Marcel Reich-Ranicki
SPIEGEL ONLINE fragte am 12. August
2002: Marcel Reich-Ranicki / Geheimagent
mit Leidenschaft?
Die
Rolle Marcel Reich-Ranickis als Agent des polnischen Geheimdienstes war
offenbar größer als bisher bekannt. Neue Akten schildern angeblich den späteren
Literaturkritiker als eifrigen und leidenschaftlichen Spion der Nachkriegszeit.
Dem
liegt ein umfangreicher Artikel zugrunde, den DIE WELT am 12.8.2002 auf Seiten 25 + 27 abdruckten ( "...Als
erste Zeitung erhielt die WELT Einsicht
in seine (MRR's) Personalakte..... Kennt die Psyche des Agenten ... Die
polnische Geheimdienst-Karriere Marcel Reich-Ranickis im Lichte seiner
Personalakte...")
Diese
Veröffentlichungen nehmen wir zum Anlass, nachfolgend die von dem
Ritterkreuzträger Hennecke Kardel verfasste Broschüre Marcel Reich-Ranicki - Eichmann von Kattowitz" erneut zu
veröffentlichen, um der zeitgeschichtlichen Forschung eine wichtige Quelle zu
erschließen und die Lehren aus den unterschiedlichen Sichtweisen zu ziehen.
H. Kardel: "Marcel
Reich-Ranicki - Eichmann von Kattowitz"
HEUTE ‑
ein Begünstigter Hitlerscher Judenpolitik
Am 1.
September 1939 kam es zu einem begrenzten Kriege, der sich schnell zum Zweiten
Weltkriege verunstaltete. Sowjets kämpften mit Deutschen gegen die Polen
gemeinsam. Später brachten sie es auf 30 Millionen Tote gegeneinander.
Italiener fochten auf Seiten der Deutschen und danach gegen diese ‑ wie
Rumänen und Finnen auch. Dieser Krieg war ein Krieg der Ideologen, noch nicht
einmal ein Religionskrieg wie einige Hundert Jahre zuvor der eine oder wie vor
Jahrzehnten der Wirtschaftskrieg 1914 ‑ 18 ein anderer. Wie in letzten
Kriegen üblich, sperrte jeder Kriegführende seine inneren Feinde ein: in Lager
oder in Ghettos. Die Sowjets schafften die Wolga‑Deutschen (die
"deutsch" als Volkszugehörigkeit in Stalins Pässen hatten) in Arbeits‑Vernichtungslager
nach Sibirien. Die US‑Amerikaner verbrachten die Japaner (deren Abkunft
aus Pässen und Gesichtern erkenntlich war) in ihre berüchtigten Wüsten‑Todes‑Lager.
Und die Deutschen sperrten die Juden (die in Deutschland auf Schweizer Anregung
längst vor diesem Zweiten Weltkriege ein rotes "J" in den Paß
gestempelt bekommen hatten) in Ghettos, Arbeits‑ und (nach dem
Offenkundigkeits‑Prinzip der Justiz) Vernichtungslager. (Anmerkung: Vernichtungslager hat es
tatsächlich und nicht nur nach dem Offenkundigkeitsprinzip einer oft fehlgeleiteten
Justiz gegeben. Insoweit wird u.a. auf den Beitrag "Die
Auschwitz-Leugner" von Detlef Korte auf dieser Homepage hingewiesen)
..Wir sind das trojanische
Pferd in der Festung des Feindes," hatte Zionisten-Führer Chaim Weizmann
Mitte dieses Großen Krieges in New York weltweit verlauten lassen:
"Tausende in Europa lebende Juden sind der Hauptfaktor bei der Vernichtung
des Feindes." Allen diesen ergriffenen deutschen, japanischen, jüdischen
Feinden des kriegführenden Landes erging es in der Internierung schlecht. Die
Todeszahl war überall so hoch wie die bei kämpfenden Infanteristen an den
Fronten.
Marceli Reich ‑ im
folgenden als MARCEL REICH‑RANICKI abgekürzt MRR ‑ ging es nicht
gut, aber besser als den nach Sibirien verschleppten Wolga‑, heutigen
Kasachstan‑Deutschen, besser als den in abgelegene US‑Wüsten‑Camps
verschleppten Japanern und besser als den hinter Stacheldraht gesperrten Juden
Europas. MRR war nie in einem Lager, aus dem Warschauer Ghetto hatte er stets
freien Ausgang, dabei meist das NS‑Blatt "Völkischer
Beobachter" unter dem Arm. Einen Judenstern trug er dabei nicht. Es ging
ihm also besser, und zwar viel besser, als deutschen oder sowjetischen Soldaten
an der Newa, an der Wolga oder am Terek.
Warum MRR beim Einmarsch der
Deutschen von Westen in Polen 1939 auswich zu den von Osten anrückenden Sowjets
und sich dann von dort in das deutsch-besetzte Ghetto Warschaus verfügte, das
wird sein Geheimnis bleiben, er gibt darauf keine Antwort. Die Anfrage des
Berichters an ihn selbst blieb ohne Bescheidung.
Kurz nach Hitlers unrühmlichem
Abgang 1945 im Bunker der Reichskanzlei entstand nach zweitausend Jahren der
Diaspora ein Judenstaat auf inzwischen palästinensischem Boden ‑ eine
Folge der Hitlerschen Juden-Politik ganz ohne Zweifel. Die Palästinenser die
wirklichen Opfer Hitlers? Aber ja doch! Inzwischen wird die deutsche Nahost‑Politik
ideologiefreier ‑ 'Hamdullah' sagen die Araber, 'Gottseidank'.
Seit 1948 haben wir ‑
wie es Deutsche und Auslandsdeutsche auf der Welt gibt ‑Juden und
Auslandsjuden allüberall. Ein Jude, der sich nach seinem Polen die
Bundesrepublik Deutschland als Heimat suchte und nicht den Judenstaat ‑
ist ein Auslandsjude. Und hier ist er begünstigt wie kein anderer Bürger oder
Asylsuchender ‑ dank eben der Hitlerschen Judenpolitik und seinem
damaligen Chef‑Judenverfolger Hans Maria Globke. MRR ist Auslandsjude. In
seinen polnischen Papieren steht "Nationalität: Jude".
Globke, dieser Spitzenjurist
des III. Reiches legte Mitte der Dreißiger Jahre mit den Nürnberger
Rassegesetzen und mit seiner Juristen‑Mafia
den Grundstock zu dem späteren Rassenkampf im Zweiten Weltkriege. Es lief und
läuft die große sogenannte Wiedergutmachung ‑ für Juden. Als Vollstrecker
dieses ZweihundertMilliarden‑Geschäfts war den Entschädigten dieser so
schwer belastete Globke unreines Wasser auf deren Mühlen ‑ Geld stinkt
nicht. ‑ Als Star‑Jurist des ChefJuristen Konrad Adenauer (bis auf
die Knochen Anhänger der "Gottesmörder-These" und von daher bei der
"Wiedergutmachung" dabei), als dessen "Graue Eminenz", als
der wirkliche Begründer der Bundesrepublik Deutschland, wird Globke heute
heruntergespielt oder gar verschwiegen. Seine Schuld wurde mit Milliarden der heutigen
deutschen Steuerzahler gelöscht ‑ wenn solches denn möglich ist.
Die Teilung der drei Gewalten
wurde durch Globke aufgehoben: In Regierung, Verwaltung, Justiz ward diese
Teilung zum Gespött. Nur die mit einem Parteibuch ausgestatteten Spitzen‑Juristen
oder Spitzen‑Beamten (meist Juristen) gelangen in die höheren Positionen,
wo das 'ja' zur heutigen Judenpolitik 'rocher de bronce' und Voraussetzung für
Karriere ist. Persönlichkeits‑Wahlen haben im Nachkriegsdeutschland
vorsichtshalber nicht stattgefunden und vom Bundespräsidenten bis zum
Landesminister sind sie landauf landab Juristen. Dieses eine Prozent der von
Globke erwählten Herrscher‑Klasse besetzt die Ämter in den längst nicht
mehr getrennten "drei Gewalten".
Dank Globke blieb das Geschäft
der Staats‑Juristen, der Staats‑Anwälte und Richter in der Familie ‑
ein Erbhof. Der Beispiele gibt es Tausende. In Wahrung der Pfründe schlug das
Pendel aus zur anderen Seite: Juden in der Bundesrepublik sind" persona
grata", unantastbar ‑ auch wenn sie zwölf Jahre Zuchthaus rechtskräftig
auf dem Buckel haben wie Bubis oder künftige Bundeswehr-Offiziere Falschwissen
lehren wie Wolffsohn. Oder ob sie wie MRR mit der Frage befaßt sind, womit
deutsche Bücherregale gefüllt werden sollen. ‑ Man stelle sich einen
deutschen "Literaturpapst" mit Gestapo‑Vergangenheit im
vorderasiatischen Judenstaat vor, dann weiß man, welches Volk die größere
Selbstachtung hat.
