Augsteins Bekehrung

 

Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei vorweg klargestellt,

daß der Titel nichts darüber aussagt, wie es um Rudolf Augsteins höchstpersönlichen Glauben bestellt war. Die Überschrift bezieht sich auf des Erzbishof Dybas frommen Wunsch.

 

Über die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) verbreitete der Erzbischof von Fulda, Johannes Dyba, den folgenden "Geburtstagswunsch" zum 50jährigen Bestehen des SPIEGEL:

 

Ein Bekenntnis zu Anfang: Seit meiner Rückkehr nach Deutschland (1983) bin ich Abonnent des SPIEGEL. Ich weiß sehr wohl, daß man aus der Fülle der Informationen und angeblich sicheren Recherchen längst nicht alles glauben oder für bare Münze nehmen darf, will man sich nicht völlig aufs Glatteis führen lassen.

 

Doch habe ich gefunden, daß man den SPIEGEL auch mit großem Nutzen zitieren kann. Wenn er etwa unsere "schamlose Gesellschaft" als "ein Volk im Schweinestall" sieht und herausfindet: "Die Tendenz zur Barbarei ist deutlich erkennbar auch im ehedem so reinlichen deutschen Fernsehen", das die Gossenprosa in den bürgerlichen Wohnstuben heimisch gemacht habe (Nr. 2/1993), dann kommen solche Feststellungen als SPIEGEL‑Zitate einfach eher an als entsprechende Originalworte deutscher Bischöfe.

 

Oder wer hat es vermocht, Rita Süssmuth zu veranlassen, sich für ein Titelbild (Nr. 7/1987) ein Riesenkondom über das Haupt ziehen zu lassen und damit eine ganze Epoche zu markieren?

 

Sein Meisterwerk hat der SPIEGEL allerdings im Fall Drewermann abgeliefert. Was man in Paderborn in monatelangen Unterredungen und endlosen Protokollen nicht zustande brachte, das hat der SPIEGEL (Nr. 52/1991) kurz und prägnant auf wenigen Seiten dokumentiert: Drewermanns glatte Leugnung zentraler Glaubenswahrheiten wie der Jungfrauengeburt und der Auferstehung Jesu und die Bezeichnung unseres Glaubensbekenntnisses als Aberglauben.

 

Bei den oft treffenden Beiträgen zur deutschen Nachkriegsmoral finde ich es besonders bedauerlich, daß der SPIEGEL ausgerechnet die eine Institution, die sich dieser Degeneration immer wieder entgegenstellt, stets bis aufs Blut bekämpft hat. Es mag genügen, auf die ausgesprochenen Schmähtitel zu vielen christlichen Hochfesten hinzuweisen. Verständlich wird das erst, wenn man zur Kenntnis nimmt, daß der Herausgeber des SPIEGEL ganz persönlich an ei­nem Kirchenhaß festhält, der wohl aus schwarzen Löchern in seiner Vergan­genheit stammt und inzwi­schen zunehmend krank­hafte Züge anzunehmen scheint.

 

Wo Kirche so behandelt wird, geht es ihren Vertretern, soweit sie nicht stumm blei­ben, nicht besser. Nach ein­schlägigen Untersuchungen sind Papst Johannes Paul II., die Kardinäle Ratzinger und Meisner sowie der Verfasser dieses Artikels die mit Abstand am häufigsten und am schärfsten angegriffenen Männer der Kirche. Aller­dings ist man da ja in guter Gesellschaft. Als Studenten in Bonn lasen wir fast wöchentlich, daß der Herausgeber des SPIEGEL Konrad Adenauer unbeirrbar für einen sklerotischen, dementen Greis hielt, der die Chancen der Zeit verpaßte und Deutschland in den Abgrund führte. Es genügt, die "Jens Daniel"‑Tiraden der fünfziger Jahre nachzulesen.

 

Da die kurze Hoffnung auf eine vernünftige Behandlung der Kirche im FOCUS geplatzt ist wie eine Seifenblase, werden wir wohl mit dem SPIEGEL weiterleben müssen. Daher ein Bekenntnis auch zum Schluß: Wenn eine gütige Fee mir drei Wünsche freistellen würde, wäre einer davon sicher die Bekehrung von Rudolf Augstein. Na, ist das kein guter Geburtstagswunsch?

