Marianne Bachmeier

 

War es die emotionsgeladene 'Tat einer zutiefst verzweifelten Mutter oder der sorgsam geplante Mord einer kalt berechnenden Frau? In einem der spektakulärsten Fälle von Selbstjustiz in Deutschland erschoss Marianne Bachmeier heute vor 20 Jahren in einem Lübecker Gericht den mutmaßlichen Vergewaltiger und Mörder ihrer Tochter. Kaum ein Verbrechen hat die Öffentlichkeit derart beschäftigt wie dieses. Die Bluttat wurde in der Öffentlichkeit viel diskutiert und bot den Stoff für etliche Kinofilme und TV‑Dokumentationen.

 

Der 6. März 1981 war der dritte Tag der Hauptverhandlung gegen den damals 35‑jährigen Schlachter Klaus Grabowski vor der Schwurgerichtskammer des Lübecker Landgerichts. Der einschlägig vorbestrafte Mann hatte laut Anklage am 5. Mai 1980 die siebenjährige Anna in seiner Wohnung vergewaltigt und erdrosselt. Kurz vor Verhandlungsbeginn zog Annas Mutter eine Pistole aus der Tasche und feuerte sieben Schüsse auf den Angeklagten ab. Sechs davon trafen ihn im Rücken. Anschließend ließ sich die zierliche, dunkelhaarige Frau widerstandslos festnehmen.

 

Die Tat der damals 31‑jährigen Gastwirtin, die in der Lübecker Altstadt eine Kneipe betrieben hatte, spaltete die Öffentlichkeit in zwei Lager. Denen, die die Schüsse als Selbstjustiz verurteilten, standen viele gegenüber, die Verständnis für die Gewalttat der Mutter äußerten. Anna war die jüngste Tochter der allein erziehenden Frau, zwei ältere Töchter hatte sie kurz nach der Geburt zur Adoption freigegeben. Auch der Umgang der Justiz mit Sexualstraftätern wurde damals heftig kritisiert. Grabowski hatte sich freiwillig kastrieren lassen, nachdem er sich zweimal an Kindern vergangen hatte.

 

Der Prozess gegen Marianne Bachmeier, der im November 1982 begann, stieß auf ein bis dahin in Deutschland unbekanntes öffentliches Interesse. Über 100 Journalisten reisten an, und der Andrang der Zuschauer war so groß, dass keiner der Säle im Gerichtsgebäude ausreichte. Die Verhandlung fand deshalb im Sitzungssaal des benachbarten Landesbauamtes statt, der 200 Zuschauern Platz bot. Vor allem Frauen verfolgten den 15 Monate dauernden Prozess. Im März 1983 wurde Marianne Bachmeier wegen Totschlags und unerlaubten Waffenbesitzes zu sechs Jahren Haft verurteilt.

 

Mit ihrer Rolle im Rampenlicht ist Marianne Bachmeier für den Rest ihres ruhelosen Lebens nur schwer fertig geworden. Nach ihrer vorzeitigen Entlassung aus dem Gefängnis 1985 heiratete sie einen Afrikaner. Beide verließen Deutschland und lebten in Nigeria, der Heimat des Mannes. Nach der Scheidung 1990 zog sie nach Sizilien, um in Palermo Sterbende in einem Hospiz zu pflegen. Sie starb im September 1996 an Krebs und fand ihre letzte Ruhestätte an der Seite ihrer Tochter in Lübeck ‑ nicht in Palermo, wie sie es sich einmal gewünscht hatte. 

 

Quelle: Lübecker Nachrichten vom 6.3.2001

 

Anmerkung: Zum Kontrast wird das Kapitel 34 aus der "Rechtsbeugermafia" nachfolgend angeboten.

 

 

 

Ich laß mir doch meine Mandanten nicht unter dem Hintern wegschießen

 

Nicht nur Rechtsbeugung und Strafvereitelung im Amt bleiben in Schleswig-Holstein für Staatsjuristen straffrei, sondern auch die fahrlässige Tötung. Der Grundsatz, daß nicht sein kann, was nicht sein darf, verhilft den im Korpsgeist verbundenen Richtern und Staatsanwälten auch dann zu illegaler Immunität, wenn Fehler oder Pflichtwidrigkeiten Menschenleben gekostet haben, wie folgende Beispiele belegen:

1.

