Oberrabbiner Friedman

Der andere Friedman

Interview mit dem Oberrabbiner der Orthodoxen Jüdischen Gemeinde in Wien

Moishe Arye Friedman, Oberrabbiner der Orthodoxen Jüdischen Gemeinde in Wien, übt scharfe Kritik an der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern. Seine Thesen sind heftig umstritten. Die Tageszeitung "Die Presse" (Wien) charakterisierte des Spross einer traditionsreichen Rabbiner-Familie dieser Tage als "unbequemen Quälgeist im Namen Jahwes" und erinnerte auch an Fiedmans Position, als Österreich international angegriffen wurde: "Erstmals öffentliches Aufsehen erregte Friedman, als er in der 'New York Times' ein 330.000 Schilling teures Inserat lancierte, in dem orthodoxe Oberrabbiner aus aller Welt auf dem Höhepunkt der Sanktionskrise eine Lanze für Österreichs schwarz-blaue Regierung brachen." Friedman, der die Zahl seiner Anhänger in Österreich auf 1000 beziffert, will nun drei palästinensische Kinder zur medizinischen Behandlung nach Wien holen. Der dreißig Jahre alte Vater von sechs Kindern, der in Wien eine Synagoge leitet, wurde in New York geboren.

Herr Oberrabbiner Friedman, Sie genießen weit über Wien hinaus in Mitteleuropa und den USA einen Ruf als entschiedener Vertreter auch des Lebensrechts der Palästinenser. Was hat Sie zu dieser Haltung bewogen?

Friedman: Zu dieser Haltung sind wir aus religiösen Gründen, durch Thora und Talmud, verpflichtet. Dies ist seit jeher die Haltung des gesamten streng orthodoxen antizionistischen Judentums. Es hat von daher nie einen Konflikt mit den Arabern gegeben. Unsere Rabbiner haben seit Jahrtausenden eine besonders gute Beziehung zur arabischen und muslimischen Welt, ganz besonders in Palästina. Wir sind durch das von Gott gegebene Schicksal in die Diaspora vertrieben worden und Gott hat uns beschworen, die Obrigkeit zu akzeptieren, egal, ob in Deutschland, Österreich, Australien, Iran oder Palästina. Wir streng orthodoxen Juden haben übrigens auch mit den deutschen Behörden, ob rechts oder links regiert, stets ein gutes Verhältnis gehabt. Wir waren immer loyale Bürger und haben im Unterschied zu Zionisten das deutsche Volk nicht provoziert. Wir streng orthodoxen antizionistischen Juden sind letztlich wie die Palästinenser Opfer des Zionismus.

 

"Unsere palästinensischen und arabischen Brüder"

Welche Lösung des Nahostkonflikts streben Sie an?

Friedman: Wir streng orthodoxen Juden beten drei Mal täglich dafür, dass sich der Staat zionistischer Prägung auflöst, ohne dass unschuldiges Blut vergossen wird. Und wir beten für die spirituelle Herrschaft Gottes durch Mosiach (Messias). Gott hat alle Juden beschworen, keinesfalls mit Waffengewalt nach Palästina zu kommen. Wir sind verpflichtet, ein gutes Verhältnis zu den Behörden - sei es Syriens, Palästinas oder der UNO - herzustellen. Der Staat im zionistischen Sinne ist die Katastrophe der Juden. Die arabische und muslimische Welt hat eine besonders positive Tradition und Geschichte im Verhältnis zu den Juden. Wir sind davon überzeugt, dass wir den ursprünglichen Bund mit unseren traditionellen palästinensischen und arabischen Brüdern bald wiederherstellen können.

Sie entstammen einer angesehenen Rabbiner-Familie. Inwieweit entspricht Ihre Haltung den Überzeugungen Ihrer Vorfahren?

Friedman: Ich entstamme einer der zahlenmäßig größten streng orthodoxen Rabbiner-Familien. Mein Vater in Deutschland, in Stuttgart, geboren worden und hat viele Jahre in Deutschland gelebt. Meine Vorfahren waren schon vor 400 Jahren Oberrabbiner in Wien und später in der österreichisch-ungarischen Monarchie. Sie waren auch die Gesprächspartner von Kaiser Franz Joseph, als Ungarn eine selbständige Reichshälfte wurde. An den Überzeugungen meiner Familie hat sich nichts geändert. Sie müssen wissen, dass es auch in den USA, in Großbritannien und weltweit Hunderttausende streng orthodoxe Juden gibt und auch in Israel selbst Zehntausende, die den Staat Israel nicht anerkennen, und selbst große Familien und Schulen, die jede Unterstützung durch den Staat Israel zurückweisen.

"Zionisten wenden sich gegen die traditionelle jüdische Identität"

Wie beurteilen Sie den Zionismus?

Friedman: Zionisten wenden sich gegen die traditionelle jüdische Identität, die Religion. Nach dem Willen des Zionismus spielen nicht Gott und die jüdische Religion eine Rolle, sondern eine "reine Rasse" und Nazismus, wobei das nicht zionistische Judentum eliminiert werden soll. Zionismus läuft in Hinblick auf die Palästinenser auf Faschismus und Apartheid hinaus.

Wie ist Ihr Verhältnis zur israelitischen Kultusgemeinde?

Friedman: Der österreichische VGH (Verfassungsgerichtshof) hat entschieden, dass orthodoxe Juden nach der Verfassung nicht gezwungen werden können, der israelitischen Kultusgemeinde anzugehören. Das entsprechende Gesetz wurde geändert. Die bestehende israelitische Kultusgemeinde ist enorm mächtig und setzt gegen ihre Kritiker äußerst intolerante Methoden ein. Es ist auch in Deutschland nicht besser, wo ich mich, mit Gottes Hilfe, in nächster Zeit ebenfalls zu Wort melden werde.

"Ich habe starke Sympathie für das deutsche Volk"

Was sind Ihre Gefühle gegenüber dem deutschen Volk?

Friedman: Ich habe starke Sympathie und Mitleid mit dem deutschen Volk, das in den letzten Generationen unerträglichen Erpressungen ausgesetzt war und niemals die Möglichkeit hatte, seine Vergangenheit sachlich zu bearbeiten und mit dem traditionellen Judentum wieder gute Beziehungen herzustellen. Wie ich die Dinge sehe, haben die Deutschen den guten Willen gehabt. Dagegen hatten Zionisten Interesse daran, Antisemitismus in der Welt und ganz besonders in Deutschland anzuheizen. Die Situation würde sich durch die Gründung einer Orthodoxen Jüdischen Gemeinde in Deutschland verbessern. Ich grüße das deutsche Volk.

(von einem Brieffreund aus Baden-Württemberg / 7.6.2002)