Die "Vierte Gewalt"
der Medien, die Hofpresse, der Rundfunk, das Fernsehen, weiß genau: MRR ist ein
Völkermörder, Schreibtischmörder mit eigener Hand mordete er sowenig wie Adolf
Eichmann es tat. Das sind die wahren Halunken ‑wie Hochhuth es ausdrückt:
'und der Schusterjunge, der abdrückte, ist dran.' ‑ In dieser Schrift
wird berichtet über den "Leiter der Operativen Abteilung der polnischen
Geheimpolizei UB" in Kattowitz
Marceli Reich, wo laut Angaben des Juden
John Sack damals 80.000 deutsche Jugendliche, Frauen, Greise in den ehemaligen
Auschwitz‑Nebenlagern (noch voll eingerichtet) vernichtet wurden
("Auge um Auge" im Hamburger Kabel‑Verlag, 1995).
Einrückende Vergewaltiger aus
dem Osten hatten zwanzigtausend Frauen im Raume Kattowitz mit Syphilis
angesteckt. Dazu berichtete der damalige Kriegsberichter Robert Jungk
("Heller als tausend Sonnen"), ebenfalls Jude, 1945 nach einer Reise
in Schweizer Presse: "Die Behandlungsmethode war einfach: Kopfschuß".
MRR meint zu dem Geschehen:
"Was geht denn das die Deutschen an, was ich in fremden Diensten getan
habe?" Einspruch, Euer Unehren! Die vereinigten Gewalten in der
Bundesrepublik Deutschland verhalten sich wie die drei ostasiatischen Affen.
Die vierte Gewalt der Medien ist angepaßt wie zu Zeiten des Goebbels. Gelernt
ist gelernt.
Nach dem Bericht des US‑John
Sack über die Beteiligung des MRR am 45er Völkermord im oberschlesischen Kattowitz
ermittelte kein deutscher Staatsanwalt 'ex officio', meint: dem Gesetze treu.
So läuft das "an Weisungen gebunden" in Wahrheit. Angestoßen mit
einer Strafanzeige und gestoßen wurde schließlich der Frankfurter Staatsanwalt
Galm, der zunächst einmal im August 1995 zweifelte, ob Marceli Reich und Marcel
Reich‑Ranicki überhaupt identisch seien. Diese Identität hatte MRR längst
zugegeben. Nach zwei Jahren stufte am 6.3.97 dieser Staatsanwalt Galm das
Verfahren gegen MRR wegen Völkermord auf einfachen "Mord" herunter,
beugte damit das Recht, begünstigte und strafvereitelte im Amt auf diese Art:
"Der Tatzeitraum konnte auf den 05.02. ‑25.03.1945 eingegrenzt
werden ... die Mordtaten sind nach deutschem Recht nach Ablauf des 24.03.1965
verjährt." Heilige Schwarze Madonna von Tschenstochau ‑ in meinem
Strafgesetzbuch ist auf Seite 73 als einziges in rot gedruckt: "Die
Verbrechen Völkermord und Mord verjähren nicht." Zu diesem Hallodri Galm
verspricht der Hessische Justizminister, er werde das Verfahren an sich ziehen.
Darauf wird bis heute gewartet ‑ auch ein sehr abhängiger Landesminister
weiß: In manchen Fällen ist bei Gleichbehandlung der Hammer
"Antisemitismus" schnell zur Hand. Und den fürchtet er wie der Teufel
das Weihwasser.
Wo es um Völkermord an Serben
und Kroaten, an Bosniern geht im vorübergehend abgeflauten Balkan‑Krieg,
da schlägt die bundesdeutsche Justiz zu, wenn sie denn einen der Völkermörder
in Deutschland einfängt. Recht so! Wenn es sich um 80.000 zu Tode gequälte
Deutsche in Oberschlesien handelt, dann jedoch macht die BRD‑Justiz die
beschriebene Pause. ‑ Wäre MRR Serbe oder Kroate, dann verbrächte er
seine letzten zehn Jahre hinter deutschen
Gittern.
Einer vom Bau erklärt es. Der
ehemalige Berliner Wiedergutmachungsrichter Dietrich Schmiedel ‑ Enkel
eines kaiserlichen, Sohn eines "Führer"‑Richters ‑bekennt
im Buche "Rechts‑Staat" (Marva/Genf1977): "Auf unseren
Betriebsausflügen sangen wir Wiedergutmacher in die Landschaft: 'Wir machen
alles wieder gut, nur immer Mut, nur immer Mut."
Der amtierende Bundespräsident
Herzog ‑ noch ein Jurist ‑ tönt zur Heine‑Feier Ende 1997:
"Schriftsteller dienen ihrem Land mit ätzender Kritik. Wir brauchen
Widerspruch. Nie ist der sperrige Individualist wichtiger gewesen als
heute." ‑Trauen wir diesem Frieden nicht. Da wird geheuchelt. Denn
gleichzeitig haben die an Weisungen gebundenen Staatsanwälte den Paragraphen 90
a von der "Verunglimpfung des Staates" und den besonders gern
verwandten Paragraphen 130 "Volksverhetzung." Und diese beiden
Paragraphen werden genutzt, daß die Schwarte kracht, daß die Knäste
überquellen. Das geht bis zu amtlicher Lebensverkürzung.
Der Berichter kann ein Lied
davon singen, brach er bisher doch einige Tabus. Er war NKWD‑Häftling und
floh. Er war Häftling der polnischen UB‑Geheimpolizei des MRR und floh.
Hier verzichtet er im folgenden weitgehend auf eigene Aussage. Von allen
Gewalten verschwiegene Dokumentationen gibt es: "Dokumentieren wir
mal!"
DAMALS
‑ in Diensten der Nazis und Sowjets
"Eine zusammenhängende
Darstellung dieses so erstaunlichen wie faszinierenden Lebenslaufs fehlt
bisher," meinen Volker Hage und Mathias Schreiber in ihrem Buche
"Marcel Reich‑Ranicki" (Kiepenheuer & Witsch 1995) über den
Aussteiger, der da am 21. Juli 1958 auf dem Hauptbahnhof Frankfurt am Main den
aus Polen eingetroffenen Zug verläßt. Der an den beiden Grenzen vorgezeigte Paß
wies aus "geboren am 2. Juni 1920 in Slocawik" (einer polnischen
Kleinstadt an der Weichsel) als Sohn des David Reich.
Mit eben Neunzehn war der
junge Marceli aus dem gerade sowjetisch besetzten Polen in das unter deutscher
Herrschaft stehende Warschau gewechselt. Dieses Überlaufen bleibt weiterhin
erklärungslos. Über einen Auftraggeber spricht MRR bisher kein Wort. Der
normale Weg eines polnischen Juden war damals der umgekehrte. Sein sofortiger
Job im Warschauer Judenrat des Ghettos war wohl einer der wichtigsten dort:
Chefdolmetscher im Verkehr mit den deutschen Besatzern. "Das Ghetto zu
verlassen, war für mich nicht schwer," berichtete MRR vierzig Jahre danach
in der ZDF‑Femsehreihe "Zeugen des Jahrhunderts." Mit dem NS-Parteiblatt
"Völkischer Beobachter" unterm Arm wandelt er auf Warschaus Pracht‑Alleen,
von keinem behindert. Einen gelben Stern brauchte er nicht zu tragen. Im Ghetto
heiratete er Teofila Langnas, vom gleichen Jahrgang 1920, bis heute blieben sie
sich treu. Die Hochzeitsfeier war mittelprächtig gewesen.
Außer "Chef‑Dolmetscher"
war MRR Musikkritiker der Ghetto‑Zeitungen. Gespielt wurden dort im
Kriege Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Dvorak und Tschaikowski. Alles war
hervorragend und entsprechend waren seine Lobeshymnen: Wie waren die Besatzer
doch nur um Kultur bemüht.
Die anderen im Ghetto
Darbenden bereiteten ihren Aufstand von 1943 vor, den dann herangekarrte Letten
und Ukrainer im reichlich fließenden Judenblute erstickten. Marceli und Teofila
verdufteten rechtzeitig, ihre Riecher waren gut gewesen. Beide wurden
Untermieter bei einem Buchdrucker ostwärts der 1944 beim späteren Aufstand der
Polen flach gebombten und zerschossenen Hauptstadt des Volkes mit der Hymne
"noch ist Polen nicht verloren."
"Meine Frau,"
bekennt MRR im bei Kiepenheuer & Witsch erschienenen Buche, "hat mit
falschen, sogenannten arischen Papieren gearbeitet." Zu den in den Wäldern
lagernden jüdischen Partisanen oder zu der ringsherum kämpfenden polnischen
Heimat‑Armee schlugen sie sich nicht. Die Zimmer waren warm beim Drucker,
die Verpflegung war ausreichend auf dem Lande. Teofila setzte sich abends ans
Klavier, "um ein Stück von Beethoven oder Chopin zu spielen." Marceli
übersetzte die GoebbelsZeitung "Das Reich" ins polnische. "Darin
ließ sich," entschuldigte er sich später", noch am ehesten verfolgen,
wie der Krieg verläuft." Goebbels ‑ der war demnach ein
Wahrheitssucher. Auch auf diese Art läßt sich Widerstand leisten.
