Judentum in Deutschland

 

 

In diesem Kapitel werden geistige Wegbereiter des Nationalsozialismus vorgestellt, die als Einleitung zu den folgenden Betrachtungen über den Antisemitismus gehören. Einführend werden die Lage, die Bedeutung und der Einfluß des deutschen Judentums gezeigt sowie seine Abwehrmaßnahmen gegen die antisemitische Welle gestreift. Dann werden vor allem die deutschen Staatsbürger israelischen Glaubens oder aus Familien dieses Glaubens abstammend als treue und nationalbewußte Deutsche und als Soldaten unserer Wehrmacht genannt (Für die Behandlung der jüdischen Probleme wurden unter anderem herangezogen: Eva G. Reichmann: "Die Flucht in den Haß", Frankfurt/M, o. J.. H.G. Adler: "Die Juden in Deutschland", München 1960. Michael Müller-Claudius: "Deutsche und jüdische Tragik", Frankfurt/M, 1955).

 

Der deutsche Nationalsozialismus hebt sich von dem in aller Welt anzutreffenden Faschismus durch seine eminente Judenfeindlichkeit ganz besonders ab ‑ die mit ein Problem und eine Erblast der deutschen, christlichen Vergangenheit ist. Wenn denn Antisemitismus (sprich Antijudaismus) als dem besonderen Charakteristikum des Nationalsozialismus in diesem Buche selbstverständlich ein breiter Raum gegeben werden muß, so soll seine Bedeutsamkeit noch dadurch unterstrichen werden, daß er als gewichtiger Schlußpunkt gesetzt wird. Der Antisemitismus ist das Schicksal und zugleich der Anfang vom Ende des Dritten Reiches gewesen, er ist der Schlüssel zum Verständnis der deutschen Frage im 20. Jahrhundert, er ist die schwerste und uns verständlicherweise am meisten belastende Hypothek unserer gegenwärtigen und kommenden Geschichte. Kein Problem muß sorgfältiger behandelt und in seine Konsequenzen nüchterner überdacht werden als der Antisemitismus, der uns mit seiner engstirnigen Gefühlsduselei und seiner erbarmungslosen und unwissenschaftlichen Theorie in namenloses Unglück gestürzt hat. Er ist für die Spaltung des deutschen Vaterlandes zu einem ganz erheblichen Teile mit schuld, ja, er ist ein Verbrechen eines kleinen Kreises, der ein ganzes großes Volk zu diesem politischen Selbstmord trieb. Um das Problem des Judentums in Deutschland aber von allen Seiten her zu beleuchten, muß auch manches angeführt werden, was von der Sicht der Antisemiten aus zu ihren Fehlschlüssen geführt hat, muß auch die Haltung vieler deutscher Juden gezeigt werden, mit der sie wohl oft ungewußt und ungewollt einem überspannten Nationalismus, Chauvinismus, Militarismus und dem Antisemitismus Vorschub geleistet haben. Wir glauben, daß ein großer Teil der Tragik des deutschen Judentums gerade darin zu suchen ist, daß viele seiner Glieder, ich möchte sogar sagen die Mehrzahl, versuchten, gute deutsche Staatsbürger zu werden und dabei in Maßnahmen verstrickt wurden, die später zur Vernichtung und zumeist Austreibung jenes deutschen Judentums führten, das als ein hervorragender Kulturfaktor im deutschen Bereich angesehen werden muß. Zuerst sollen hier nun Zahlen über das Judentum vorgelegt werden. Danach gab es

 

                   in Mittel­

im Jahre    in Osteuropa   und Westeuropa und in Amerika

   1825 2272000      458000                                 10000

   1850 3434000      693000                                 65000

   1880 5726000 1044000                        250000

   1900 7362000 1328000                           1 175000

   1925 7618000 1677000                     4 370 000 Juden.

 

Die außerordentliche Vermehrung der Kinder Israels und der in Osteuropa Ende des 19. Jahrhunderts zunehmende antisemitische Druck, der ihnen vor allem im zaristischen Rußland jegliche Gleichberechtigung versagte (s. u.), veranlaßte sie zur Auswanderung, zuerst nach Europa, dann im 20. Jahrhundert mit dem Aufkommen des dortigen faschistischen Antisemitismus nach Amerika, wo sie vor allem in den Vereinigten Staaten eine neue Heimat fanden. Die Zahlen für Deutschland lauten:

 

1820 = 270 000 Juden, d. s. 1,9 % der Bevölkerung

1871 = 512 000 Juden, d. s. 1,25 % der Bevölkerung

1910 = 615 000 Juden, d. s. 0,95 % der Bevölkerung

1925 = 564 000 Juden, d. s. 0,93 % der Bevölkerung

1933 = 499 000 Juden, d. s. 0,77 % der Bevölkerung

 

Also kann auch hier von einem abnehmenden Hundertsatz von Juden innerhalb des deutschen Volkes gesprochen werden trotz der den Juden vor den Freiheitskriegen Anfang des 19. Jahrhunderts gewährten Emanzipation ‑ und als Gegenbewegung zum aufsteigenden Antisemitismus, der ja aufgrund obiger Zahlen hätte geringer werden müssen. In den zwanzig Jahren zwischen 1880 und 1900 waren 41000 Juden aus den slawischen Gebieten Osteuropas nach Deutschland eingewandert. Hierzu muß gesagt werden, daß diese Abwanderung und Verminderung der Juden in den polnischen Westgebieten zwischen 1871 und 1895 allein 41,4% betrug und für das Deutschtum dort ein großer Verlust war: denn die jüdische Bevölkerung bekannte sich hier seit Generationen zu Deutschland als der kulturtragenden Macht ‑ so daß ihnen daher auch der antisemitische Haß der Polen besonders entgegenschlug. In diesem Lande bildeten die zwei Millionen Juden eine Minderheit, die durch ihre dem Deutschen ähnliche jiddische Sprache und durch die deutsch sprechende Oberschicht eng mit unserem Kulturkreis verbunden war. Die deutsche und die jüdische Minderheit arbeiteten eng zusammen und stimmten im polnischen Sejm oft als gemeinsamer Block ab. Von den 587000 Juden in Deutschland im Jahre 1900 waren 7% im Ausland geboren, von denen, die in der Messestadt Leipzig wohnten, sogar 43 %; von den 403 900 preußischen Juden des Jahres 1925 waren 76 000, d. s. 18,6% im Ausland geboren ‑ und von den 33 400 zugewanderten polnischen Juden lebten allein deren 17400 in der Reichs‑ und preußischen Hauptstadt Berlin. Diese Zusammenballung von vor allem ausländischen Juden an einigen Zentren, wo sie der Kritik besonders ausgesetzt sein mußten, war natürlich auch für die Betroffenen selber nicht glücklich. Im ganzen Reich besaßen von den oben gezählten Juden des Jahres 1925 über 108 000 eine fremde Staatsangehörigkeit, d. so über 19% also eine außerordentlich hohe Zahl, die zu dem allgemeinen Mißtrauen gegen die Juden beigetragen haben mag. Erstaunlich ist, daß noch während der antisemitischen Hitler­Herrschaft in Deutschland in den Jahren 1933‑37 über 10000 Juden nach Deutschland einwanderten, davon 1937 etwa 1200, von denen wiederum 97 aus Palästina kamen; das muß bei der Pressekampagne gegen den Nationalsozialismus in Deutschland unverständlich sein, denn alle Einwanderer waren ja gewarnt; es bedarf daher sicher einmal einer speziellen Untersuchung der Gründe. Mehr noch als in Leipzig ballten sich jüdische Zuwanderer wie erwähnt in Berlin. Dort lebten:

 

1811 = 3 000 Juden, d. s. 1,89 % der Bevölkerung,

 

1867 = 27 600 Juden, d. s. 3,93% derBevölkerung,

 

1925 = 172 600 Juden, d. s. 4,29% bei einem Durchschnitt von 0,93 % im ganzen Reiche. Wenn hier der Antisemitismus stärker war als anderswo, dann muß man bedenken, daß 1880, als in Berlin durch den östlichen Zustrom rd. 45 000 Juden lebten, es in ganz Frankreich nur 51000 gab, ja in ganz Großbritannien nur deren 46000. So ist schon aus den Zahlen heraus die Problematik sichtbar geworden ‑ obwohl sie, das sei ausdrücklich betont, niemals eine Entschuldigung für unmenschliches Verhalten sein kann. 1933 waren in Berlin sogar 6,5% von der Stadtbevölkerung Juden oder Bürger jüdischer Abstammung. Die Anpassung der Juden an die christliche Bevölkerung in Deutschland ist dabei, konfessionell gesehen, sehr langsam, ja gar nicht in die Waagschale fallend, erfolgt. Vor 1870 wurden z. B. in Preußen jährlich etwa 115 Juden zu Christen umgetauft, vor 1914 etwa 204. Dagegen heirateten über 30% der Juden einen Nichtjuden ‑ gegen nur 17% um 1800. Die Berufstätigkeit wies aus, daß 1925 rd. 59 % aller Juden in Handel und Verkehr tätig waren, 26 % in Handwerk und Industrie und 15 % ohne festen Beruf ‑ eine ungewöhnlich hohe Zahl, da in Handel und Verkehr sonst nur 17% der Bevölkerung zu finden sind; und in der Sparte Gesundheitswesen und Wohlfahrt 2 % hier überwogen ebenfalls die Juden mit 4,35 %.

