Lina Heydrich

 

Hohe Pension für Witwe eines SS‑Mörders.

 

Unendlich lang ist die Pensionsliste für belastete Mitglieder von NSDAP, SS, SD und SA. Ein Beispiel unter vielen ist der Fall Heydrich. 1958 sprach das Landessozialgericht Schleswig der Witwe des SS‑Obergruppenführers Heydrich eine Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz zu, weil ihr Mann als "Reichsprotektor von Böhmen und Mähren" angeblich den Soldatentod gestorben sei, als er das Opfer eines politischen Attentats wurde. Heydrich war mit größter Brutalität vorgegangen, als Hitler in der Tschechoslowakei Säuberungsmaßnahmen befahl. Auch der Witwe Lina Heydrich wurde von der schleswig‑holsteinischen Justiz kein Haar gekrümmt, als sie von der Vereinigung der Widerstandskämpfer in der CSSR des Mordes beschuldigt wurde. Die Oberstaatsanwaltschaft Lübeck stellte das Verfahren ein. Lina Heydrich konnte in Ruhe ihre beträchtliche Witwenrente verzehren und in Burg auf Fehmarn die Pension "Burgfriede" betreiben als "angesehene Bürgerin", wie der Bürgermeister Burgs dem tschechischen Fernsehen später versicherte.

 

Quelle: "Schwarzbuch CDU-Politik in Schleswig-Holstein", DKP-Bezirksvorstand Schleswig-Holstein (Hg.)

 

 

 Anmerkung: Welche Zustände nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern auch im CDU-regierten Bund unter Konrad Adenauer herrschten, erhellt der Umstand, daß die schwarz-katholische Justiz Frau Mathilde Ludendorff die Generalspension nach ihrem Ehemann Erich Ludendorff verweigerte.

Rein kann das Gewissen von Lina Heydrich jedoch kaum gewesen sein. Wie Insider wissen, pflegte sie nicht zu hause zu übernachten. Jeden abend verließ sie ihre Wohnung, um sich anderweitig zur Nachtruhe zu begeben. Sie befürchtete, die DDR-Marine könne mit Schnellbooten durch die Mecklenburger Bucht kommen und sie in einem Kommandounternehmen entführen, um sie im Ostblock vor Gericht zu stellen bzw. der Strafvollstreckung zuzuführen. Lina Heydrich war nämlich in Prag in Abwesenheit zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt worden (vgl. DER STERN vom 14.2.2001). Am 29.1.1964 berichtete DER SPIEGEL, der Lübecker Oberstaatsanwalt habe ein Ermittlungsverfahren gegen Lina Heydrich wegen Anstiftung oder Beihilfe zum Mord eingestellt.

Das wissenschaftliche Gutachten eines Kieler Lehrstuhlinhabers, welches Lina Heydrich vor dem Landessozialgericht die Witwenpension erbrachte, wird nachfolgend präsentiert:

 

 

Heydrichs Rolle

 

Sachverständigengutachten des Professors Dr. Michael Freund, weiland Ordinarius für Geschichtswissenschaft an der Universität Kiel, erstattet im Auftrag des Landessozialgerichts (LSG) Schleswig. Aufgrund dieser Expertise hat das LSG der Witwe Heydrichs durch Urteil vom 20. Juni 1958 einen Anspruch auf Rente zuerkannt. Prof. Freund kommt zu dem Ergebnis, daß sich das Deutsche Reich und die Tschechoslowakei nicht im Kriegszustand befunden haben und daß das Attentat, dem Heydrich in Prag zum Opfer fiel, nicht von Soldaten oder Partisanen verübt wurde, sondern von politischen Gegnern, die mit dem Massenmörder abgerechnet haben.

 

Um es vorweg zu nehmen, muß man nach dem heutigen Stand der Dinge fragen, warum die Alliierten in Kenntnis des millionenfachen Judenmordes nicht parallel zu oder auch nach Heydrichs Liquidierung die Infrastruktur zu den bekannten Vernichtungslagern wie z.B. Auschwitz-Birkenau durch Luftangriffe zerstört haben. Die Liquidierung Heydrichs dürfte einzig und allein darauf beruht haben, daß er kurz vor der Endtarnung des Admirals Canaris stand, der als Freimaurer und Spion täglichen Kontakt zur britischen Feindmacht unterhielt.

 

Das Bundesversorgungsgesetz kennt den Begriff der Unwürdigkeit nicht. Wäre Heydrich bei einem Luftangriff umgekommen, wären vielleicht seine Kriegsverbrechen unerheblich für die hier zu entscheidende Rechtsfrage. Aber das Attentat meinte ihn als Person, und die Rechtsnatur des Attentats wird beherrschend durch seine Person bestimmt. Die Fliegerbombe hat keine bestimmten Menschen im Sinne, und jeder durch sie zerrissene Mensch ist durch "Kriegseinwirkung" zugrunde gegangen. Eine Fliegerbombe ist Kriegsgeschehen kraft ihrer Natur. Die Natur der Gewalthandlung gegen Heydrich aber ist bestimmt durch die Natur, das Wirken und die Persönlichkeit von Heydrich selbst.