Vor dem Wechsel in dieses
traute Heim war vom Ehepaar in die Kasse des Warschauer Judenrats gegriffen
worden. Es gab Komplizen und MRR bekennt: "Meine Frau und ich haben für
die Mithilfe einen Betrag bekommen." "Das genügt," sagt da gemeinhin
ein Staatsanwalt. Jedenfalls reichte das bis zum Herankommen der Roten Armee
aus den Weiten des Ostens. Das Geraubte stammte von den 500.000 einsitzenden armen
Juden ‑ aus Spenden und Steuern.
Was war nun die Aufgabe des
"Judenrates" gewesen, aus dessen Spitze sich MRR nebst Ehefrau
abgesetzt hatte? Der Berichter kann nur erzählen von einer Begegnung mit dem
Wilnaer Judenrat kurz nach Kriegsende. Die heutige litauische Hauptstadt, durch
die Geschichte von Polen und Juden beherrscht, kann vieles mitteilen.
Nach Ausheilung dreier
ziemlich gleichzeitiger Verwundungen in einem Lazarett der Roten Armee nahm
mich Gefangenen das NKWDZuchthaus Wilna 195/I am Fuße des Kalvarienbergs unfreundlich
auf. Hinter den fünf Meter hohen Mauern floß die breite Wilja. Bei den Verhören
gingen die beiden vorderen Schneidezähne flöten. Solschenizyn behauptet in
seinem "Gulag", er habe in seinen sibirischen Jahren keinen
menschlichen NKWDisten getroffen. Mich fragte damals ein Oberleutnant dieser
Spezialtruppe, den wir wegen seiner Mütze stets im Genick "Sturm"
nannten, nach meinem Befinden als Gefangener. Als Akademiker war er deutsch‑
und französischsprachig. "Plocho," sagte ich wahrheitsgemäß auf
russisch, "beschissen wäre geprahlt. Nicht mal mehr einen Schluck Wodka
kann man zur Brust nehmen." "Sturm" zeigte mir ein durch einen
losen Stein verdecktes Loch in der Mauer des Riesenbaus aus Zarenzeiten ‑je
trou dans Ie mur". Immer wenn er seine kreisrunde Mütze lüftete, wußte
ich, daß da eine 'butelka' auf mich wartete. "Spasibo, towarisch."
Wir wurden eingeteilt,
verhört, verhört am Tage und verhört nachts bei Scheinwerferlicht. Wer war am
Partisanenkrieg beteiligt gewesen, wer hatte sowjetische Kühe getötet, wer
hatte Russen als Spitzel angeworben und wie hießen diese? Französische Freiwillige,
die auf deutscher Seite gekämpft hatten, kamen hinter unsere Mauern. Dann
tauchten als "Verräter" die Tschechen auf, die in Wahrheit als
Sudetendeutsche in der Wehrmacht Dienst getan hatten. Und plötzlich hatten wir
an die zweihundert Juden im schwarzen Kaftan mit wallenden Bärten, mit
Ringellocken und allem Drum und Dran unter uns. Im Gegensatz zu uns anderen
wurden sie nicht kahl geschoren. "Was wirft man denn euch vor?"
fragte ich den Ältesten, einen Gewaltigen mit schlohweißen Haaren.
"Sunnele (Söhnchen)," antwortete der, "weil wir sain am Leben geblieben." "Töten lassen,
um nicht getötet zu werden" ‑ diese Selektionsregel hatten sie also
befolgt, wie auch MRR im Warschauer Ghetto sie hatte ertragen müssen.
Mein towarisch
"Sturm", zuvor Frontoffizier der Roten Armee, der nach einer Verwundung immer noch lahmte, kam des öfteren nach Einschluß des Abends in meine
Ein‑Mann‑Zelle (ich galt als fluchtverdächtig). Mein Ritterkreuz
hatte ihn beeindruckt. In den Sümpfen südlich Ladoga‑See hatten wir uns 1942
gegenüber gelegen. So klärte er die Besonderheit dieser Kaftan‑Juden
eines Nachts: "Das ist der Judenrat von Wilna mit seiner Judenpolizei. Die
bestimmten, wer in die Lager geschafft wurde. Sie stellten die Listen zusammen,
sie prügelten in die Waggons. Sie selbst blieben im Ghetto, bis wir es im
Sommer 1944 befreiten. Und jetzt? Sibirien für diese Kollaborateure der
SS!" Diese jüdisch‑deutsche Zusammenarbeit im Zweiten Weltkriege ‑
da ist noch ein Tabu zu brechen. Vom Wilnaer Judenrat hat später keiner mehr
etwas gehört, sie blieben nur kurz, wurden schnell verurteilt und gingen ab
Richtung Osten.
Der Anfang 1943 aus dem
Warschauer Judenrat davongekommene MRR tauchte 1944 beim Einmarsch der Roten
Armee und bei Bildung der sowjetisch gesteuerten Roten Gegenregierung in Lublin
aus seiner Halb‑Versenkung auf, wurde mit Gespür Mitglied der
neugebildeten polnischen Kommunistischen Partei. Das alte Landserwort geht
umher: "Ich weiß nichts, ich kann nichts, gebt mir eine Uniform." Den
MRR, der nie gedient hatte, steckten sie ohne Umstände in die Uniform eines
Offiziers der polnischen Geheimpolizei UB ‑ recht bald war er
"Kapitan", also Hauptmann. "Kleidung und Nahrung," bekennt
er bei Hage und Schreiber, "waren gesichert." Ein wenig in
Widerspruch steht das zu späteren Bekundungen: "Ich trug damals keine
Uniform." Ab jetzt wird zensiert.
Als erstes wurde MRR Leiter
der Militärischen Postzensur: Wer von den Soldaten der sowjetisch kommandierten
polnischen Armee Verbindung zur regulären polnischen Exil‑Regierung in
London hielt, der landete bei den Kriegsgerichten ‑ bis hin zur
Erschießung. Auch hier tötete MRR nicht selbst.
Im Jahre 1997 erhob der
amtierende Bundespräsident Roman Herzog den 27. Januar zum Holocaust‑Gedenktag.
Ein Jahr darauf gedenken die Zeitungen pflichtgemäß. An jenem fernen Tage
wurden 1945 die Gefangenen aus Auschwitz befreit. Das oberschlesische Kattowitz
mit damaligen Außen‑ArbeitsLagern ist einen Morgenspaziergang entfernt.
Das Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht vermerkt am gleichen 27.
Januar unter "Heeresgruppe Mitte" dieses: "Weitere Verschärfung
der Lage in Oberschlesien. Panzer stießen nach Kattowitz vor." Sowjetische
Einheiten rollten weiter, zügig ins Reich hinein. In Kattowitz setzte sich die
polnische Etappe fest.
In den noch rauchenden
Trümmern der Kohle‑Hauptstadt taucht mit der dritten Welle MRR auf,
nunmehr Leiter der "Operativen Abteilung" der berüchtigten UB
(offiziell: Amt für Staatssicherheit in Polen). Diese Geheimpolizei räumt die
Nebenlager und ‑ füllt sie wieder. Wer von den Deutschen in diesem Gebiet
etwas zu befürchten hatte, wer in der NSDAP oder nur in der SA gewesen war, der
ist längst über alle Berge der "Oberschlesischen Platte" ab in
Richtung Westen. Die kriegstauglichen oberschlesischen Männer sind weit fort,
verteidigen mit der Wehrmacht irgendwo an der Weichsel, am Rhein oder in
Oberitalien am Po das Reich. Die Zahl der zurückgebliebenen
"Schuldigen" liegt laut John Sack bei 0,8 Prozent ‑ "auf
der Strecke blieben unschuldige 99,2 %."
Die "Truppe" des MRR
greift sich die Alten und die Jungen, die Frauen und die Mädchen, treibt sie in
die freigeräumten Lager und ‑ tötet sie dort. Der oberschlesische
Kohlenpott ‑ so wichtig für das heutige Polen wie der Ruhrpott für
Deutschland ‑ soll "deutschenfrei" werden. John Sack meint in
seinem Buche "Auge um Auge", das Motiv dieses Völkermords sei
"Rache für Auschwitz durch Juden" gewesen. Da greift wohl das eine in
das andere ‑ beide Begründungen halten einer Betrachtung stand, zusammen.
Polnische Chauvinisten und jüdische Rächer hatten gleiches im Sinne: Staats‑Terror,
Vertreibung durch Mord.
Die Täter, die John Sack
nennt, waren Juden. Neben Marceli Reich erscheinen auf John Sacks Liste: David
Feuerstein, Jadzia Sapirstein, Schlorno Morel. Autor Sack schreibt auf Seite
297: "Barek Eisenstein schätzte, daß 90 Prozent der jüdischen Mitarbeiter
des Staatssicherheitsdienstes sich polnische Namen zulegten." Aus Marceli
Reich wurde Marcel Reich‑Ranicki. Weiter wird aus dieser Seite 297
zitiert: "Adam 'Krawecki' schätzte den Anteil der Juden auf 70 bis 80
Prozent ... Josef Musial, 1990 stellvertretender Justizminister in Polen,
sagte: 'Ich rede nicht gern darüber', aber in ganz Polen seien die meisten
Offiziere des Staatssicherheitsdienstes Juden gewesen." Der oberste
polnische Geheimdienstler, der Chef vom Ganzen, saß in Warschau und war der aus
Moskau eingeschleuste "General" Jakob Berman, der nirgend einen
Militärdienst geleistet hatte, ein Jude.