 

Die aus der Geschichte der Juden in Mitteleuropa heraus verständliche Berufswahl, welche die Juden von vielen Berufen ausschloß, brachte andererseits eine Überbesetzung gewisser Sparten mit sich, welche den Eindruck eines besonderen jüdischen Einflusses verstärkten, der im großen ganzen gesehen gar nicht so dominierte. Es waren eben die Jahrhunderte vor der Emanzipation gewesen, welche die Juden in gewisse Berufsgruppen abgedrängt hatten. Wenn wir noch einmal bei der Sparte Handel, Geldwesen, Verkehr und Transport bleiben, so hat diese im Jahre 1937 von den damaligen 16,26 Millionen Juden auf der Welt deren 6,1 Millionen, d. s. 38,6 % beschäftigt. Andere Zahlen berichten, daß etwa in Polen 24,5 % aller Studenten des Landes im Jahre 1923 jüdischer Herkunft waren, bei Beginn der dortigen antisemitischen Welle im Jahre 1934 noch 17,2 % ‑ während 1921 unter den Richtern und Rechtsanwälten deren 41,5 % gezählt wurden, unter den Musikern und Schauspielern 34,5 % und unter den Ärzten in ganz Polen 32 % Juden. Die hohe Begabung des jüdischen Volkes und seine finanzielle Lage haben es ermöglicht, viele Kinder Israels studieren zu lassen. So kam es, daß prozentual immer mehr Juden studieren konnten als Nichtjuden, etwa in Österreich 1880 fast 17% in Wien 1887/88 sogar 40 % aller Studenten, die Juden waren. Diese Zahl ging durch den Antisemitismus dann 1895 auf 10 % an der Wiener Universität zurück, 1905/06 auf 7 % und 1929 auf 4 %.

 

So kam es, daß die Juden auch im Deutschen Reiche unter den Ärzten, Rechtsanwälten und Professoren einen weit höheren Anteil stellten, als es ihrer Zahl im Volksganzen entsprach. 1933 fanden sich ihrer 5557 jüdischen Glaubens unter den 51067 deutschen Ärzten und ihrer 3030 unter den 18 641 Rechtsanwälten und Notaren ‑ wobei hier nur die echten Glaubensjuden mosaischer Religiosität erfaßt sind. Eklatanter sind die Berliner Ergebnisse, wo von 8000 Ärzten 4000 Juden waren und auch mehr als die Hälfte aller Rechtsanwälte. 1933 gab es in Berlin 1880 jüdische Anwälte, in Preußen waren noch 1935 rd. 15% aller Anwälte jüdischer Herkunft. Noch dichter fanden sie sich im Bankwesen, wo 1859 von den 550 preußischen Bankiers 320 Juden waren. Im Vorstand der Wertpapierbörse saßen zuletzt unter den 36 Mitgliedern 25 Juden, im Vorstand der Produktenbörse 12 von 16, im Vorstand der Metallbörse 10 Juden von 12 Gesamtmitgliedern. Dabei muß vermerkt werden, daß die Juden als Besitzende zumeist konservativ und national eingestellt waren ‑ und damit durchaus staatsbejahende und staatstragende Bürger ‑ und nur eine kleine Zahl von ihnen sich der politischen Radikalität verschrieb, wobei sie dann allerdings meist in führende Positionen gelangten, wie Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht (der nach Prof. Nolte kein Jude war, d.V.), Kurt Eisner, Toller, u. a. In den beamteten Stellen des Staates dagegen hat es von jeher in Preußen‑Deutschland nur sehr wenige Juden gegeben. Das trifft auch für die Weimarer Republik zu, wo sich bis 1932 unter 387 Ministern nur die Juden Dernburg, Preuß und Rathenau befanden (die hier als nationale Männer behandelt sind), "dazu die Judenstämmlinge Gradnauer, Hilferding und Landsberg". Unter 500 Reichsbeamten vom Oberregierungsrat bis zum Staatssekretär findet man nur 15 jüdischer Abkunft, im gleichen Range in Preußen nur 10 von 300 Beamten ‑ keiner aber unter den 12 Oberpräsidenten, den 35 Regierungspräsidenten und den 400 Landräten der preußischen demokratischen Verwaltung. In der Reichswehr dienten ganze 8 Juden im Jahre 1931 als Offiziere. Dagegen ist der jüdische Einfluß, vor allem in Presse, Theater und Kunst, sehr hoch anzusetzen. In Berlin waren die größten Zeitungsverlage wie Mosse und Ullstein mit den großen Ausgaben des Berliner Tageblattes, der Vossischen Zeitung, der Morgenpost, der Volkszeitung und anderen in ihrem Besitz, in Frankfurt a. M. Sonnemann mit der Frankfurter Zeitung. Die Berliner Theater waren, abgesehen von den Hoftheatern, ebenfalls fast ganz in jüdischem Besitz, von ihnen kam die Mehrzahl der modernen Theaterstücke, bei ihnen lag das Schwergewicht in der Kunstkritik und im Kunsthandel. So stellte denn Moritz Goldstein unter der Überschrift "Deutsch­-jüdischer Parnaß" ganz richtig fest: "Wir Juden verwalten den geistigen Besitz eines Volkes, das uns die Berechtigung und Befähigung dazu abspricht." Es war nicht zuletzt Kaiser Wilhelm II., seit Friedrich dem Großen der erste Hohenzollern‑Herrscher, der nicht der Freimaurer‑Loge angehörte, welcher viele Juden förderte: Albert Ballin, den Generaldirektor der HAPAG, der sein Duzfreund war und sich November 1918 das Leben nimmt, als das deutsche Kaiserreich untergeht; die beiden Rathenaus von der AEG; seinen Generaladjutanten Moßner; den Direktor der Berliner Handelsgesellschaft Fürstenberg; den Bankier von Goldschmidt‑Rothschild, der das erste Mitglied des Preußischen Herrenhauses mosaischer Religion war ‑ wie schon Kaiser Wilhelm I. den Bankier Gerson von Bleichröder, Bismarcks Berater, adelte. Schließlich seien noch Namen erwähnt wie der preußische Minister von Friedenthal, die Reichsstaatssekretäre Dernburg und von Friedberg, der Reichs‑Kolonialdirektor Kayser, der Staats‑ und Kirchenrechtslehrer Stahl, die Nationalliberalen von Simson, Bamberger und Lasker, die "Halbjuden" Staatssekretäre von Thielmann und Freiherr von Berchem u. v. a. Sie alle haben ein nationales deutsches Judentum repräsentiert, das vollkommen in das deutsche Volk hineingewachsen war, gewiß nicht zum Schaden der Nation, wie es Nietzsche einmal betonte.

