Judentum in Deutschland
In diesem Kapitel werden geistige Wegbereiter des Nationalsozialismus
vorgestellt, die als Einleitung zu den folgenden Betrachtungen über den
Antisemitismus gehören. Einführend werden die Lage, die Bedeutung und der
Einfluß des deutschen Judentums gezeigt sowie seine Abwehrmaßnahmen gegen die
antisemitische Welle gestreift. Dann werden vor allem die deutschen
Staatsbürger israelischen Glaubens oder aus Familien dieses Glaubens abstammend
als treue und nationalbewußte Deutsche und als Soldaten unserer Wehrmacht
genannt (Für die Behandlung der jüdischen Probleme wurden unter
anderem herangezogen: Eva G. Reichmann: "Die Flucht in den Haß",
Frankfurt/M, o. J.. H.G. Adler: "Die Juden in Deutschland", München
1960. Michael Müller-Claudius: "Deutsche und jüdische Tragik",
Frankfurt/M, 1955).
Der deutsche
Nationalsozialismus hebt sich von dem in aller Welt anzutreffenden Faschismus
durch seine eminente Judenfeindlichkeit ganz besonders ab ‑ die mit ein
Problem und eine Erblast der deutschen, christlichen Vergangenheit ist. Wenn
denn Antisemitismus (sprich Antijudaismus) als dem besonderen Charakteristikum
des Nationalsozialismus in diesem Buche selbstverständlich ein breiter Raum
gegeben werden muß, so soll seine Bedeutsamkeit noch dadurch unterstrichen
werden, daß er als gewichtiger Schlußpunkt gesetzt wird. Der Antisemitismus ist
das Schicksal und zugleich der Anfang vom Ende des Dritten Reiches gewesen, er
ist der Schlüssel zum Verständnis der deutschen Frage im 20. Jahrhundert, er
ist die schwerste und uns verständlicherweise am meisten belastende Hypothek
unserer gegenwärtigen und kommenden Geschichte. Kein Problem muß sorgfältiger
behandelt und in seine Konsequenzen nüchterner überdacht werden als der
Antisemitismus, der uns mit seiner engstirnigen Gefühlsduselei und seiner
erbarmungslosen und unwissenschaftlichen Theorie in namenloses Unglück gestürzt
hat. Er ist für die Spaltung des deutschen Vaterlandes zu einem ganz
erheblichen Teile mit schuld, ja, er ist ein Verbrechen eines kleinen Kreises,
der ein ganzes großes Volk zu diesem politischen Selbstmord trieb. Um das
Problem des Judentums in Deutschland aber von allen Seiten her zu beleuchten,
muß auch manches angeführt werden, was von der Sicht der Antisemiten aus zu
ihren Fehlschlüssen geführt hat, muß auch die Haltung vieler deutscher Juden
gezeigt werden, mit der sie wohl oft ungewußt und ungewollt einem überspannten
Nationalismus, Chauvinismus, Militarismus und dem Antisemitismus Vorschub
geleistet haben. Wir glauben, daß ein großer Teil der Tragik des deutschen
Judentums gerade darin zu suchen ist, daß viele seiner Glieder, ich möchte
sogar sagen die Mehrzahl, versuchten, gute deutsche Staatsbürger zu werden und
dabei in Maßnahmen verstrickt wurden, die später zur Vernichtung und zumeist
Austreibung jenes deutschen Judentums führten, das als ein hervorragender
Kulturfaktor im deutschen Bereich angesehen werden muß. Zuerst sollen hier nun
Zahlen über das Judentum vorgelegt werden. Danach gab es
in Mittel
im Jahre in
Osteuropa und Westeuropa und in Amerika
1825 2272000 458000 10000
1850 3434000 693000 65000
1880 5726000 1044000 250000
1900 7362000 1328000 1 175000
1925 7618000 1677000 4 370 000 Juden.
Die außerordentliche
Vermehrung der Kinder Israels und der in Osteuropa Ende des 19. Jahrhunderts
zunehmende antisemitische Druck, der ihnen vor allem im zaristischen Rußland
jegliche Gleichberechtigung versagte (s. u.), veranlaßte sie zur Auswanderung,
zuerst nach Europa, dann im 20. Jahrhundert mit dem Aufkommen des dortigen
faschistischen Antisemitismus nach Amerika, wo sie vor allem in den Vereinigten
Staaten eine neue Heimat fanden. Die Zahlen für Deutschland lauten:
1820 = 270 000 Juden, d. s.
1,9 % der Bevölkerung
1871 = 512 000 Juden, d. s.
1,25 % der Bevölkerung
1910 = 615 000 Juden, d. s.
0,95 % der Bevölkerung
1925 = 564 000 Juden, d. s.
0,93 % der Bevölkerung
1933 = 499 000 Juden, d. s.
