Erzbischof Marcel Lefebvre (1905 - 1991)
Am 9. Oktober stand der Berliner
Erzdiözese hoher Besuch ins Haus: Kurienkardinal Dario Castrillon Hoyos. Sein
Auftrag war, in einer kleinen Gemeinde, die erst im Mai von Rom anerkannt
wurde, eine Priesterweihe vorzunehmen. Es handelte sich hierbei jedoch nicht um
eine gewöhnliche Weihe, denn die hätte jeder beliebige Bischof zelebrieren
können. Vielmehr wurde an diesem Tag in der St. Afra Kirche im Berliner
Problembezirk Wedding nach dem tridentinischen Ritus geweiht, den die
Amtskirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962‑1965) meidet wie
der Teufel das Weihwasser.
Kern der Gemeinde ist das am
24. Mai anerkannte Institut römischen Rechts St. Philipp Neri unter der Leitung
von Pfarrer Gerald Goesche. Vorausgegangen war ein gutes Jahr kirchenrechtlicher
Illegalität. Denn Goesche hatte sich im Februar 2003 nach sechs Jahren
Zusammenarbeit im Streit von der Priesterbruderschaft St. Pius X. getrennt,
obwohl er noch kurz davor maßgeblich am Bau des Priorats in Berlin-Wilmersdorf
mitgewirkt hatte.
Wie es genau zu dieser
Trennung kam, darüber existieren verschiedene Versionen. Eigenen Angaben
zufolge wurde Goesche "nachdenklich", als nach der Pilgerfahrt der
Bruderschaft nach Rom im Heiligen Jahr 2000 Kardinal Hoyos dieser "ein
ausgesprochen großzügiges Angebot zur Regularisierung ihrer Situation
machte". Zu deutsch: Die Piusbrüder sollten strukturell wieder unter die
Fittiche Roms genommen werden, ohne jedoch vorher die theologischen
Streitpunkte aus dem Weg geräumt zu haben, die letztlich zu dem
Zerwürfnis geführt hatten.
Im Zentrum der Auseinandersetzung
steht der Vorwurf der Piusbrüder, Rom habe mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil
einen radikalen Bruch ‑ ein "1789" ‑ mit der Kirche
vollzogen, indem es in der Folgezeit all jene Standpunkte akzeptierte, die seit
Jahrhunderten von der Kirche bekämpft wurden. Dazu gehören beispielsweise das
Dekret über die Religionsfreiheit und ein relativierender Ökumenismus.
Deutlichster Ausdruck dieses Irrweges sei die Einführung eines neuen Meßritus
gewesen, in dem sämtliche Elemente ausgemerzt sind, die die Glaubenswahrheiten
veranschaulicht hatten.
Der französische Erzbischof Marcel Lefebvre (1905‑1991)
wollte sich mit der Zerstörung der Kirche nicht zufriedengeben und gründete
1970 mit Erlaubnis der Kirche im schweizerischen Econe ein Priesterseminar, in
dem er nur das weitergab, was er selbst empfangen hatte. Als das Seminar immer
größeren Zulauf bekam, entschloß sich die Hierarchie, dem "Experiment der
Tradition" ein Ende zu breiten.
Doch der Erzbischof wehrte
sich. In seiner berühmten Grundsatzerklärung vor 30 Jahren, am 21. November
1974, stellte er fest, daß keine Autorität sie zwingen könne, ihren Glauben,
"so wie er vom Lehramt der Kirche seit neunzehn Jahrhunderten klar
formuliert und verkündet wurde, aufzugeben oder zu schmälern". Dabei
berief er sich vor allem auf die Aussage des heiligen Paulus: "Und würden
wir selbst oder ein Engel vom Himmel euch ein anderes Evangelium lehren als
das, was ich euch gelehrt habe, so sei er verflucht" (Gal. 1,8). Als sich
Lefebvre unbeugsam zeigte und am 29. Juni 1976 ohne die Erlaubnis lokaler
Bischöfe Priesterweihen vornahm, suspendierte ihn Papst Paul VI. am 1. Juli
1976 "a divinis", was der Erzbischof jedoch so auslegte, daß er nur
die Neue Messe nicht mehr lesen dürfe, die er sowieso ablehnte.