 

Die Versuche der Juden, nach der Emanzipation Anfang des 19. Jahrhunderts mit ihren sogenannten Gastvölkern zu verwachsen, wurden sowohl durch den zunehmenden Antisemitismus; als auch durch zionistische Maßnahmen in ihren eigenen Reihen erschwert und schließlich unmöglich gemacht. Am Anfang steht dabei der berühmte Vorkämpfer des Zionismus, der Lassalleaner und Sozialist Moses Heß (1812/75), der 1862 in seiner Schrift "Rom und Jerusalem" die Anschauung vertrat: "Das Judentum ist vor allen Dingen eine Nationalität." Während der junge Heß noch die Christianisierung der Juden und dafür die christlich‑jüdische Mischehe empfahl, wandte sich der Zionist Heß dem Rassegedanken zu. Die moderne Gesellschaft sei aus den Bestrebungen zweier welthistorischer Menschenrassen hervorgegangen, der Arier und der Semiten, die durchaus in friedlicher Koexistenz miteinander leben könnten. Unter dem gleichen Gedanken schrieb der Historiker Heinrich Graetz (1817/91) seine große Geschichte des Judentums. R. Hirsch Kalischer in Thorn, der Rabbiner Rülf in Memel und die Kattowitzer Juden‑Konferenz von 1884 verfochten eine jüdische Kolonisation in Palästina. Schließlich schrieb Juda Löb Pinsker (1821/91), Sohn eines jüdischen Gelehrten in Polen, 1882 das Buch "Autoemanzipation. Eine Warnung eines russischen Juden an seine Rasse!" Pinsker erhob als erster Zionist den Ruf nach einem "Zusammenschluß aller Juden in einem Staate", in einer nationalen Heimstätte« in Palästina. Allerdings sollten dort nicht alle Juden wohnen, sondern nur ihr Überschuß nach Israel gehen ‑ so, wie es heute etwa geschieht. Die anderen sollten bleiben, wo sie woh­nen. Für sie forderte der Verfasser in diesen Staaten nationale Rechte ‑ die er jedoch den Fremden in Palästina nicht geben wollte (Hinweis auf den katholischen Priester jüdischer Abstam­mung, dem im heutigen Israel die Einbürgerung verweigert wurde). Er behauptete, die Juden seien nicht Staatsangehörige der Länder, in denen sie lebten ‑ nur anderen Glaubens als die Mehrzahl der Bevölkerung ‑, sondern sie seien Glieder einer eigenen und anderen Nation. Trotzdem aber sollten sie die be­rechtigte Staatsbürgerschaft der respektiven Gaststaaten voll und ganz genießen dürfen ‑ eine in ihrer Form einmalige Forde­rung, wie sie sonst vielleicht nur Sieger sich anzumaßen vermö­gen. (Die Nationalsozialisten haben später im Sinne Pinskers in ihrem Parteiprogramm für die Juden die Fremdenrechte in Deutschland verlangt.) Nach diesen mannigfachen Vorbereitun­gen wurde der Zionismus dann 1882 im Gefolge der russischen Judenverfolgungen geboren und als jüdisch‑völkischer Gedanke von seinem Begründer Theodor Herzl aus Budapest (1860/1904) in die Tat umgesetzt. Der ehemals deutschnationale Burschen­schafter der "Albia" Herzl schrieb 1896 das Buch "Der Juden­staat" und gründete 1897 auf dem ersten Basler Kongreß die Zionistische Weltorganisation, welche alle Juden nach dem Staate Palästina hin zu sammeln bestrebt war. Diese Bewegung war nicht eine philanthropine oder eine soziale Frage, sondern eine nationale und politische Maßnahme, mit der die Juden auf den Antisemitismus verständlicherweise antworteten ‑ wodurch sie aber die gegenseitigen Spannungen erhöhen mußten. Sie wollten übrigens die Rückkehr in ihre alte Stammheimat, die jetzt zu­ meist von Arabern bewohnt wurde, durch ein internationales Abkommen der Großmächte erreichen. In Deutschland faßten die Zionisten vor allem bei den jungen und den akademischen Juden Fuß. Als nach Herzls Tod der aus Litauen gebürtige Köl­ner Kaufmann David Wolfsohn (1856/1914) Präsident wurde, verlegte die Bewegung ihren Sitz nach Deutschland; 1911 über­nahm der Berliner Professor Otto Warburg die Führung, bis er 1920 nach Palästina auswanderte. Damit spitzten sich aber zu dem von außen ausgeübten Druck noch die Verhältnisse inner­halb der deutschen jüdischen Gemeinden zu und brachten eine politische Note in ihre Arbeit ‑ wenn auch kaum 10 000 der deutschen Juden Zionisten gewesen sein mögen. Ihre überwie­gende Mehrheit lehnte den Zionismus ab und trennte sich von ihm ‑ ja veranstaltete 1913 sogar einen antizionistischen Kongreß. Da die Zionisten "schlechte Patrioten, Hetzer und Friedensstörer" seien, gründete man 1893 einen "Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens", dessen 70 000 Mitglieder (1925) sich als eine religiöse Minderheit in unserem Volke betrachteten und zu dem Grundsatz von Moritz Lazarus bekannten (Berliner Philosophie­Professor, 1824/1903): "Wir sind Deutsche, nichts als Deutsche, wenn vom Begriff der Nationalität die Rede ist; wir gehören nur einer Nation an, der deutschen!" Es muß als einer unser schwerstwiegenden politischen Fehler angesehen werden, diese Haltung verkannt, ja zurückgestoßen zu haben. Im Gegenteil steigerte der Antisemitismus seine Angriffe, und den Juden im Reiche blieben kaum Abwehrmöglichkeiten. Viele ließen sich taufen, allein in Altpreußen ihrer 13 300, die zwischen 1900 und 1935 lutherisch wurden, jährlich etwa 166 (im Jahre 1928), dann 933 im Jahre 1933. Auch die Zahl der Mischehen nahm zu, zwischen 1901 und 1933 zusammen 42 372, die allerdings im Durchschnitt nur zwei Kinder zählten.

 

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß von den verschiedensten Seiten aus behauptet worden ist, die Juden seien an dem Antisemitismus nicht ganz unschuldig, da sie ihn für ihre zionistischen Maßnahmen benötigten, um das Volk Israel "bei der Stange" zu halten. Den Anlaß für diese Vermutungen haben die Juden immer wieder selber gegeben, so absurd das Ganze sein mag. So schrieb etwa Constantin Brunner aus Altona, Jahrgang 1862, hinter dem sich der Philosoph, Spinozist und Antizionist Leo Wertheimer verbarg, in seinem Buche "Der Judenhaß und die Juden" (1918/S. 309): "Die Antisemiten sind Judenmacher, sind die Erschaffer der Juden, die nicht Jude sein wollen. Der Antisemitismus ist der Juden Hauptengel, gewaltig sorgend, daß die Juden Juden bleiben, Juden mit der jüdischen Eigentümlichkeit, mit der Eigentümlichkeit ihres Herzens für die ewige Wahrheit." Dieses Zitat wurde auch in der "Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland" in einem Aufsatz von Dr. Chiel Zwierszynski über "Die Tragödie der Assimilation" wiederholt und mit dem Kommentar versehen: "Die Rassentheorie hatte auch. verschiedenartige Folgen. Nach mehr als einem Jahrhundert seit der Emanzipation der deutschen Juden wurde den Enkeln der damals Getauften gezeigt, daß man seinem Schicksal nicht entfliehen kann." Der Haß der Zionisten und jüdischen Nationalisten traf gerade jene Juden, die "schlechte" Juden, dafür aber "gute" Deutsche sein wollten, die Assimilationsjuden, an denen Jahves Strafgericht durch die "Jäger" (s.Altes Testament, Jeremias 16, 16) zu vollziehen sei. Hierüber schreibt Abram Poljak in seiner Schrift "Zertrümmertes Hakenkreuz", in welcher er die Verdienste Hitlers um den Aufbau Palätsinas und des Staates Israel würdigt: "Ja, das Böse muß kommen in die Welt, doch wehe dem, durch den es kommt! Die Juden müssen um ihrer Sünden willen geschlagen werden, doch wehe dem, der sie schlägt! Ein merkwürdiges Schicksalgesetz ... schwer begreiflich, doch Gottes Wille, Gottes Weisheit, das letzte Wort ... " Zu dem gleichen Sachverhalt hat dem Chemiker und Nobelpreisträger Geheimrat Ostwald einmal der berühmte jüdische Maler Max Liebermann aus Berlin (1847/1937), Präsident der Preußischen Akademie der Künste, Träger des Ordens Pour le Mérite (Friedensklasse) und des Adlerschildes des Deutschen Reiches, in seiner bekannten sarkastisch‑offenen Art angedeutet: "Wissen Sie, das mit dem Antisemitismus wird erst was werden, wenn's die Juden selbst in die Hand nehmen!" Fürwahr ein sehr gefährliches Wort, wenn man daran denkt, daß

a)       der getaufte Jude Rindfleisch 1298 Urheber einer der schwersten mittelalterlichen Judenverfolgungen war, die über 140 israelische Gemeinden vernichtete;

b)      ein Aron Jud um 1400 mittels einer Ritualmordbeschuldigung in Diedenhofen ein Pogrom auslöste;

c)      der getaufte Jude Victor von Karben (1442/1515) die Vertreibung der Juden vom Niederrhein veranlaßte;

