "Diese Kleinen, die gestillt werden, sie sind wie die, die in das Königreich eingehen." Sie fragten ihn: "Wenn wir also wie Kinder werden, werden wir in das Königreich eingehen?" Jesus sagte zu ihnen: "Wenn ihr zwei zu einem macht und wenn ihr das Innere wie das Äußere macht und das Äußere wie das Innere, und das, was oben ist, wie das, was unten ist, und wenn ihr das Männliche und Weibliche zu einem einzigen macht, damit nicht männlich männlich und weiblich weiblich sei, wenn ihr ein Auge durch ein Auge ersetzt, eine Hand durch eine Hand, einen Fuß durch einen Fuß und ein Bild durch ein Bild, dann werdet ihr in das Königreich eingehen."

 

(23) Jesus sagte: "Ich werde euch einen aus tausend erwählen und zwei aus zehntausend, und sie werden stehen wie ein einzigen"

 

(24) Seine Jünger sagten: "Zeige uns den Ort, wo du bist, denn es ist für uns notwendig, ihn zu suchen." Er sagte zu ihnen: "Wer Ohren hat, soll hören! Es wird Licht im Innern eines Menschen des Lichts, und er leuchtet der ganzen Welt. Wenn er aber nicht leuchtet, ist Finsternis."


 

(25) Jesus sagte: "Liebe deinen Bruder wie deine Seele und behüte ihn wie deinen Augapfel!"

 

(26) Jesus sagte: "Den Splitter im Auge deines Bru­ders, den siehst du, aber den Balken in deinem Auge, den siehst du nicht. Wenn du den Balken aus deinem Auge herausgezogen hast, dann wirst du (klar genug) sehen, um den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen."

 

(27) Jesus sagte: "Wenn ihr nicht fastet in bezug auf die Welt, werdet ihr das Königreich nicht finden. Wenn ihr den Sabbat nicht (wirklich) zum Sabbat macht, werdet ihr den Vater nicht sehen."

 

(28) Jesus sagte: "Ich habe mich in die Mitte der Welt gestellt und mich ihnen im Fleisch offenbart. Ich fand sie allesamt betrunken und ich fand keinen unter ihnen, der Durst hatte. Meine Seele empfand Schmerz wegen der Menschenkinder, weil sie blind in ihrem Herzen sind und nicht sehen, daß sie leer zur Welt gekommen sind und sich leer wieder daraus zu entfernen versuchen. Aber jetzt sind sie betrun­ken. Wenn sie ihren Wein abschütteln, dann werden sie sich bekehren."

 

(29) Jesus sagte: "wenn das Fleisch wegen des Gei­stes entstanden ist, dann ist es ein Wunder. Wenn aber der Geist wegen des Fleisches entstanden ist, dann ist es ein Wunder der Wunder. Aber ich, ich bin verwundert darüber, wie sich dieser große Reich­tum in dieser Armut niederlassen konnte."


 

(30) Jesus sagte: "Wo drei Götter sind, da sind sie Götter. Wo zwei sind oder einer, bin ich mit ihm."

 

(31) Jesus sagte: "Kein Prophet wird in seinem (eigenen) Dorf akzeptiert. Kein Arzt heilt die, die ihn kennen."

 

(32) Jesus sagte: "Eine Stadt, die auf einem hohen Berg erbaut und die befestigt ist, kann nicht zu Fall gebracht werden und nicht verborgen bleiben."

 

(33) Jesus sagte: "Was du mit deinem Ohr hörst, predige es auf euren Dächern einem anderen Ohr! Denn keiner, der eine Lampe anzündet, stellt sie unter den Scheffel, noch stellt er sie an einen verborgenen Platz, sondern er setzt sie auf den Leuchter, damit jeder, der kommt und geht, ihr Licht sieht."

 

(34) Jesus sagte: "Wenn ein Blinder einen anderen Blinden führt, fallen beide in die Grube.

 

(35) Jesus sagte: "Unmöglich ist es für jemanden, in das Haus eines Starken einzudringen und es mit Gewalt zu nehmen, es sei denn, er fesselt vorher dessen Hände. Dann (erst) wird er sein Haus ausräumen können."