 

Es ist für die Beurteilung der Rechtsnatur des Geschehens am 27. Mai 1942 von der allergrößten Bedeutung, daß der Ermordete für eines der größten Verbrechen des 20. Jahrhunderts, die Ermordung von Millionen von Juden und anderen Menschen, unmittelbar verantwortlich ist, daß er die Methoden dieses Verbrechens mit einer bemerkenswerten, ja phantastischen organisatorischen Begabung erdacht und durchgeführt und mit einem zugleich verbrecherischen wie äußersten Mut ins Werk gesetzt hat. Er ist dadurch auch mitverantwortlich für das zweite weltgeschichtliche Verbrechen des 20. Jahrhunderts, die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten, weil er die Maschine der Umsiedlung und der Ausrottung fremder und unerwünschter Volksgruppen erdacht und geschaffen hat. Er ist der erste, der im alten Europa bewußt die Vorstellung hat, eine volksmäßige Flurbereinigung in Mittel- ­und Osteuropa durch die Ausrottung ganzer Völker, durch den Völkermord, das Genocidium, durchzuführen. Er ist einer der großen Verbrechergestalten der Geschichte und eine der wichtigsten Figuren des Dritten Reiches. Er hat in keiner Darstellung des Dritten Reiches noch den ihm gebührenden Platz gefunden. Er ist ein Mann von überragender Bedeutung, in ihm findet der Gesinnungsverbrecher luziferisches Format. Reitlinger sagt in seinem Buch über die "Endlösung" (die Ermordung der 6 Millionen Juden) mit Recht, daß es verblüffend wäre, welche Bedeutung man der schmutzigen, aber belanglosen Figur eines Streicher in Nürnberg zumessen konnte und wie sehr durch das im wesentlichen agitatorische Bemühen Streichers auf dem Felde der antisemitischen Pornographie der Blick von der eigentlichen entscheidenden Figur der nationalsozialistischen Judenpolitik abgelenkt wurde.

 

Hätte Heydrich das Dritte Reich überlebt, wäre er mit nahezu absoluter Sicherheit in Nürnberg hingerichtet worden. Seine Hinrichtung hätte zu den überzeugenderen Urteilen des Nürnberger Militärtribunals gehört. Für seine Aburteilung durch ein deutsches Gericht hätte ein Bedürfnis nicht vorgelegen, nach neuen Rechtsbegriffen zu suchen. Auch nach dem im Dritten Reich gültigen Strafgesetzbuch ist Heydrich als Mörder zu bezeichnen. Ob die Ermordung von ganzen Kategorien eines Volkes je Gesetz und Recht zu werden vermag selbst in einem Staat wie dem Dritten Reich ‑, ist für die Beurteilung der Rechtsfrage in diesem Zusammenhang unerheblich. Denn die Liquidierung der Juden ist nie Gesetz geworden und hat nicht einmal die Gestalt eines formellen Führerbefehls erlangt. Sie blieb also auch nach den im Dritten Reich gültigen Maßstäben Mord in dem schlichten Sinne des Strafgesetzbuches. Dabei ist das, was Heydrich in Böhmen und Mähren tat und wobei er einem Mordanschlag zum Opfer fiel, von dieser allgemeinen Politik des Mordes, die er betrieb, nicht abzulösen. Für die hier zu behandelnde Rechtsfrage ist dies von ausschlaggebender Bedeutung, weil Heydrich Ausdruck, Organisator und Werkzeug eines deutschen und internationalen Systems ist, das sich von allen Bindungen im inneren und zwischenstaatlichen Recht gelöst hatte, das einen extrakonstitutionellen und extralegalen Mechanismus der Gewalt und der Vernichtung darstellte, das auch aus der deutschen Staats‑ und Rechtsordnung völlig herausragte, das also nicht mit deutschem Recht ‑ auch nicht mit dem des Dritten Reiches ‑ zu messen war, geschweige denn mit den Kategorien des Völkerrechts. Kriegsrecht, gleichviel welcher geistigen und rechtspolitischen Ausprägung, ist auf das Werk und den Untergang Heydrichs nicht anwendbar, weil er in einem Kriege kämpfte und das Gehirn und der Wille für einen Krieg war, der mit dem Krieg von Soldaten schlechterdings nichts mehr zu tun hat.

 

Es muß also als wahrscheinlich unterstellt werden, daß das Attentat gegen Heydrich von politischen Motiven ausgelöst war. Die Judengreuel waren im Ausland durchaus bekannt. Dieses Attentat wird auch dadurch nicht zur Kriegshandlung, daß England es als opportun hielt, für dieses politische Unternehmen militärische Machtmittel zur Verfügung zu stellen. Es ist nicht zu erweisen und sogar schwer glaubhaft zu machen, daß das Attentat der eigentlichen Kriegführung diente, es  diente aber sehr wohl dem politischen Kriegsziel Englands. Als dieses Kriegsziel wurde ja die Ausrottung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft bezeichnet. Ein militärischer Zweck war durch die Ermordung Heydrichs Unmittelbar nicht zu erreichen. Sie entsprach aber auf eine dramatische Weise, die dem unterirdischen von Heydrich geführten Krieg angepaßt war, der von Roosevelt, Churchill und Stalin ausgesprochenen Mahnung der Alliierten, daß in den besetzten Gebieten begangene Grausamkeiten rücksichtslos geahndet werden würden und daß die Verantwortlichen an die betreffenden Völker ausgeliefert werden würden. Das alles hing nicht unmittelbar mit der militärischen Kriegführung zusammen, sondern mit dem Kampf gegen das nationalsozialistische Regime. Auch wenn man zugibt, daß die Trennung zwischen Staat und Staatsform, Nation und Regime außerordentlich schwer durchzuführen ist, auch wenn man einräumt, daß häufig im Ausland Hitler gesagt wurde, wo man Deutschland dachte, auch wenn man anerkennt, daß oft der Esel gemeint war, wenn man den Sack schlug, so bleibt doch die Tatsache, daß der Krieg, den das deutsche Volk in seiner Mehrheit zu kämpfen für seine Pflicht hielt und wie ihn das Bundesversorgungsgesetz allein im Auge haben kann, nicht ein Krieg zur Verteidigung der nationalsozialistischen Herrschaft war, und daß die Millionen pflichttreuer deutscher Soldaten nicht kämpften, um es Reinhard Heydrich zu ermöglichen, die Ermordung der Juden zu Ende zu führen. Reinhard Heydrich hatte mit seinem Tun etwas ganz anderes im Sinne als die überwältigende Mehrheit der deutschen Soldaten und selbst als die Mehrheit der Mitglieder der NSDAP.

