Oskar Brüsewitz bringt Schande über
das protestantische Mitläufertum
Am Vormittag des 18. August
1976 übergoß sich der evangelische Pfarrer Oskar Brüsewitz in der Fußgängerzone der Stadt Zeitz (damals DDR‑Bezirk
Halte, heute Sachsen‑Anhalt) mit Benzin und zündete sich selbst an. Laut
Zeugenaussagen sei der 47jährige im brennenden Talar wie eine lebende Fackel
schreiend umhergelaufen, bevor Passanten die Flammen schließlich ersticken
konnten. Die sofort herbeigeeilten Volkspolizisten entfernten zunächst die vom
Pfarrer an seinem Auto aufgestellten Transparente; während der schwerverletzte Theologe schließlich ins Krankenhaus nach
Halle gebracht wurde, nahmen die Sicherheitsorgane der DDR Volkspolizei und
"Staatssicherheit" bereits die Ermittlungen gegen ihn auf wegen des
Verdachts der "staatsfeindlichen Hetze". Denn eines der an Brüsewitz "Trabant" befestigten Transparente trug
die Aufschrift: "Funkspruch an alle ... Funkspruch an alle ... Die Kirche
in der D.D.R. klagt den Kommunismus an! Wegen Unterdrückung in Schulen an
Kindern und Jugendlichen".
Mit seiner spektakulären Tat
hatte der Pfarrer aus dem benachbarten Rippicha
öffentlichkeitswirksam seinen schon lange währenden Protest gegen die
totalitäre Herrschaftsausübung der SED auf die Spitze getrieben und ein
Zeichen gesetzt, das später als das "Fanal von Zeitz" bezeichnet
werden sollte.
Der 1929 im Memelland geborene
Brüsewitz hatte nach Kriegs‑ und
Nachkriegswirren zunächst eine Lehre als Schuhmacher absolviert
und später seine Meisterprüfung abgelegt. In Thüringen betrieb er eine eigene
Werkstatt, die schließlich zwangsweise in eine Produktionsgenossenschaft (PGH)
überführt wurde. Mit der kollektivierten Arbeitsweise kam Brüsewitz
nicht zurecht, und so schied er 1964 aus der PGH aus. Bereits als junger Mann
war er religiös sozialisiert, vor allem durch den CVJM später durch die
charismatisch ausgerichtete, freikirchliche Elim‑Gemeinde.
1958 war Brüsewitz jedoch in die Landeskirche
gewechselt.
Gegen die Entchristlichung
des DDR‑Alltags
Schon als Laie beteiligte sich
Brüsewitz an der gemeindlichen Missionsarbeit und
sprach mit seiner direkten Art vor allem Kinder und Jugendliche an. Von 1964
bis 1969 erfolgte seine Ausbildung am Erfurter Predigerseminar. Das Interesse
des bereits 35 Jahre alten Studenten richtete sich nicht auf die moderne
Theologie, er verstand die Bibel eher
praxisorientiert. In seiner Abschlußarbeit über einen
evangelischen Pfarrer, der mit den Nationalsozialisten aneinandergeraten
war, zeigte Brüsewitz Parallelen zum Verhältnis von
Kirche und Staat in der DDR auf.
Auf seiner ersten Pfarrstelle
in Rippicha (Kirchenprovinz Sachsen) imponierte Brüsewitz durch seine buchstäblich zupackende Art bei der
Bewältigung von Renovierungsarbeiten an Kirche und Pfarrhaus. "Seine Art
und auch seine Art zu predigen sind unkonventionell", hieß es im Abschlußzeugnis am Ende seiner Probezeit. Teilweise hat er
seine Gemeindemitglieder damit überfordert, aber bald strömten immer mehr
Besucher in seine Gottesdienste. Für Kinder errichtete er einen
"Kirchenspielplatz", mit Jugendlichen spielte er Fußball und
versuchte durch eine Vielzahl von Aktivitäten, das Monopol der Staatsjugend FDJ
zu durchbrechen. Erste Konflikte mit der Staatsmacht ließen nicht lange auf
sich warten. Brüsewitz liebte die Provokation: Am
Kirchturm errichtete er ein großes Kreuz aus Neonröhren, das weithin sichtbar
leuchtete und als bewußter Kontrast zum roten Stern aufgefaßt wurde. Die SED-Propagandalosung "Ohne Gott
und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein" beantwortete Brüsewitz mit der Formel "Ohne Regen, ohne Gott geht
die ganze Welt bankrott", und dem offiziellen Motto "25 Jahre
DDR" setzte er auf einem Plakat "2000 Jahre Kirche Jesu Christi"
entgegen.