 

Quelle: DER SPIEGEL 2 / 1997 / 14



 

 

Im Weihnachtsheft schrieb er (Rudolf Augstein) aus seinem Knast in Koblenz herzlichst dem »lieben Spiegel‑Leser«: »Ich erlebe meine gegenwärtige Lage als Christ, ich empfinde mein In‑Haft‑Sein als stellvertretend und als Rückwurf eines, der vom Glück immer zu sehr begünstigt war (DER SPIEGEL vom 19.12.1962, S. 23)

 

In seinem »Kämmerlein«, wie er die Gefängniszelle nannte, türmten sich theologische Werke, die ihm die Bibel erklären sollten, nachdem er bereits im November eine ganze Kolumnelang geschwärmt hatte über die »wundersame Kräftigung, die von den alten Texten ausgeht«. (DER SPIEGEL vom 21.11.1962, S. 38)

 

Die Rumpfredaktion hatte dazu drei Wochen später an die vier Dutzend vorwiegend negative Leserbriefe abgedruckt. »Dass Augstein schon nach drei Wochen Haft zu spinnen beginnen würde, hätte ich nicht gedacht!« schrieb Spiegel-Leser Fritz Feder aus Speyer, und Günter von Hagen aus München erlaubte sich beunruhigt die Frage: »Was treibt man mit ihm in der Untersuchungshaft?« (DER SPIEGEL 12.12.1962, S. 7)

 

Aus der Zelle antwortete Augstein: »Über hundert Briefe von Professoren, Vikaren, Pastoren, Studenten habe ich bekommen, Briefe fast durchweg voller Sympathie, aber durchweg voller Bedauern Er entschuldigte seinen Anfall von Christentum mit redaktionellen Problemen. Die Glosse über die Bibel sei »in einer gewissen Notlage« geschrieben worden:

 

»Eine für meine Begriffe wohlgelungene Philippika gegen die vier Parteien des Bundestags sollte nach Meinung der Rumpfredaktion nicht ins Heft, aus taktischen Gründen nicht, weil der schon abfahrende Zug, der letzte Woche an seiner Endstation Regierungsumbildung angekommen ist, sonst leicht hätte gebremst werden können.« (DER SPIEGEL vom 19.12.1962, S. 23)

 

Das war es kaum, die geschäftsführende Redaktionsleitung hatte Augstein einfach beiseite geschoben, sein Griff zur Bibel war ein versteckter Hilferuf.

 

Quelle: "Rudolf Augstein. Ein Leben für Deutschland" von Otto Köhler, Knaur-Taschenbuch, München 2003, S. 136 f



 

 

Man sieht nicht recht, wie die Kirchen überleben können, wenn sie zugeben, was sie nicht zugeben dürfen, daß sie nämlich auf uralten Fiktionen gründen, auf geronnenen Menschheitsträumen früher Zeiten. Aber man sieht auch nicht, wie wir uns gegen die Zumutung namentlich der Römischen Kirche wehren können, ohne zu verletzen, was wir ihr und allen unversehrt gerne lassen würden: den unbewußt erdichteten Jesus der urchristlichen Gemeinde.

 

Wer die Evangelien von Kind auf gehört hat, der meint in ihnen bei allen Abstrichen und Erkenntnissen einen unverwechselbaren Ton zu erkennen, dem man nur nachgehen müsse, um auf den Menschen Jesus zu stoßen. Aber je tiefer man eindringt, desto ununterscheidbarer fließt der Klang mit anderen Chorgeräuschen zusammen. Was einst geleuchtet hat, zerflimmert in Fließfarben ‑ dies der Einwand gegen alle wissenschaftliche Theologie und auch gegen dieses Buch.

 

Quelle: "Jesus Menschensohn" von Rudolf Augstein, S. 12

 

 

"Wo die existentielle Erfahrung mit Gott fehlt, wird sich kaum etwas Vernünftiges über Gott sagen lassen."

 

Quelle: Holger Kaiser - im SPIEGEL-Leserbrief (2/1997/7) zum Artikel "Lust am Bösen - Der göttliche Teufel"