 

Heydrich hat in der Gesamtpolitik Hitlers und im Zweiten Weltkrieg eine bestimmte und eigentümliche Funktion: Die Unterdrückung und Ausrottung der "Fremdkörper" im deutschen Machtbereich. Er war mehr noch als Himmler, den er an Intelligenz weit überragte, der Exponent des "SS‑Staates", um den Ausdruck von Kogon zu gebrauchen, der Herr über eine Organisation, die außerhalb des deutschen Staates, außerhalb der deutschen Verwaltung und außerhalb der deutschen Regierung stand, die Gewalt über Leben und Tod, unabhängig von einem deutschen Gesetzgeber und unabhängig von irgendwelcher deutschen Rechtsprechung hatte, die an kein deutsches Gericht, kein deutsches Gesetz und Recht gebunden war, die aus dem deutschen Staat hinaus‑ und in einem dunklen unbekannten europäischen Raum hineinragte, die verborgene und geheimgehaltene Befehle Hitlers, Himmlers und Heydrichs ausführte. Es war ein verborgenes, dunkles, undurchschaubares, von einer unberechenbaren und ungeregelten Gewalt erfülltes Reich. Dieser Staat im Staate hatte nicht die Aufgabe, die fünfte Kolonne unschädlich zu machen, wie es in allen kriegführenden Ländern geschah. Heydrich war kein Polizeigeneral im gewöhnlichen Sinne. Die Behauptung, daß er in die Tschechoslowakei als Polizeigeneral entsandt worden wäre und da eine militärähnliche Funktion inne gehabt habe, geht an dem fundamentalen Tatbestand vorbei, daß Heydrich seine Polizeitätigkeit in einem rein politischen Sinne auffaßte. Der SD, seine eigene Schöpfung, diente vor allem der Erforschung der gegnerischen Bewegung und Heydrich hatte sogar Konflikte mit Rosenberg, weil er seine Hände auch auf die wissenschaftliche Forschung legte. Die gegnerische Welt aber, das waren für ihn die fremdrassigen, die fremdvölkischen und alle als minderwertig, minderrassig abgestempelten Gruppen, die nach der Auffassung des Kreises um Himmler und Heydrich der höheren Entwicklung des deutschen Volkes im Wege standen.

 

"Polizei" im Sinne Heydrichs war die Ausmerzung und Liquidierung dieser Gruppe. Heydrich kam in die Tschechoslowakei mit einem großen Programm der Errichtung eines rassischen Schutzwalles gegen Osten, der durch die Ausmerzung fremder Bestandteile krisenfest gemacht werden sollte. Er hatte große Pläne über die Aussiedlung und Umzüchtung der Tschechen, und seine Tätigkeit in der Tschechoslowakei war also keineswegs eine kommune Polizeifunktion, sondern stand im Zusammenhang mit der großen Zielsetzung durch Um‑ und Aussiedlung, Ausrottung, physische Vernichtung, durch Ausrottung durch Arbeit, durch Ausrottung mittels großer Sterilisierungen, durch Neuzüchtungen und Höherzüchtung des deutschen Menschen, den ganzen Osten in einen Schmelztiegel zu werfen, durch Blut, Gift und Gas das Minderwertige abzutöten und daraus eine neue Rasse und ein neues Imperium hervorgehen zu lassen. Von der Tschechoslowakei aus sollte die "Endlösung", das Kernstück dieser völkischen Flurbereinigung, die Vernichtung der Juden, betrieben werden. Der Einmarsch vom 15. März 1939 ist zum Teil dadurch ausgelöst worden, daß die tschechische Regierung ablehnte, sich der Judenpolitik des Reiches gleichzuschalten. Heydrich behielt alle seine über die Tschechoslowakei hinausreichenden Ämter und Aufgaben, und er hat seine tschechische Aufgabe immer nur als untergeordneten Teil der größeren Funktion angesehen.

 

Es scheint, daß Reinhard Heydrich bewußt von Hitler und Himmler ausgewählt wurde, um die Lösung der Judenfrage, so wie sie sie sich dachten, durchzuführen. Beide wußten, das Heydrich jüdisches Blut in den Adern hatte. Sie meinten aber, daß er sich gerade deswegen besonders für die Aufgabe eigne. Himmler sagte über ihn nach seinem Tod:

 

"Zu etwas anderem war er noch herrlich zu gebrauchen, zum Kampf gegen das Judentum. Er hatte in sich den Juden rein intellektuell überwunden und war auf die andere Seite übergeschwenkt. Er war davon überzeugt, daß der jüdische Anteil an seinem Blut verdammenswert war, er haßte dieses Blut, das ihm so übel mitspielte. Der Führer konnte sich im Kampf gegen die Juden wirklich keinen besseren Mann aussuchen als gerade Heydrich. Dem Juden gegenüber kannte er kein Mitleid und keine Gnade."

