Drei Märtyrer
Titus Vogt, Prodekan des Martin Bucer Seminars, hat den Tathergang rekonstruiert. Er nahm an der Beisetzung von Necati Aydin teil,
einem der drei ermordeten Christen in Malatya am 18. April. N. Aydin
war Student des türkischen Studienzentrums
des Martin Bucer Seminars. In Izmir
sprach Vogt mit Hinterbliebenen und
Zeugen der Bluttat.
Die Mörder erschlichen sich seit Monaten das Vertrauen
Die
Mörder der ermordeten drei Christen hatten bereits seit
Monaten das Vertrauen der Opfer erschlichen, was auf eine
lange Planung der Bluttat schließen lasse. Sie zeigten Interesse am christlichen
Glauben und wollten mehr Informationen über
die Bibel und deren Inhalte und trafen sich dazu häufiger mit ihren zukünftigen Opfern. So kamen bereits am Vormittag des 18. April zwei der Täter in das Büro des Zirve-Verlages in Malatya. Sie unterhielten sich u.a. mit
Necati Aydin über seinen Glauben - wie so oft
in den vergangenen Monaten. Zu diesem
Zeitpunkt war neben Tilmann Geske noch
der Buchhalter Emin M. im Büro
anwesend. Im Laufe des Vormittags verließ M. das Büro und ahnte nicht,
dass er Aydin und Geske nicht mehr lebend
wiedersehen würde. Kurz danach kamen die anderen drei Täter und
begannen die ersten beiden Opfer zu
fesseln, währenddessen sie diese mit Pistolen bedrohten.
Bereits zwei Tage zuvor waren die Täter wegen des Hantierens mit
Pistolen kurzzeitig in Haft gewesen.
Sobald
sie ihre Opfer gefesselt hatten, begannen die Täter mit mitgebrachten Messern auf
die Christen am ganzen Körper einzustechen.
Kurze Zeit später kam Ugur Yüksel zum Büro, wurde sofort von den Tätern
hineingezogen und ebenfalls gefesselt. Als einige
Zeit später Gökhan T ins Zirve-Büro kommen
wollte, konnte er die Tür nicht aufschließen,
da sie von innen zugeschlossen war und der
Schlüssel steckte. Daraufhin versuchte T. im Büro anzurufen und erreichte schließlich Ugur Yüksel am Telefon. Dieser teilte ihm mit, dass ein vereinbartes Mitarbeitertreffen des
Zirve-Verlages nicht wie geplant im Büro stattfinden würde, sondern in einem bestimmten
Hotel. T hatte aber den Eindruck, dass irgend
etwas nicht stimmte und rief einen Freund
in der Stadt an. Dieser riet ihm, die Polizei zu alarmieren, was Gökhan
T. tat.
Als die
Polizei unmittelbar danach vor dem Büro eintraf, waren die Opfer noch
am Leben. Die Polizei forderte die Täter auf, die Tür zu öffnen, woraufhin
diese ihren Opfern die Kehlen durchschnitten. Als die
Polizei die Tür eingetreten und das Büro gestürmt hatte, konnte
sie Aydin und Geske nur noch tot bergen. Yüksel lebte noch und wurde mit schwersten
Verletzungen ins Krankenhaus gebracht, wo er aber trotz Notoperation verbunden mit der Gabe von 51 Blutkonserven seinen zahllosen Messerstichen erlag. Drei der Täter
konnten von der Polizei noch direkt im Büro
festgenommen werden, zwei weitere
versuchten, am Fallrohr der Dachrinne nach unten zu gelangen. Der erste dieser
beiden konnte im zweiten Stock, ein
Stockwerk unterhalb des Tatortes,
von der Polizei festgenommen werden. Der zweite, der Aussage der ersten vier Täter nach der Anführer der Gruppe, stürzte aus großer Höhe auf die Strasse, als sich das Regenfallrohr von
der Wand löste. Er wurde ins Krankenhaus
gebracht und lag einige Tage im Koma, sei daraus aber jetzt wieder
erwacht und werde verhört. Im Laufe der nächsten Tage wurden einige weitere Tatverdächtige festgenommen, u. a. der Sohn eines AKP-Bürgermeisters aus einem Ort in der näheren Umgebung von Malatya.
