Die erste Großloge
Dieses neue, islamisierte Alexandrien erlebt
nun um 1004 herum, die Einrichtung eines Dar ul Hikmat, eines "Hauses der Weisheit" durch den
später von seinen Anhängern zur Gottheit erklärten Khalifen
Hakim. Es war nichts anderes als der Sitz einer Loge,
der ersten Großloge der Geschichte.
Bald schon wird sie zur Schule der Tempelritter. Die hier gelehrte Weisheit
baute auf auf den Gedanken jenes Abdullah
Ibn Maymuns, der 872 die islamische Sekte der Ismailis sich
untertan gemacht hatte (weitere
Einzelheiten dazu bei Nesta H. Webster:
"Secret Societies and Subversive Movements",
London 1924, S. 37). Abdullah Ibn
Maymun benutzte die vorgegebene Kenntnis von
angeblich ihm von Ismail (dieses war der ältere Sohn
von Jafar as-Sadik, seinerseits
allen Schiiten rechtmäßiger Nachfolger Alis) überkommenen Geheimnissen, um die diesem gehorchende
Sekte der Ismailiden an sich zu ziehen. Er benutzte
jedoch solche Sprüche nur als Maske für seine im eigentlichen materialistischen
Ziele, die er dann in einer von ihm gegründeten Sekte mit dem Namen der Bitini zu erreichen suchte. Der holländische Historiker Reinhardt P. Dozy beschreibt
seine Absichten folgendermaßen: "Er band Sieger und Besiegte zu einem
einzigen Körper zusammen, er vereinte in der Form einer großen Geheimgesellschaft
mit vielen Graden der Einführung Freidenker, die die
Religion lediglich als Kandare fürs Volk betrachteten, und religiöses Fanatiker
aller möglichen Sekten. Er machte aus Gläubigen Werkzeuge, anstatt den
Skeptikern Macht zu verleihen. Er veranlaßte Eroberer, die von ihnen
geschaffenen Reiche wieder zugrunde zu richten. So baute er eine Partei auf,
die zu gegebener Zeit den Thron, wenn nicht ihm selbst, so doch seinem
Nachfolger geben würde. Eine außerordentliche Konzeption, die er mit
bewundernswertem Talent, unvergleichlichem Geschick und tiefreichender
Kenntnis des menschlichen Herzens ausarbeitete. Nicht unter den Schiiten suchte er dabei seine treuen Anhänger, sondern
unter den Manichäern, den Heiden von Harran und den Studenten griechischer Philosophie. Nur auf
diese konnte er bauen, ihnen allein konnte er nach und nach, von Grad zu Grad
das letzte Geheimnis enthüllen und offenlegen, nämlich, daß Imame, Religionen
und Moral nichts als Schwindel und Albernheiten sind. Der Rest der Menschheit,
die "Asses", wie er sie nannte, war unfähig, derartige Lehren zu
begreifen. Aber, um ans Ziel zu kommen, lehnte er keineswegs ihre Hilfe ab. Im
Gegenteil, er warb um sie, aber er trug Sorge, devote und bescheidene Seelen
nur in die ersten Grade seiner Sekte aufzunehmen. Seine Missionare, denen als
allererstes eingeschärft war, ihre eigenen Gedanken zu verbergen und sich der
Meinung ihrer Zuhörer anzupassen, erschienen in vielfacher Verkleidung und
sprachen in unterschiedlicher Sprache zu jeder Klasse ... Auf solche Weise
erreichte er das Außerordentliche, daß nämlich eine Menge von Männern
verschiedensten Glaubens zusammenarbeitete für ein Ziel, das nur wenige von
ihnen überhaupt kannten!
Erreichte
also Abdullah Ibn Maymun durch den Aufbau seiner Sekte in Graden, die sich
durch unbedingten Gehorsam nach oben und vollkommene Verschwiegenheit nach
unten auszeichneten, daß der Inhalt des Wissens und Wollens beliebig oft auf
diesem Wege nach oben geändert werden konnte, und wandte er diese Taktik insbesondere
auf dem Gebiet der Religion an, wo er tiefgläubige
Menschen in den unteren Graden so zu Werkzeugen von Atheisten formte, so läßt
sich ein solches System natürlich auch auf beliebig andere Transformationen im
Laufe des nach oben führenden Zyklus anwenden. Es wird dem Leser nicht schwer
fallen, in diesem Augenblick schon zu verstehen, was es darum z. B. bedeutet,
wenn in unseren heutigen Tagen vor den Augen ihrer Oberen in einer Loge (wir
nehmen ganz konkret die Münchner Freimaurerloge
"Zur Kette" uns vor und zitieren aus ihrem eigenen 1972
herausgebrachten öffentlichen Werbeprospekt) Logenbrüder "Auseinandersetzungen"
im Rahmen ihrer "Arbeit an der Humanisierung
dieser Welt" vornehmen, wobei sie "pazifistisch oder patriotisch,
revolutionär oder reaktionär, liberal oder autoritär, sozialistisch oder egalitär, national oder weltbürgerlich gesinnt" sein
können und sich "mit diesen Gedanken im Wechselgespräch auseinandersetzen".