 

Um erneut zu unterstreichen, daß Reinhard Heydrich mit dem Krieg an sich, mit dem Krieg der Soldaten, nichts zu tun hatte, sei darauf hingewiesen, daß ihm die Aufgabe übertragen wurde, die nachher durch die Einsatzkommandos umschrieben wurde, die Aufgabe der Ausrottung und der Liquidierung hinter der Front. Diesen Einsatzkommandos war nicht der Kampf, sondern der Mord aufgegeben. Himmler hat in einer Rede aus dem Jahre 1943 gesagt, daß diese Einsatzkommandos schwere Opfer für Deutschland gebracht hätten; es wäre das größte Kapitel der deutschen Geschichte, nur könne und dürfe es nie geschrieben werden.

 

Dieses Kapitel deutscher Geschichte aber ist unlöslich verbunden mit dem Namen Heydrich. Hitler und Himmler hatten anderes zu tun. Heydrich machte diese Sache zu seiner beherrschenden und ausschließlichen Aufgabe, das Werk der Ausrottung durchzuführen, so wie es der Nationalsozialismus zur Sicherung der europäischen Rasse für notwendig hielt.

 

Heydrich war der eigentliche Organisator der "Kristallnacht" vom 9. November 1938. Er war es, der am 11. November 1938 den folgenden Bericht an Hermann Göring sandte:

 

"An Synagogen wurden 191 in Brand gesteckt, weitere 76 vollständig demoliert. Ferner wurden 11 Gemeindehäuser, Friedhofskapellen u. dergl. in Brand gesetzt und weitere 3 völlig zerstört. Festgenommen wurden rund 20 000 Juden, ferner 7 Arier und 3 Ausländer. Letztere wurden zur eigenen Sicherheit in Haft genommen. An Todesfällen wurden 36, an Schwerverletzten ebenfalls 36 gemeldet. Die Getöteten bzw. Verletzten sind Juden."

 

Am 24. Januar 1939 wurde Reinhard Heydrich von Hermann Göring mit der Lösung der Judenfrage beauftragt, von Hermann Göring, weil die Judenfrage damals als wirtschaftliches Anliegen galt.

 

Als die Tschechoslowakei besetzt war, beginnt Heydrich mit der Lösung der Judenfrage, die ihm aufgetragen war. Seine Tätigkeit in der Tschechoslowakei beginnt nicht erst mit seiner Ernennung zum stellvertretenden Reichsprotektor. Er hat in der Tschechoslowakei eine Funktion und eine Aufgabe, die ihn von Anfang an über das Amt des Reichsprotektors hinaushebt. Seine spezifische Aufgabe ist nicht, das Land zu beherrschen und zu pazifizieren. In Prag ist sein engster Vertrauter und Gehilfe der Hauptmann Eichmann, der 1945 beim Zusammenbruch des Dritten Reiches gesagt haben soll (so hat es jemand in Nürnberg ausgesagt), er fahre fröhlichen Gemütes in die Grube ‑ in dem Bewußtsein, 6 Millionen Juden zum Tode verholfen zu haben.

 

Reinhard Heydrich und er faßten die Sache methodisch an. Die Methode war immer das Werk Heydrichs. Heydrich wollte die Evakuierung Prags von Juden erreichen, deshalb befahl er, daß alle kleineren Städte der Tschechoslowakei judenfrei gemacht werden sollten und die Juden in das Ghetto von Prag gebracht werden müßten. Das Prager Ghetto wurde dann mit seiner Übervölkerung rasch zu einem Gefahrenherd von Epidemien. So mußte deportiert werden, und Heydrich ist der Erfinder eines wahrhaft teuflichen Systems, nämlich die Juden selber entscheiden zu lassen, wer deportiert werden sollte. Das war das System von Theresienstadt. Dort entschied der »Judenrat«, wer nach Auschwitz gehen sollte, wer also sein Leben in der Gaskammer von Auschwitz beschließen müßte. Nach dem Muster des jüdischen Gemeinderates in Prag wurden in den Städten Polens und Rußlands ebenfalls jüdische Verwaltungsräte gegründet, die in den Jahren 1941 bis 1943 alle Gemeindemitglieder zu registrieren, auf einen Sammelplatz zu vereinen und endlich in Todeslager oder zu Hinrichtungen zu leiten hatten, um ihnen dann eines Tages selbst zu folgen.

 

Es kam der Krieg gegen Polen. Nur in Parenthese sei gesagt, daß Heydrich den berühmten überfall auf den Sender Gleiwitz durchführen ließ. Er verlangte von der Wehrmacht die Beschaffung polnischer Uniformen. Er steckte dann Konzentrationshäftlinge in polnische Uniformen und ließ sie einen Angriff auf den Sender Gleiwitz machen, damit ein Angriff der Polen als Vorwand für die Eröffnung des Krieges behauptet werden konnte. Die armen Teufel, die diesen Angriff durchgeführt hatten, wurden dann, um sie für ewig zum Schweigen zu bringen, sogleich danach erschossen.