Der Schlachter Saul Koschinski war ein armes Schwein; er wurde mit seiner Sexualität nicht fertig und es zog ihn insbesondere zu kleinen Mädchen. Der Königsweg, der absolut sichere und schnelle Weg zur Behandlung von Sexualtätern ist bis heute nicht gefunden worden. Eine Lösung wurde in der Kastration gesehen und praktiziert, wobei es an der rechtsstaatlich unabweislichen Freiwilligkeit des Eingriffs Zweifel gab, wenn es sich um Häftlinge oder Klinikinsassen handelte, die damit oft den Strohhalm ergriffen, die Freiheit wiederzuerlangen. So lief es auch im Fall Bartsch, der den Eingriff nicht überlebte, als er dadurch das Licht am Ende des Tunnels sehen wollte. Anläßlich dieses merkwürdigen Kunstfehlers sprachen viele davon, er sei zu Tode kastriert worden. Koschinski überlebte den Eingriff. Allerdings stellte der Urologe Volker von Ardenne, Rotarier, leichtfertig durch Hormonspritzen Koschinskis Männlichkeit wieder her. Sein Hormonspiegel war zuletzt höher als vor der Kastration. Die Verantwortlichkeit trug der Urologe nicht alleine; er hatte die Zustimmung der Richterin am Landgericht Filzbeck Agathe Dorsch angefordert und erhalten.

Es kam zu einer Wiederholungstat. Als Koschinski sich der damals siebenjährigen Maja Beretta schon in unsittlicher Absicht genähert hatte und dann doch Entdeckung fürchtete, erdrosselte er das kleine unschuldige Mädchen mit einer Strumpfhose. Der Vorwurf der fahrlässigen Tötung gegen Agathe Dorsch und Volker von Ardenne begründet sich auf die Tatsache, daß seinerzeit bereits in der internationalen Fachliteratur bekannt war, daß die sexuelle Gefährlichkeit solcher Delinquenten auch nach der Kastration durch Hormongaben wieder hergestellt werden kann. Koschinski wurde als Täter ermittelt und vor Gericht gestellt. Weil die für Koschinskis Bewährungsaufsicht zuständige Richterin Dorsch beschützt werden mußte, blieb der Justiz nichts anderes übrig, als den Urologen ebenfalls mit in dieses "Täterschutzprogramm" aufzunehmen; allerdings wäre er auch als Einzeltäter mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Genuß der "chronischen Unschuld" der Rotarier gelangt. Vorsitzender der Schwurgerichtskammer in dem Prozeß gegen Koschinski war Popey, der schon geraume Zeit zuvor seinem Beisitzer Korvin das gesetzliche Fragerecht in der Hauptverhandlung beschneiden wollte. Die Art und Weise der Durchführung der Beweisaufnahme, insbesondere hinsichtlich der Zeugenbefragung des Urologen von Ardenne, war skandalös. An jenem Verhandlungstag wurde gerade ein Polizeihauptkommissar vernommen, als für die anderen Prozeßteilnehmer völlig unvorbereitet Dr. von Ardenne im weißen Arztkittel in den Sitzungssaal "geschneit" kam und Popey ihm sogleich untertänigst dankte, daß dieser "Halbgott in weiß" doch Zeit gefunden habe, für einige Minuten seine Ordination zu unterbrechen.

Immerhin ging es um einen Mordprozeß!

Sogleich wurde die laufende Vernehmung unterbrochen und der Hauptkommissar wie ein dummer Junge vor die Tür geschickt. Als den übrigen Prozeßbeteiligten noch der Mund offenstand, war der Urologe schon wieder draußen. Natürlich hätte die Staatsanwaltschaft und die Nebenklagevertretung sofort massiv protestieren und notfalls den Kammervorsitzenden wegen Befangenheit ablehnen müssen. Aber der Laden ist halt bezüglich aller Rechtspflegeorgane versifft oder eingeschüchtert.

Nanni Beretta - Majas leidgeprüfte Mutter - mußte wohl nicht zu Unrecht den Eindruck gewinnen, daß es am Landgericht Filzbeck nicht mit rechten Dingen zugeht und daß man dort alles andere erwarten dürfe; jedenfalls nicht Gerechtigkeit. Als dann die gramgebeugte Mutter einige Verhandlungstage später Koschinski im Schwurgerichtssaal erschoß, fiel einer der Aussprüche, der in die Filzbecker Gerichtsannalen eingegangen ist. Koschinskis Verteidiger Willi Wacker äußerte gegenüber Medienvertretern wörtlich im Zorn:

"Ich laß mir doch nicht meinen Mandanten unter dem Arsch wegschießen!"

Dem schrecklichen Geschehen weit jenseits der Dimensionen altgriechischer Tragödien wurde diese Flapsigkeit sicherlich nicht gerecht, zumal sich in der Formulierung andeutet, es gehe dem Advokaten nicht um das soeben ausgelöschte Leben seines Mandanten, sondern um die nun schlagartig abgeschnittenen Pflichtverteidigerhonorare.