Steht dann schon am Anfang die Erlaubnis, daß "die so verstandene
Brüderlichkeit den einzelnen ebenso dazu veranlassen kann, seinem Staat zu widerstehen
... wie seinen Staat zu unterstützen", also von Anfang an alle staatsfeindlichen
und religionsfeindlichen (denn "Aufnahmebedingung
ist, nicht dogmatisch fixiert zu sein") Betätigungen toleriert, Anzeigepflichten für derartiges, von der Obrigkeit als
Verbrechen bezeichnetes Vorgehen also grundsätzlich negiert, so wird die Loge,
wie sie es längst in den letzten 250 Jahren immer wieder geworden ist, zum
Brutplatz des Umsturzes. Doch, mehr noch, durch eine Förderung der in solchen
Diskussionen im Sinne der Oberen sich produzierenden Brüder kann aus ihnen eine
Auslese getroffen werden, der auch diejenigen, die eine solche bemerken
sollten, deswegen nichts entgegenzustellen haben, weil sie sich zur Verschwiegenheit
verpflichteten. Niemand sagt dem Eintretenden, welcher politischen Idee denn
nun die Oberen huldigen, die ja doch auch ebensogut revolutionär und
sozialistisch wie reaktionär sein können, von deren Einstellung aber ja doch
wohl die Machtrichtung des ganzen Gebäudes ausgeht. Niemand nennt ihnen auch
nur die Namen dieser Oberen! Nicht ihnen und auch nicht der Öffentlichkeit in
der vor dieser Organisation selbst und von niemandem anders errichteten
Demokratie. Nicht also begeisternde Worte wie 'Selbstverwirklichung jedes Einzelnen
durch Erkenntnis von Natur, Geist und Würde des Menschen" können hier noch
zählen, sondern einzig und alleine die Taten dieser Gruppe, dieser
"Menschen von gutem Ruf", und da sieht's sehr schwarz aus, denken wir
nur an Hiroshima ...
Quelle: "Das verschleierte Bild zu Sais" von Juan Maler, Buenos Aires 1974, S. 40 - 42
Unbestreitbar waren die Fatimiden Imperialisten und sahen in der Verdrängung des sunnitischen Kalifats ihr letztes
Ziel; die politische Lage beschränkte sie jedoch auf die übliche »Glacis-Sicherung« in Syrien, die sich freilich zuweilen
bis über Aleppo hinaus und auf mesopotamische
Städte wie Harran und Raqqa
ausweitete, und auf die Sicherung des Indienhandels durch ihren Einfluß im
Jemen (ein Stützpunkt im Indusbecken mit Multan als Zentrum ging an die Ghaznawiden
verloren). Diese in der Natur der ägyptischen Wirtschaft liegende Tendenz
überdauerte die Dynastie und machte sich auch heute wieder bemerkbar. Mekka und
Medina, die auf ägyptische Getreidelieferungen
angewiesen waren, fügten sich ohne Widerstreben der profitablen Oberhoheit der schiitischen Machthaber. Die in der genizah, dem »Archiv« einer
jüdischen Synagoge in Kairo gefundenen Dokumente, vor allem aus dem 9. bis 12. Jahrhundert,
die umfänglichste Sammlung ihrer Art aus dem islamischen
Mittelalter, illustrieren eindrucksvoll die wirtschaftliche Tätigkeit der Zeit;
sie werfen auch ein Licht auf die Situation der jüdischen Gemeinde, deren
Position unter den Fatimiden günstiger war als jemals
in den ersten tausend Jahren der muslimischen
Geschichte. Diese über Toleranz weit hinausgehende Haltung beruhte wohl auch
auf der Indifferenz des inneren Zirkels der Ismailiten
gegenüber den Äußerlichkeiten der Religionen, eine Einstellung, die ihnen auch
die Auslandspropaganda in nichtmuslimischen Kreisen
und den um 1040 mit Byzanz geschlossenen Frieden psychologisch erleichterte.
Nachdem aber der dritte Kalif, al‑Hakim
bi'amr Allah (996‑1021), eine Zeitlang gegen
die Sunniten vorgegangen war, wendete er sich
plötzlich gegen Christen und Juden und zerstörte zahlreiche Gotteshäuser,
darunter die Grabeskirche in Jerusalem. Diese Verfolgung, von 1008 bis 1015, mag
wohl ebenso von sunnitischem Gegendruck wie von dem
gewandelten religiösen Selbstverständnis des Kalifen
ausgelöst worden sein. Jedenfalls fühlte sich der Herrscher wenige Jahre später
als Inkarnation der göttlichen Vernunft oder ließ sich zumindest als solche
verehren. Ein Zornausbruch des Volkes wurde kaltblütig und grausam unterdrückt.