 

Jetzt hatte Heydrich die Möglichkeit ‑ gemäß seinem Auftrag einer Gesamtlösung der Judenfrage ‑ die Verschickung der deutschen Juden nach dem Osten durchzuführen. Es wurden nun die Juden nach dem Generalgouvernement verschickt, zum Teil unter schrecklichen Umständen. Das gleiche geschah unter der Verantwortung von Reinhard Heydrich mit den 30 000 Zigeunern, die in Deutschland lebten. Die große Stunde für Heydrich war da, alles Faule und Morsche aus dem deutschen Volkskörper mit Feuer und Schwert auszumerzen. Im März 1941 nahm der sogenannte Kommissarbefehl Hitlers Gestalt an, daß nämlich alle Kommissare, die in deutsche Hand bei dem kommenden Rußlandfeldzug fallen würden, erschossen werden sollten. Dabei ist offenbar zum erstenmal angedeutet worden, daß auch mit den Juden so verfahren werden sollte. Sie sollten, wie die Kommissare, als Pestherd angesehen werden, der nun ausgetreten werden würde. Schriftliches ist nicht vorhanden, aber es gibt Zeugnisse dafür, daß Heydrich in seinen Amtsräumen die nachmaligen Kommandanten der Einsatzgruppen im Frühjahr 1941 über ihre Aufgabe verständigt hatte.

 

Am 31. Juli 1941 wurde Heydrich endgültig damit beauftragt, eine "Gesamtlösung" der Judenfrage im deutschen Einflußgebiet in Europa herbeizuführen:

 

"In Ergänzung der Ihnen bereits mit Erlaß vom 24. Januar 1939 übertragenen Aufgabe, die Judenfrage in der Form der Auswanderung oder Evakuierung einer den Zeitverhältnissen entsprechend möglichst günstigen Lösung zuzuführen, beauftrage ich Sie hiermit, alle erforderlichen Vorbereitungen in organisatorischer, sachlicher und materieller Hinsicht zu treffen für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflußgebiet in Europa."

 

Alles was nun in Deutschland zur Judenfrage geschah, ist jetzt Heydrichs Zuständigkeit und Verantwortung ‑ das Schrecklichste und das Furchtbarste in gleicher Weise.

 

Im September 1941 trat Reinhard Heydrich sein Amt in der Tschechoslowakei an. Am 28. September 1941 verhängte er den Ausnahmezustand. Die gleichzeitig eingesetzten Standgerichte sprachen 778 Todesurteile aus, die alle ohne Ausnahme vollstreckt wurden.

 

Aber was in der Tschechoslowakei selbst geschah, ist im Grunde bedeutungslos. Die Bedrückung der tschechischen Unabhängigkeitsbewegung war hart, wird aber durch alles in den Schatten gestellt, was unter der Verantwortung von Reinhard Heydrich nun auf dem Gebiete der Judenfrage geschieht. Inzwischen war ja der Krieg mit der Sowjetunion ausgebrochen. Die Einsatzkommandos begannen ihre Arbeit. Die neuen Eroberungen schufen Platz für die Evakuierung der deutschen Juden. In Kowno wurden 10 000 deutsche Juden aufgenommen und genau so viel dort ansässige Juden erschossen, um Platz zu machen. Das war das System Heydrichs.


 

Heydrich machte sofort geltend, daß seine Zuständigkeit als des "mit der Endlösung der europäischen Judenfrage beauftragten Chefs der Sicherheitspolizei und des SD" sich auch auf die besetzten Ostgebiete erstrecke. Man kann vermuten, daß am 11. November 1941 Hitler den endgültigen Befehl zur Vernichtung der Juden gegeben hat. Auszuführen hatte den Befehl Reinhard Heydrich. Bei ihm war es die zentrale und ausschließliche Aufgabe.

 

Unter Heydrich wurde in der Tschechoslowakei das Lager und Ghetto Theresienstadt gegründet, das eine Zeitlang als das Musterghetto des deutschen Macht‑Raumes angepriesen wurde. Bald wurde es zur Durchgangsstation für die Gasöfen in Auschwitz. Nach Theresienstadt kamen insgesamt 141000 Menschen, von denen 23 000 am Leben blieben.

 

Welche Absichten Heydrich verfolgte, geht aus einer Anordnung des Reichssicherheitshauptamtes über die Behandlung der Juden in den besetzten Gebieten hervor. Hier wird vorgeschlagen, daß die Juden "im geschlossenen Arbeitseinsatz" nach Möglichkeit zu verwenden wären. Es sei jedoch dabei "stets zu beachten, daß die jüdische Arbeitskraft nur in jenen Produktionszweigen angesetzt wird, die eine spätere, schnelle Abziehung dieser Arbeitskräfte ohne erhebliche Störung vertragen". Entziehung vom Arbeitszwang sei grundsätzlich mit dem Tode zu bestrafen.

 

Am 20. Januar 1942 findet in Wannsee eine große Besprechung über die Endlösung der Judenfrage statt, wobei Heydrich sein großes schreckliches Programm entwickelt. Ich wiederhole: die Aufgabe ist in der Tschechoslowakei fast nur eine Nebenaufgabe Heydrichs. Er ist damals schon stellvertretender Reichsprotektor gewesen, das tritt alles in den Hintergrund gegenüber den anderen Zielen:

 

"Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, SS‑Obergruppenführer Heydrich, teilte eingangs seine Bestallung zum Beauftragten für die Vorbereitung der Endlösung der europäischen Judenfrage durch den Reichsmarschall mit und wies darauf hin, daß zu dieser Besprechung geladen wurde, um Klarheit in grundsätzlichen Fragen zu schaffen ...

 

Die Federführung bei der Bearbeitung der Endlösung der Judenfrage liege ohne Rücksicht auf geographische Grenzen zentral beim Reichsführer‑SS und Chef der Deutschen Polizei (Chef der Sicherheitspolizei des SD) ...