d)      der getaufte Jude Torquemada als spanischer Großinquisitor 1492 die spanischen Juden graumsam verfolgte und aus dem Lande vertrieb; 

e)      der Mönch und getaufte Jude Pfefferkorn um 1509 dem Antisemitismus der Reformationszeit einen erheblichen Auftrieb gab; 

f)       die Juden Baptista, Moro u. a. die römisch‑katholische Inquisition 1550 veranlaßten, Juden lebendig zu verbrennen; 

g)     der Täufling Paul Christian Kirchen 1720 in Frankfurt a. M. eine Ritualmordbeschuldigung erhob;

h)      desgleichen 1882 ein Täufling Paulus Meyer;

i)         der getaufte Jude Brafmann als einer der Urheber der "Protokolle der Weisen von Zion" (s. u.) nach 1905 erneute antijüdische Pogrome in Rußland verursachte;

j)         mit Hilfe der Beschuldigungen eines Juden und eines orthodoxen Priesters gegen den Juden Beilis in Kiew ein Pogrom ausgelöst wurde;

k)      der k. und k. Erzbischof von Olmütz, Monsignore Kohn, schrieb "Sollte die Ungerechtigkeit der Juden das Maß überschritten haben? Ist die Zeit gekommen, in der sie durch Feuer und Schwert vom Erdkreis verschwinden?"

l)        der SS‑Obergruppenführer Heydrich als Mann überwiegend jüdischer Abkunft (sein Vater war Musikdirektor in Halle und hieß It. Riemannschem Musiklexikon standesamtlich "Isidor Süß") mit die grausamste und blutigste Judenverfolgung der Geschichte durchführte und doch dabei überzeugt war, "daß es reiner Wahnsinn ist, dieses jüdische Problem geschaffen zu haben", wie er W. Schellenberg gegegenüber einmal betonte.

 

Wir werden weiter unten noch anderen Menschen jüdischer Abkunft begegnen, die gegen ihr eigenes Blut in Wort und Schrift und Tat gewütet haben. Es liegt dem zumeist der Eifer des Kon­vertiten zugrunde, sich nunmehr restlos von seiner bisherigen Gemeinschaft abzusetzen und immer wieder zu beweisen, daß er anders ist. Da er aber sein eigenes Volk verrät, kann er in die­sem Falle wohl kaum als "Jude" angesehen werden (Einen interessanten Hinweis gibt der Schriftsteller Henry Miller in seinem in den USA als Bestseller erschienen Buche "Wendekreis des Krebses", das nicht ganz frei von antisemitischen Äußerungen ist. Auf Seite 15heißt es: "...und außerdem, wer haßt den Juden mehr als der Jude?").

 

Wir sprachen bereits davon, daß der deutsche Nationalismus im Judentum sehr lebendig war und erhebliche Verdienste für Volk und Reich aufweisen kann. Daher sollen im folgenden als Beleg eine Reihe von jüdischen Persönlichkeiten genannt werden, die hierzu beigetragen haben:

 

1.Gabriel Riesser aus Hamburg (1806/63), Enkel eines litauischen Rabbis, Hochgradfreimaurer, Rechtsanwalt, Vizepräsident der Hamburger Bürgerschaft und dort 1859 Obergerichtsrat, 1848 Mitglied des Frankfurter Parlaments, amtierte er zweimal als dessen Vizepräsident, trat (z. B. in der berühmt gewordenen Kaiser‑Rede von 1849) für ein preußisches Erbkaisertum ein und war Mitglied der Deputation zu König Friedrich Wilhelm IV.. Bei den Beratungen zur neuen Verfassung des deutschen Bundes verteidigte Riesser eifrig die Gleichberechtigung der deutschen Juden. In seinen gesammelten Schriften heißt es zu diesem Thema: "Wir sind nicht eingewandert, wir sind eingeboren, und weil wir es sind, haben wir anderswo keinen Anspruch auf eine Heimat. Wir sind entweder Deutsche, oder wir sind heimatlos! ... Wer mir den Anspruch auf mein deutsches Vaterland bestreitet, der bestreitet mir mein Recht; darum muß ich mich gegen ihn wehren wie gegen einen Mörder!"

 

2. Eduard von Simson aus Königsberg (1810/99), Urenkel des Schutzjuden Moses Friedländer, 1823 evangelisch getauft, Freimaurer, mit 23 Jahren in Königsberg Professor der Rechte, 1879/91 erster Präsident des deutschen Reichsgerichts in Leipzig. Simson war 1848 Präsident der Frankfurter Nationalversammlung ‑ in der 17 Juden als Abgeordnete saßen ‑ und einer der besten Redner des Parlaments. Er leitete jene Delegation von Parlamentariern, die dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. am 3. 4. 1849 die deutsche Kaiserkrone anbot aber von dem schwachen Monarchen abgelehnt wurde, weil sie eine "beschnittene Krone" sei, "aus Dreck und Lehm gebacken", wie der König spottete. Der noble Jude präsidierte später (1860/61) dem Preußischen Landtag, ab 1867 dem Norddeutschen Bundestag und 1871/73 dem ersten Deutschen Reichstag, in dessen Auftrag er am 18. 12. 1870 dem nunmehrigen preußischen König Wilhelm I. die deutsche Kaiserkrone antrug. Simson, ein persönlicher Bekannter Goethes, gründete 1885 die deutsche Goethe‑Gesellschaft, präsidierte ihr gleichfalls und wurde 1888 mit dem höchsten preußischen Orden, dem Schwarzen Adlerorden ausgezeichnet sowie mit dem Erbadel belehnt.

 

3. Robert Linderer aus Erfurt, 1824/86, war als Schriftsteller der Autor des deutschen Flaggenliedes "Stolz weht die Flagge Schwarz‑weiß-­rot!", unter dessen Gesang so manches deutsche Schiff nach heldenmütigen Kampfe auf See unterging und das zum Liedgut der NSDAP zählte.

 

4. Joseph Weyl aus Wien (1821/95), ebenfalls Schriftsteller und der Umdichter des Niederländischen Dankgebetes "Wir treten zum Beten vor Gott den Gerechten" (eine übrigens typisch mosaische Formel) ‑ das auch zum musikalischen Gut der Hitler‑Wehrmacht gehörte.

 

5. Jakob Riesser aus Frankfurt a. M. (1853/1932), der Neffe von Gabriel, Sohn eines Kaufmanns, Rechtsanwalt, Geheimer Justizrat und ab 1905 Professor an der Berliner Universität, 1918 in Stresemanns Deutscher Volkspartei, 1906/28 Mitglied und seit 1921 Vizepräsident des Deutschen Reichstages. Er gründete 1918 die Bürgerräte als Gegengewicht zu den Arbeiter‑ und Soldatenräten der Roten, dann den Reichsbürgerrat. Dieser war im Jahre 1925 Träger der Kandidatur des Generalfeldmarschalls Paul von Hindenburg für die Reichspräsidentschaft.

 

6. Hugo Preuß aus Berlin (1860/1925), Sohn eines Kaufmanns, Professor und 1906 Rektor der Berliner Handels‑Hochschule, als Staatsrechtler der Vater der Weimarer Reichsverfassung. Er wollte ein starkes und großdeutsches Reich, konnte sich aber den Sozialisten gegenüber nicht durchsetzen. Seine Hauptschriften: "Das deutsche Volk und die Politik" (1915), "Obrigkeitsstaat und großdeutscher Gedanke" (1916) und "Der deutsche Nationalstaat" (1924). Im November 1918 gründete er zusammen mit Friedrich Naumann und Max Weber die Deutsche Demokratische Partei. Preuß trat als erster Reichsinnenminister 1919 aus Protest gegen die Unterzeichnung des Versailler Diktats zurück.

 

7. Bernhard Dernburg aus Darmstadt (1865/1937), Sohn eines Journalisten und nationalliberalen Reichstagsabgeordneten, Protestant. Dr. jur. et rer. pol., Direktor einer Großbank, kaiserlicher Wirklicher Geheimer Rat, wurde er 1906 Direktor der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes ‑ deren erster Chef der Jude Paul Kayser gewesen war. 1907 war Exzellenz Dernburg erster Staatssekretär des Reichskolonialamts und trat 1909 in den Ruhestand. Erst Mitglied des Preußischen Herrenhauses, vertrat er als Abgeordneter 1912 die Deutsche Demokratische Partei im Reichstag. Während des Ersten Weltkrieges leitete er die deutsche Propaganda in den Vereinigten Staaten von Amerika. 1919 trat Dernburg als Reichsfinanzminister von seinem Amt aus Protest gegen die Unterzeichnung des Versailler Diktats zurück. Es ist bedeutsam, hier festzustellen, daß es zwei jüdische Reichsminister waren, die als einzige aus Protest gegen die Vergewaltigung des deutschen Volkes in Versailles zurücktraten, niemand anders sonst. Sie besaßen jene tiefe Vaterlandsliebe, die sie eher auf ihr Amt als auf ihre Ehre verzichten ließ.

