Über die traditionelle Haltung der katholischen Kirche zum Liberalismus

 

"Am Tag der Darstellung Jesu im Tempel sagte der Greis Simeon unter dem Anhauch des prophetischen Geistes zur Allerseligsten Jungfrau, ihr göttlicher Sohn werde als Zeichen des Widerspruchs in die Welt kommen, das für viele den Untergang und für viele die Auferstehung mit sich bringen werde. Den Charakter seiner göttlichen Sendung hat Jesus Christus seiner Kirche übertragen, und dies liefert die Erklärung dafür, daß in der Frühzeit des Christentums die Häresie zum Angriff auf die Glaubenswahrheiten antrat. Dieser Widerspruch hat seither nicht aufgehört, doch hat er sich gewissermaßen in jedem Jahrhundert gewandelt und ein neues Gesicht angenommen, sobald der vorhergehende Irrtum vollständig vernichtet oder entlarvt worden war. Um uns auf die letzten drei Jahrhunderte zu beschränken: Im sechzehnten dominierte die protestantische Häresie; der Jansenismus (1718 gebannte katholische Richtung, welche die Gnadenlehre des Augustinus entgegen der Kirchenlehre zur Unwiderstehlichkeit der Gnade überspitzte) versuchte, das siebzehnte zu korrumpieren, und im achtzehnten strebte der philosophische Naturalismus danach, die Grundlagen der Gesellschaft selbst umzustürzen. Im neunzehnten Jahrhundert stieß zu den Überresten dieser Irrtümer ein neuer hinzu, der womöglich noch gefährlich als die früheren, weil subtiler ist: Statt diesen oder jenen Punkt der Lehre ins Visier zu nehmen, versucht er die Lehre als Ganzes zu unterwandern, um sie durch und durch zu verderben ... Es handelt sich um den Liberalismus. ... Auf praktischer Ebene ist er eine Sünde gegen die heiligen Gebote Gottes und der Kirche, weit er sie alle überschreitet. Um es klarer zu sagen: Auf der Ebene der Lehre ist der Liberalismus die radikale und universale Häresie ... Auf praktischer Ebene ist er die universale und radikale Verletzung des Gesetzes Gottes, weil er sämtliche Verstöße gegen dieses erlaubt ... Er leugnet die absolute Herrschaft Jesu Christi, Gottes, über die Einzelmenschen und menschlichen Gemeinschaften ... Er leugnet die Notwendigkeit der göttlichen Offenbarung und die Verpflichtung eines jeden Menschen, sie anzunehmen, wenn er seine letzte Bestimmung erreichen will ... Nach dieser allgemeinen, allumfassenden Leugnung leugnet der Liberalismus jedes Dogma ganz oder teilweise, je nachdem, wieweit es im Widerspruch zu seinem rationalistischen Urteil steht. Beispielsweise leugnet er den Glauben an die [Notwendigkeit der] Taufe, wenn er die Gleichheit der Religionen annimmt oder voraussetzt ... Auf praktischer Ebene ist der Liberalismus die radikale Unmoral. Er ist dies, weil er das Prinzip oder die Grundregel jeder Moral zerstört, welches die ewige, der menschlichen Vernunft überlegene Vernunft Gottes ist; weil er das absurde Prinzip der unabhängigen Moral verficht, die im Grunde die Moral ohne Gesetz, die freie Moral ist... Ja, der Liberalismus ist in all seinen Abstufungen und in all seinen Formen sehr wohl formell verurteilt worden, so daß, abgesehen von der ihm innewohnenden Hinterlist, die ihn böse und verbrecherisch macht, für jeden glaubenstreuen Katholiken gegen ihn die höchste und unwiderrufliche Erklärung der Kirche steht, die ihn als böse und verbrecherisch verurteilt und dementprechend in Acht und Bann getan hat ..."

 

Quelle:  Don Félix Sarda y Salvany in "Le libéralisme est un péché", S. 8, 9, 10, 37; Ed. Téqui 1910, vom heiligen Pius X. gelobtes Werk

 

Anmerkung: Eng verwoben mit dem Liberalismus ist die Freimaurerei, die zumindest seit der Gründung der ersten Großloge 1717 in London als erbittertste Feindin der katholischen Kirche anzusehen ist.