 

Im Vollzug dieser Bestrebungen wurde als einzige vorläufige Lösungsmöglichkeit die Beschleunigung der Auswanderung der Juden aus dem Reichsgebiet verstärkt und planmäßig in Angriff genommen. ...

 

An Stelle der Auswanderung ist nunmehr als weitere Lösungsmöglichkeit nach entsprechender vorheriger Genehmigung durch den Führer die Evakuierung der Juden nach dem Osten getreten. Diese Aktionen sind jedoch lediglich als Ausweichmöglichkeiten anzusprechen, doch werden hier bereits jene praktischen Erfahrungen gesammelt, die im Hinblick auf die kommende Endlösung der Judenfrage von wichtiger Bedeutung sind. Im Zuge dieser Endlösung der europäischen Judenfrage kommen rund 11 Millionen Juden in Betracht ...

 

Unter entsprechender Leitung sollen im Zuge der Endlösung die Juden in geeigneter Weise im Osten zum Arbeitseinsatz kommen. In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird ...

 

Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesen zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues anzusprechen ist. (Siehe die Erfahrung der Geschichte.) ...

 

Im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung wird Europa von Westen nach Osten durchgekämmt ... "

 

Das sind alles die Worte Heydrichs.

 

Inzwischen hatten die "Einsatzkommandos" ihre Arbeit aufgenommen. ‑ Ohlendorf hat als Führer einer Einsatzgruppe im Osten die berühmte eidesstattliche Erklärung in Nürnberg abgegeben:

 

"Ich, Otto Ohlendorf, erkläre hiermit an Eides Statt: Ich war Chef des Sicherheitsdienstes und des SD (RSHA) von 1939‑1945. Im Juni 1941 wurde ich von Himmler bestimmt, eine der Einsatzgruppen zu führen, die damals gebildet wurden, um der deutschen Armee im russischen Feldzug zu folgen ...

 

Himmler erklärte, daß ein wichtiger Teil unserer Aufgabe in der Beseitigung von Juden, Frauen, Männern und Kindern, und kommunistischen Funktionären bestünde. Ich wurde etwa 4 Wochen vorher über den Angriff auf Rußland benachrichtigt ...

 

Als die deutsche Armee in Rußland einmarschierte, war ich Führer der Einsatzgruppe D im südlichen Sektor, und im Laufe des Jahres, während dessen ich Führer der Einsatzgruppe D war, liquidierte sie ungefähr 90 000 Männer, Frauen und Kinder. Die Mehrzahl der Liquidierten waren Juden, aber es waren unter ihnen auch einige kommunistische Funktionäre ...

 

In der Ausführung dieses Vernichtungsprogrammes wurden die Einsatzgruppen in Einsatzkommandos untergeteilt, und die Einsatzkommandos in noch kleinere Einheiten, die sogenannten Sonderkommandos und Teilkommandos. Gewöhnlich wurden die kleineren Einheiten von einem Angehörigen des SD, der Gestapo oder der Kriminalpolizei geführt. Die dazu ausersehene Einheit pflegte in ein Dorf oder eine Stadt zu kommen und den führenden jüdischen Bewohnern den Befehl zu erteilen, alle Juden zwecks Umsiedlung zusammenzurufen. Sie wurden aufgefordert, ihre Wertgegenstände den Führern der Einheit zu übergeben und kurz vor der Hinrichtung ihre Oberkleidung auszuhändigen. Die Männer, Frauen und Kinder wurden zu einem Hinrichtungsort geführt, der sich meist neben einem Panzerabwehrgraben befand. Dann wurden sie erschossen, knieend oder stehend, und die Leichen wurden in den Graben geworfen. Ich habe in der Gruppe D das Erschießen durch Einzelpersonen nie genehmigt, sondern befohlen, daß mehrere Leute gleichzeitig schießen sollten, um direkte, persönliche Verantwortung zu vermeiden. Die Führer der Einheiten oder besonders bestimmte Personen mußten jedoch den letzten Schuß auf solche Opfer abfeuern, die nicht sofort tot waren. Ich erfuhr aus Gesprächen mit anderen Gruppenführern, daß manche von ihnen verlangten, daß die Opfer sich flach auf den Boden legten, um dann durch den Nacken geschossen zu werden. Ich billigte diese Methoden nicht.

 

Im Frühjahr 1942 wurde uns vom Chef der Sicherheitspolizei (lies Reinhard Heydrich) und des SD in Berlin Gaswagen geschickt. Diese Wagen wurden vom Amt II des RSHA beigestellt. Der  Mann,  der  für die  Wagen  meiner  Einsatzgruppe  verantwortlich  war, war

B e c k e r. Wir hatten Befehl erhalten, die Wagen für die Tötung von Frauen und Kindern zu benutzen. Jedesmal wenn eine Einheit eine genügende Anzahl von Opfern angesammelt hatte, wurde ein Wagen für die Liquidierung gesandt. Wir hatten auch diese Gaswagen in der Nähe der Durchgangslager stationiert, in die die Opfer gebracht wurden. Den Opfern wurde gesagt, daß sie umgesiedelt werden würden und zu diesem Zwecke in die Wagen steigen müßten. Danach wurden die Türen geschlossen, und durch das Ingangsetzen der Wagen strömte Gas ein. Die Opfer starben in 10 bis 15 Minuten. Die Wagen wurden dann zum Begräbnisplatz gefahren, wo die Leichen herausgenommen und begraben wurden.