 

8. Sven von Hedin, der weltberühmte schwedische Forschungsreisende und Gelehrte (1865/1952), soll hier genannt werden, weil er als ein wahrhaftiger Freund des deutschen Volkes für dieses in seiner Not immer wieder eingetreten ist, sei es im Ersten Weltkriege oder in der schweren Nachkriegszeit, sei es während des Dritten Reiches, im Zweiten Weltkriege oder nach dem katastrophalen Zusammenbruch von 1945, immer war der Schwede an der Seite der Deutschen. Eine Woche nach der Harzburger Tagung von 1931 nennt er z. B. auf dem Stockholmer Friedens‑Kongreß den Versailler Frieden die gigantischste Dummheit, die jemals begangen worden ist; es sei kein Friede möglich, ehe nicht die Kriegsschulden gestrichen und alle in der Stunde der Not erzwungenen Bekenntnisse der Kriegsschuld zerrissen sind. Freimaurer Hedin, der in vierter Generation von einer in Schweden eingewanderten jüdischen Familie Abraham Brody alias Berliner abstammte, zählte zu den Freunden Hitlers, der ihm stets besondere Verehrung entgegenbrachte. Als neunfacher Doktor (promoviert in Halle/Saale zum Dr. phil.) war er der letzte Schwede, der durch Sondererlaß seines Königs in den Adelsstand erhoben wurde. 1936 krönt er eine Deutschlandreise mit 96 Vorträgen und dem Abschlußreferat anläßlich der Berliner Olympischen Spiele im dortigen Stadion. In seinem Buche "Deutschland und der Weltfrieden" urteilt er 1937 über den Nationalsozialismus, dieser "hat Deutschland aus einem Zustand politischer und moralischer Auflösung gerettet ... " Er sei eine deutsche Erscheinung, die man aus den Erfahrungen der Deutschen heraus erklären müsse. Scharfe Kritik aber hat der Gelehrte an den Maßnahmen gegen das Judentum geübt, wo man "die Grenzen der Vernunft wie der Humanität überschritten" habe.

 

9. Salomon Marx, aus Schwerte/Ruhr, 1866 geboren, Konsul, leitender Direktor der Norddeutschen Elektrizitäts‑ und Stahlwerke und Mitglied des Hauptvorstandes der Deutschnationalen Volkspartei Hugenbergs. Er stellte wesentliche Finanzmittel zur Niederwerfung der Spartakus-­Unruhen der Kommunisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zur Verfügung und finanzierte auch die deutschen Freikorps damit sowie das Plakat, das zum Mord an Liebknecht aufrief.

 

10. Adolf Grabowsky aus Berlin, 1880 geboren, Katholik und Sohn eines Kaufmanns, Dr. jur. et rer. pol., konservativer Schriftsteller und Geopolitiker, wollte als Mitbegründer der "Zeitschrift für Politik" 1908/33 und der Zeitschrift "Das Neue Deutschland" 1913/23 die deutsche Intelligenz für die Rechtsparteien gewinnen ‑ sowie auch durch sein Werk "Kulturkonservativismus". 1921/33 Dozent an der Hochschule für Politik in Berlin, wo er 1923 in ihrem Rahmen das geopolitische Seminar begründete, war er seit 1950 Professor an der Marburger Universität und trieb immer noch seine alte Wissenschaft. Grabowsky regte während des Ersten Weltkrieges 1917 für eine Politik der Verständigung die Schaffung einer überparteilichen Sammelorganisation "Volksbund für Vaterland und Freiheit" an und wurde 1960 mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland geehrt.

 

11. Viele rechtsstehende nationale Juden arbeiteten unter Hugenberg in der Deutschnationalen Volkspartei mit, welche dann von Hitler 1933 zur Selbstauflösung getrieben und im Herbst 1962 als kleines Grüppchen in Kassel wiedergegründet wurde. Zwar hatte auf dem Görlitzer Parteitag 1922 eine kleine völkische Gruppe unter von Graefe‑Wulle‑Henning einen Arierparagraphen gefordert, drang damit aber nicht durch, weil sich Karl Helfferich  gegen "Staatsbürger zweiter Klasse in unserem Vaterlande" energisch wandte; darauf schieden die Antisemiten aus der DNVP aus. So konnten die Juden hier mitarbeiten, gemäß der Tradition des Gründers der Konservativen Partei, F. J. Stahl , aus der die DNVP ja entstanden war. Einer ihrer führenden Männer war der bedeutende Wirtschaftsführer und Reichstagsabgeordnete Geheimrat, Rechtsanwalt und Notar Dr. Reinhold Quaatz (geboren 1876 zu Berlin als Sohn eines Gymnasialdirektors). Vor allem aber in den Presseorganen der Partei und im Scherl‑Verlag waren jüdische Mitarbeiter Hugenbergs gern gesehen: Rechtsanwalt Otto Scheuer als Leiter der Sozialabteilungen des 10000 Menschen umfassenden Verlages; Dr. S. Breslauer als Chefredakteur des "Berliner Lokalanzeigers" mit seinem Verlagsdirektor Goldschmidt und den Schriftleitern und Redakteuren Caro, Schönfeld, Elsa Herzog, Aron, Kapralik, Maritai, Rosenthal, Schweriner und Stern; die Redakteure Tannenbaum, Poloczek, Prokauer und Simonsohn von der "Berliner Nachtausgabe", u. a. m. (Vgl. Jacob Toury: "Die politische Orientierung der Juden in Deutschland - von Jena bis Weimar", Tübingen 1967).

 

12. Im Juni 1921, in der tiefsten Not des Vaterlandes, entstand in Berlin der "Verband nationaldeutscber Juden e.V.", der sich in seinem Gründungsaufruf an die "Nationaldeutschen Juden! Deutschfühlende Männer und Frauen jüdischer Abstammung, denen ihr Deutschtum über alles geht!" zwecks Zusammenschluß wandte und proklamierte: "Unser Deutschtum war uns von Kindheit an etwas Selbstverständliches ... Wir brauchen den Zusammenschluß derer, aber nur derer, die nationaldeutsch fühlen wie wir. Wir haben nicht den gleichen Weg mit Zionisten und Jüdischnationalen, mit 'Zwischenschichtlern', die unklar zwischen Deutschtum und Judentum schwanken, mit international fühlenden Schwarmgeistern. Wir kennen keine jüdische, wir kennen nur eine deutsche Einheitsfront! Am Aufbau des deutschen Vaterlandes wollen wir arbeiten in Reih und Glied, an der Seite unserer deutschen Volksgenossen nichtjüdischen Stammes ... Deutsche unter Deutschen, Gleiche unter Gleichen!" Unterzeichnet war der Aufruf von vielen hervorragenden Namen wie etwa Professor Dr. Jonas Cohn aus Freiburg/Br., Geheimer Justizrat Arnold Feige aus Breslau, Professor Dr. Siegmund Ginsberg aus Berlin, Professor Dr. Max Herrmann aus Berlin, Generaloberarzt Sanitätsrat Dr. Eugen Jacoby aus Berlin, Professor Dr. Richard Mühsam aus Berlin, Professor Dr. Karl Neumeyer aus München, Kommerzienrat Konsul A. Rosenwald aus Nürnberg, Professor Dr. Otto Rubensohn aus Berlin, Reichsgerichtsrat Dr. Hugo Salinger aus Leipzig, Bankier Paul D. Salomon und Bankier Martin Schiff aus Berlin, Professor Dr. Georg Schlesinger aus Berlin, Rittergutsbesitzer und Senator Dr. Paul Schottländer aus Breslau, Landgerichtspräsident Emil Weinberg aus Oldenburg, u. v. a. Noch im August 1934, als über Hitlers antisemitischen Kurs längst Klarheit herrschte, erließ der jüdische Nationalverband zur Wahl einen Aufruf für Hitler, in dem es hieß: "Wir Mitglieder des im Jahre 1921 gegründeten Verbandes nationaldeutscher Juden haben stets in Krieg und Frieden das Wohl des deutschen Volkes und Vaterlandes, dem wir uns unauflöslich verbunden fühlen, über unser eigenes Wohl gestellt. Deshalb haben wir die nationale Erhebung vom Januar 1933 begrüßt, trotzdem sie gegen uns selbst Härten brachte, denn wir sahen in ihr das einzige Mittel, den in 14 Unglücksjahren von undeutschen Elementen angerichteten Schaden zu beseitigen!" Und das wurde geschrieben Jahre nach den Warnungen des Antisemiten Ludendorff vor Hitlers Gewaltherrschaft, als er in einem Brief vom 24. 1. 1931 sagte, er wolle "die Deutschen vor ihrem grimmigsten Feinde, dem Nationalsozialismus, bewahren!" Oder der zur Wahl am 3. 4. 1932 in seiner Zeitung warnte: "Ich frage die Deutschen unter den Wählern des Regierungsrats Hitler, erkennen sie nicht endlich, daß von ihm nie Rettung, sondern nur dreifaches Verderben durch fanatisierte Gewaltmenschen kommen kann?" Ludendorff behielt leider recht ... Der von Dr. Max Naumann begründete jüdische Nationalverband sollte bald bitterste Enttäuschungen erleben. Das deutsche Volk, dem er dienen wollte, wies in seiner ganzen Verblendung die deutschen Juden zurück, statt ihre wertvollen Kräfte mit in einen Aufbau zu stellen, der mit ihnen zum Erfolg, gegen sie aber zur restlosen Niederlage führte ‑ führen mußte!