 

(36) Jesus sagte: "Sorgt euch nicht von morgens bis abends und von abends bis morgens, was ihr anziehen sollt."


 

(37) Seine Jünger fragten: "Wann wirst du dich uns offenbaren, und wann werden wir dich sehen?" Jesus sagte: "Wenn ihr euch nackt auszieht, ohne euch zu schämen, und eure Kleider nehmt, sie unter eure Füße legt und darauf wie kleine Kinder herum­trampelt, dann werdet ihr den Sohn des Lebendigen sehen, und ihr werdet euch nicht fürchten."

 

(38) Jesus sagte: "Häufig habt ihr euch gewünscht, diese Worte zu hören, die ich zu euch sage, und ihr habt niemanden sonst, von dem ihr sie hören könnt. Tage werden kommen, da werdet ihr nach mir suchen, mich aber nicht finden!"

 

(39) Jesus sagte: "Die Pharisäer und Schriftgelehrten haben die Schlüssel der Erkenntnis erhalten und sie versteckt. Selbst sind sie nicht hineingegangen, aber sie ließen auch die, die hineingehen wollten, nicht hinein. Aber ihr, seid klug wie die Schlangen und unverdorben wie die Tauben!"

 

(40) Jesus sagte: "Ein Weinstock ist außerhalb des Vaters gesetzt worden und, da er nicht befestigt ist, wird er an seiner Wurzel ausgerissen und eingehen."

 

(41) Jesus sagte: "Wer etwas in seiner Hand hat dem wird dazu gegeben, und wer nichts hat, dem wird das Wenige, das er hat, auch noch genommen werden."

 

(42) Jesus sagte: "Werdet Vorübergehende!"


 

(43) Seine Jünger sagten zu ihm: "Wer bist du, daß du uns dieses sagst?" Jesus antwortete ihnen: Aus dem, was ich euch sage, erkennt ihr nicht, wer ich bin? ‑ Stattdessen seid ihr wie die Juden geworden. Sie lieben den Baum und hassen seine Früchte, und sie lieben die Früchte und hassen den Baum."

 

(44) Jesus sagte: "Beleidigt einer den Vater, wird man ihm verzeihen, und beleidigt einer den Sohn, wird man ihm (auch) verzeihen. Beleidigt einer aber den Heiligen Geist, wird man ihm nicht verzeihen, weder auf der Erde noch im Himmel."

 

(45) Jesus sagte: "Weintrauben werden nicht von Dornen geerntet, noch Feigen vom Kameldorn gepflückt, denn sie bringen keine Frucht. Ein guter Mensch bringt Gutes hervor aus seinem Schatz. Und ein übler Mensch bringt Schlechtes aus seinem verdorbenen Schatz hervor, der in seinem Herzen ist, und sagt Schlechtes, denn aus dem Überfluß seines Herzens bringt er Schlechtes hervor."

 

(46) Jesus sagte: "Von Adam bis Johannes dem Täufer gibt es unter den von Frauen Geborenen niemanden, der Johannes den Täufer überragt und vor dem er seine Augen senken müßte. Ich aber habe gesagt: Wer von euch klein (wie ein Kind) wird, wird das Königreich erkennen und sich über Johannes erheben."

 

(47) Jesus sagte: "Unmöglich ist es für einen Menschen, (gleichzeitig) zwei Pferde zu besteigen und zwei Bögen zu spannen, und unmöglich ist es für einen Sklaven, zwei Herren zu dienen. Den einen wird er verehren und den anderen verächtlich behandeln. Kein Mensch trinkt alten Wein und will darauf sofort neuen Wein trinken. Und neuer Wein wird nicht in alte Schläuche gefüllt, damit sie nicht platzen, und alter Wein wird nicht in einen neuen Schlauch gefüllt, damit er nicht verdirbt. Ein alter Flicken wird nicht auf ein neues Kleid genäht, weil sonst ein Riß entsteht."

 

(48) Jesus sagte: "Wenn zwei miteinander in ein und demselben Haus Frieden machen, können sie zum Berg sagen: Beweg dich fort!', und er wird sich fortbewegen."