 

Ich habe den Bericht von Stahlecker über Einsatzgruppe A gesehen, in welchem Stahlecker behauptet, daß seine Gruppe 135 000 Juden und Kommunisten in den ersten vier Monaten der Aktion getötet hat. Ich kannte Stahlecker persönlich, und ich bin der Ansicht, daß das Dokument authentisch ist."

 

Ohlendorfs unmittelbarer Vorgesetzter aber war Reinhold Heydrich, und Methode, Organisation und Form der Einsatzgruppen war Heydrichs Verantwortung und Zuständigkeit. Was von den Einsatzgruppen getan wurde und wie es getan wurde, war von Heydrich erdacht, überlegt und angeordnet worden.

 

Heydrich erstattete selbst am 27. Februar 1942 und am 23. April 1942 große Berichte über die Tätigkeit der Einsatzgruppen. Die Echtheit der betreffenden Urkunden ist daher von niemandem bestritten worden.

 

Ich zitiere: "Es war angestrebt, das Ostland möglichst vollständig von Juden zu säubern. Die Erschießungen werden überall so durchgeführt, daß sie in der Öffentlichkeit kaum bemerkt werden. In der Bevölkerung und selbst bei den zurückgebliebenen Juden ist vielfach die Überzeugung verbreitet, daß die Juden lediglich umgesiedelt worden sind ...

 

Estland ist bereits judenfrei. In Lettland wurde die Zahl der in Riga verbliebenen 29 500 Juden auf 2 500 verringert. In Dünaburg leben noch 962 Juden, die für den Arbeitseinsatz dringend erforderlich sind ...

 

In Weißruthenien ist die Säuberung von Juden im Gange. Die Zahl der Juden in dem bisher der Zivilverwaltung übergebenen Teil beläuft sich auf 139 000 Juden. 33 21.0 Juden wurden inzwischen von der Einsatzgruppe der Sicherheitspolizei und des SD erschossen.

 

In den übrigen Gebieten an der Ostfront bestand die Aufgabe der Sicherheitspolizei und des SD neben dem Vorgehen gegen einzelne politisch oder kriminell in Erscheinung getretenen Juden in  der  allgemeinen  Bereinigung  größerer  Ortschaften. So  wurden  allein  in Rakow

15 000 und in Artenowsk 1224 Juden erschossen, so daß diese Orte judenfrei sind."

 

Der Reichsstatthalter im Reichsgau Wartheland, Greiser, kann in einem Brief vom 1. Mai 1942 an Heinrich Himmler sagen, daß die "im Einvernehmen mit SS‑Obergruppenführer Heydrich genehmigte Aktion" der Sonderbehandlung von rund 100 000 Juden in meinem Gaugebiet in zwei bis drei Monaten abgeschlossen sein werde.

 

Da die Massenhinrichtungen über die seelische Kraft von einer Anzahl von SS‑Einheiten gingen, wurde im Sommer 1941 mit der Methode der Vergasung begonnen. Der Kommandant Höss von Auschwitz konnte unwidersprochen in Nürnberg aussagen:

 

"Alle Massenhinrichtungen durch Vergasung fanden unter dem direkten Befehl unter der Aufsicht und Verantwortlichkeit des RSHA (also Heydrichs) statt. Ich erhielt unmittelbar von dem RSHA alle Befehle zur Ausführung dieser Massenhinrichtungen."

 

Es besteht auch heute noch kein Grund, an den Aussagen des Kommandanten von Auschwitz zu zweifeln, auch nicht an seiner Behauptung, daß das ganze System durch Reinhard Heydrich entwickelt worden ist. Auschwitz wurde auf Grund vorheriger Befehle im Juni 1942 errichtet, nachdem vorher die Konzentrationslager von Belzec‑Treblinka und Wolzek auf Befehl und unter Verantwortung von Reinhard Heydrich errichtet worden waren.

 

Alle Bücher über die Endlösung der Judenfrage (Reitlinger, Adler, Poliakov und Wulff) stellen fest, daß Eichmann, der sich rühmte, mindestens sechs Millionen Juden in den Tod geschickt zu haben, nur das Werkzeug von Heydrich gewesen sei.

 

Es läßt sich leider nicht vermeiden, noch einmal die Aussagen des Kommandanten von Auschwitz, Höss, zu zitieren, weil das, was in Auschwitz geschah, Idee, Werk und Methode von Reinhard Heydrich gewesen ist.

 

"Es dauerte 3 bis 15 Minuten, je nach den klimatischen Verhältnissen, um die Menschen in der Todeskammer zu töten. Wir wußten, wann die Menschen tot waren, weil ihr Kreischen aufhörte. Wir warteten gewöhnlich eine halbe Stunde, bevor wir die Türen öffneten und die Leichen entfernten. Nachdem die Leichen fortgebracht waren, nahmen unsere Sonderkommandos die Ringe ab und zogen das Gold aus den Zähnen der Körper ...