Nach diesem Trauerspiel verfiel die Justiz im Landgerichtsbezirk Filzbeck in das entgegengesetzte Extrem und ließ keinen Sexualdelinquenten mehr "zur Bewährung" aus den geschlossenen Abteilungen des Landeskrankenhauses heraus, auch wenn positive Prognosen der Psychiater und Fachpsychologen vorlagen. Typisch für die Justiz! Man drückt sich gerne vor Verantwortung. So wurde dann die Bürde dem Oberlandesgericht delegiert, das sich herzlich für das zugeschobene Risiko bedankte, nunmehr bei nie völlig auszuschließenden Rückfalltätern öffentlich gebrandmarkt zu werden.

Der Landrichterin Dorsch, die zwei Menschenleben auf dem Gewissen hat, war dies weder eine Lehre, noch Anlaß zur inneren Einkehr und Läuterung. Jahre später prozessierte Wolf für einen türkischen Gastarbeiter auf Wandlung eines Kraftfahrzeugkaufvertrages, weil der Beklagte, ein berüchtigter Vierschrot aus der Ortschaft Steindamm, ihm einen schweren Motorbrandschaden verschwiegen hatte. Vor dem Amtsgericht gewann der Käufer nach umfangreicher Beweisaufnahme mit eindeutigem Ergebnis. Als Berichterstatterin der Berufungskammer drehte Dorsch das Ergebnis um und beschützte den Verkäufer mit einer offenkundig falschen Interpretation der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Untersuchungspflicht des gewerblichen Gebrauchtwagenhändlers. Goldamsel und Kracke, die restliche Rechtsmittelinstanz, saßen dabei und hatten Watte in den Ohren. Erst Jahre danach erfuhr Wolf den Hintergrund dieser Schiebung: Dorschens Ehegespons, ein pensionierter Sozialrichter, und der Gegenanwalt sind beide Kiwanis-Club-Mitglieder. Es war also kein Rassismus und keine Ausländerfeindlichkeit, sondern plumpe Vereinsmeierei. Wolf dagegen, der den Prozeß auch im Hinblick auf die strafrechtlichen Aspekte mit aller erdenklichen Sorgfalt vorbereitet und geführt hatte, verlor einen Mandanten, da man als Advokat nicht nur von einfach strukturierten Bürgern für die Idiotien der Richterschaft verantwortlich gemacht wird.

 

 

2.

Auch jenseits ärztlicher Ethik liegende Eingriffe in das Gehirn von Sexualstraftätern führten nicht weiter und lösten nur Vertuschungsarien der Mediziner aus, die aus der mißlungenen Operation nun herleiten wollten, der Täter sei wohl doch voll verantwortlich. Zu den drastischen in den USA praktizierten Methoden des verlängerten Mittelalters mochte man sich in Zentraleuropa nicht durchringen. In "gods own country" wird nämlich die Todesstrafe sogar an zur Tatzeit Vierzehnjährigen und auch an nachgewiesen schwachsinnigen oder geisteskranken Sexualtätern vollstreckt.

"Ich bin einem Irrenhaus entkommen, daß von 180 Millionen Insassen bevölkert wird."

Ezra Pound, einer der bedeutendsten amerikanischen Dichter des 20. Jahrhunderts ("Cantos") nach seiner erneuten Übersiedlung von den USA nach Italien

Zeitweilig sah die medizinisch-kriminologische Wissenschaft die elegantere Lösung in der chemischen Kastration durch ein Anti-Androgen, welches die Wirkung der männlichen Geschlechtshormone hemmt. Auch dies war ein Fehlschlag. Dieses Mittel lenkt die Betroffenen nämlich nur davon ab, sich rund um die Uhr mit ihrem Trieb zu beschäftigen; macht jedoch nicht den zweiten Schritt einer begleitenden und kontrollierenden Gesprächstherapie überflüssig. Die Sorglosigkeiten der Mediziner und Juristen auch in diesem Bereich hatte tödliche Folgen.