 

(49) Jesus sagte: "Selig sind die Einzelgänger und die Erwählten. Denn ihr werdet das Königreich finden; da ihr von dort stammt, werdet ihr wieder dorthin zurückkehren."

 

(50) Jesus sagte: "Wenn sie euch fragen: Woher seid ihr gekommen?', dann antwortet ihnen: Wir sind aus dem Licht gekommen, von dem Ort, wo das Licht aus sich selbst geworden ist. Es hat sich hingestellt und in ihrem Bild offenbart.' Wenn sie euch fragen: Seid ihr es?', antwortet: wir sind seine Söhne und die Erwählten des lebendigen Vaters.' Wenn sie euch fragen: Was ist das Zeichen eures Vaters, das in euch ist?', antwortet ihnen: 'Es ist eine Bewegung und eine Ruhe.'"


 

(51) Seine Jünger fragten ihn: "Wann wird die Ruhe der Toten eintreten, und wann die neue Welt anbre­chen?"

Er sagte zu ihnen: "Das, was ihr erwartet, ist schon gekommen, aber ihr erkennt es nicht."

 

(52) Seine Jünger sagten zu ihm: "Vierundzwanzig

Propheten haben in Israel gesprochen, und sie haben alle von dir gesprochen."

Er sagte zu ihnen: "Ihr habt den in eurer Gegenwart

Lebendigen links liegen lassen und von Toten gespro­chen."

 

(53) Seine Jünger fragten ihn: "Ist die Beschneidung nützlich oder nicht?"

Er sagte zu ihnen: "Würde sie nützen, dann würde ihr Vater sie in ihrer Mutter beschnitten entstehen lassen. Die wahre Beschneidung im Geiste aber, sie erwies sich durchaus als nützlich."

 

(54) Jesus sagte: "Selig sind die Armen, denn euch gehört das Himmelreich."

 

(55) Jesus sagte: "Wer nicht seinen Vater und seine Mutter haßt, kann nicht mein jünger werden, und wer nicht seine Brüder und seine Schwestern haßt und sein Kreuz nicht auf sich nimmt wie ich, der wird meiner nicht würdig sein."

 

(56) Jesus sagte: "Wer die Welt erkannt hat, fand eine Leiche, und wer eine Leiche fand, dessen ist die Welt nicht würdig."


 

(57) Jesus sagte: "Das Königreich des Vaters ist mit einem Mann zu vergleichen, der guten Samen hatte. Da kam nachts sein Feind und streute Unkraut unter den guten Samen. Der Mann erlaubte ihnen (seinen Arbeitern) nicht, das Unkraut zu jäten. Er sagte zu ihnen: Daß ihr nicht daran geht, das Unkraut zu jäten und dabei auch den Weizen ausreißt! Denn am Tag der Ernte wird das Unkraut zum Vorschein kommen. Dann wird es ausgerissen und verbrannt werden.`

 

(58) Jesus sagte: "Selig ist der Mensch, der gelitten hat. Er hat das Leben gefunden."

 

(59) Jesus sagte: "Blickt auf den Lebendigen, während ihr am Leben seid, damit ihr nicht sterbt und ihn zu sehen sucht, ihn dann aber nicht sehen könnt!"

 

(60) Sie sahen einen Samariter, der ein Lamm trug und nach Judäa ging. Er fragte seine Jünger: "Was tut der mit dem Lamm?" Sie sagten zum ihm: "Schlachten und essen." Er sagte zu ihnen: "Solange es lebt, wird er es nicht essen, erst wenn er es tötet und es zu einer Leiche wird." Sie erwiderten: "Eine andere Möglichkeit hat er nicht." Er sagte zu ihnen: "Ihr, ja auch ihr, sucht einen Ort für euch zur Ruhe, damit ihr nicht zur Leiche und gegessen werdet."


 

(61) Jesus sagte: "Zwei werden sich ausruhen auf einem Bett. Der eine wird sterben, der andere leben." Da sagte Salome: "Wer bist du, Mann, wessen Sohn, daß du auf mein Lager gekommen bist und von meinem Tisch gegessen hast?" Jesus sagte zu ihr: "Ich bin der, der geworden ist aus dem, was gleich ist, und man gab mir aus dem, was meinem Vater gehört."