Die
ersten türkischen Märtyrer seit 1923
Auf der am Donnerstag Nachmittag einberufenen Pressekonferenz
in Malatya, sagte Pastor Ihsan Özbek (Ankara), Präsident
der Vereinigung protestantischer Gemeinden in der Türkei: „Gestern wurde die Türkei in der Finsternis
des Mittelalters begraben.“ Er verglich die
landesweit üblichen und seit Jahren kolportierten Verschwörungstheorien
gegen Christen, zu der eine regelrechte Phobie gegen Missionare gehöre, mit
der mittelalterlichen Hexenjagd in Europa.
Auf die Frage, weshalb Geske in Malatya war, antwortete Özbek, dass das an sich schon eine unverschämte Frage sei, da man in einem demokratischen Staat schließlich
auch nicht fragen würde: „was sie oder ich
denn gerade in Malatya tun“. Der Pastor fand so deutliche Worte, dass
türkische Medien titelten: „Eine
entsetzliche Brutalität, aber keine Überraschung“. Özbek zeigte sich
davon überzeugt, „dass das nicht der letzte
Märtyrer sein wird. Aber von ganzem Herzen wünschen wir, dass es der letzte sein würde.“ Necati Aydin und Ugur Yüksel sind die seit Gründung der türkischen
Republik im Jahre 1923 ersten
bekannten vom Islam zum Christentum konvertierten Gläubigen, die den
Märtyrertod gestorben sind. Ugur Yüksel wurde am Tag nach der Bluttat von
seiner Familie, die seinen christlichen Glauben vehement leugnet, nach
islamisch-alevitischem Ritus beerdigt.
Das deutsche Opfer wurde auf
Wunsch der Witwe am Freitag, den 20.04., auf dem armenischen Friedhof in Malatya beerdigt. Vorangegangen war ein zähes Ringen mit den örtlichen
Behörden, die eine Beerdigung von Geske in
der Stadt unbedingt verhindern wollten. Nicht zuletzt nach Druck
deutscher Behörden wurde der ursprünglich auf 14:00 Uhr festgesetzten Beerdigung mit
drei Stunden Verspätung
stattgegeben. An der Beerdigung nahmen nach Angaben von Augenzeugen etwa
100 Trauergäste aus der ganzen Türkei
teil. Necati Aydin, neben seiner
Tätigkeit im Zirve-Verlag Pastor der örtlichen
protestantischen Gemeinde, wurde am
Samstag, den 21.04., in seiner Heimatstadt Izmir unter großer
Anteilnahme von ca. 500 Trauergästen beigesetzt.
Das Medienecho in der Türkei war auch Tage nach der Tat enorm. Viele Türken
drückten in Leserbriefen ihre tiefe Abscheu gegen dieses Verbrechen aus.
Besondere Hochachtung erhielt die Witwe
Susanne Geske für ihre am Tag nach dem
Massaker in einem TV-Interview geäußerte Haltung, dass sie den Mördern ihres Mannes vergebe, wie
Christus am Kreuz gebetet habe: „Vater vergib
ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.“ Das sei auch der Grund, warum sie mit ihren Kindern in Malatya bleiben wolle.
Manche Leser schrieben sogar, dass sie jetzt erst recht das Neue Testament
lesen oder sich bei Nachfrage einfach als Christen bezeichnen wollten, weil sie mit
dem Islam nichts mehr zu tun haben wollten.
Gleichwohl ist
das Verbrechen kaum nur die Tat verblendeter
Jugendlicher, wird doch seit Jahren in den
Medien gegen Christen gehetzt. Dass
sie Muslime mit Geld zu einem
Glaubenswechsel bewegen wollten,
gehört. Noch zu den harmlosen Lügen, reichen doch die Vorwürfe bis hin zum
vermeintlichen Angebot der Prostitution.
Als Zeichen für diese Ambivalenz in der türkischen Gesellschaft Christen gegenüber können zwei Beispiele der Beerdigung von
Necati Aydin dienen: Bei der Überführung
des Sarges von Malatya nach Izmir per
Flugzeug passte der Sarg nicht ganz durch die Röntgenmaschine der
Sicherheitskontrolle des Flughafens. Daraufhin wurden, wie türkische Zeitungen berichteten,
die Griffe des Sarges abgebrochen. Und: Am Rande der unter großem Polizeischutz stehenden Beerdigung wurde einer
der Trauergäste von einem der Polizisten
als „Hurensohn“ beschimpft.
Quelle: STH
Postille Nr. 2 / 2007, Seite 3 f