MORELL, DER LEIBARZT UND SEINE FOLGEN
Was in Hitlers Intimbereich
gehörte, kam aus dem Hoffmann‑Stall: Eva Braun wie Dr. Morell. Und alle
drei waren jüdischer Abstammung, und die Hitler‑Umgebung stiess sich
besonders an Morells «ausgeprägtem Geschäftssinn und an seinem orientalischen
Aussehen» ‑ so Hitlers Privatsekretärin Schröder. Auf Reisen liessen die
Adjutanten den meist Zuspätkommenden des öfteren im Packwagen mitfahren, bis
ein Donnerwetter Hitlers diesen Spässen ein Ende bereitete. Hitlers beleibter
Leibarzt Morell hatte sich zunächst ein Jahr als Schiffsarzt versucht und im
Ersten Weltkrieg als junger Mann im hessischen Dietzenbach praktiziert. Ab 1919
kam er als Arzt für Geschlechtskrankheiten an Berlins Kurfürstendamm in Mode,
wo er mit allerhand Zaubermitteln abgeschlaffte Adelige und Damen der Halbwelt
aufputschte. Morell fuhr zum Leibfotografen Hoffmann nach Berchtesgaden eines
Trippers wegen, und er half ihm durch Spritzen. Hoffmann empfahl seinem Freund
Hitler, der zu Unrecht glaubte, von einer ähnlichen schlimmeren Krankheit
befallen zu sein, diesen Geschlechtskrankenarzt, und so nahm das Verhängnis
seinen Lauf. Die beiden gerissenen Geschäftsleute Hoffmann und Morell
verstanden sich auf Anhieb. Gelegentliche Zusammenstösse mit dem Abtreibungsparagraphen
halfen Morells Ansehen. Er gehörte zu den März‑Gefallenen, das heisst zu
denjenigen, die kurz nach Hitlers Regierungsantritt im Januar 1933 der NSDAP
beigetreten waren.
Bis zum Jahre 1936 war Hitler
nach seiner Machtübernahme allseits belobigt worden, von Churchill in
besonderem Masse. Nach der Ernennung Morells zum Leibarzt in diesem Jahre
änderte sich das zunächst langsam und dann schnell. Aus Boykottmassnahmen, die
deutsche Juden in die Wüste zurücktreiben sollten, wurden Mord und Totschlag,
und bald war das Reich mit Gott und der Welt verfeindet. Morell tat mit
Aufnahme seiner Leibarzttätigkeit zwei Dinge sofort: erstens begann er, Hitler
langsam, aber sicher durch strychninhaltige Spritzen zu vergiften und zweitens
machte er ihn mit Pervitin von sich und seinen Drogen abhängig. Die Bilder, die
vor und nach Morells Behandlung aufgenommen wurden, sprechen eine klare Sprache
‑ nur acht Jahre liegen zwischen diesen beiden Aufnahmen am Schluss des
Kapitels.
Daneben erraffte Morell sich
einige zig‑Millionen und kann als Deutschlands Kriegsgewinnler Nummer
eins gelten. Auf Briefen mit dem Kopf «Der Führer und Reichskanzler» erteilte
er Befehle, beteiligte sich an der jüdischen pharmazeutischen Firma Katz &
Co. in Budapest, stellte tonnenweise Vitamultin‑Bonbons her und
verhökerte sie an den Leiter der Deutschen Arbeitsfront, Dr. Ley, dessen
Urgrossvater väterlicherseits ein 'v' aus seinem Namen hatte fallen lassen und
der auch äusserlich ganz erheblich dem Morell glich. Professer Schenk,
Beauftragter des Reichsgesundheitsführers beim Reichsminister für Ernährung und
Landwirtschaft, schätzte Morells Einkommen «allein aus dieser Fabrikation auf
etwa 20 Millionen Mark».
Es gibt keinen Arzt, der
Morell kannte, der ihn nicht als Kurpfuscher, Scharlatan oder Quacksalber
bezeichnet hätte, und der englische Historiker Trevor‑Roper nannte ihn
nach näherem Kennenlernen in der Internierung einen «plumpen, alten Mann mit
kriecherischen Manieren, undeutlicher Sprechweise und den hygienischen
Gewohnheiten eines Schweins.» Hitlers Kammerdiener Krause hatte einen Katarrh
und Hitler riet ihm: «Gehen Sie zu Morell und lassen Sie sich eine Spritze
geben» und Krause antwortete: «Von Dr. Morell lasse ich mir keine Spritze geben
‑ sonst kann ich ewig hingehen> Der Rat wurde zum Befehl und Krause
verweigerte diesen Befehl. Der unbotmässige Marinesoldat Krause wurde durch
Linge, der von der SS kam, ersetzt.