 

"Ich bin deine Jüngerin."

 

"Deswegen sage ich: Wenn er zerstört wird, wird er voller Licht sein. Wenn er aber geteilt wird, wird er voller Finsternis sein."

 

(62) Jesus sagte: "Ich sage meine Geheimnisse denen, die meiner Geheimnisse würdig sind. Was immer deine rechte Hand tut, laß deine linke Hand nicht wissen, was sie tut!"

 

(63) Jesus sagte: "Es war ein reicher Mann, der viel Vermögen hatte. Er sagte: Ich will mein Vermögen aufwenden, um zu säen, zu ernten, zu pflanzen und meine Scheune mit Früchten zu füllen, auf daß es mir an nichts fehlen wird." Solchermaßen waren seine Herzensabsichten, und in derselben Nacht verstarb er. Wer Ohren hat, soll hören!"

 

(64) Jesus sagte: "Ein Mann hatte (vor) Gäste (einzuladen), und als er das Mahl bereitet hatte, schickte er seinen Diener, um die Gäste einzuladen. Er ging zum ersten und sagte zu ihm: 'Mein Herr lädt dich ein.' Er aber sagte: 'Ich habe Geld(angelegenheiten) mit Kaufleuten zu regeln. Sie werden am Abend zu mir kommen. Ich werde daran gehen, ihnen meine For­derungen stellen. Ich bitte, mich für das Mahl zu entschuldigen.' Er ging zu einem anderen und sagte zu ihm: 'Mein Herr hat dich eingeladen.' Der antwortete ihm: 'Ich habe ein Haus gekauft, und da bin ich einen Tag gefordert. Ich werde keine Zeit haben.' Er kam zu einem anderen und sagte zu ihm: 'Mein Herr lädt dich ein.' Er sagte zu ihm: 'Mein Freund will heiraten, und ich treffe die Vorbereitungen für das Mahl. Ich werde nicht kommen. Ich bitte, mich für das Mahl zu entschuldigen.' Er ging zu einem anderen und sagte zu ihm: 'Mein Herr lädt dich ein.' Der antwortete ihm: 'Ich habe ein Landgut gekauft und werde gehen, um die Pacht einzutreiben. Ich werde nicht kommen und bitte um Entschuldigung.' Da kam der Diener und sagte zu seinem Herrn: 'Alle, die du zum Mahl eingeladen hast, lassen sich ent­schuldigen.' Der Herr sagte zu seinem Diener: "Geh nach draußen auf die Straßen und bringe die herein, die dir über den Weg laufen, damit sie speisen. Händler und Kaufleute werden nicht hereinkommen an den Ort meines Vaters.'"

 

(65) Er sagte: "Ein redlicher Mann hatte einen Wein­berg. Er übergab ihn an Winzer, damit sie ihn bear­beiteten und er seinen Ertrag aus ihrer Hand erhielte. Er schickte seinen Diener, damit die Winzer ihm den Ertrag des Weinbergs geben sollten. Sie ergriffen sei­nen Diener und schlugen ihn. Es fehlte nicht viel, und sie hätten ihn erschlagen.


Der Diener ging und berichtete es seinem Herrn. Sein Herr sagte: 'Vielleicht haben sie ihn nicht erkannt.' Er schickte einen anderen Diener, (doch) die Winzer schlugen auch diesen. Daraufhin schickte der Herr seinen Sohn. Er meinte: 'Vielleicht werden sie ihm, meinem Sohn, Respekt zollen.' Als die Winzer erkannten, daß er der Erbe des Weinbergs war, ergriffen sie ihn und töteten ihn. Wer Ohren hat, soll hören!"

 

(66) Jesus sagte: "Zeigt mir jenen Stein, den die Bauleute abgewiesen haben. Er ist der Eckstein."

 

(67) Jesus sagte: "Wer die Welt versteht, während er selbst Mangel leidet, leidet Mangel an jedem Ort."

 

(68) Jesus sagte: "Selig seid ihr, wenn sie euch hassen und verfolgen werden, und sie werden keinen Platz an dem Ort finden, an dem sie euch verfolgen."