Der Kalif griff auch sonst aus nicht ganz faßbaren
religiösen Motiven tief ins Privatleben seiner Untertanen ein; bald nach seinem
Regierungsantritt verbot er den Frauen bei Todesstrafe jegliches Ausgehen und
den Männern das Ausgehen bei Nacht. Schließlich verschwand er 1021 auf bis
heute ungeklärte Weise bei einem nächtlichen Gang durch die Stadt.
Quelle: "Der Islam" von Gustav Edmund
von Grunebaum in "Propyläen
Weltgeschichte", Berlin / Frankfurt a. M. 1963, S. 134 f
Der faßbare Ursprung der ismailitischen Esoterik findet sich schon im Bagdad des
beginnenden achten Jahrhunderts, nämlich in den Lehren der sogenannten Mutazila, jener für konservative Moslems einleuchtenderweise zwangsläufig »Abtrünnigen«.
Während es für die Traditionalisten keinen Zweifel daran gab und gibt, daß der
Koran ungeschaffen vor aller Menschheitsgeschichte
schon bei Gott existiert habe und es daher an dieser Mohammed übergebenen
Botschaft nichts mehr zu deuten und zu diskutieren gebe, waren die Mutazila der Meinung, Worte seien noch allemal allzu
menschlich und könnten daher eine möglicherweise göttliche Wahrheit niemals
erschöpfend ausdrücken. Folglich müßten sich wohl auch in den Worten des
Propheten allerlei menschliche Widersprüche eingeschlichen haben. Ein kritisch
denkender Mensch könne also in der ursprünglichen Fülle des Koran durchaus
völlig neue, ungewöhnliche Zusammenhänge entdecken.
Unter dem Einfluß dieser Lehre
erlebte Bagdad nach dem Tod Harun‑alRaschids
tatsächlich eine wahre Blütezeit solch kritischen und ketzerischen Geistes. Im
sogenannten Dar‑al‑Hikmat, dem »Haus der
Weisheit«, wurden Tag für Tag von einem unübersehbaren Heer von Gelehrten aller
Art Werke aus dem Griechischen, Persischen und aus dem Sanskrit
übersetzt. Es gab keine Wissenschaft und keine Kunst, mit der man sich nicht
beschäftigt hätte. Harun‑al‑Raschids Sohn
Al Mamun beispielsweise lud neben Moslems auch Juden,
Christen und altpersische Zarathustra‑Priester
zu weltoffener Diskussion.
849 freilich war es mit diesen
Freiheiten schon wieder vorbei. Die »Ketzer« wurden aus Bagdad verjagt, und in
der Stadt der Märchen aus 1001 Nacht kehrte wieder der rechte Glaube ein. Die
von den Mutazila, den Abtrünnigen, verbreitete Lehre
hatte jedoch ihr Eigenleben. Sie findet sich bald darauf in modifizierter Form
wieder in der ismailitischen Sekte der Batini und nicht zuletzt in der inneren, also esoterischen
Lehre der von der ismailitischen Großloge in Kairo
aus durch die arabische Welt ziehenden »da'is«, eine
Lehre, die die meisten Glaubensvorstellungen des
Islam schlicht und einfach leugnet.
Das Wort »batin«,
von dem sich der Name der Batini herleitet, sagt
schon einiges über das Wesen dieser Lehre aus: »batin«
bedeutet »innerlich«, »innen«, weist also auf eine innere, nur den Eingeweihten
zugängliche Lehre hin.
Und so sahen es die Batini auch: Der Wissende, so sagten sie, verstehe die
Aussagen des Koran nicht wörtlich, sondern nur als Gleichnis. Mit seinem
begrenzten Verstand könne der durchschnittliche Mensch und Gläubige lediglich
den »zahir«, das Äußere einer Lehre, erkennen. Er
begreife nicht, daß Himmel und Hölle nur Symbole für das irdische Sein seien.
»Himmel« bedeute nichts anderes, als daß der Mensch sich letzten Endes aus
allen niedrigen Leidenschaften befreien und so in die höheren, befreienden
Sphären des Geistigen und der Idee aufsteigen könne, während »Hölle« nichts
anderes aussage, als daß die Seele an die irdische Welt gebunden bleibe.
Allein die Imame seien
imstande, die innere Wahrheit, das »batin« des Koran
zu ergründen, während es Aufgabe der »batini« sei,
deren Erleuchtungen zu deuten: Das eigentliche Wissen hatte also unter autokratisch‑autoritärem Verschluß zu bleiben.