Hier brauchen wir nicht zu
streiten "wie in der Judenschul" ‑ wie Rafael Seligmann es sich
einmal von uns Deutschen gewünscht hatte (DER
SPIEGEL 10/1995/62 + 66). Die Angaben stammen vom Juden John Sack, der sehr
genau und durch sieben Jahre geforscht hat. Es gibt ‑ viel zu wenig
bekannt ‑ Juden, die sich der jüdischen Religions‑ und
Menschenrechtslehre verpflichtet fühlen.
Im übrigen sind die wichtigen
Geheimdienste auf diesem Erdball seit langem durchweg in der Spitze von Juden
besetzt. Als bester "Dienst" ist der israelische Mossad unumstritten.
Alexander Solschenizyn beschreibt in seinem "Gulag" die Anfänge der
GPU, späteren NKWD, er nennt die Chefs, sämtlich Juden‑. Matwej Berman
(Vater des eben erwähnten zum Polen gewordenen Jakob Berman), Lasar Kogan,
Genrich Jagoda und nicht zuletzt den Naftalij Frenkel, einen türkischen Juden
aus Konstantinopel, der mit allem Geschäfte machte, auch mit Sklaven. Mit ihm
schließt Solschenizyn ein Kapitel: "Frenkel starb in Moskau im Range eines
Generalleutnants, alt und geehrt. Mich dünkt, er hat unser Land gehaßt."
Hitlers Geheimdienst‑Chefs
waren der Admiral Canaris, griechischjüdischer Abstammung, und der SS‑General
Heydrich, dessen Vater noch als Süß geboren wurde, dessen Großmutter eine Sarah
gewesen war (Reichsführer SS Heinrich Himmler dazu: "Heydrich hat den
Juden in sich überwunden" und Reichsmarschall Göring haute in die Kerbe:
"Wer Jude ist, bestimme ich."). Vergessen wir an dieser Stelle nicht
den aus Moskau gekommenen Geheimdienst‑Chef der ex‑DDR, einen
Markus Wolf, ebenfalls Jude. Wieso die Angehörigen dieses Volkes sich besonders
für die von Staatslenkern für notwendig gehaltenen "Dienste" eignen,
die Menschenleben in aller Regel nicht gerade hoch einschätzen, sie auch
gezielt auslöschen und die den Verrat zum Arbeitsprinzip erhoben, das wird in
dieser Schrift nicht untersucht.
Das weithin ungeliebte, ja
gehaßte Buch des John Sack kam ganz schwer in die Hufe ‑ in Deutschland.
Mit seiner deutschen Übersetzung des in New‑York ungehindert und
erfolgreich vertriebenen Werkes hat es erschreckendes erlebt in einem Staate,
der sich immer wieder rühmt: "Zensur findet in Deutschland nicht
statt." Mit Blick auf den Erfolg in den USA schloß der nicht unbekannte
Münchener Piper‑Verlag mit John Sack einen Vertrag und ‑ brach ihn.
Als deren Bücher zu Tausenden hergestellt, bereits in Folien eingeschweißt waren,
da gab vom Verlage am 8.2.95 eine Sigrid Bubolz‑Friesenhahn diese
"Information" heraus: "Der Piper-Verlag hat sich entschlossen,
das Buch 'Auge um Auge ‑Opfer des Holocaust' von John Sack nicht
auszuliefern." Die Pressereferentin beruft sich dabei auf Wünsche des
Autors. Das liegt weit daneben ‑ Sack suchte nämlich erneut einen
deutschen Partner und er fand in Hamburg den Kabel-Verlag. Zu diesem Stamme
gehört die beliebte Volksschauspielerin Heidi Kabel und auch sie gilt allgemein
als unerschrocken. Im endlich bei Kabel erschienenen Buche dankt John Sack
"der Leserin und dem Leser, weil Sie sich nicht von Rezensionen haben
abschrecken lassen, die Sie aufforderten: 'Tun Sie mir einen Gefallen, lesen
Sie dieses Buch nicht.' ... Ich hoffe, daß Sie trotz allen Krawalls
festgestellt haben, daß keiner, weder Jude noch Deutscher, noch Pole, der 1945
dabei war, je eine Aussage in dem Buch und in den Anmerkungen geleugnet
hat." Auch MRR ‑ ob nun Jude oder Pole oder Deutscher ‑
meldete sich mit einer Leugnung nicht.
Piper jedenfalls makulierte.
Früher war es Feuer ‑ heute schafft das Zerstörungswerk der moderne
Reißwolf. Über die Hintermänner der sogenannten Selbst‑Zensur brauchen
wir hier nicht weiter zu rätseln.
"Um zu wissen, wie der
Ozean schmeckt, muß man ihn nicht austrinken."
Einige Schlückchen genügen. So greifen wir ziemlich wahllos in das "Auge
um Auge" und aus 392 Seiten heraus, wie der von MRR organisierte
Völkermord im Jahre 1945 im abgelegenen deutsch‑polnisch‑tschechischen
Grenzland ablief ‑ vor der Welt verborgen. In Dresden, Nagasaki und
Hiroshima fand Völkermord, der noch heute Thema ist, auffälliger statt. Hier
sind die Schlückchen aus dem Ozean, einige Zitate aus "Auge um Auge":
"Eines Tages tauchte ein
Deutscher in pechschwarzen Hosen, der Farbe der SS, in Lolas Gefängnis auf. Ein
Pole hatte ihn in der Nähe des Marktplatzes entdeckt und gerufen: 'Faschist. Du
trägst Schwarz!', woraufhin der Deutsche davongerannt war, doch der Pole hatte
ihn anderhalb Kilometer, bis zur Peter‑und-Pauls‑Kirche, verfolgt.
Vor einem Goldmosaik stellte er ihn, schlug ihn, trat ihn und schleppte ihn in
Lolas Gefängnis. Mehrere Wächterinnen beschlagnahmten das belastende
Beweismaterial, die schwarze Hose: so gewalttätig rissen sie ihm das
Kleidungsstück vom Leib, daß er von der Prozedur einen Sehnenriß davontrug. Der
Mann schrie, doch die Frauen befahlen ihm zu schweigen. Sie erkannten nicht,
daß die Hose zu einer Pfadfinderuniform gehörte ‑ und der 'Mann' vierzehn
Jahre alt war. Sie beschlossen, ihn zu foltern. Mittlerweile unterhielt das Amt
für Staatssicherheit 227 Gefängnisse für Deutsche, und jedes hatte seine
eigenen, charakteristischen Methoden. Der Junge wurde schließlich in eine
Anstalt für Geisteskranke eingeliefert. Er kam nie wieder heraus."
..Die Schreiber tippten
Formbriefe auf der Maschine, in die nur noch der Name des jeweiligen Toten
eingesetzt werden mußte, und die Aufseher stapelten die Leichen. Die
ausgezehrten Körper verbargen sie unter Altpapier oder Kartoffelschalen und
fuhren sie zum Friedhof, wo der Totengräber die gierigen Katzen verscheuchte
und die Leichen bei Nacht in eine Grube warf
"Manchmal vergaßen sie
den Unterschied zwischen körperlicher Züchtigung und Todesstrafe: dann
ergriffen sie einen Deutschen an Armen und Beinen und stießen ihn mit dem Kopf
gegen die Wand wie einen Rammbock. Man zerschlug die so geschätzten Holzstühle
an den Deutschen. Jeden Morgen wurden die Toten in die Leichenhalle gekarrt,
die zerbrochenen Stühle erhielt der Tischler, der Leimstäbe erhitzte und vor sich
hinmurmelte: 'Jesus, Maria und
Josef! Noch mehr Stühle.`
"Sie sperrten die
Deutschen in einen Hundezwinger und schlugen sie, wenn sie nicht bellten. Sie
zwangen sie, sich untereinander zu prügeln: sich gegenseitig ins Kreuz zu
springen, die Nasen einzuschlagen, und wenn einer zu sanft boxte, sagten die
Wachen: 'Ich zeig' dir, wie's geht', und schlugen zu ‑ einmal so hart,
daß sie einem Deutschen das Glasauge ausschlugen. Sie vergewaltigten die
deutschen Frauen ‑ eine Dreizehnjährige wurde davon schwanger ‑ und
richteten ihre Hunde so ab, daß sie auf das Kommando 'Sic!' den Männern die
Geschlechtsteile abbissen. Aber es waren immer noch dreitausend übrig."
"Czeslaw pflegte Kehlen
zu zertrampeln. Einmal befahl er einem Deutschen, auf einen Baum zu klettern
und zu rufen: 'Ich bin ein Affe!', woraufhin er seinen Revolver zog und den
Deutschen erschoß. Der Stellvertreter erschoß die Deutschen ebenfalls, manchmal
fiel ihm etwas Neues ein: er fragte einen Deutschen: 'Weißt du, wie ich heiße!'