 

(69) Jesus sagte: "Selig sind die, die in ihrem Herzen verfolgt worden sind. Sie sind es, die den Vater in Wahrheit erkannt haben. Selig sind die, die hungern, denn der Bauch dessen, der es wünscht, wird gesättigt werden."

 

(70) Jesus sagte: "Wenn ihr jenes in euch hervorbringt, wird euch das, was ihr habt, retten. Wenn ihr jenes (aber) nicht in euch habt, wird euch das, was ihr nicht in euch habt, töten."


 

(71) Jesus sagte: "Ich werde dieses Haus umstürzen, und niemand wird es (wieder) aufbauen können." ( ... )

 

(72) Ein Mann sagte zu ihm: "Rede mit meinen Brüdern, damit sie den Besitz meines Vaters mit mir teilen!" Er antwortete ihm: "Oh, Mann, wer hat mich zum Teiler gemacht?" Er wendete sich zu seinen Jüngern und fragte sie: "Oder bin ich etwa ein Teller?"

 

(73) Jesus sagte: "Die Ernte ist zwar groß, aber es gibt nur wenige Arbeiter. Bittet also den Herrn, daß er Arbeiter zur Ernte senden möge!"

 

(74) Er sagte: "Herr, viele drängen sich um den Brunnen, aber nichts ist im Brunnen."

 

(75) Jesus sagte. "Es gibt viele, die vor der Tür stehen, aber die Einzelnen sind es, die in den Hoch­zeitssaal eintreten werden."

 

(76) Jesus sagte: "Das Königreich des Vaters ist mit einem Kaufmann zu vergleichen, der Frachtgut hatte und eine Perle fand. Dieser Kaufmann war klug, er veräußerte sein Frachtgut und kaufte sich diese eine Perle. Auch ihr, sucht einen Schatz, der nicht ver­dirbt und der dort bleibt, wo sich keine Motte nähert, ihn zu fressen, und kein Wurm ihn zerstört."

 

(77) Jesus sagte: "Ich bin das Licht, das über ihnen allen ist. Ich bin das All. Aus mir ist das All hervorgegangen, und zu mir ist das All gelangt. Spaltet ein Holz, ich bin dort, hebt einen Stein hoch, und ihr werdet mich dort finden."

 

(78) Jesus sagte: "Weshalb seid ihr auf das Feld herausgekommen? ‑ Um ein Schilfrohr zu sehen, das sich im Wind wiegt? Oder um einen Mann zu sehen, der ein weiches Gewand trägt? Seht, eure Könige und eure Großen, die tragen weiche Kleider, aber sie werden die Wahrheit nicht erkennen."

 

(79) Eine Frau aus dem Volk sagte zu ihm: "Gepriesen der Mutterleib, der dich getragen, und die Brüste, die dich genährt haben." Er antwortete ihr: "Gepriesen sind die, die das Wort des Vaters gehört und es wahrhaftig bewahrt haben. Denn es werden Tage kommen, da werdet ihr sagen: 'Gepriesen der Mutterleib, der nicht empfangen, und die Brüste, die keine Milch gegeben haben!'"

 

(80) Jesus sagte: "Wer die Welt verstanden hat, fand den Leib, wer aber den Leib verstanden hat, dessen ist die Welt nicht würdig."

 

(81) Jesus sagte: "Wer ein reicher Mann geworden ist, soll König werden, und wer die Macht erreicht hat, soll sie aufgeben."

 

(82) Jesus sagte: "Wer mir nah ist, ist dem Feuer nah, und wer mir fern ist, ist dem Königreich fern."

 

(83) Jesus sagte: "Die Bilder sind dem Menschen offenbar, und das Licht in ihnen ist verborgen im Bild des Lichtes des Vaters, Er wird sich enthüllen, und sein Bild wird verborgen bleiben durch sein Licht."

 

(84) Jesus sagte: "Wenn ihr euer Abbild seht, werdet ihr euch freuen. Wenn ihr aber eure Bilder seht, die vor euch entstanden sind, die weder sterben noch sich offenbaren, wieviel werdet ihr dann ertragen?"