Schon als Thomas D. mit sechzehn Jahren in Filzbeck vor Gericht stand, rechneten zwei Gutachter mit Wiederholungstaten, und zwar mit schweren Folgen für die Opfer bis zur Tötung. Thomas D. bekam ein Anti-Androgen ohne begleitende Gesprächstherapie und wurde aus der Jugendpsychiatrie in ein Heim abgeschoben, wo eine praktische Ärztin - also eine psychiatrische Laienschwester - das Medikament weiterhin verabreichte, ohne daß die regelmäßige Einnahme überwacht worden wäre. Als Thomas D. nur zwei Jahre später von einem Mädchen aus der Nachbarschaft einen Korb erhielt, überfiel er eine ihm völlig fremde Bauerntochter und erdrosselte sie mit ihrem Halstuch. Für den Tod dieses Mädchens war eine Richterin am Amtsgericht Sprottenhausen im Sinne einer fahrlässigen Tötung mitverantwortlich. Daran konnte es nach dem Gesetz und hergebrachter Strafrechtsdogmatik keinerlei Zweifel geben; allerdings wurde das Verfahren eingestellt, wie es unter Krähen so üblich ist. Die Eltern des ermordeten Mädchens, die im Falle einer Anklageerhebung die Zulassung der Nebenklage beantragt hätten, wurden von Rechtsanwalt Willi Wacker vertreten. Man fragt sich, warum dieser Skandal nicht in der Medienöffentlichkeit breitgetreten wurde. Wie unter anderem aus der Leidensgeschichte des Rainer Moll ersichtlich ist, haben die Rechtsbeistände bei dem gnadenlos kriminellen und mafiosen Zusammenhalt der Staatsjuristen oft keine andere Chance mehr, als den Skandal durch die Medien verbreiten zu lassen, weil die Unabsetzbaren zwar nicht die vorgesetzte Justizverwaltung, dafür aber um so mehr die persönliche Vorführung und den damit verbundenen "Ansehensverlust" durch öffentliche Bloßstellung fürchten.

 

3.

Einen der schrecklichsten Brandanschläge gab es vor einigen Jahren in Eulenbüttel. Drei türkische Frauen kamen in den Flammen um. Die Täter wurden späterhin wegen Mordes und Mordversuchs verurteilt. Wäre es nach der Sonderermittlungsgruppe der Filzbecker Polizei gegangen, hätte der rechtsextremistische Terrorist Peter Michaelis aus dem askanischen Basedow schon Tage vor dem Brandanschlag hinter Gittern gesessen. Der Sprecher des Amtsgerichtes Filzbeck, Volker Blimchen, mußte schamvoll eingestehen, daß vier Tage vor dem schrecklichen Brandanschlag beim zuständigen Jugendrichter Lehmberger, den wir schon aus der rechtsbeugenden Verfolgung des unschuldigen Bernd Busse kennen, Anträge auf Erlaß von Haftbefehlen gegenüber vier Personen - darunter auch Peter Michaelis - eingegangen seien. Dies war nur die halbe Wahrheit; tatsächlich waren die ersten Haftbefehlsanträge bereits sechs Tage vor der Katastrophe eingegangen. Lehmberger hatte den Anträgen nicht stattgegeben, sondern auf weitere Ermittlungen gedrängt. Die Staatsanwaltschaft bestand weiterhin darauf, insbesondere Michaelis in Haft zu nehmen; Lehmberger war jedoch nicht erreichbar, weil er angeblich Sitzung hatte, möglicherweise saß er auch in der Kantine. Erst nach persönlicher Intervention des Generalstaatsanwaltes (!!!) beschäftigte sich Lehmberger erneut mit den Vorgängen, lehnte den Erlaß der Haftbefehle jedoch ab. Achtundvierzig Stunden nach den Mordtaten erhielt der Generalbundesanwalt aus Karlsruhe die gewünschten Haftbefehle unbesehen, was dann eine Krisensitzung im Justizministerium erforderlich machte. Dem Amtsrichter Lehmberger und dem Justizminister Dr. Lingenberg wurden von der aufgebrachten Öffentlichkeit und der Presse vorgeworfen, die drei dem Brandanschlag zum Opfer gefallenen türkischen Frauen könnten noch leben, wenn Michaelis wegen der vorangegangenen Tat entsprechend dem Antrag von Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft verhaftet worden wäre oder wenn zumindest die Staatsanwaltschaft von der Möglichkeit einer vorläufigen Festnahme Gebrauch gemacht hätte, die allerdings auf maximal achtundvierzig Stunden begrenzt gewesen wäre. Der Justizminister lehnte eine Kommentierung dieses Skandals unter Hinweis auf die richterliche Unabhängigkeit = Narrenfreiheit ab und wies sogar den beschönigenden Vorwurf eines "Kunstfehlers des Haftrichters" mit Entschiedenheit zurück. Kenner der rechtsradikalen Szene waren felsenfest davon überzeugt, daß die sechs Tage vor dem Brandanschlag bekannten Vorwürfe gegen Michaelis allemal für einen Haftbefehl gereicht hätten. Der Regierungschef sog an seiner Pfeife, zupfte an seinen Bügelfalten und ließ mit deutlich kritischem Unterton vernehmen, mit richterlichen Fehlentscheidungen müsse man halt leben und nach dem Kirchgang (er hatte sich gerade eben in vorgerücktem Alter noch taufen lassen) sei man immer schlauer. Den Umgekommenen half dies jedoch nicht mehr. Etwas deutlicher wurde da schon der Generalstaatsanwalt, der bei Lehmberger höchst persönlich - aber erfolglos - interveniert hatte. Der Chefankläger hob hervor, daß seine Beamten korrekt gehandelt hätten und er sich sogar persönlich bemüht habe; ob dagegen beim Amtsgericht Filzbeck alles richtig gelaufen sei, wolle er "in der Öffentlichkeit nicht beurteilen". Daraufhin ging ein Wutgeheul durch das schleswig-holsteinische Richterkorps und die Landesregierung bzw. der Justizminister wurden aufgefordert, den General wegen dieser Äußerungen zurückzupfeifen; außerdem müsse er sich bei Lehmberger entschuldigen. Hätte der General Rückgrat bewiesen, wäre er diesem Ansinnen mit dem Götz-Zitat entgegengetreten; da die Gehirnwäsche aus seiner Behörde heraus jedoch schon Wirkung gezeigt hatte, ließ er sich zu einem umfangreichen Schreiben an den "kleinen Amtsrichter" herab, in dem er bedauerte, daß ihm in der Öffentlichkeit vorgeworfen werde, er habe das Leben der drei Türkinnen auf dem Gewissen und dies müsse für ihn sicherlich bitter gewesen sein. Nicht verkneifen konnte sich der General allerdings den Hinweis, Lehmbergers Entscheidung bzw. Nichtentscheidung "bis dato immer noch nicht verstanden zu haben".