 

Auch während des Ersten Weltkrieges stand die überwältigende Mehrheit des deutschen Judentums im nationalen, ja gelegentlich sogar im chauvinistischen Lager ‑ und zwar weitgehend aus dem soziologischen und psychologischen Zwang ihres Assimilationsprozesses heraus. Deutschland hätte den Krieg sofort verloren bzw. gar nicht erst führen können, wenn nicht der jüdische Chemiker Geheimrat Professor Dr. Fritz Haber aus Breslau (1868/1934), bis 1933 Leiter des Kaiser‑Wilhelm‑Instituts für physikalische Chemie und 1918 Träger des Nobelpreises, die Stickstoffgewinnung aus der Luft entdeckt und damit die deutsche Sprengstoff‑ und Munitionsherstellung gesichert hätte. Hauptmann der Landwehr Haber leitete dann während des Krieges auch die deutschen Gaskriegsvorbereitungen und deren Abwehr, zusammen mit R. Willstätter. Die Forscher Epstein und Sakur waren in der Gaskriegsführung wissenschaftlich tätig, wobei der letztere bei einem Experiment getötet wurde. Der Direktor des Kaiser­-Wilhelm‑Instituts für Biochemie, Professor Dr. Carl Neuberg, 1877 als Sohn eines Hannoverschen Kaufmanns geboren, machte sich um die Glyzerin‑ und Fettproduktion hochverdient. Sein seit 1913 am gleichen Institut als Direktor tätiger Vorgänger, der Arzt und Bakteriologe Geheimrat Professor Dr. August von Wassermann (1966 bis 1925, Sohn eines kgl. bayerischen Hofbankiers aus Bamberg), der durch die Entdeckung der Syphilis‑Reaktion Weltruhm errang, organisierte den Heeresimpfdienst und hatte maßgeblichen Anteil an der Wundbrandbekämpfung im Felde. Der schon mehrfach genannte Walter Rathenau leistete ebenfalls Beträchtliches für die deutsche Kriegs-Rohstoff‑Bewirtschaftung. Als der später antisemitische General Ludendorff die militärische Lage katastrophal beurteilte und im Oktober 1918 vom Kaiser entlassen wurde, da ließ der deutsche Mann Walther Rathenau unter der Überschrift "Ein dunkler Tag!" seinen Aufruf zur "levée en masse", zur Volkserhebung erscheinen, um die feindlichen Invasionsheere in einem letzten Heldenkampf auf deutschem Boden abzuwehren (wie es sich später im Jahre 1944/45 wiederholte) ‑ ein Aufruf, den der damalige Reichskanzlers der Hochgradfreimaurer Prinz Max von Baden den "Herzensschrei eines großen Patrioten" nannte. Rathenau hat auch die Revolution von 1918 als eine "Revolution aus Verlegenheit" und die "Revolution der Ranküne" bezeichnet, für eine Ablehnung der "unannehmbaren Waffenstillstandsbedingungen" unserer Feinde 1919 plädiert und das deutsche Waffenstillstandsersuchen als "die katastrophalste geschichtliche Dummheit aller Zeiten" bezeichnet. Noch ein anderer patriotischer Jude muß erwähnt werden, der 1918 nicht den Kopf verlor: Max Moritz Warburg aus Hamburg, geboren 1867, Dr. h. c. und Bankier, bis 1933 Mitglied des Generalrates der Deutschen Reichsbank, Sohn eines Bankiers, selber Mitglied der Deutschen Volkspartei Stresemanns; er wanderte 1938 nach den USA aus und starb dort 1946. Prinz Max von Baden berichtet, daß Warburg bei den Verhandlungen, die der deutschen Waffenstreckung 1918 vorausgingen, den Vertreter der Obersten Heeresleitung zum Aushalten beschworen habe. Als er damit keinen Erfolg hatte, erklärte er in der Konferenz beim Reichskanzler: "Es kommt mir seltsam vor, daß ich als Zivilist den Militärs heute zurufen muß: Kämpfen Sie weiter! Ich weiß, daß mein einziger Sohn, der jetzt ausgebildet wird, in vier Wochen im Schützengraben sein wird, aber ich beschwöre Sie, machen Sie jetzt nicht Schluß!" Dieselbe deutsch­nationale Haltung legte auch, verbunden mit einem kräftigen Schuß Antisemitismus, der Jude Ludwig Geiger aus Breslau (1848/1919) an den Tag, der Sohn des Rabbiners Abraham Geiger, ein Kultur- und Literaturhistoriker, 1880 Professor an der Berliner Universität und seitdem (bis 1913) Herausgeber des Goethe‑Jahrbuches. Er stellte die zionistischen Juden als Feinde des deutschen Vaterlandes und als daher der bürgerlichen Ehrenrechte für unwürdig hin. Schon vor 1914 wünschte er den Ausschluß der aus Rußland und Polen zugewanderten Ostjuden als schädlicher Ausländer aus den jüdischen Gemeinden in Deutschland ‑ ähnlich wie dann nach dem Kriege ein Vertreter des Verbandes national‑deutscher Juden von einer "Ostjudengefahr" sprach also ehe der Nationalsozialismus zu derartigen Forderungen gelangte. Während des Ersten Weltkrieges verlangte Geiger sogar den Abbruch der Beziehungen zwischen den deutschen Juden und ihren Feinden, den Juden in den gegnerischen Staaten, für immer, weil diese sich an der Vernichtung der deutschen Macht mitbeteiligten. Aus diesem antijüdischen Geiste heraus sollten dann im Mai 1920 in Bayern von seiten der Regierung und Verwaltung die Ostjuden innerhalb fünf Tagen aus dem Lande gewiesen werden ‑ was nur im letzten Moment verhindert wurde; während im Jahre 1923 dann doch Hunderte solcher Ostjuden-Familien aus Deutschland abgeschoben wurden. Diesen deutschen Nationalismus fand man natürlich auch im alten Österreich-Ungarn. Als Beispiel dafür sei Moritz Benedikt (1849‑1920) genannt, Chefredakteur der "Neuen Freien Presse" in Wien, ab 1881, ein Menschenalter lang einer der mächtigsten Männer Österreichs. Er vertrat, ähnlich wie Rathenau, im Ersten Weltkriege einen "jüdischen Pangermanismus", wie es die Londoner "Times" in ihrem Nachruf vom 20. 3. 1920 nannte. Dazu Friedrich Heer: "Jüdischer Pangermanismus: Altösterreichs Juden waren zuallermeist leidenschaftliche Anhänger der deutschen Bildung und Kultur und wurden deshalb (von den Slawen) als 'Deutsche' angegriffen. Führende Köpfe dieses Judentums waren großdeutsch bis in die Knochen." So braucht es denn auch nicht verwundern, daß das Manifest "An meine, Völker!", mit dem Kaiser Franz Joseph I. 1914 seine Nation zum Kriege aufruft, von dem tschechischen Juden Moritz Bloch verfaßt ist, der als Beamter in der kaiserlichen Kabinettskanzlei zu Wien diente.