0,77 % der Bevölkerung
Also kann auch hier von einem
abnehmenden Hundertsatz von Juden innerhalb des deutschen Volkes gesprochen
werden trotz der den Juden vor den Freiheitskriegen Anfang des 19. Jahrhunderts
gewährten Emanzipation ‑ und als Gegenbewegung zum aufsteigenden
Antisemitismus, der ja aufgrund obiger Zahlen hätte geringer werden müssen. In
den zwanzig Jahren zwischen 1880 und 1900 waren 41000 Juden aus den slawischen
Gebieten Osteuropas nach Deutschland eingewandert. Hierzu muß gesagt werden,
daß diese Abwanderung und Verminderung der Juden in den polnischen Westgebieten
zwischen 1871 und 1895 allein 41,4% betrug und für das Deutschtum dort ein
großer Verlust war: denn die jüdische Bevölkerung bekannte sich hier seit
Generationen zu Deutschland als der kulturtragenden Macht ‑ so daß ihnen
daher auch der antisemitische Haß der Polen besonders entgegenschlug. In diesem
Lande bildeten die zwei Millionen Juden eine Minderheit, die durch ihre dem
Deutschen ähnliche jiddische Sprache und durch die deutsch sprechende
Oberschicht eng mit unserem Kulturkreis verbunden war. Die deutsche und die
jüdische Minderheit arbeiteten eng zusammen und stimmten im polnischen Sejm oft
als gemeinsamer Block ab. Von den 587000 Juden in Deutschland im Jahre 1900
waren 7% im Ausland geboren, von denen, die in der Messestadt Leipzig wohnten,
sogar 43 %; von den 403 900 preußischen Juden des Jahres 1925 waren 76 000, d.
s. 18,6% im Ausland geboren ‑ und von den 33 400 zugewanderten polnischen
Juden lebten allein deren 17400 in der Reichs‑ und preußischen Hauptstadt
Berlin. Diese Zusammenballung von vor allem ausländischen Juden an einigen
Zentren, wo sie der Kritik besonders ausgesetzt sein mußten, war natürlich auch
für die Betroffenen selber nicht glücklich. Im ganzen Reich besaßen von den
oben gezählten Juden des Jahres 1925 über 108 000 eine fremde
Staatsangehörigkeit, d. so über 19% also eine außerordentlich hohe Zahl, die zu
dem allgemeinen Mißtrauen gegen die Juden beigetragen haben mag. Erstaunlich
ist, daß noch während der antisemitischen HitlerHerrschaft in Deutschland in
den Jahren 1933‑37 über 10000 Juden nach Deutschland einwanderten, davon
1937 etwa 1200, von denen wiederum 97 aus Palästina kamen; das muß bei der
Pressekampagne gegen den Nationalsozialismus in Deutschland unverständlich
sein, denn alle Einwanderer waren ja gewarnt; es bedarf daher sicher einmal
einer speziellen Untersuchung der Gründe. Mehr noch als in Leipzig ballten sich
jüdische Zuwanderer wie erwähnt in Berlin. Dort lebten:
1811 = 3 000 Juden, d. s. 1,89
% der Bevölkerung,
1867 = 27 600 Juden, d. s.
3,93% derBevölkerung,
1925 = 172 600 Juden, d. s.
4,29% bei einem Durchschnitt von 0,93 % im ganzen Reiche. Wenn hier der
Antisemitismus stärker war als anderswo, dann muß man bedenken, daß 1880, als
in Berlin durch den östlichen Zustrom rd. 45 000 Juden lebten, es in ganz
Frankreich nur 51000 gab, ja in ganz Großbritannien nur deren 46000. So ist
schon aus den Zahlen heraus die Problematik sichtbar geworden ‑ obwohl
sie, das sei ausdrücklich betont, niemals eine Entschuldigung für
unmenschliches Verhalten sein kann. 1933 waren in Berlin sogar 6,5% von der
Stadtbevölkerung Juden oder Bürger jüdischer Abstammung. Die Anpassung der
Juden an die christliche Bevölkerung in Deutschland ist dabei, konfessionell
gesehen, sehr langsam, ja gar nicht in die Waagschale fallend, erfolgt. Vor
1870 wurden z. B. in Preußen jährlich etwa 115 Juden zu Christen umgetauft, vor
1914 etwa 204. Dagegen heirateten über 30% der Juden einen Nichtjuden ‑
gegen nur 17% um 1800. Die Berufstätigkeit wies aus, daß 1925 rd. 59 % aller
Juden in Handel und Verkehr tätig waren, 26 % in Handwerk und Industrie und 15
% ohne festen Beruf ‑ eine ungewöhnlich hohe Zahl, da in Handel und
Verkehr sonst nur 17% der Bevölkerung zu finden sind; und in der Sparte
Gesundheitswesen und Wohlfahrt 2 % hier überwogen ebenfalls die Juden mit 4,35
%.