Als der Prinz von Schaumburg‑Lippe
dem Reichspropagandaminister Dr. Goebbels riet, sich von Dr. Morell behandeln
zu lassen, erregte sich Goebbels: «Dieser Verbrecher wird mein Haus nicht
betreten.» Gelegentlich behandelte Morell auch in‑ oder ausländische
Gäste des Führers. Im März 1939 wurde dem tschechischen Präsidenten Hàcha beim
Gespräch mit Göring und Ribbentrop flau und der Wunderdoktor Morell eilte mit
einer Spritze herbei. So gestärkt, trat Präsident Hàcha in Hitlers
Arbeitszimmer und legte dort schriftlich «das Schicksal des tschechischen
Volkes und Landes vertrauensvoll in die Hände des Führers.» Dem Reichsführer
der SS, Heinrich Himmler, fielen mitten im Krieg die sich ständig
verschlechternde Gesundheit und die durch Drogen bedingte charakterliche
Veränderung Hitlers auf; vorsichtig fühlte er bei seinem Führer vor und prompt
erregte er dessen Jähzorn und gab auf. Hitler wollte 'gedopt' werden, wie sonst
sollte er 'Sieg' schreien in einem Krieg, von dem er wusste, dass er längst
verloren war?
Professor Schenk hatte seinem
damaligen Chef, SS-Obergruppenführer Pohl, gemeldet: «Der Führer wird von
Morell in starkem Masse gedopt.» Pohl meldete erregt weiter an Himmler und
einige Tage darauf erhielt Professor Schenk den Befehl, «über diese ganze
Angelegenheit zu schweigen.» (Dr. Hans-Dietrich Röhrs, „Hitler, die Zerstörung
einer Persönlichkeit“, Kurt Vowinckel Verlag Neckargemünd 1965, S. 111)
Besonders unbeliebt machte
sich der tüchtige Arzt Professor Brandt,
der von Hitler aus seiner Umgebung verbannt wurde, als er in seiner freien
Art erklärt hatte «Mein Führer, Sie werden durch diese Injektionen systematisch
vergiftet.» Professor Brandt fiel also in Ungnade, seine Erschiessung wurde
einige Monate später verlangt, doch fand sich dazu beim Kriegsgericht kein
Richter bereit, und Brandt überlebte das Ende als Gefangener Hitlers.
In einem ausserordentlich
aufschlussreichen Buch hat der Arzt und Ärztefunktionär Dr. Röhrs nach
langwierigen Forschungen die «Zerstörung einer Persönlichkeit» durch Morells
Gifte und Drogen aufgezeigt ‑ es hat sich alles in allem um einige
tausend Injektionen gehandelt, mit denen der Schutzbefohlene in seiner
Handlungsfreiheit durch Morell gelähmt wurde. Eine israelische Zeitung fragte,
Gifte und Drogen verniedlichend: «Nach der Dolchstosslegende eine
Wundermittellegende?» und Dr. Röhrs blieb in den drei deutschen Teilstaaten
weitgehend unbekannt.
Der zum Professor ernannte
Morell verliess mit seinem Ritterkreuz zum Kriegsverdienstkreuz Berlin am 21.
April 1945, nachdem Hitler zu der Erkenntnis gekommen war:
«Medikamente können nicht mehr
helfen.» Er begab sich in amerikanische Gefangenschaft, die Vernehmungen
begannen und prompt baute er sich zum Helden des Widerstandes auf, und der
englische Historiker Trevor‑Roper lässt die Katze ein wenig aus dem Sack
lugen: «With all the former doctors removed, Morell could look forward
comfortably to the last and most spectacular of his medical monopolies» ‑
nach der Entfernung aller früheren Ärzte konnte Morell also in aller Seelenruhe
an das von ihm monopolisierte ärztliche Werk gehen. Auch einer dieser früheren
Ärzte, Dr. Giesing, rühmte sich später im «Stern», er habe den Versuch
unternommen, Hitler zu vergiften, doch Kammerdiener Linge sei bei diesem
Unternehmen in den Bunkerraum getreten. Nach angestellten Ermittlungen liess
die für Giesing zuständige Staatsanwaltschaft Krefeld durchblicken, sie nähme das
als Angeberei, und Dr. Porschen von der Ärztekanuner Nordrhein konnte sich in
dieser Angelegenheit «unmöglich vorstellen», dass dieser Bruch des
hippokratischen Eides ernst zu nehmen sei. (Bescheid Ärztekammer Nordrhein vom
16.3.1970)
Die Amerikaner erklärten
Morell zum Unbelasteten und beliessen ihm das im Kriege erschobene
Millionenvermögen. Sie liessen ihn frei und den wachsamen Professor Brandt
hängten sie, als dieser über Morells Behandlung zu reden begann ‑ weil er
es «an der notwendigen Aufsichtspflicht in seinem Arbeitsbereich hat mangeln
lassen». Jahre nach dem Kriege gaben die Amerikaner die «Morell Papers» zurück,
und bis zum heutigen Tage fehlen darin Hitlers Kranken‑ und
Behandlungspapiere - ein Vortrag über Morells wirkungsloses Läusepulver Russla,
das die Russlandkämpfer verhöhnten, ist in der Sammlung enthalten.
Hennecke Kardel: „Adolf Hitler
– Begründer Israels“, Genf 1974, S. 164 - 168