‑ 'Nein, Herr Vizekommandant. ' 'Ignaz!' rief der Stellvertreter und zog
dem Mann den Säbel über den Kopf. Ein andermal legte er Feuer in einer Baracke
und schrie 'Sabotage!', und als die deutschen Frauen Sand zusammenscharrten,
mit ihren Röcken in die Baracke trugen und auf die wild lodernden Flammen
warfen, stieß er die schreienden Frauen ins Feuer. Einer der Aufseher kam auf
die Idee, einen Deutschen an seinem Bart in einen Schraubstock einzuspannen;
nachdem er ihn gut befestigt hatte, zündete er den Mann an. Jeden Tag erhielt Czeslaw
eine Liste mit den Namen der Ermordeten und jeden Tag fragte er: 'Warum so
wenig?'. Nach einer Weile waren fast alle tot."
"Die Aufseher zwangen
Frauen, Urin und Blut zu trinken und menschliche Scheiße zu fressen. Sie
steckten einer Frau einen ölgetränkten Fünfmarkschein in die Vagina und zündeten ihn an."
Den Rest besorgten Hunger und
Hungertyphus. Große Gruben füllten sich mit skelettartigen Leichen. Am 17.
Oktober 1945 ordnete der Staatspräsident Polens die Ausweisung der überlebenden
Deutschen an. Die Kirchenglocken läuteten.
Als nach einem Jahrzehnt aus
dem Großraum Kattowitz einiges durchsickerte, lebte der polnische
Antisemitismus wieder auf. UB‑Chef Berman fiel in Ungnade und Sack
berichtet von einem Besuch in Warschau: "Zwölf Jahre lang hatte Jakob
Berman den Staatsssicherheitsdienst geleitet, hatte in Warschau Lachs und
Hummer gespeist und Bärenbraten in Moskau. Dann wurde er gefeuert, aus der
Partei ausgeschlossen und aus der Allgemeinen Enzyklopädie gestrichen. Diese
Serie von Schicksalsschlägen führte Jakob auf den polnischen Antisemitismus
zurück, als er im Jahr 1983 ‑ nun in einem alten grauen Pullover ‑
mit einer polnischen Schriftstellerin zusammensaß, Tee trank und anmutig eine
israelische Orange zerteilte. 'Die polnische Gesellschaft,' sagte Jakob und
führte die Tasse an die Lippen, 'ist sehr antisemitisch. "'
Vor ermittelnden polnischen
Staatsanwälten flohen Täter nach Israel. Auch dem MRR wurde der Boden zu heiß
und er setzte sich ab nach Westdeutschland, wo er zunächst bei der Hamburger
"Zeit", später in Frankfurt am Main bei der "FAZ" günstige
Aufnahme fand. Bei Hinweisen auf die Geheimdiensttätigkeit des MRR gab der
Bänkelsänger Wolf Biermann seinen Senf dazu und dieses zum besten: "Die
Vorwürfe gegen Reich‑Ranicki sind stinkende Eier und faule Tomaten."
Der in Frankfurt am Main nicht
ermittelnde Staatsanwalt Galm verteilte die Strafanzeige des Berichters gegen
MRR wegen des von Sack beschriebenen Völkermords freigebig an andere ‑
als gäbe es keinen Datenschutz. Das darf als Aufruf zu einer Hatz genommen
werden. Hier ist die bemerkenswerte Antwort des Hessischen
Datenschutzbeauftragten vom 16.8.96 zum Vorgang:
"Eingriffe in das Datenschutzrecht sind zulässig, wenn sie im Interesse
des Allgemeinwohls zwingend erforderlich sind. Bis normenklare Regelungen
kommen, werde ich bei jedem Einzelfall eine Abwägung treffen, ob ich die
Verfahrensweise als Datenschutzverstoß einstufe. Ein solcher Ermessensspielraum
steht mir zu."
Dem Präsidenten des Hessischen
Landtages ist bei diesem "Spielraum" nicht so recht wohl ‑ er
antwortet am 21.1.97: Im Ergebnis war die Mitteilung rechtlich nicht korrekt
und ist zu bedauern." Da hat der Bürger ‑ wie stets bei Juristen ‑
zum Aussuchen. Außer dem "Bedauern" ist weder dem Staatsanwalt Galm
noch dem Hessischen Datenschutzbeauftragten das geringste geschehen.
Bekanntlich wäscht nach Bert Brecht eine Krähe der anderen die Hand. "Eine
Überarbeitung," stellt der Präsident Möller vom Hessischen Landtag
abwiegelnd in Aussicht, "um zu normenklaren Regelungen zu kommen, steht
an." Ein vages Versprechen für das nächste Jahrtausend: "normenklare
Regelungen" besitzen wir im ..Einzelfall" MRR wohlweislich nicht.
Dafür haben wir Gummi und regierungsamtlich erlaubte "zulässige Eingriffe
im Interesse des Allgemeinwohls."
Diesem
"Allgemeinwohl" hilft der Staatsanwalt Galm immer wieder auf die
lahmen Beine mit einem fehlenden Anfangsverdacht". Dies erklärt auch die
Nichtanhörung von sieben angebotenen Zeugen mit oberschlesischen Namen, die
1945 entweder selbst im Raum Kattowitz einsassen oder dort ihre Angehörigen
verloren. Auch MRR, dieses Hätschelkind von "Zeit", "FAZ"
und nicht zuletzt "Spiegel" ist in den Jahren des in Frankfurt am
Main sich schleppenden Völkermord‑Verfahrens selbst nie gehört worden.
Krysztof Starzynski ‑ ein alter Unteragent des MRR ‑ schreibt:
"Welche Befehle Reich‑Ranicki als 'Leiter einer Operationsabteilung'
des Geheimdienstes im Frühjahr 1945 in Katowice ausführte, liegt bis heute im
dunkeln. Er selbst hüllt sich in Schweigen."
Bevor wir uns weiteren
Schreibtischmorden des MRR zuwenden, wird das Kapitel "Völkermord in
Kattowitz" abgeschlossen mit einem Bericht "Hamburger
Abendblatt" vom 13. Juni 1994. Titel "Warschauer Zeitung belastet den
Kritiker" und dann: "Paczkowski hatte 1990 Zugang zu den Akten des
Innenministeriums. Nach Meinung des Historikers Jerzy Holcer, der ebenfalls
Akten im Archiv des Ministeriums eingesehen hatte, scheint das Material
authentisch zu sein. Nach dem jetzt veröffentlichten Dokument ist Reich‑Ranicki
am 25. Oktober 1944 als Zensor in den Dienst eingetreten, hat vom 5. Februar
bis 25. März 1945 als Chef einer 'Operationsgruppe' in Kattowitz
gearbeitet." Auch Helga Hirsch von der "Zeit" hat Einblick in
dieses Archiv genommen, Fotokopieren wurde ihr nicht gestattet. Dem Peter
Fischer vom "Ostpreußenblatt" gab sie Gründe für ihr späteres
Schweigen an. Marcel Reich‑Ranicki ist der Literaturpapst der heutigen
Deutschen. Wer wirft auf einen Papst den ersten Stein?
Der "wahre Stellvertreter
Gottes auf Erden" stand während des Zweiten Weltkrieges bei Hitlers Juden‑Politik
"Schulter an Schulter" mit dem deutschen Vatikan‑Botschafter,
einem SS‑General Ernst von Weizsäcker (dem Vater von Richard). Der jetzige
"Stellvertreter", ein Paul II., dreht sich mit der Welt zur
Siegermacht ‑ im Herbste 1997: "Das Volk Israels ist das Volk
Gottes, es ist das auserwählte Volk. Das ist ein übernatürliches Faktum!" ‑
Sowas an Rassismus! Da hält es der Berichter, der fünfundzwanzig Jahre im
Vorderen Orient mit den zur Edelrasse Erhobenen lebte, mit dem Juden Heinrich
Heine: "Die Juden, wenn sie gut, sind sie besser, wenn sie schlecht, sind
sie schlimmer."
War es die Aufgabe des
"UB‑Leiters der Operativen Abteilung", MRR, im Kriegsjahr 1945
in Kattowitz, tagsüber Karten zu spielen und abends Puschkin zu lesen? Oder war
der umtriebige Mann nicht vielmehr damit beschäftigt, tagsüber die Menschen‑Venichtungs‑Lager
einzurichten und sie nachts mit den auszurottenden Deutschen aufzufüllen? Was
auch immer ‑ MRR schoß nach diesen Kattowitz‑Massenmorden leuchtend
hoch im sowjetisch‑polnischen Himmel wie ein Sputnik. Aus dem Londoner
Nebel strahlte er mörderisch auf die in der britischen Hauptstadt immer noch
tätige polnische Exil‑Regierung.
In seinem Buche "Doppel‑Agent
zwischen Diensten, Diplomaten und Dementis" meint der zum Westen
übergelaufene MRR‑Unteragent Krysstof Starzynski: "Marceli Reich ist
nach der Erfüllung seiner Aufgaben als Leiter der Operationsabteilung in
Kattowitz ungewöhnlich schnell in der Geheimdiensthierarchie
aufgestiegen." Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg ‑ 80.000
ermordete Deutsche galten als Erfolg.
Vor London war Berlin. Hier
hatten die Sieger des Zweiten Weltkrieges ‑ darunter die Polen, mit denen
alles losgegangen war ‑ Kontroll‑ und Militärmissionen häuslich
eingerichtet. Der Nie‑Soldat MRR diente bei der Polnischen
Militärmission, schnupperte zur Vorbereitung auf London die Berliner Luft,
Diplomatenluft. Daß der Auserwählte bei dieser Kontrolle der Deutschen einige
Schreibtischmorde beging, ist so wenig überliefert wie seine Aufgabe von 1946
überhaupt geklärt ist.