Daß die Kirche seit 1965
andere Wege beschreitet, steht außer Frage und wird selbst von ihren
Amtsträgern nicht bestritten. Schlagworte auf diesem Weg sind ein "neues
Pfingsten", die "Hinwendung zur Welt" und ein notwendiges
"modernes Pastoral". Inzwischen sind auch die Früchte des Zweiten Vatikanischen
Konzils nicht mehr zu übersehen: dramatischer Priestermangel, massenhafter
Kirchenaustritt, allgemeine Unwissenheit in Glaubensfragen, leere Kirchen,
zahlreiche Mißbräuche der Sakramente.
Rom hatte gehofft, daß sich
der "Fall Lefebvre" letztlich biologisch lösen würde, indem der
Erzbischof stürbe und damit weitere Priesterweihen nicht mehr möglich würden.
Um diese Gefahr abzuwenden, weihte Lefebvre am 30. Juni 1988, drei Jahre vor
seinem Tod, in höchster Gewissensnot vier Hilfsbischöfe: Bernard Fellay,
Bernard Tissier de Mallerais, Richard Williamson und Alfonso de Galarreta.
Fellay ist heute Generaloberer der Priesterbruderschaft.
Mit der unerlaubten Weihe war
für den Vatikan das Maß voll, Papst Johannes Paul II. exkommunizierte Lefebvre
und seine Bischöfe. Seitdem gilt die Piusbruderschaft als eine
"schismatische" Gemeinschaft, obwohl sie den Papst unverändert als
Oberhaupt der Kirche anerkennt.
Doch die päpstlichen Behörden
mußten auch erkennen, daß der Wunsch nach der Tradition nicht einfach
übergangen werden kann. Daher gründete man die Arbeitsgemeinschaft
"Ecclesia Die", dessen Vorsitz zur Zeit Kardinal Hoyos innehat. Sie
hat die Aufgabe, die "Ewiggestrigen" zu versorgen ‑ und zu
kontrollieren. Hier und da werden sogenannte "Indultmessen" nach
tridentinischen Ritus erlaubt.
Unter Hoyos' Aufsicht agieren
auch die nach 1988 gegründeten traditionalistischen Vereinigungen wie etwa die
Petrusbruderschaft, die Johannesbruderschaft, die Priestergemeinschaft Pfarrer
von Ars ‑ und eben auch das Oratorium Philipp Neri in Berlin. So gesehen
können sie alle nur existieren, weil es da diesen renitenten Erzbischof gegeben
hatte und eine Gemeinschaft, die nicht bereit ist zu faulen Kompromissen.
Warum aber schließen sie
keinen Frieden mit Rom, wenn es doch die anderen auch können und wenn Rom doch
offenbar "ein ausgesprochen großzügiges Angebot" in der Schublade
hat? Ganz einfach: Die Priesterbruderschaft St. Pius X. möchte kein
Folkloreverein werden, der sich mit dem Pomp des Barock und einer alten
Liturgie zufrieden gibt. Die Piusbrüder wollen das Übel an der Wurzel anpacken,
sich nicht in einer "Schmuddelecke" der Hierarchie verkriechen,
schikaniert und gedemütigt wie die anderen.
Es ist völlig klar, daß Hoyos
nie nach Berlin gekommen wäre, um einem "Klub" mit vier, fünf Mitgliedern
päpstliche Rechte zu verleihen, wenn Goesche nicht glaubhaft versichert hätte,
daß er viele Piusbrüder auf seine Seite ziehen könne, da deren Mißmut über die
Oberen groß sei. Doch diese Rechnung ist nicht aufgegangen. Pfarrer Markus
Rindler, der am 9. Oktober geweiht wurde, ist ein Zögling aus Econe, und
weitere Kandidaten sind vorerst nicht in Sicht.
Derweil steht es um die
Finanzen der "Neristen" schlecht, wenn man den Hilferufen Glauben
schenken mag. Und das, obwohl der Berliner Kardinal Sterzinsky den neuen Verein
angeblich "mit offenen Armen" empfangen habe. Wer den als Modernisten
geltenden Georg Kardinal Sterzinsky kennt, weiß, wie fern ihm die Tradition
ist. Die schnelle Anerkennung des Instituts St. Philipp Neri darf man ruhig als
einen römischen Schachzug werten, der die "Spalter" weiter spalten
sollte. Denn wer teilt, der herrscht. ALEXANDER
BARTI
Quelle: JUNGE FREIHEIT vom 10. Dezember 2004