 

(85) Jesus sagte: "Adam ist aus großer Kraft und großem Reichtum entstanden, und (dennoch) wurde er eurer nicht würdig. Denn wäre er würdig gewesen, hätte er den Tod nicht gekostet."

 

(86) Jesus sagte: "Die Füchse haben ihre Höhlen, und die Vögel haben für sich ein Nest, der Men­schensohn aber hat keinen Platz, an dem er sein Haupt hinlegen und ausruhen kann."

 

(87) Jesus sagte: "Elend ist der Leib, der von einem Leib abhängig ist, und eine Mühsal ist die Seele, die von diesen beiden abhängig ist."

 

(88) Jesus sagte: "Die Engel und die Propheten wer­den zu euch kommen und euch geben, was euch gehört, und ihr, gebt ihnen, was in euren Händen ist, und sagt zu euch selbst: Wann kommen sie, um das zu erhalten, was ihnen zusteht?"

 

(89) Jesus sagte: "Weshalb wascht ihr den Becher außen? Versteht ihr nicht, daß der, der das Innere hergestellt hat, auch das Äußere hergestellt hat?"


 

(90) Jesus sagte: "Kommt zu mir, denn mein Joch ist angenehm und meine Herrschaft menschenfreundlich, und ihr werdet für euch Ruhe finden."

 

(91) Sie sagten zu ihm: "Sag uns, wer du bist, damit wir an dich glauben!" Er antwortete ihnen: "Ihr prüft das Gesicht des Himmels und der Erde, aber den, der vor euch ist, habt ihr nicht erkannt, und diesen Moment versteht ihr nicht zu prüfen."

 

(92) Jesus sagte: "Sucht, und ihr werdet finden, aber was ihr mich in diesen Tagen gefragt habt und was ich euch nicht gesagt habe, das will ich euch am heutigen Tag sagen, und ihr sucht nicht danach."

 

(93) Jesus sagte: "Gebt den Hunden nichts Heiliges, damit sie es nicht auf den Mist werfen! Werft keine Perlen vor die Säue, damit sie nicht [ ... ]."

 

(94) Jesus sagte: "Wer sucht, der wird finden; dem, der anklopft, wird man öffnen."

 

(95) Jesus sagte: "Wenn ihr Geld habt, leiht es nicht gegen Zinsen aus, sondern gebt es dem, von dem ihr es nicht mehr zurückbekommt."

 

(96) Jesus sagte: "Das Königreich des Vaters ist mit einer Frau zu vergleichen. Sie nahm ein wenig Sauerteig, vermengte es im Teig und machte daraus große Brote. Wer Ohren hat, soll hören!"


 

(97) Jesus sagte: "Das Königreich des Vaters ist mit einer Frau zu vergleichen, die einen mit Mehl ange­füllten Krug trug. Sie ging auf die Straße und war noch weit (von ihrem Haus entfernt), als der Henkel des Kruges brach. Das Mehl rieselte hinter ihr auf die Straße, ohne daß sie es merkte. Sie hatte das Mißge­schick nicht wahrgenommen. Als sie nach Hause gekommen war, stellte sie den Krug ab und fand ihn leer."

 

(98) Jesus sagte: "Das Königreich des Vaters ist mit einem Menschen zu vergleichen, der einen mächti­gen Mann töten wollte. Er zog das Schwert in seinem Haus und stieß es durch die Wand, um zu prüfen, ob seine Hand stark (genug) sei. Dann tötete er den Mächtigen."

 

(99) Seine Jünger sagten zu ihm: "Deine Brüder und deine Mutter stehen draußen." Er sagte zu ihnen: "Diese hier, die den Willen meines Vaters tun, sie sind meine Brüder und meine Mutter, und sie sind es, die in das Königreich meines Vaters eingehen werden."

 

(100) Sie zeigten Jesus eine Münze und sagten zu ihm: "Die Männer des Kaisers verlangen von uns Steuern." Er sagte zu ihnen: "Gebt dem Kaiser das, was dem Kaiser gehört, gebt Gott das, was Gott gehört, und das, was mir gehört, gebt mir!"