Daß MRR in den für die
Liquidierung der polnischen Exil‑Regierung
entscheidenden ersten Nachkriegsjahren als Mittzwanziger "Chef des
Generalkonsulats der Republik Polen in London" war, wurde von ihm lange
verschwiegen. Agentennamen, also falsche, halfen bei dieser Vertuschung. Seit
den Enthüllungen vom Fernsehmann Tilman Jens, Sohn des Tübinger Rhetorik‑Professors
Walter Jens, bestreitet er nur noch schlapp, gibt bruchstückweise zu, was nicht
länger zu leugnen ist. Das Zögern entschuldigt er mit einer Loyalität dem
mörderischen Regime gegenüber, dem er diente.
MRR und die Familie Jens sind
durch lange Zeit befreundet ‑ gewesen. Solange, bis die finstere,
kriminelle Vergangenheit des Top‑Agenten aus Warschau trotz aller
deutschen Verschweige‑Blätter ans Licht kam aus dem Ausland. Tilman Jens
schreibt: "Reich‑Ranicki, der multimedial zum Literaturpapst
gefeaterte Kultur‑Clown, ist bekanntlich ein nachtragender Mann und sein
'Literarisches Quartett' eine Institution von marktbeherrschendem
Einfluß." ‑"Der Spionage-Chef, wegen kleinerer Schwindeleien
aus dem Dienst und der Partei verstoßen, hatte in der polnischen Hauptstadt
literaturwissenschaftlich verbrämte Elogen auf den Stalinismus geschrieben und
bettelte dann um die Wiederaufnahme in die KP." "Was Reich‑Ranicki
alles in London trieb und mit welchem Geheimauftrag womöglich er 1958 nach
Deutschland reisen durfte, werden wir in letzter Konsequenz erst erfahren, wenn
sich eines Tages die Archive in Polen öffnen." ‑ "Die Briefe
der Exilpolen ließ er mit Dampf öffnen. Schon damals war Diskretion seine Sache
nicht. Jede verdächtige Zeile hatte augenblicklich auf seinem Schreibtisch zu
landen. Schon damals wurde emsig konspiriert und denunziert. Er sorgte dafür, daß
schwarze Listen von London ins Hauptquartier nach Warschau gelangten.
Verzeichnet waren die Namen von 2000 mißliebigen Exilanten. Auch die physische
Vernichtung eines Gegners war dem falschen Konsul offenkundig nicht
fremd."
..Dienste", die einen
Eichmann illegal durch die Lüfte von Argentinien nach Israel schaukeln können,
die schaffen solches auch von abgelegenen Flughäfen in England nach Polen.
Tilman Jens gibt weiter
bekannt: "Starzynski berichtet von einem Mordkomplott gegen den in London
lebenden, ehemaligen Konsul Markowski, und hegt keinen Zweifel, 'daß alles mit
Marcel‑Ranicki abgesprochen war.' Wer in Ungnade fällt, ist erledigt. Das
war einst die Praxis des kommunistisch geschulten Kapitans. Und das ist bis
heute die Methode des Kritikers. ... Daumen hoch und Daumen runter. So schafft
man ein Klima der Angst. ... Wer der Lächerlichkeit preisgegeben ist, den wird
man nicht ernst nehmen. Reich‑Ranicki hat in seinem Spitzel‑Verein
fürs Leben gelernt." ‑"Wer sich im Geheimdienst hochgearbeitet
hat wie Reich-Ranicki, der ist wohl ein Leben lang dazu verdammt, an den
Erfolg des konspirativen Handelns zu glauben." ‑ "In den
Feuilleton‑Redaktionen von 'Spiegel', 'Focus', der 'Zeit' und der 'FAZ'
haben bekanntermaßen Freunde und Schüler Reich‑Ranickis das Sagen.
Herausgeber des 'Tagesspiegel' ist der Quartettfreund Karasek, auch im ZDF wird
kein kritisches Wort über den Literaturtalkmaster fallen." Ein wenig
traurig fragt Tilman Jens: "Wie unabhängig oder wie verfilzt ist
eigentlich Deutschlands Literaturbetrieb?"
Die
"Unterstellungen" von Tilman Jens bekamen ein großes Echo in den
deutschen Tageszeitungen. Die Waffe des Verschweigens war stumpf geworden. Das
Ausland berichtete laufend und auch Warschau hatte gemeldet. "Man liebt
den Verrat, aber nicht den Verräter." Des MRR Credo wurde bei dem "Kesseltreiben
'bekannt: "Wer nicht bereit ist, für die breite Leserschaft zu schreiben,
der hat in der Kritik nichts zu suchen." Daß dem Tilman Jens bei seinen Ermittlungen
"Antisemitismus" nachgesagt wurde, paßt nur zum Bild eines
sowjetisch gesteuerten Agenten und ist so gemein wie Brombeeren. Wobei der
Begriff "Antisemitismus" einer der umstrittensten und meist
mißbrauchten überhaupt bleibt. Ein Säulenheiliger des Alten Testaments hatte
zwei Söhne, Sem und Ham. In Vorderasien und Nordafrika wurden sie in der
angeblichen Wiege der Menschheit zu Stammvätern der Semiten und der Hamiten. Zu
den Semiten zählen außer den Juden viele Völker, nicht zuletzt einige hundert
Millionen Araber. "Shalom" und "Salem" ‑ man schlage
nach im häuslichen Lexikon.
Vorsichtig tasten sich nach
dem Enthüller Tilman Jens die deutschen Gazetten an das Geschehen. Der
"Münchner Merkur" gibt sich einen Ruck, bezeichnet den MRR als
"flegelhaften Hofnarren!" " Zuvor war das "Hamburger
Abendblatt" am 17. Juni 94 losgezogen: "Er war Chef von 50 Agenten ..
Reich‑Ranicki bestreitet diese Darstellung." Drei Tage darauf, am
20.6.94, berichtet das gleiche Blatt MRR
gestehe inzwischen ein: "Marcel Reich‑Ranicki gibt zu,
polnischer Agent gewesen zu sein. ... Als Hauptmann des polnischen
Geheimdienstes hieß ReichRanicki auch 'Lessing'. Daß Geheimdienstler
tief drin in konsularischen Vertretungen stecken, ist weltweit gang und gäbe.
Oft weiß man nicht, wer da stärker vertreten ist
die wirklichen oder die getarnten
Amtsträger. Im Londoner polnischen Generalkonsulat der ersten Nachkriegsjahre
war die Lage eindeutig: MRR und seine fünfzig Schlapphüte waren die Meister und
nicht irgendwelche Lehrlinge.
Reich‑Ranicki behauptet: "Ich habe
dabei niemandem geschadet."
Das behauptete einst auch Al Capone,
das sollen andere gewesen sein.
Und so
waren es auch hier "Lessing" oder auch gelegentlich die
"Weiße
Polen" rückliefern und vernichten ließen.
Das "Hamburger
Abendblatt" bringt an diesem MRR‑Berichtstag 20.6.94 eine Kolumne
unter der Überschrift "Zumutung". Hier ist sie vollständig:
"Es ist schon grotesk,
sich den Literaturpapst nun in der Rolle des Überführten vorzustellen: Doch
Marcel Reich‑Ranicki hat sich unnötig in eine Situation hineinmanövriert,
aus der er nun ohne Gesichtsverlust nicht mehr herauskommen kann. Obwohl es dem
eloquenten Literaturkritiker noch bis vor kurzem möglich gewesen wäre,
begreiflich zu machen, aus welchen Gründen er 1944 in den Dienst des polnischen
Geheimdienstes trat, verhielt er sich genauso wie viele andere Prominente, die
sich einst mit der Stasi einließen: Er gab immer nur zu, was ihm nachgewiesen
werden konnte. Dabei war schon seit mindestens einer Woche klar, daß der
Kritiker keineswegs das unschuldige Opfer einer Verschwörung von Tilman Jens,
dem Sohn seines Intimfeindes Walter Jens, geworden ist. Doch Reich‑Ranicki
ist nicht irgendein Autor, er ist eine Institution. Und vielleicht wird er
daher nicht so pauschal und undifferenziert als Spitzel abgestempelt werden,
wie vor ihm mancher ostdeutsche Autor in vergleichbarer Lage.
Daß er allerdings sein
Schweigen nun mit dem Hinweis auf eine "Verpflichtungserklärung"
entschuldigt, ist eine Zumutung. Denn obwohl der Hauptmannsrang beim
Geheimdienst mehr gilt als bei der Feuerwehr, ist nur schwer vorstellbar, daß
sich ausgerechnet ein bekennender Renegat so lange mit seiner Loyalität
kommunistischen Schlapphüten gegenüber verpflichtet gefühlt haben könnte."
An jenem 20.6.94 paukt den MRR
der "Spiegel" heraus, läßt
ihn sagen: "Das mit dem Hauptmann hatte einen eher humoristischen
Anstrich. Es war nur ein
Aktenvermerk. Denn eine Uniform trug ich natürlich nicht." Trug ex‑DDRIer
Markus Wolf bei seinen Agentenreisen nach Schweden seine Generals‑Uniform?
