«MEIN KAMPF», EIN STUECK

AUS LANDSBERG AM LECH

Nach den schrecklichen Auswirkungen des Beschlusses, Politiker zu werden, hätte manch einer diesen Beruf an den Nagel gehängt. Nicht so Hitler, den sie wenige Tage nach dem an der Feldherrnhalle gescheiterten Unternehmen in der Hanfstaengl-Villa ergriffen. Bei seiner Verhaftung bat er um Schreibzeug und Papier und schrieb auf: An Alle! Nicht verzagen! Bleibt einig! Folgt den jeweiligen Führern treu und gehorsam und folgt dem Vaterland und nicht seinen Verderbern. gez. Adolf Hitler. geschrieben im Augenblick der Festnahme.»

Etwa eine Autostunde von München liegt auf einer Höhe bei Landsberg am Lech eine Festung und dort lieferte die Polizei ihren Gefangenen ab, es war nachts. «Und bringts ihn gut unter», baten die abziehenden Landespolizisten und die Wachmannschaften rüttelten den gut untergebrachten Grafen Arco wach, der vier Jahre zuvor auf offener Strasse den kommunistischen Ministerpräsidenten Eisner-Kosmanowski zusammengeschossen hatte. «Los, aufstehn. Der Führer kimmt.» Der Graf rieb sich die Augen, erkannte den eintretenden Hitler und freudig streckte er ihm die Hand entgegen. Hitler wandte sich ab - einmal wusste jeder, dass Arco jüdischer Abkunft war und zum anderen hatte der Neuzugang beschlossen, Politiker zu bleiben, doch ab sofort legaler.

Der Arzt, Obermedizinalrat Dr. Brinsteiner, stellte einen «Bruch des Oberarmkopfes» fest, eine teilweise Versteifung der linken Schulter würde bleiben, doch Hitler sei verhandlungsfähig. Um die Prozessführung stritten sich die sozialdemokratische Reichsregierung in Berlin und die katholisch-konservative Langesregierung in München und die Bayern setzten ihren Schädel durch. Anfang 1924 ging der Hitler-Prozess über die Bühne, die im ehemaligen Speisesaal der Münchener Kriegsschule an der Blutenburgstrasse errichtet worden war. Die Szene beherrschte der gescheiterte Putschist mit der immer noch «grossen Goschn». Zur Beantwortung einer Frage brauchte er oft Stunden und die Zuschauer hörten und schrieben mit, auch die Zeitungen in Frankreich, England und den USA. «Doch ein kolossaler Kerl, dieser Hitler», staunte einer der Herren vom Gerichtshof. Es war gerade von der «Verbrecherbande in Berlin» die Rede gewesen. Alles lief glatt und nach drei Wochen hatte der «Herr Angeklagte» ausgeredet: von früheren Abmachungen mit den Herren Kahr, von Lossow und Seisser war weitgehend geschwiegen worden, diese kamen frei und für Hitler war das Urteil mit der in Aussicht gestellten baldigen Bewährungsfrist müde. Ludendorff, der als neuer Oberbefehlshaber bereits Befehle erteilt hatte, wurde freigesprochen und. er entrüstete sich: «Ich empfinde diese Freisprechung als eine Schande, die mein Ehrenkleid und meine Ordensauszeichnungen nicht verdient haben.»

In Landsberg konnte man die Zeit, wie es in der Gefangenensprache heisst, bequem auf der linken Gesässbacke absitzen: Beamte und Gefangene erhielten die gleiche Verpflegung. Hitler hatte einen Wohn- und einen Schlafraum, eine Ordonnanz zum Sauberhalten selbstredend auch. Die übrigen Verurteilten, die nach und nach eintrafen, erhielten von draussen erfrischende Getränke, hauptsächlich Enzian und Steinhäger. Hitler bekam Bücher. Und Besuch. Mit Freunden und Anhängern, die in Freiheit wirkten, unterhielt er sich an manchen Tagen vier, fünf und sechs Stunden und dem besuchüberwachenden Beamten war es «bei Ablauf der Besuchszeit schwer, Hitler in seinen Ausführungen zu unterbrechen.»