Für Brüsewitz
waren der christliche Glaube und die atheistische Staatsdoktrin der DDR per se
unvereinbar, sein Evangelisieren verstand er nicht nur religiös, sondern auch
politisch gegen das SED‑System. Damit verstärkten sich nicht nur seine
Probleme mit den lokalen Funktionären dieses Systems, sondern auch mit den
Offiziellen der Kirchenleitung. Seit Aufgabe der gesamdeutschen
Bezüge in den mitteldeutschen evangelischen Landeskirchen, bemühte sich die
Leitung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) um ein weitgehend
opportunistisches Verhältnis zum Staat. Damit konnte Brüstwitz nichts anfangen,
für ihn hieß Christ sein "Kampf" gegen die atheistische Umwelt, gegen
das Reich der Finsternis. Auf Druck staatlicher Stellen, unter anderem des MfS,
versuchte die Führung der Landeskirche in Magdeburg die Situation in Rippicha zu entschärfen, indem sie Brüsewitz
einen Wechsel der Pfarrstelle nahelegte. Ein Besuch
des stellvertretenden Bischofs, Probst Friedrich‑Wilhelm Bäumer, am 23. Juli 1976 sollte dieser
"Entschärfung" dienen und den aufsässigen Pastor umstimmen. In all
diesen Maßnahmen sah sich Brüsewitz von seiner Kirche
im Stich gelassen. Vertrauten gegenüber sagte er daraufhin, bei seiner
"Offensive" in eine neue "Phase" einzutreten, ohne diese
Andeutungen konkreter werden zu
lassen.
Seine Selbstverbrennung plante
er minutiös, er verstand sich als Blutzeuge, wie jene Priester, die von den
Nationalsozialisten verfolgt worden waren; in ihrer Symbolik ähnelte die Tat
dem Vorbild vietnamesischer Mönche. Die Selbsttötung indes begriff er durchaus
als "Schande", die er seinen "Brüdern und Schwestern"
zumute, so heißt es im Abschiedsbrief. Dort ist auch die Rede vom
"scheinbare(n) tiefe(n) Friede(n), der auch in die Christenheit
eingedrungen ist", obwohl "zwischen Licht und Finsternis ein
mächtige(r) Krieg" tobe ‑ ein deutlicher Hinweis auf seine
Unzufriedenheit mit der kompromißbereiten Haltung der Amtskirche.
Vier Tage nach seiner Tat
starb Brüsewitz in Halle an den Folgen seiner
schweren Verbrennungen. Die für den 26. August 1976 angesetzte Beerdigung wird
für die SED und die staatlichen Organe der DDR noch einmal zum Politikum. Nach
ihrem Willen soll vor allem verhindert werden, daß Brüsewitz'
Tat den Westdeutschen Anlaß zur "Hetze gegen die
DDR" bietet. Um dies zu verhindern, wurde auch die Spitze des BEK
eingespannt. Führend auf deren Seite war in den Verhandlungen mit dem
Staatssekretär für Kirchenfragen der Generalsekretär des Kirchenbundes und
spätere brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe. Der sagte zu, die
Kirche wolle "Solidarität mit dem Staat" üben, und so ging die
Kirchenleitung in Magdeburg auf den Versuch des SED‑Staates ein, den Fall
zu entpolitisieren: "Jeden Versuch, das Geschehen in Zeitz zur Propaganda
gegen die Deutsche Demokratische Republik zu benutzen, weisen wir zurück",
hieß es in einer kirchlichen Stellungnahme. Von der Haltung, Brüsewitz' Tat sei vor allem persönlichen Motiven (drohende
Versetzung) entsprungen, mußte die Kirchenführung schließlich nach Protesten
aus der Pfarrerschaft abrücken. In einem Wort an die
Gemeinden vom September 1976 ist dann auch die Rede von "Spannungen, die
durch unsere Gesellschaft gehen" und die Bruder Brüsewitz"
aufgezeigt habe.
Keine Unterstützung vom Rat der EKD in Hannover
Auch westdeutsche Stellen stießen
zunächst ins selbe Horn der Beschwichtigung. So warnte der Ständige Vertreter
der Bundesrepublik, Günter Gaus, mit Brüsewitz
befreundete Pfarrer davor, den Fall publik zu machen, und der Rat der EKD in
Hannover warnte die westdeutschen Parteien davor, den Fall in den Wahlkampf zu
ziehen. Für die wachsende Zahl linker protestantischer Pfarrer und
Kirchenfunktionäre war die antikommunistische Tat ein Ärgernis in einer Zeit,
in der die Betonung der "Gemeinsamkeiten" von Kommunisten und Christen
immer populärer wurde.
Nach der Beerdigung Brüsewitz' unter Anteilnahme von 75 Pfarrern wurde Erich
Honecker vom zuständigen ZK-Mitarbeiter zufrieden mitgeteilt, daß die
Bestattung "ohne Provokation" abgelaufen sei. Allerdings stellte nach
der Revolution von 1989 die Enquete-Kommission des Bundestages fest, daß Brüsewitz' Fanal langfristig nicht ohne Folgen für das
Verhältnis von Kirche und Staat in der DDR geblieben ist: Sowohl in den
Gemeinden als auch bei der Kirchenleitung sei die "Schärfe des Konflikts
zwischen Christentum und Marxismus, Freiheit und SED‑Diktatur wieder
deutlicher wahrnehmbar" geworden. Eine Zeitzeugin nannte 1989 Brüsewitz den "Anfang von dem, was jetzt geschehen
ist".
Quelle: Christian Vollradt in JUNGE FREIHEIT
vom 11.8.2006 ("Peinlich für das protestantische Mitläufertum")
Anmerkung: Oskar Brüsewitz hat alle beschämt,
die als Priester in Deutschland seit 1933 versagt haben. Und jeden lutherisch
geprägten Christen muß es zutiefst befremden, wenn er hört, daß Manfred Stolpe
dem LIONS-Club, Wolfgang Huber und Margot Käßmann dem
Rotary Club angehören.