Auch er bewegte sich mit Schlapphut und getönter Brille.
MRR entschuldigt sich weiter
im "bekannten Nachrichtenmagazin" vom Montag, an diesem 20.6.94: Im
Januar 1950 mußte ich eine Erklärung unterzeichnen, derzufolge ich mich
verpflichtete, niemals ein Wort über Dinge zu sagen, die mit dem Geheimdienst
zusammenhängen. Ich habe diese Erklärung sehr ernst genommen, was ich nicht
bedaure: Ich hielt es für ein Gebot der Loyalität, für eine Anstandspflicht,
nichts über diese Angelegenheiten zu sagen."
Am Tage zuvor, am 19.6.94,
versuchte die "Welt am Sonntag" noch, dem MRR in seiner Not
beizuspringen: "Irren ist menschlich ‑ Vom Geheimdienstoffizier zum
Literaturpapst: Was dieser Mann als Zensor in Polen oder Geheimdienstoffizier
in London machte, mag 'keine Bagatelle' gewesen sein. ... Was zählt, ist ReichRanickis
Engagement für eine Literatur, die durch Leidenschaftlichkeit und
Wahrhaftigkeit humanisiert." Der geneigte Leser staunt nicht schlecht:
"noch ein Humanist'. Die Schreibtischmorde von Warschau, Lublin, Kattowitz
und London sollten nach dieser "Welt"‑Meldung gemäß Hiob 21,18
"wie Spreu im Winde verweht' sein.
Das "Hamburger
Abendblatt" schließt das Kapitel MRR am 22.6.94: "Begegnung mit einer
schwierigen Vergangenheit: Zu einem Zeitpunkt, an dem der polnische
Sicherheitsdienst bereits 200.000 hauptamtliche Mitarbeiter zählte, war der
damals 27jährige Reich Sektionschef und stellvertretender Abteilungsleiter im
VII. Departement, also der Auslandsaufklärung. Eine Position, die hoch genug
war, um in das nun an die Öffentlichkeit gelangte Verzeichnis der 1100 höchsten
Geheimdienstfunktionäre von 1944 ‑ 1978(!) aufgenommen zu werden. Eine
Ironie des Schicksals, daß dieses zweibändige Werk wohl zur Errechnung der
Rentenansprüche verfaßt wurde." Diese polnische Rente für verdiente
Stalinisten ‑ sie ist für MRR ein kleiner Nebenverdienst. Wie sie
erworben wurde, das ist belegt. Die ex‑Geheimdienstler der
deutschen"zwölf Jahre" erblassen vor Neid.
Nach der Liquidierung der
polnischen in London untergekommenen Exil-Regierung bekam MRR sein Gnadenbrot
beim polnischen "Militärverlag", winselte als Alt‑Kommunist um
Wiederaufnahme in die "Kommunistische Partei" und war damit
schließlich erfolgreich, ab 1957 war er wieder dabei. Ein Jahr darauf wechselte
er 1958 ‑ vom Dank des polnischen Vaterlandes nicht mehr so recht
überzeugt ‑ in die mehr bietende Nachbar‑Republik Deutschland.
Israels Staatspräsident Weizman versteht die Welt nicht mehr. In Bonn äußert er
sich Anfang 1997 sehr öffentlich und deutlich zu den aus anderen Ländern in die
Bundesrepublik gewechselten Juden, die Israel meiden.
In seinem Buche "Doppel
Agent" (Brandenburgisches Verlagshaus, Berlin 1997) erinnert sich
Krzysztof Starzynski, einer von den fünfzig Londoner MRR-Agenten, gut. In
seinem Vorwort fürchtet Tilman Jens die Waffe des "Totschweigens". Zu
Recht hatte er diese Angst. Das Enthüllungsbuch paßte nicht in die
Medienlandschaft, nachdem MRR mal wieder auf die Füße gefallen war. Vom
lesenden Volke wird das Buch kaum wahrgenommen. Starzynski, später zum Westen
übergelaufen und in der Südsee untergetaucht, berichtet: Im Herbst 1947 dachte
wohl nicht einmal Marceli Reich an eine solche Zukunft. Genauso penibel wie der
Literaturpapst heute Autoren lobt oder in Stücke reißt, kümmerte sich 'Kapitan'
Marceli Reich um seine Aufgaben als Agentenchef, Stets korrekt, immer auf
Formalitäten und auf die Effektivität seiner Untergebenen bedacht, blieb er für
etwa zwei Jahre mein direkter Vorgesetzter .. . .. Die England‑Sektion
war unter Marcel Reich‑Ranicki eindeutig die wichtigste innerhalb des politischen
Auslandsgeheimdienstes."
Im "Spiegel"‑Gespräch
vom Juni 1994 erklärt MRR: jawohl, ich war in den Jahren 1948/49 Konsul der
Republik Polen in London und gleichzeitig ständiger Mitarbeiter des polnischen
Geheimdienstes." Starzynski meint in seinem Buche weiter: "Als
Resident des politischen Geheimdienstes war mehr als deutlich, daß es der
Geheimdienstler und nicht der Diplomat
war, der hier das Sagen hatte ... .
.. Jede noch so kleine Information über den Widerstand mußte sofort von unserem
Chef Ranicki an die Gegenspionage in Warschau weitergemeldet werden. Die
Abteilung I war bekannt für ihre grausamen Verhörmethoden. Jeder auch nur
winzige Hinweis auf eine Zusammenarbeit mit dem Widerstand führte für die
Betroffenen unweigerlich zu Verhaftungen, Folterungen und Tod." "Nur
ReichRanicki selbst weiß, welche Informationen er an Warschau weitergegeben
hat und welche Folgen dies für die Untergrundkämpfer und ihre Sympathisanten in
Polen hatte." ‑ Noch lebte der weiße Widerstand gegen die
sowjetische Satelliten-Regierung in Polens Wäldern und Städten.
Verfasser Starzynski hält
Rückblick auf seinen früheren Vorgesetzten, der schließlich auf dem
Abstellgleis endete, der "Schwindeleien wegen": "So hatte Reich‑Ranicki
behauptet, schon 1932 in Berlin der kommunistischen Jugend und 1937 der
verbotenen KPD beigetreten zu sein im Alter von 17 Jahren, als Sohn einer
bürgerlichen Familie! Nicht nur, daß diese Geschichte sehr unglaubwürdig klang,
es gab auch keinerlei Dokumente oder Zeugen, die dies bestätigen konnten.
Ranickis zweite Lüge betraf seine Tätigkeit innerhalb des Judenrats im
Warschauer Ghetto. Er hatte bisher immer angegeben, nur "auf einem
untergeordneten Kanzleiposten" beschäftigt gewesen zu sein. Tatsächlich
war er jedoch Chefdolmetscher."
Dann kam Gnade, die vor Recht
erging: "Am 22. Februar 1957 wurde er wieder in die Partei aufgenommen,
eine Tatsache, die er später im Westen lieber verschwieg." ‑ "Daß
er als ehemaliger Offizier des kommunistischen Geheimdienstes die Erlaubnis
erhalten hatte, offiziell nach Westdeutschland auszureisen, konnte ich mir
nicht einmal im Traum vorstellen. Ich kann es bis zum heutigen Tag nicht
verstehen." Nur die Wiederaufnahme in die kommunistische Partei läßt den
Wechsel verstehen.
Des MRR Londoner Untergebener
Starzynski beendet seine Sicht der Dinge: "Reich‑Ranicki
verheimlichte seine Vergangenheit bewußt und selbst dann noch, als seine
Lebenslegende nicht mehr zu halten war."
Das große Verschweigen beim
Tatvorgang "Völkermord in Kattowitz 1945" hält an. Einen Vergleich
mit den "Geiselerschießungen von Rom 1944" stellt die Ehefrau des in
Italiens Hauptstadt zu "Lebenslänglich" verurteilten verantwortlichen
deutschen Offiziers an.
Marcel Reich‑Ranicki
organisierte als "Leiter der Operativen Abteilung" den Völkermord
entgegen geltendem Völkerrecht. ‑ Herbert Kappler dagegen handelte auf
Befehl, um weitere Abschlachtungen seiner Soldaten zu verhindern ‑ gemäß
Kriegsrecht, folgend der Haager Landkriegsordnung. Die schrieb nun einmal bei
Geiselerschießungen vor: eins zu zehn. Weitere Morde waren zu verhindern ‑
das war der Sinn.
Dazu schreibt Ralf Schuler,
Redakteur der "Welt" am 17.3.97 in seiner Zeitung: "Man hatte
sich an die Haager Landkriegsordnung zu halten, die nach Partisanenangriffen
Geiselnahme im Verhältnis eins zu zehn für jeden Getöteten und auch deren
Erschießung gestattete." Auf Nachfrage teilt er mir am 17.4.97 in einem
Drei‑Seiten‑Brief mit: "Daß dieses Verhältnis von eins zu zehn
auch nach 1945 anerkannt und sogar von den Alliierten zur Rechtsprechnung
herangezogen wurde, belegt unter anderem der Fall des Herbert Kappler."