In einem getrennten Verfahren war der nationalsozialistische Studentenführer Rudolf Hess verurteilt worden. Er zog in den ruhig gelegenen Trakt der Festung, den Hitler bewohnte und den man «Feldherrnflügel» nannte. Der ein- bis zweimal wöchentlich auftauchende westjüdische und nationalistische Geopolitiker Haushofer, der mit Hess befreundet war, brachte ausser Ideen eine Schreibmaschine mit und das Werk konnte beginnen. Privatsekretär Hess tippte, was der Führer redete. Und der redete vor Hess allein, vor zwei oder drei Mithäftlingen und an den Kameradschaftsabenden vor den gefangenen Parteigenossen, die tagsüber unten im Hof mit einem Ball oder an den Tischen mit Karten gespielt hatten. An diesen Abenden sammelten sich «draussen im Treppenhaus lautlos die Beamten der Festung und lauschten. Um solche Stunden rotteten sich drunten im Hof die Polizisten vom Wachkommando zusammen, und niemals ging von einem der Zuhörer auch nur die leiseste Störung aus». So entstand «Mein Kampf.»

Reden sind, so glaubte Hitler damals bereits, nicht nach dem Eindruck zu messen, die sie bei einem Universitätsprofessor hinterlassen, «sondern an der Wirkung, die sie aufs Volk ausüben». Das Werk, das bestimmend wurde für den schliesslichen Sieg Hitlers, besteht aus den gesammelten antijüdischen Vorträgen des gefangenen Parteiführers an dieser <<Hochschule auf Staatskosten».

Im Sachverzeichnis von «Mein Kampf» scheint etwa hundertmal auf 'Judentum' und nur je ein Dutzendmal sind 'Frankreich' und 'Russland' vermerkt. Und auch da noch steckt der Jude dahinter: «Die Verpestung durch Negerblut am Rhein im Herzen Europas entspricht ebensosehr der sadistischperversen Rachsucht dieses chauvinistischen Erbfeindes unseres Volkes, wie der eisig kalten Überlegung des Juden, auf diesem Wege die Bastardierung des europäischen Kontinents im Mittelpunkte zu beginnen und der weissen Rasse durch die Infizierung mit niederem Menschentum die Grundlagen zu einer selbstherrlichen Existenz zu entziehen. Was Frankreich, angespornt durch eigene Rachsucht, planmässig geführt durch den Juden, heute in Europa betreibt, ist eine Sünde wider den Bestand der weissen Menschheit und wird auf dieses Volk dereinst alle Rachegeister eines Geschlechtes hetzen, das in der Rassenschande die Erbsünde der Menschheit erkannt hat.» Und: «Das furchtbarste Beispiel bietet Russland, wo der Jude an dreissig Millionen Menschen in wahrhaft fanatischer Wildheit teilweise unter unmenschlichen Qualen tötete oder verhungern liess, um einem Haufen jüdischer Literaten und Börsenbanditen die Herrschaft über ein grosses Volk zu sichern.» - Der spätere Führer und Reichskanzler gestand seinem Aussenminister als «grössten Fehler» die aussenpolitischen Betrachtungen in dieser Landsberger Kampfschrift.

Es scheint falsch, von «Mein Kampf» als dem «Fahrplan eines Welteroberers» zu sprechen. Hitler wollte Raum im Osten Europas: «Unsere Aufgabe, die Mission der nationalsozialistischen Bewegung, aber ist, unser eigenes Volk zu jener politischen Einsicht zu bringen, dass es sein Zukunftsziel nicht im berauschenden Eindruck eines neuen Alexanderzuges erfüllt sieht, sondern vielmehr in der emsigen Arbeit des deutschen Pfluges, dem das Schwert nur den Boden zu geben hat.» Und, dabei kommt er zu dem Schluss: «In Europa wird es für Deutschland in absehbarer Zukunft nur zwei Verbündete geben können: England und Italien.» Denn «heute kämpfen wir nicht für eine Weltmachtstellung, sondern haben zu ringen um den Bestand unseres Vaterlandes, um die Einheit unserer Nation und um das tägliche Brot für unsere Kinder. Deutschland ist heute keine Weltmacht. Selbst wenn unsere augenblickliche militärische Ohnmacht überwunden würde, hätten wir doch auf diesen Titel keinerlei Anspruch mehr».

