Otto Schily gegen Dr. Theodor Prinzing
Wie im Vorfeld des Stammheimer Prozesses gegen
Andreas Baader u.a. von langer Hand die Geschäftsverteilung manipuliert wurde
Antrag zur Einstellung des Verfahrens wegen Nichtzuständigkeit des
Richters
In der Strafsache
./. Andreas Baader u.
a. (hier Gudrun Ensslin)
wird beantragt,
das Verfahren gemäß § 260 der
Strafprozeßordnung in Verbindung mit Art. 6 der Menschenrechtskonvention, Art.
101 des Grundgesetzes und § 16 des Gerichtsverfassungsgesetzes einzustellen.
Begründung:
»Diese Erfahrungen, sein
Durchblick, sein Durchsetzungswillen und der erkennbare Ehrgeiz waren es, die
auf ihn deuteten, als man 1973 in Stuttgart
nach dem geeigneten Mann für den Baader‑Meinhof‑Prozeß suchte.«
Nachzulesen in dem in der
Zeitung »Die Welt« (Ausgabe vom 17. Mai 1975, S. 3) veröffentlichten Bericht unter der Überschrift "Richter
Prinzing darf kein Gesicht mehr zeigen".
Der geeignete Mann mit
»Erfahrungen, Durchblick, Durchsetzungswillen und erkennbarem Ehrgeiz«, der im
Jahre 1973 für den Baader‑Meinhof-Prozeß
gesucht und gefunden wurde, ist der heute amtierende Vorsitzende des 2. Strafsenats
des Oberlandesgerichts, Dr. Theodor Prinzing.
In dem Bericht der Zeitung
»Die Welt« wird offen zugegeben, was in anderen Presseberichten bisher nur
angedeutet wurde: der Vorsitzende, der die Hauptverhandlung in diesem Verfahren
leiten soll, ist von den Staatsschutzbehörden ausgesucht worden.
Die Bestellung von Dr.
Prinzing zum Vorsitzenden für das vorliegende Verfahren kam auf folgende Weise
zustande:
Auf Weisung der
Bundesregierung in Übereinkunft mit der Landesregierung in Baden‑Württemberg
wurde im Jahre 1973 Stuttgart als
Prozeßort von der Bundesanwaltschaft bestimmt.
Vorsitzender des 2.
Strafsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart, der für das vorliegende Verfahren
nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständig ist, war im Jahre 1973 der Vorsitzende Richter Hänle. Dieser
erschien der Bundesregierung, dem Generalbundesanwalt und der Landesregierung
von Baden‑Württemberg nicht geeignet, in dem Verfahren gegen die Rote
Armee Fraktion tätig zu werden. Aus diesem Grunde wurde zwischen dem ehemaligen
Generalbundesanwalt Martin und dem Justizminister von Baden-Württemberg,
Traugott Bender, im Jahre 1973 nach Absprache mit der Bundesregierung
vereinbart, den Vorsitzenden des 2. Strafsenats des Oberlandesgerichts
Stuttgart auszuwechseln und anstelle des bisherigen Vorsitzenden Hänle den Vorsitzenden
Richter am Landgericht, Dr. Prinzing, zu berufen, weil dieser über »Erfahrungen
in Monster-Prozessen, Durchblick, Durchsetzungsvermögen und erkennbaren
Ehrgeiz« verfüge. Um den Wechsel im Vorsitz des 2. Strafsenats herbeizuführen,
mußte zunächst eine entsprechende Richterstelle für den bisherigen Vorsitzenden
Hänle freigemacht werden. Dementsprechend wurde dem bisherigen Vorsitzenden des
1. Strafsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart, Xaver Hoch, nahegelegt, sich
um den Posten eines Ministerialdirigenten im Justizministerium von BadenWürttemberg
zu bewerben. Er wurde in die besondere Situation eingeweiht, die durch die Wahl
von Stuttgart als Prozeßort entstanden war. Der Vorsitzende Richter des 1.
Strafsenats, Xaver Hoch, erklärte sich daraufhin bereit, den Vorsitz des 1.
Strafsenats aufzugeben und sich, obwohl er bisher eine solche Bewerbung nicht
in Erwägung gezogen hatte, für die Stelle im Justizministerium zu bewerben.