Marcel ReichRanicki blieb unbehelligt. ‑ Herbert Kappler dagegen wurde
verurteilt und kam erst frei, als seine tapfere Ehefrau ihn mithilfe eines 17
Meter langen Seils nach dreißigjähriger (!) Festungshaft befreite. Danach ist
als weiteres Opfer der Mittachtziger Priebke jetzt dran.
Von Marcel Reich‑Ranickis
Untaten erfährt die Welt durch ein vereinbartes Schweigegebot nichts. ‑
Herbert Kapplers Einsatz für die am Leben gebliebenen Kameraden aus Südtirol
wird dagegen durch die Gazetten um die Welt geschleift, bis nach Südamerika,
bis hin in die Südsee.
Der Unterschied: Bei Reich
Ranicki geht es um Tote auf der Verlierer‑, bei Kappler um Tote der
Siegerseite. Anneliese Kappler hat das
Wort.
VERGLEICH
‑ der Fall Kappler
Am 23. März 1944 marschierte
die 11. Kompanie der Schutzpolizei des Polizeiregiments Bozen zur Wachablösung
durch die Via Rasella in Rom. Als sich die Einheit auf Höhe des Hauses Nr. 155
etwa in der Mitte der Straße befand, zerriß ohrenbetäubender Lärm die Stunde.
Ein Müllkarren voll Dynamit,
auf der linken Straßenseite abgestellt, war explodiert. In einer Breite von
zehn Metern wurde das Band der Marschierenden aufgerissen und schleuderte sie
hinauf bis zum 3. Stockwerk des Gebäudes. 26 Südtiroler Polizisten wurden
buchstäblich auf der Stelle in Stücke gerissen.
Eine kleine Gruppe junger
Kommunisten war eigens aus dem Anlaß nach Rom gebracht worden, die Bevölkerung
aus ihrem Schlaf zu wecken und den Haß gegen die deutsche Besatzungsmacht zu
entfachen. Es handelte sich um Rosario Bentivegna, Carla Capponi und Franco
Calamandrei, die ihre "Bewährungsprobe als Partisan" zu absolvieren
hatten. Sie standen unter dem Befehl des erst kürzlich aus Moskau heimgekehrten
Palmiro Togliatti.
Die Wirkung des Müllkarren‑Attentats war furchtbar: 26 Polizeisoldaten
verloren ihr Leben auf der Stelle, sechs weitere erlagen im Laufe der nächsten
Stunden ihren schweren Verletzungen.
Ebenso furchtbar ist das
"Spiel" mit Zahlen, das sich anschloß. Aus dem Führerhauptquartier
erging der Befehl ‑ von Generaloberst Jodl unterzeichnet ‑ "Repressalquote
1: 10", d.h. für jeden dahingemeuchelten deutschen Polizeisoldaten sind
zehn Italiener zu erschießen, eine genaue Anzahl war in diesem Befehl nicht
genannt; Vollzugsmeldung innerhalb von 24 Stunden, und lapidar hinzugefügt
"Polizei ist betroffen, Polizei sühnt'. Herbert Kappler blieb keine andere
Wahl als die der Befehlsausführung.
Es heißt immer wieder und bis
in die jüngste Zeit hinein, Herbert Kappler habe "zu viele" Italiener
erschießen lassen. Man übersieht dabei völlig, unter welchen Umständen 1948 das
Kappler‑Urteil zustande kam!
Voruntersuchung und
Hauptverhandlung wickelten sich in einem politischen Klima ab, das noch völlig
unter dem Zeichen der kommunistischen Mitregierung stand (im Frühjahr 1948 war
Togliatti noch Justizminister gewesen) und unter dem starken Druck der durch
das kommunistisch gesteuerte "Befreiungskomitee" gelenkten
öffentlichen Meinung.
Zeugen und
"Sachverständige" der Anklage waren großenteils führende Kommunisten.
Die Richter waren befangen und vermochten sich der auf Hochtouren laufenden
Nachkriegs‑Haßpropaganda kaum zu entziehen und waren überdies bemüht,
sich ein politisches Alibi für ihre persönliche Vergangenheit im Dienste des
Faschismus und mit Deutschland verbündeten Staates zu schaffen.
Die maßgeblichen Zeugen der
Verteidigung waren vom Gericht unterschlagen, d.h. man hatte, soweit sie
überhaupt zugelassen waren, ihre Vorladung nur fingiert, indem man die
Vorladungen gar nicht abgeschickt, deren Kopien aber zu den Gerichtsakten
geheftet hatte.
Das
Urteil gegen Herbert Kappler erfolgte
‑ als mitschuldig an dem Tod von 335
Zivilpersonen
‑ wegen eigenmächtiger Erhöhung der Zahl
der Opfer auf 335 Personen
‑ wegen willkürlicher Requisition von 50 kg
Gold bei der israelischen Kultusgemeinde Roms. Damit hoffte Herbert Kappler die
bereits anbefohlene Razzia abwenden zu können, was einem Kollegen von Kappler
in Tunis gelungen war.
Die seit Jahrzehnten
vorliegenden eidesstattlichen Erklärungen der damals vom Gericht
unterschlagenen Entlastungszeugen schließen eine Schuld Herbert Kapplers aus
und zwar sowohl hinsichtlich einer eigenmächtigen Erhöhung der Zahl der Opfer,
als auch die einer schuldhaften Fahrlässigkeit.
Das Gericht, das eine
Rechtfertigung des Angeklagten durch Unterschlagung der maßgeblichsten
Entlastungszeugen unterbunden und damit eine Schuld konstruiert hatte,
verurteilte Herbert Kappler, dessen rastlosem Bemühen es gelungen war, die Zahl
der Opfer auf ein Mindestmaß zu setzen, zu lebenslänglichem Gefängnis.
Gegen dieses Urteil gab es
keine Berufung, sondern nur eine Art beschränkter Revision. Inzwischen war es
gelungen, das rätselhafte Nichterscheinen der Entlastungszeugen vor Gericht auf
sehr einfache Weise aufzuklären. Diese hatten den Mut, nicht nur die nicht
erfolgte Vorladung in einer schriftlichen eidesstattlichen Erklärung
anzuprangern, sie machten auch nachträglich in aller Form ihre Aussage, und so
gerüstet sahen sowohl Herbert Kappler als auch dessen Rechtsanwälte dem
"Ricorso" entgegen, der ja folgerichtig nur mit einem Freispruch
Herbert Kapplers enden konnte. Doch entgegen den Gepflogenheiten wurde das
Revisionsverfahren abgelehnt und Kappler so um ein Recht betrogen, das jedem
italienischen Staatsbürger ‑ von italienischem Gericht verurteilt ‑
(auch einem Raubmörder!) zusteht.
Als einzige Person liefen
nicht nur sämtliche Amnestien in Italien seit 1948 fruchtlos an Herbert Kappler
vorüber, die Entrechtung seiner Person ist folgerichtig nur auf die Tatsache
seiner deutschen Staatsangehörigkeit zurückzuflühren.
Zusammenfassend darf
festgestellt werden:
‑ insgesamt verloren 42
Angehörige der deutschen Ordnungspolizei ihr Leben bei dem meuchelmörderischen
Attentat am 23. März 1944, das an Heimtücke nicht zu überbieten war. Das Spiel
mit und um Zahlen ist umso erschütternder, als der Prozeß gegen Herbert Kappler
jede, aber auch jede nur annähernd mögliche Objektivität vermissen läßt.
26 Polizeisoldaten verloren
ihr Leben auf der Via Rasella, im Laufe der nächsten Stunden erlagen weitere
sechs ihren schweren Verletzungen, ihnen folgte der 33.. Es ist einfach falsch,
wenn immer wieder behauptet wird, Herbert Kappler habe eigenmächtig die
Repressalquote erhöht. Ein ausdrücklicher Befehl aus dem Stabe des Generals
Mältzer forderte die Erhöhung der Quote um weitere 10 Personen beim Tode des
33. Polizisten. Als Herbert Kappler Stunden später "Vollzug" meldete,
wurde ihm der Tod des 34. und 35. Polizisten gemeldet, im Laufe des Abends
verstarben sieben weitere Schwerverletzte. Damit ist jene fürchterliche Quote nicht
über‑, sondern unterschritten.
Der gesamte "Fall
Kappler" ist eine unbegreifliche Reverenz an den Kommunismus und besonders
an den Alt‑Stalinisten Palmiro Togliatti unter Ausgrenzung der Tatsachen
zur zeitgeschichtlichen Beurteilung. Mehr als 60 Jahre nach den tragischen
Geschehnissen vom mörderischen Attentat und deren grausamer Vergeltung sollte
endlich eine objektive Betrachtung möglich sein. (Ende)
Sigrid
Löffler
Marcel Reich‑Ranicki hat
vor fünf Jahren öffentlich versucht, meine Reputation zu beschädigen, genau in
dem delikaten Zeitraum, wo ich die Zeitschrift "Literaturen"
gegründet habe. Er hat es ohne Provokation getan und, wie ich meine, aus
niedrigen Motiven, aus Bosheit. Er hat sich für dieses Verhalten nie
entschuldigt. Ganz im Gegenteil: Er hat in den letzten fünf Jahren immer wieder
nachgekartet. Welche Ursache sollte ich haben, ihm zum Geburtstag zu gratulieren?
Quelle: Lübecker Nachrichten vom 2. Juni 2005