 

Schließlich haben viele Juden die deutsche Sache im Ersten Weltkriege propagandistisch unterstützt. Der berühmte Chemiker Professor Dr. Richard Willstätter aus Karlsruhe (1872/ 1942), Dozent in Berlin und München, Mitglied der dortigen Akademien der Wissenschaften, Nobelpreis‑Inhaber von 1915 und Träger des Ordens Pour le Mérite für Wissenschaften, gehörte mit zu den 93 Professoren, die 1914 in einem Aufruf Deutschlands Schuldlosigkeit am Ersten Weltkriege bekundeten. 1918 antwortete er als ehemaliger Züricher Professor der "Neuen Züricher Zeitung" mit aller Schärfe, als diese dem zusammengebrochenen Reiche den Eselstritt geben wollte: "... Ihr Mitarbeiter eifert gegen die 900 auszuliefernden 'Kriegsverbrecher' ... Wir empfinden in Deutschland ganz anders. Wir sind keine betrogene Nation, die ihre Führer zur Rechenschaft ziehen will. Betrogen hat uns nur das Vertrauen auf die Bedingungen Wilsons ... Unsere Führer haben das Größte geleistet, unser Volk ist schließlich der Hungerblockade erlegen. Das deutsche Volk ist einig in der Empörung über die Schmach, seine besten Männer vor dem Gerichtshof der Sieger schleppen zu sollen!" (zu diesen 'Kriegsverbrechern' gehörte neben Ludendorff auch der Professor Haber). Über seine Einstellung zur Judenfrage schrieb Willstätter ‑ der sich als Emigrant nach 1933 nicht bereit fand, in die Dienste der Feinde Deutschlands zu treten und erst 1939 emigrierte: "Unter meinem Judentum litt ich viel, nämlich dann, wenn ich bei süddeutschen und mitteldeutschen Juden verbreitete Entartungserscheinungen sah ... Ungezügelten Erwerbssinn, Verweichlichung im Wohlstand, schwelgerisches Leben, dazu an der Öffentlichkeit, fand ich peinlich und abstoßend, nicht weniger als Christen diese Erscheinungen empfunden haben können ... Die Erbitterung über die Beteiligung von Juden unter den Revolutionären von 1918 war furchtbar . . . "; leider habe man es sich dann bequem gemacht und einfach alle Schuld an diesem Zusammenbruch auf die Juden abgewälzt. Willstätter hat übrigens die deutsche Gasmaske hergestellt, die zwei Weltkriege überstanden hat und im Ersten Weltkriege Zehntausende unserer Soldaten vor Tod und schwerer Krankheit bewahrte.

 

Alfred Kerr, eigentlich Kempner, aus Breslau (1867/1948) verfaßte die wohl blutrünstigsten und annexionsfreudigsten Kriegsgedichte der damaligen Zeit in Deutschland ‑ gleich einem Ilja Ehrenburg, dem Kreml‑Dichter des Zweiten Weltkrieges. Der Dichter und Lyriker Ernst Lissauer aus Berlin (1882/1937), ein Vertreter freier und weltlicher Religiosität, erlangte durch die Dichtung "1813" ‑ ein nationales Heldenlied ‑ und durch den berüchtigten "Haßgesang gegen England" von 1915 einen großen Ruf sowie den Preußischen Roten Adlerorden IV. Klasse. Der Schriftsteller Julius Bab aus Berlin (Jahrgang 1880) sammelte die Lyrik des Ersten Weltkrieges unter dem Titel "Der deutsche Krieg im deutschen Gedicht" (1914 ff.); Bab emigrierte 1933 in die USA. Leo Sternberg, Amtsrichter aus Limburg/Lahn, Jahrgang 1876, und der 1915 gefallene Schriftsteller Walter Heymann aus Königsberg, Jahrgang 1882, Verfasser der Feldpostbriefe, betätigten sich als Kriegsdichter. Der Zionist Hugo Zuckermann aus Eger, Jahrgang 1881 und als Kriegsdichter und Flieger gefallen, schrieb das "österreichische Reiterlied", das beliebteste deutsche Kriegslied von damals: "Drüben am Waldesrand hocken zwei Dohlen ... " Ein Blick nach Amerika, wo Bernhard Dernburg die deutsche Propaganda leitete (s. o.) zeigt, daß die osteuropäischen Juden in ihrer Abneigung gegen Rußland, aus dem sie ja als Flüchtlinge kamen, ihre besonderen Sympathien dem Deutschen Reiche zuwandten. So wurden ihre jiddischen Zeitungen nach dem Kriegseintritt der USA im Jahre 1917 wegen ihrer Deutschfreundlichkeit sogar vorzensurpflichtig. Als Beispiel stehe hier ein Gedicht des jiddischen Arbeiterdichters und Gettosängers, des Schneidergesellen Morris Rosenfeld aus Polen (1862 bis 1923):

 

"Ich bin ganz fremd zum Teuton,

es ist der Jid in mir, wo redt -

doch wünsch ich Segen Deitschlands Fohn,

wos flattert über Rußlands Stedt ...

Mein Lied der deitschischen Nation,

hoch for dem Kaiser und sein Land,

hoch for sein Mut und seine Fohn!

Und hoch for sein gesegnet Hand!"

 

Wie die besten Männer des deutschen Judentums damals dachten, dafür möge eine der Zierden deutschen Gelehrtentums Zeugnis ablegen, der Neukantianer und Marburger Philosophie-Professor Geheimrat Dr. Hermann Cohen (1842‑1914) aus Anhalt. Er schreibt 1916 in seiner Schrift "Deutschtum und Judentum": "Wir leben in dem Hochgefühl deutschen Patriotismus, daß die Einheit zwischen Deutschtum und Judentum, die ganze bisherige Geschichte des Judentums, die sich angebahnt hat, nunmehr endlich als eine kulturgeschichtliche Wahrheit in der deutschen Politik und im deutschen Volksleben, auch im deutschen Volksgefühl, aufleuchten werde. Wir wollen als Deutsche Juden sein und als Juden Deutsche. So sehen wir im fernsten Punkt am Horizont der geschichtlichen Welt wiederum Deutschtum und Judentum innerlichst verbunden."

 

Aus dieser Haltung heraus haben sich Juden als deutsche Soldaten allezeit und selbst in der Hitler‑Wehrmacht stets bewährt und ihren nichtjüdischen Kameraden in nichts nachgestanden und mußten sich dazu noch beleidigen lassen, wie durch jene Haßflugschrift etwa, die im Herbst 1918 in Berlin verteilt wurde und lügnerisch behauptete:

 