Der «Fahrplan» war: für Deutschland der Osten Europas mit der Vertreibung der gesamten Judenheit aus dem deutschen Einflussbereich («Das Schicksal selbst scheint uns hier einen Fingerzeig geben zu wollen. Indem es Russland dem Bolschewismus überantwortete, raubte es dem russischen Volke jene Intelligenz, die bisher dessen staatlichen Bestand herbeiführte und garantierte»). Und für das germanische und verwandte England ein Weltreich, möglichst noch erweitert, und keine Gnade mit seinen Kolonialvölkern. Er schrieb: «Genau so kümmerlich sind die Hoffnungen auf den sagenhaften Aufstand in Aegypten. Der «Heilige Krieg» kann unseren deutschen Schafskopfspielern das angenehme Gruseln beibringen. Als völkischer Mann, der den Wert des Menschentums nach rassischen Grundlagen abschätzt, darf ich schon aus der Erkenntnis der rassischen Minderwertigkeit dieser sogenannten «unterdrückten Nationen» nicht das Schicksal des eigenen Volkes mit dem ihren verketten». Dass ein von ihm geführtes Deutschland mit dem germanischen Brudervolk in England nicht zu Rande kam, hat Hitler bis ans Ende seiner Tage nicht verstanden und nicht verwunden. Später fragte er einen Schweden: «Herr Dahlerus, sagen Sie mir bitte, warum ich nicht mit der englischen Regierung zu einer Übereinkunft habe kommen können. Sie scheinen doch England gut zu kennen, vielleicht können Sie mir das Rätsel lösen?» Als Grossbritannien einige Tage darauf im September 1939 dem Grossdeutschen Reich den Krieg erklärte, sass Hitler «an seinem Schreibtisch, wie versteinert sass er da und blickte vor sich hin. Er tobte nicht. Er sass völlig still und regungslos an seinem Platz. Was nun?" fragte er nach einer Weile, die wie eine Ewigkeit war». (36)

Damals im Jahre 1924 schien auch den in Landsberg versammelten gefangenen und bewachenden Volksgenossen alles so einfach: für Deutschland der Osten Europas, für das germanische England die grosse, weite Welt. Ein verbündetes Italien konnte sich das Mittelmeer zum 'mare nostrum' machen. Amerika war weit weg und ein eventueller Rest für die Gottlosen.

Die meisten der gläubigen Zuhörer waren stramm katholisch und von daher wussten sie schon aus den Paulusbriefen: «Die Juden gefallen Gott nicht und sind allen Menschen zuwider.» So hatte der Landsberger Redner leichtes Spiel, seine Bekämpfung der Juden auszugeben als «Werk des Herrn», das er vollbringen wolle.

Bei Hitler gesellten sich zu dem seit Wien durch wirkliche oder vermeintliche Verwandtschaft angestauten Judenhass die Lehren des Schönerer, Lueger und Lanz von Liebenfels. Und die Landsberger Lektüre der Rassenlehrer Darwin, Mendel, Bölsche, Gobeneau und Günther ergänzten jetzt die häufigen Besucher Haushofer und Rosenberg mit ihren landräuberischen Gedankengängen, die das von jüdischen Volkskommissaren regierte Sowjetrussland zunächst einmal in seine Bestandteile zerlegten. Haushofer, unterstützt von seinem Adlatus Rudolf Hess, dem «Aegypter», griff sehr weit aus und hatte das Riesenreich bereits von verschiedenen Seiten fest in der Zange. Und der in Estland geborene Rosenberg - seit einigen Monaten auch den Papieren nach Deutscher - kannte die jüdische Machtübernahme in Russland aus der Nähe, nämlich aus Moskau. Mit dem weissrussischen Emigrantenstrom nach Paris geschwemmt, liess Rosenberg sehr bald in München verlauten, was sich in der Sowjetunion so tat: «Die russisch-jüdische Revolution», «Die Judenfrage», «Die Protokolle der Weisen von Zion und die jüdische Weltpolitik», das waren seine damaligen Traktate.

Rosenberg kannte die Finanzierung des von ihm geleiteten VB durch den Juden Pinkeles und er wusste, dass auch Hitler etwas ahnte von seiner entfernt jüdischen Abstammung, die zudem aus seinem Namen ersichtlich war. Und nachdem er seinem Führer geschildert hatte Meyers Handlexikon an der entsprechenden Stelle aufgeschlagen -, wie der getaufte Jude Torquemada 1492 als spanischer Grossinquisitor mit nahezu sämtlichen spanischen Juden, auch den getauften, durch Vertreibung fertig geworden war, stand einer Vertretung Hitlers während der Gefangenschaft nichts mehr im Wege. Der frei gebliebene Ideologe war es, der den anderen einen schriftlichen Führerbefehl vorzeigen konnte: «Lieber Rosenberg! Führen Sie ab jetzt die Bewegung!»