Um die Jahrhundertwende herum
wurde schließlich durch den von seinen Anhängern 1017 zur Inkarnation Gottes
erklärten fatimidischen Kalifen
Hakim in Alexandrien ein
neues »Dar‑al‑Hikmat«, ein neues »Haus
der Weisheit«, begründet, es war nichts anderes oder nichts weniger als der
Sitz der Loge, der ersten Großloge der Geschichte, der Großloge von Kairo. Die
hier gelehrte Weisheit begründete sich im wesentlichen auf den Lehren der Batini‑Sekte, die wiederum auf den Gedanken ihres
Begründers Abdullah ibn Maymun aufbauten, die diesem unmittelbar von Ismail selbst, Jafar‑as‑Sadiqs
älterem Sohn, überkommen sein sollen.
Auch organisatorisch entsprach
die »Schule der Weisheit« der Vorlage Maymuns. Für
die in der ismailitischen Großloge eingeweihten
Meister waren die Namen und Begriffe der islamischen
Religion lediglich Chiffren, hinter denen die eigentliche Lehre verborgen war,
in der sich unschwer Elemente der neuplatonischen
Idee der Emanation (das Hervorgehen aller Dinge aus einem höchsten Ursprung), der arithmetischen
Symbolik, der Glaube an die Seelenwanderung und die stufenweise Evolution des
Menschen bis hin zur Göttlichkeit erkennen lassen. Die sieben Propheten
symbolisieren die Ebene der Weltvernunft beziehungsweise der Urvernunft als
höchste Stufe. Die sieben Imame symbolisieren die Stufe der Urmaterie, der Ober‑da'i beziehungsweise Meister steht für die Stufe
des Raumes, während der gewöhnliche »da'i« die Stufe
der Zeit symbolisiert. Durch diese Stufen hindurch kann der Mensch bis zur
Weltvernunft gelangen, und auf jeder dieser Stufen wird ihm eine neue Seite der
Lehre offenbart. Gemäß der schiitischen Geheimhaltungsdisziplin hatte jeder ismailitische
Eingeweihte jedoch seinen wahren Glauben verborgen zu halten und sich äußerlich
der jeweiligen Staatsreligion anzupassen. Das bedeutet, daß man selbst bei
einem erklärten Sunniten unter Umständen nicht sicher
sein konnte, ob er nicht insgeheim ein Geschöpf aus der ismailitischen
Großloge war.
Denn daß es deren Begründern,
allen voran Abdullah ibn Maymun, nicht bloß um die Geheimhaltung der von einem
orthodoxen islamischen Standpunkt aus gesehen mehr
als häretischen Lehre ging, sondern um ein geniales Instrument zum Aufbau einer
geistigen Macht durch politische Macht und Herrschaft, lassen Strukturen und
Aufbau dieser Organisation mit ihren zahlreichen Initiationsgraden
unschwer erkennen, mit deren Hilfe Freidenker mit rein materialistischen Zielen
ebenso wie Fanatiker verschiedenster Sekten und Religionen unter ein
gemeinsames Dach gebracht werden konnten.
Denn nicht in allererster
Linie unter Schiiten und Ismailiten
suchte sich beispielsweise Maymun seine treuesten
Anhänger aus, sondern vor allem unter den Manichäern,
den Heiden von Harran und den Studenten der
griechischen Philosophie, denen Grad um Grad die verschiedenen Geheimnisse
offenbart wurden. Da sich der Aufbau der Organisation Maymuns
durch unbedingten Gehorsam nach oben und vollkommene Verschwiegenheit gegenüber
den unteren Graden auszeichnete (wir kennen das schon von den Illuminaten Adam Weishaupts), war
es ihm auf diese Weise möglich, tiefgläubige Menschen
zu Werkzeugen von Atheisten und umgekehrt, Atheisten zu Werkzeugen religiöser
Fanatiker zu machen. Auf diese Weise arbeiteten zahlreiche Menschen verschiedensten
Glaubens und verschiedenster Weltanschauungen mit den verschiedensten
persönlichen Absichten zusammen zur Erreichung eines Zieles, das den meisten
von ihnen ein Leben lang unbekannt blieb, es sei denn, sie erlangten die
höchsten Grade der Einweihung. Man kann die Kairoer Großloge mit ihrem Alexandrinischen Ableger durchaus als die Urmutter aller
späteren Organisationen ähnlicher Art bis zur Hochgradmaurerei
unserer Tage betrachten. (Möglicherweise hat man in Ägypten gelacht, als
Napoleons General Kléber 1798 am Nil eine Freimaurer-Loge mit dem Namen »Isis«
gründete.)
Quelle: "Das schwarze Reich. Geheimgesellschaften und Politik im 20.
Jahrhundert" von E. R. Carmin, 5. Aufl., München
2000, S. 307-310