Nachdem eine Unterredung über den bezeichneten Themenkreis zwischen Justizminister
Bender, dem damaligen Generalbundesanwalt Martin, dem Generalstaatsanwalt beim
OLG Stuttgart, Weinmann, und dem ehemaligen Oberlandesgerichtspräsidenten Henn
stattgefunden hatte, reichte der Vorsitzende Richter beim OLG Stuttgart, Xaver
Hoch, seine Bewerbung ein. Der Bewerbung wurde innerhalb relativ kurzer Frist
entsprochen. Mit der Ernennung des bisherigen Richters Hoch zum
Ministerialdirigenten wurde die Stelle des Vorsitzenden des 1. Strafsenats
frei, für die sich nunmehr entsprechend den getroffenen Absprachen der
bisherige Vorsitzende des 2. Strafsenats, der Zeuge Hänle, bewarb. Auch dieser
Bewerbung wurde entsprochen, und Hänle wurde zum Vorsitzenden Richter des 1.
Strafsenats des OLG Stuttgart ernannt. Auf diese Weise war der Vorsitz im 2. Strafsenat
vakant geworden. Gemäß den internen Vereinbarungen zwischen dem
Generalbundesanwalt und dem Justizminister des Landes Baden‑Württemberg
bewarb sich für den Vorsitz Dr. Theodor Prinzing, der bisherige Vorsitzende
Richter einer Jugendstrafkammer. Er wurde, wie vorgesehen, am 4. 2. 1974 zum
Vorsitzenden Richter des 2. Strafsenats ernannt und damit zum Vorsitzenden in
dieser Hauptverhandlung berufen.
Aus dem dargelegten Sachverhalt
ergibt sich, daß der Vorsitzende Richter Dr. Prinzing unter Verstoß gegen Art.
101 des Grundgesetzes, Art. 6 der Menschenrechtskonvention und § 16 des
Gerichtsverfassungsgesetzes von der Bundesanwaltschaft eingesetzt und die
Angeklagten ihrem gesetzlichen Richter entzogen worden sind. Allein durch die
personelle Besetzung des Vorsitzes für das vorliegende Verfahren ist ein
Ausnahmegericht geschaffen worden, das nach den genannten Vorschriften verboten
ist. Nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts soll Art. 101, Abs.
1, S. 2 des Grundgesetzes der Gefahr vorbeugen, daß die Justiz durch eine
Manipulierung der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt
wird, insbesondere daß im Einzelfall durch die Auswahl der zur Entscheidung
berufenen Richter ad hoc das Ergebnis der Entscheidung beeinflußt wird, gleichgültig,
von welcher Seite die Manipulierung ausgeht (Beschluß des 2. Senats des
Bundesverfassungsgerichts vom 24.3.64, BVerfGE 17, 299). Der Betroffene hat
einen Anpruch darauf, daß der Rechtsstreit, an dem er beteiligt ist, von seinem
gesetzlichen Richter entschieden wird. Dies bedeutet, daß in jedem Einzelfall
kein anderer als der Richter tätig werden und entscheiden soll, der in den
allgemeinen Normen der Gesetze und Geschäftsverteilungspläne der Gerichte dafür
vorgesehen ist. Dieser Richter darf nicht durch Eingriffe Unbefugter verdrängt
werden (Urteil des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. März 1956, BVerfGE
4, 416; ebenso BVerfGE 21, 145).
Mit den von der
Bundesregierung, der Landesregierung von Baden-Württemberg und der Bundesanwaltschaft
getroffenen Maßnahmen unter Einsetzung von Dr. Prinzing als Vorsitzendem
Richter für dieses Verfahren ist unwiderrufbar die Möglichkeit beseitigt
worden, das Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durchzuführen. Denn
sämtliche Maßnahmen lassen sich nicht mehr rückgängig machen.
Da das Verfahren nicht mehr
ohne Verletzung des fundamentalen rechtsstaatlichen, in der Verfassung
verankerten Grundsatzes des gesetzlichen Richters durchgeführt werden kann, muß
es eingestellt werden.
Im Hinblick darauf, daß die
Einstellung des Verfahrens anzuordnen ist, müssen die Angeklagten auch aus der
Untersuchungshaft entlassen werden.
Ich beantrage daher,
den Haftbefehl des
Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes vom 19. Mai 1971 (BGs 295/70 in der
Fassung des Beschlusses des Untersuchungsrichters des Oberlandesgerichts
Stuttgart vom 6. Mai 1974 (OVU 1/74) aufzuheben.
Quelle: "Politische Prozesse ohne Verteidigung?", Berlin 1976,
S. 86 - 88