Alle Untaten aufzuzählen, die Juden laut «Mein Kampf» begingen und noch begehen würden, wäre zu ermüdend. Mit grosser Vorliebe sprach Hitler von ihnen als Tuberkel- oder Pestbazillen. Da einiges richtig geschildert und erkannt ist, verboten die Sieger im Jahre 1945 das Werk für Deutsche. Das Verbot ist in Kraft und somit haben zwei Generationen in Deutschland, die mitreden sollen, sich ein Bild nicht machen können.

Zur Kennzeichnung für richtiges möge dieses herausgegriffen werden: «Bei kaum einem Volke der Welt ist der Selbsterhaltungstrieb stärker entwickelt als beim sogenannten auserwählten. Als bester Beweis hierfür darf die einfache Tatsache des Bestehens dieser Rasse allein schon gelten.»

Und als Kennzeichnung für falsches: «Siegt der Jude mit Hilfe seines marxistischen Glaubensbekenntnisses über die Völker dieser Welt, dann wird seine Krone der Totenkranz der Menschheit sein, dann wird dieser Planet wieder wie einst vor Jahrmillionen menschenleer durch den Äther ziehen.»

Dass Hitler den Juden Vertreibung und im Kriegsfalle Vernichtung versprochen hatte - und mit Kriegen rechnete er wie auch Realpolitiker es tun - ist ohne Zweifel: «Hätte man zu Kriegsbeginn 1914 und während des Krieges einmal zwölf- oder fünfzehntausend dieser hebräischen Volksverbrecher so unter Giftgas gehalten, wie Hunderttausende unserer allerbesten deutschen Arbeiter es im Felde erdulden mussten, dann wäre das Millionenopfer der Front nicht vergeblich gewesen.»

Die Vorstellung Hitlers, er sei vom Allmächtigen gesandt, die dann im zweiten Weltkriege durch die jahrelange Kriegsverlängerung an Millionenopfern schuld wurde, begann bereits in «Mein Kampf» Form anzunehmen: «So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln: indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.»

Das Werk Hitlers hat in zwei Bänden Geschichte gemacht. Die Ausrede von Gegnern und Anhängern, sie hätten es nicht gelesen, ist faul. Die politischen Leitartikler sowohl der einen als auch der anderen Seite suchten sich heraus, was passte. Der Rundfunk redete kräftig mit. Schulungsabende der Hitler-Jugend, der SA und der SS ohne «Mein Kampf» waren nicht die Regel. Staatsanwälte und Richter legten ab 1933 die Begriffe Staatsangehöriger und Staatsbürger haargenau nach den in «Mein Kampf» niedergelegten Richtlinien aus. Und schliesslich wurde in Fibeln bereits für die Kleinsten der Bewegung aus dem Buch zitiert, das Ehepaare bei der Trauung vom Standesbeamten dankend entgegennahmen. Ein beliebter Spruch, der Montags früh an Höheren Lehranstalten aushing und in der Aula vom Parteigenossen Direktor abgehandelt wurde, war die Stelle: «Jedem Manne stehen wohl Berater zur Seite - allein die Entscheidung trifft ein Mann>

Der zweite Band konnte durch die vorzeitige Entlassung nicht in der Gefangenschaft beendet werden. Doch auch dieser Schaden wurde behoben und zwar dadurch, dass Hitler nach der ersten öffentlichen Rede in Freiheit ein Redeverbot erhielt, das zwei Jahre währte. Kriegskamerad, Rechnungsfeldwebel und Partei-Geschäftsführer Max Amann tippte in die Maschine, was sein Arbeitgeber am Obersalzberg ihm vorredete und für beide war es das Geschäft ihres Lebens: «Mein Kampf» erreichte in Deutschland eine Auflage von 10 Millionen, wurde in alle Weltsprachen übersetzt, auch ins russische und chinesische, und brachte dem Verfasser glatte 15 Millionen Mark, von denen er bis zu seinem gewaltsamen Ende die Hälfte abrief (37)