 

(101) Jesus sagte: "Wer seinen Vater und seine Mutter nicht haßt, wie ich es tue, kann nicht mein jünger werden. Und wer seinen Vater und seine Mutter nicht liebt, wie ich es tue, kann nicht mein jünger werden. Denn meine Mutter ist die [ ... ] . Aber meine wahre Mutter, sie gab mir das Leben."

 

(102) Jesus sagte: "Wehe ihnen, den Pharisäern! Denn sie gleichen einem Hund, der auf der Krippe bei den Rindern schläft. Weder er (selbst) frißt, noch läßt er die Rinder fressen."

 

(103) Jesus sagte: "Selig ist der Mensch, der weiß, in welchem Teil (des Hauses bzw. der Nacht) die Diebe hereinkommen werden, so daß er aufsteht, das sammelt, was ihm untersteht, und sich gürtet über seiner Hüfte, bevor sie eindringen."

 

(104) Sie sagten zu Jesus: "Komm, laß uns heute beten und fasten!" Jesus sagte: "Was ist denn die Sünde, die ich getan habe, und worin bin ich besiegt? ‑ Vielmehr, wenn der Bräutigam das Brautgemach verlassen hat, dann sollen sie fasten und beten."

 

(105) Jesus sagte: "Den, der Vater und Mutter erkannt hat, wird man Sohn einer Hure nennen."

 

(106) Jesus sagte: "Wenn ihr zwei zu einem macht, werdet ihr Menschensöhne sein, und wenn ihr (dann) sagt: 'Berg, beweg dich fort!', wird er sich fortbewegen."

 

(107) Jesus sagte: "Das Königreich ist mit einem Hirten zu vergleichen, der hundert Schafe hatte. Eins von ihnen ging verloren ‑ es war das größte. So ließ er die neunundneunzig zurück und suchte nach jenem einen, bis er es fand. Nachdem er sich (erfolgreich) abgemüht hatte, sagte er zu dem Schaf: 'Ich liebe dich mehr als die neunundneunzig.'"

 

(108) Jesus sagte: "Wer von meinem Mund trinkt, wird werden wie ich. Ich selbst werde er werden, und das Verborgene wird sich ihm offenbaren."

 

(109) Jesus sagte: "Das Königreich ist mit einem Mann zu vergleichen, der auf seinem Feld einen Schatz hatte, der versteckt war und von dem er nicht wußte. Und als er starb, hinterließ er ihn seinem Sohn. (Auch) der Sohn wußte nicht davon. Er nahm jenes Feld und verkaufte es. Und der, der es gekauft hatte, kam und pflügte und fand den Schatz. Er begann, Geld gegen Zinsen auszuleihen an jeden, den er wollte."

 

(110) Jesus sagte: "Wer die Welt gefunden hat und reich geworden ist, soll auf die Welt verzichten."

 

(111) Jesus sagte: "Himmel und Erde werden in eurer Gegenwart aufgerollt werden, und wer lebt von dem, der lebt, wird den Tod nicht sehen. Sagt nicht Jesus: 'Dem, der sich selbst findet, ist die Welt nicht würdig.'?"

 

(112) Jesus sagte: "Wehe dem Fleisch, das an der Seele hängt, und wehe der Seele, die am Fleisch hängt."


 

(113) Seine Jünger fragten ihn: "Wann wird das Königreich kommen?" Jesus sagte: "Es wird nicht kommen, während man darauf wartet. Man wird (auch) nicht sagen: 'Siehe, hier ist es!', oder 'Siehe, dort ist es!'. Sondern das Königreich des Vaters ist auf der Erde ausgebreitet, und die Menschen sehen es nicht."

 

(114) Simon Petrus sagte zu ihm: "Maria soll von uns weggehen, denn die Frauen sind des Lebens nicht würdig." Jesus sagte: "Seht, ich werde sie anleiten, um sie männlich zu machen, damit sie zu einem lebendigen Geist wird, der euch Männern gleicht. Denn jede Frau, die sich männlich macht, wird eintreten in das Königreich im Himmel."

 

Quelle: "Die verbotenen Evangelien - Apokryphe Schriften"