"Überall grinst ihr Gesicht, nur im Schützengraben nicht!" Als in einer antisemitischen Zeitung im Ersten Weltkriege ein Aufruf erschien, wonach demjenigen 1000 Mark versprochen wurden, dem es gelinge, eine jüdische Mutter zu nennen, die drei Söhne auch nur drei Wochen im Schützengraben aufzuweisen hätte ‑ benannte kurz darauf der Rabbiner Dr. Freund‑Hannover 20 Mütter seiner Gemeinde, die dieser Aufforderung entsprachen, ja er konnte sogar Familien mit sieben oder acht Söhnen vor dem Feinde aufweisen. Bereits in den Freiheitskriegen erwarben sich die deutschen Juden in Preußen, von denen 600 als Kriegsfreiwillige hinauszogen, als Kämpfer einen Orden Pour le Mérite (Marschall Blüchers Kriegskommissarius Simon Kremser 1775/1851, der Erfinder des Kremser‑Ausflugswagens) und 72 Eiserne Kreuze sowie 23 Offizierspatente wegen Tapferkeit. 1866 standen 1000 jüdische Kämpfer auf preußischer Seite, 1870/71 waren es deren 6000 in Deutschland, von denen 448 fielen und 327 das Eiserne Kreuz erhielten. 1914/18 waren insgesamt 100 000 Juden als deutsche Soldaten eingezogen, von denen 80 000 an der Front standen, d. s. 12% bei einem Volksdurchschnitt von 13 %. 12 000 Juden fielen im Felde, d. s. 2 % gegen 3,5 % im Volksdurchschnitt, 35 000 wurden dekoriert (davon 1000 mit dem E. K. 1. Kl., 17 000 mit dem E. K. 2. Kl.), 23 000 befördert, davon 2000 zum Offizier. 10 000 Juden rückten als Kriegsfreiwillige ein, von den 1100 Mitgliedern des jüdischen Studenten‑Kartell‑Convents z. B. 991! Von den 164 jüdischen Fliegern des deutschen Heeres sind 30 gefallen. Der jüngste Kriegsfreiwillige des Ersten Weltkrieges war der Jude Joseph Zippes, der beide Beine verlor; einer der ersten Gefallenen war der Kriegsfreiwillige, Reichstagsabgeordneter der SPD, Dr. Ludwig Frank, Rechtsanwalt und Redakteur in der Arbeiterbewegung (1874/1914); er schrieb damals: " ... Aber jetzt ist für mich der einzig mögliche Platz in der Linie, in Reih und Glied, und ich gehe wie alle anderen freudig und siegessicher." Zu den ersten deutschen Kampffliegern gehörte der 1917 gefallene Träger des Ordens Pour le Mérite Hauptmann Wilhelm Frankl. Neben ihm erhielten weitere fünf Juden das preußische Goldene Militär‑Verdienst‑Kreuz. Noch im Jahre 1935 wurden die "Kriegsbriefe gefallener deutscher Juden" herausgegeben ‑ welche 1961 unter Patenschaft des damaligen Bundesverteidigungsministers F. J. Strauß vom Seewald‑Verlag wieder neu aufgelegt sind. Nach dem Kriege beteiligten sich wiederum zahlreiche Juden am Selbstschutz im Osten. In Oberschlesien waren sie 1921 mit dem Freikorps des Oberleutnants Alwin Lippmann dabei, während der Jude Alfred Baldrian die Fahne der Kompanie Schlageter trug! In der Brigade Ehrhardt kämpfte, mit dem Hakenkreuz am Stahlhelm, der Kapp‑Putschist Adolf Arndt, 1949 Mitglied des Bundestages und Kronjurist der SPD. 1919 sammelten sich die Kameraden im "Reichsbund jüdischer Frontsoldaten" des Hauptmanns a. D. Dr. Leo Loewenstein (1879 in Aachen geboren, Chemiker und Physiker, überlebte Theresienstadt und starb 1956 in Schweden), der als Erfinder der Schallmessung und als ihr erster Organisator an der Front bekannt geworden ist. Hier gliederten sich 30 000 Mann in 16 Landesverbänden und 350 Ortsgruppen mit ihrer Wochenzeitschrift "Der Schild". Auf dem Gute Groß‑Glagow bei Kottbus (von der SA 1932 durch Sprengung zerstört) verfolgten sie nach Art der Artamanen eigene Siedlungsbestrebungen und besaßen eine eigene Kriegsopferversorgung. Im Oktober 1933 wollten sie noch ". . . in altsoldatischer Disziplin mit unserem deutschen Vaterlande bis zum Letzten stehen" ‑ und wurden dann doch (oder erst) 1939 aufgelöst. Ab 1941 durften Juden ihre Kriegsauszeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg nicht mehr anlegen, ab 1942 gab es keine Vergünstigungen mehr für jüdische Kriegsversehrte. Auch sie kamen nach Theresienstadt oder Auschwitz . . . Aber auch in Seldtes "Stahlhelm", dem Bund der Frontsoldaten, dienten jüdische Männer.

 

1. der zweite Bundesführer (ab 1924) Oberstleutnant a. D. Theodor Düsterberg, Jahrgang 1875, Enkel des Selig Abraham, jüdischer Gemeindevorsteher von Paderborn, Sohn eines Oberstabsarztes, Kadett, 1919 deutschnationaler Parteisekretär in Halle, 1932 Kandidat des Stahlhelm« für die Reichspräsidentenwahl; führte 1924 gegen den Widerstand vieler Mitglieder im Stahlhelm den Arier‑Paragraphen ein, dem er als Teiljude später selber zum Opfer fiel; und

 

2. der Bundeshauptmann (ab 1933) und Zionist Major a. D. Franz von Stephani (1876/1939), Sohn eines Generals der Infanterie a. D. und 1918 letzter Kommandeur des Leibba­taillons im 1. preußischen Garde‑Regiment zu Fuß, Freikorps­führer, ab 1933 Mitglied des NS‑Reichstages und SA-­Obergruppenführer, ebenfalls ehemaliger Kadett.

 

Selbstverständlich gehört hier auch eine ganze Reihe Generale hin, von denen einige Namen erwähnt seien:

 

1. General der Kavallerie Walter von Moßner (1846/1932), Flügel-­Adjutant Kaiser Wilhelm II., 1899 Kommandeur der Garde‑Kavallerie­-Division, 1903 Gouverneur von Straßburg, Mitglied des preußischen Herrenhauses und à la suite des Leibgarde‑Husaren‑Regiments; er war Sohn einer Rittergutsbesitzers und Berliner Bankiers, einer der besten Reiter der Armee und erhielt sogar den Schwarzen Adlerorden mit dem erblichen Adel.

 

2. der preußische General Otto Liman von Sanders (1855/1929), aus Stolp, Sohn eines Rittergutsbesitzers, türkischer Marschall, 1913 geadelt und Chef der deutschen Militär‑Mission in der Türkei, wo er 1914/18 als Armeeführer eingesetzt war, genannt der "Löwe von Gallipoli", Träger des Ordens Pour le Mérite mit Eichenlaub.

 

3. Admiral Felix von Bendemann (1848/1915), Sohn eines Malers und der Tochter des berühmten Bildhauers Gottfried Schadow, 1905 geadelt, 1899 Chef des deutschen Admiralstabes und 1903 Admiral und Chef der Nordsee‑Station der Marine; er erwarb schon 1870 als Mariner das damals sehr seltene Eiserne Kreuz.

 

4. Generalleutnant Johannes von Hahn, 1862 als Sohn eines Oberverwaltungsgerichtsrates in Erfurt geboren, geadelt 1907, im Ersten Weltkriege Kommandeur der 35. Infanterie-Division, 1918 Kommandant von Posen, dann Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei; sein ältester Sohn fiel 1915 als Gardeleutnant.

 

5. In der k. k. österreichisch‑ungarischen Armee dienten viele Juden und Soldaten jüdischer Abkunft als Generale, vor allem im Sanitätskorps. Genannt seien nur Feldmarschall‑Leutnant Eduard Ritter von Schweitzer (1844/1920), Feldmarschall-Leutnant Adolf Kornhaber (geb. 1956), Konteradmiral Oskar Stiege (1852/1932), Generalingenieur der k. k. Flotte Siegfried Popper (1848/1933) sowie die Generalmajore Alexander Ritter von Eiß (1840/1915), Simon Vogel (1850/1917) und Emil von Sommer (1866/1946). Von ihnen und ihren reichsdeutschen, hochdekorierten Kameraden aus dem Ersten Weltkriege kamen unzählige in Auschwitz und anderen Lagern um, darunter allein zwei Feldmarschall‑Leutnants der k. und k. Armee (der Name des einen war Friedländer).

 

6. Generalbaurat Ing. Günther Burstyn, der als alter k. u. k. Offizier der eigentliche Erfinder des Panzerkampfwagens war, den man aber 1912 im Wiener Kriegsministerium kurzsichtig ablehnte. Burstyn, der von Hitlers Wehrmacht geehrt wurde, erschoß sich 1945 beim Kommen der Roten Armee zusammen mit seiner Frau ‑ nachdem sein Sohn bereits den Soldatentod erlitten hatte.

 

7. Selbst in der Wehrmacht des nationalsozialistischen Reiches dienten etliche Offiziere und Generale jüdischer Abkunft wie:

a) Generalfeldmarschall Erhard Milch, Staatssekretär des Reichsluftfahrtministeriums 1933/45 und Generalinspekteur der Luftwaffe 1938/44, Jahrgang 1892, Sohn eines MarineOberstabsapotheker s (ist jedoch umstritten).

 

b) General der Artillerie Erich Freiherr von dem Bussche‑Ippenburg (1878/1957), Kadett, Sohn eines Oberstleutnants a. D.

 

c) General der Infanterie 1941 Walter Fischer von Weikersthal (1890/1953), Sohn eines Oberstleutnants a. D., Kommandierender General.

 

d) sowie einige Generale der Waffen‑SS und Polizei. Hier galt ja bekanntlich der Ausspruch des Reichsmarschalls Hermann Göring "Wer Jude ist, bestimme ich!"

 

Quelle: Dietrich Bronder "Bevor Hitler kam", 2. erweiterte Auflage, MARVA - Genf 1975, S. 324 - 346 (19. Kapitel = "Die jüdischen Probleme")