Lehmberger selber reagierte mit der richterüblichen Arroganz. Er alleine - und kein anderer - hätte die Frage des "dringenden Tatverdachtes" zu beurteilen gehabt. Ihm allein habe das Grundgesetz die Befugnis zugewiesen, über freiheitsentziehende Maßnahmen zu befinden. Einflüssen, die nicht das Ziel der Anwendung der gesetzlichen Voraussetzungen hätten, müsse der Richter widerstehen. Für diesen dummen Spruch wird Busse ihm eventuell noch eines Tages den Baseballschläger über die Rübe ziehen!

Was die Justiz zuerst durch Lahmarschigkeit verbockt hatte, wollte sie danach durch Schneidigkeit wieder wettmachen. Erst im Prozeß kam heraus, daß die Tatverdächtigen nach dem Brandanschlag "türkischen Justizmethoden" unterzogen worden seien. Ein bundesweit bekannter und renommierter Strafverteidiger breitete das Sündenregister der Ermittlungsbehörden aus:

1. Michaelis sei bei seiner Verhaftung eine Augenbinde (wie vor einer Hinrichtung) angelegt worden,

2. bei den Vernehmungen sei anwaltlicher Beistand verweigert worden,

3. die Menschenrechte seien mit den Füßen getreten worden und

4. die Vernehmungsmethoden bis zur Zerstörung des Persönlichkeitsgefüges unter anderem durch völlige Übermüdung könne man nur mit den Praktiken der Gestapo vergleichen.

Der zuständige Senatspräsident Null-Punkte-Emil dagegen bemühte sich um eine entspannte Verhandlungsatmosphäre, was wiederum den Nebenklagevertreter Struwelpeter auf die Palme brachte, der den Prozeß in eine Aufarbeitung der deutschen Geschichte seit dem Wilhelminischen Kaiserreich umfunktionieren wollte. Michaelis’ Verteidiger ließ nichts anbrennen. Er bescheinigte den Vertretern der Bundesanwaltschaft, zumindest etwas perfekt zu beherrschen, nämlich, dem Gericht in den Hintern zu kriechen, und den Strafsenat forderte er auf, klarzustellen, "in welchem Land wir eigentlich leben".

Der noch dem Jugendstrafrecht unterfallende Mitangeklagte hatte weniger Glück mit seinem Verteidiger. Dieser berichtete in öffentlicher Verhandlung über vertrauliche Gespräche mit seinem Mandanten, wurde völlig überrascht von einem Geständniswiderruf und hatte seinen Schutzbefohlenen während der sechs Monate Untersuchungshaft lediglich zweimal besucht, und das angesichts einer dreifachen Mordanklage.