 

Eine Verbesserung gegenüber Treblinka war, daß wir Gaskammern bauten, die 2000 Menschen auf einmal fassen konnte, während die 10 Gaskammern in Treblinka nur je 200 Menschen faßten. Die Art und Weise, wie wir unsere Opfer auswählten, war folgendermaßen. zwei SS­-Ärzte waren in Auschwitz tätig, um die einlaufenden Gefangenentransporte zu untersuchen. Die Gefangenen mußten bei einem der Ärzte vorbeigehen, der bei ihrem Vorbeimarsch durch Zeichen die Entscheidung fällte. Diejenigen, die zur Arbeit taugten, wurden ins Lager geschickt. Andere wurden sofort in die Vernichtungsanlagen geschickt. Kinder im zarten Alter wurden unterschiedslos vernichtet, da auf Grund ihrer Jugend sie unfähig waren zu arbeiten. Noch eine andere Verbesserung, die wir gegenüber Treblinka machten, war diejenige, daß in Treblinka die Opfer fast immer wußten, daß sie vernichtet werden sollten, während in Auschwitz wir uns bemühten, die Opfer zum Narren zu halten, indem sie glaubten, daß sie ein Entlausungsverfahren durchzumachen hätten. Natürlich erkannten sie auch häufig unsere wahren Absichten, und wir hatten deswegen manchmal Aufruhr und Schwierigkeiten. Sehr häufig wollten Frauen ihre Kinder unter den Kleidern verbergen, aber wenn wir sie fanden, wurden die Kinder natürlich zur Vernichtung hineingesandt. Wir sollten diese Vernichtungen im geheimen ausführen, aber der faule und Übelkeit erregende Gestank, der von der ununterbrochenen Körperverbrennung ausging, durchdrang die ganze Gegend, und alle Leute, die in den umliegenden Gemeinden lebten, wußten, daß in Auschwitz Vernichtungen im Gange waren."

 

Es ließ sich nicht vermeiden, dies zu zitieren, wenn man sich darüber klar werden wollte welche Funktion Reinhard Heydrich im Gesamtplan und in der Gesamtpolitik des Dritten Reiches inne hatte. Seine Aufgabe war: auszurotten, auszumerzen, zu töten, zu morden.

 

Heydrich führte einen anderen Krieg und fiel in einem anderen Krieg als dem, den das deutsche Volk gewillt war zu führen.

 

Das Bundesversorgungsgesetz hat davon Abstand genommen, den Krieg als solchen zu definieren. Es hat auch davon Abstand genommen, einen Versorgungsanspruch dann zu negieren, wenn Verletzung oder Tod im Verfolg von ungesetzlichen oder gar verbrecherischen Handlungen im Zusammenhang mit Kriegshandlungen eingetreten sind. Die Sozialversicherungsdirektive der Militärregierung vom Mai 1947 enthielt die Bestimmung, daß Leistungen nicht an Personen gewährt werden dürfen, die unter anderem im Verlauf einer Dienstleistung für die NSDAP und deren Gliederungen verletzt wurden. Doch kann ein deutsches Gesetz nicht gemeint haben, daß reine Grausamkeit gegen die unterworfene Bevölkerung und gegen die Juden und reine Mordtaten als Kriegshandlungen aufzufassen wären und also Verletzung oder Tod, die jemand sich beim Verfolg solcher Handlungen zuzieht, Ansprüche an das deutsche Volk begründen, vor allem dann nicht, wenn diese Tat wie bei Heydrich nicht infolge eines zwingenden Befehls, sondern willentlich begangen wurde.

 

Ich wiederhole: Das Bundesversorgungsgesetz hat nicht definiert, was denn Krieg wäre. Man muß daher die Entscheidungen des Gesetzgebers und Verfassungsgesetzgebers und der Gerichte im Bunde zugrunde legen, wenn man sich darüber klarwerden will, welchen Krieg der deutsche Soldat und das deutsche Volk führte und welchen er rechtmäßig führen durfte. Es muß hier offenkundig Unterschiede geben. Die alliierte Rechtsprechung über die Kriegsverbrecher ist zunächst teilweise von der radikalen Theorie ausgegangen, daß im Kriege im Grunde jeder deutsche Soldat ein Kriegsverbrecher gewesen sei, weil er den Krieg, den illegitimen und verbrecherischen Krieg Hitlers mit führte (nur daß eben der Massenhaftigkeit des Vergehens wegen die Strafe nicht durchgehend erfolgen konnte). Diese Theorie ist von den deutschen Völkerrechtlern, der deutschen Wissenschaft einheitlich abgelehnt worden. Der Standpunkt hat obsiegt, daß es für den deutschen Soldaten selbst unter Hitler einen legitimen und ehrenhaften Zweck im Kriege geben konnte. Wenn er kämpfte, tat er etwas, was recht war. Gerade aber, um die deutschen Soldaten nicht in eine totale Diffamierung hineinzureißen und um dem Kriegsdienst der deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg eine das Dritte Reich überdauernde Würde geben zu können, muß der Begriff Kriegshandlung so formuliert werden, daß Unterschiede gemacht werden können. Gesetz ist Gesetz und muß es bleiben, auch wenn es uns nicht gefällt, wem es zugute kommt. Wo es aber Raum für Zweifel und eine freie Entscheidung läßt, müssen die größeren Gesichtspunkte und Wertbegriffe herangezogen werden, die einem von Recht und Menschlichkeit bestimmten Gemeinwesen zugrunde liegen. Das Versorgungsgesetz ruht auf der Idee der nationalen Solidarität. Das deutsche Volk aber kann und darf nicht als solidarisch erscheinen mit einem Menschen von der verbrecherischen Art und Größe eines Heydrich.

 

Quelle: "Die Gegenwart" vom 4. Oktober 1958, S. 626 ff

 

Anmerkung: Freunds Abrechnung mit Heydrich ist in jeder Beziehung zu begrüßen. Seine immerhin schon 1958 veröffentlichten Zitate hätte man eins um andere Mal jenen unbelehrbaren Holocaust-Leugnern "um die Ohren hauen" sollen.