Die aus der Geschichte der
Juden in Mitteleuropa heraus verständliche Berufswahl, welche die Juden von
vielen Berufen ausschloß, brachte andererseits eine Überbesetzung gewisser
Sparten mit sich, welche den Eindruck eines besonderen jüdischen Einflusses
verstärkten, der im großen ganzen gesehen gar nicht so dominierte. Es waren
eben die Jahrhunderte vor der Emanzipation gewesen, welche die Juden in gewisse
Berufsgruppen abgedrängt hatten. Wenn wir noch einmal bei der Sparte Handel,
Geldwesen, Verkehr und Transport bleiben, so hat diese im Jahre 1937 von den
damaligen 16,26 Millionen Juden auf der Welt deren 6,1 Millionen, d. s. 38,6 %
beschäftigt. Andere Zahlen berichten, daß etwa in Polen 24,5 % aller Studenten
des Landes im Jahre 1923 jüdischer Herkunft waren, bei Beginn der dortigen
antisemitischen Welle im Jahre 1934 noch 17,2 % ‑ während 1921 unter den
Richtern und Rechtsanwälten deren 41,5 % gezählt wurden, unter den Musikern und
Schauspielern 34,5 % und unter den Ärzten in ganz Polen 32 % Juden. Die hohe
Begabung des jüdischen Volkes und seine finanzielle Lage haben es ermöglicht,
viele Kinder Israels studieren zu lassen. So kam es, daß prozentual immer mehr
Juden studieren konnten als Nichtjuden, etwa in Österreich 1880 fast 17% in
Wien 1887/88 sogar 40 % aller Studenten, die Juden waren. Diese Zahl ging durch
den Antisemitismus dann 1895 auf 10 % an der Wiener Universität zurück, 1905/06
auf 7 % und 1929 auf 4 %.
So kam es, daß die Juden auch
im Deutschen Reiche unter den Ärzten, Rechtsanwälten und Professoren einen weit
höheren Anteil stellten, als es ihrer Zahl im Volksganzen entsprach. 1933
fanden sich ihrer 5557 jüdischen Glaubens unter den 51067 deutschen Ärzten und
ihrer 3030 unter den 18 641 Rechtsanwälten und Notaren ‑ wobei hier nur
die echten Glaubensjuden mosaischer Religiosität erfaßt sind. Eklatanter sind
die Berliner Ergebnisse, wo von 8000 Ärzten 4000 Juden waren und auch mehr als
die Hälfte aller Rechtsanwälte. 1933 gab es in Berlin 1880 jüdische Anwälte, in
Preußen waren noch 1935 rd. 15% aller Anwälte jüdischer Herkunft. Noch dichter
fanden sie sich im Bankwesen, wo 1859 von den 550 preußischen Bankiers 320
Juden waren. Im Vorstand der Wertpapierbörse saßen zuletzt unter den 36
Mitgliedern 25 Juden, im Vorstand der Produktenbörse 12 von 16, im Vorstand der
Metallbörse 10 Juden von 12 Gesamtmitgliedern. Dabei muß vermerkt werden, daß
die Juden als Besitzende zumeist konservativ und national eingestellt waren ‑
und damit durchaus staatsbejahende und staatstragende Bürger ‑ und nur
eine kleine Zahl von ihnen sich der politischen Radikalität verschrieb, wobei
sie dann allerdings meist in führende Positionen gelangten, wie Rosa Luxemburg,
Karl Liebknecht (der nach Prof. Nolte kein Jude war, d.V.), Kurt Eisner,
Toller, u. a. In den beamteten Stellen des Staates dagegen hat es von jeher in
Preußen‑Deutschland nur sehr wenige Juden gegeben. Das trifft auch für
die Weimarer Republik zu, wo sich bis 1932 unter 387 Ministern nur die Juden
Dernburg, Preuß und Rathenau befanden (die hier als nationale Männer behandelt
sind), "dazu die Judenstämmlinge Gradnauer, Hilferding und
Landsberg". Unter 500 Reichsbeamten vom Oberregierungsrat bis zum
Staatssekretär findet man nur 15 jüdischer Abkunft, im gleichen Range in
Preußen nur 10 von 300 Beamten ‑ keiner aber unter den 12
Oberpräsidenten, den 35 Regierungspräsidenten und den 400 Landräten der
preußischen demokratischen Verwaltung. In der Reichswehr dienten ganze 8 Juden
im Jahre 1931 als Offiziere. Dagegen ist der jüdische Einfluß, vor allem in
Presse, Theater und Kunst, sehr hoch anzusetzen. In Berlin waren die größten
Zeitungsverlage wie Mosse und Ullstein mit den großen Ausgaben des Berliner
Tageblattes, der Vossischen Zeitung, der Morgenpost, der Volkszeitung und
anderen in ihrem Besitz, in Frankfurt a. M. Sonnemann mit der Frankfurter
Zeitung. Die Berliner Theater waren, abgesehen von den Hoftheatern, ebenfalls
fast ganz in jüdischem Besitz, von ihnen kam die Mehrzahl der modernen
Theaterstücke, bei ihnen lag das Schwergewicht in der Kunstkritik und im
Kunsthandel. So stellte denn Moritz Goldstein unter der Überschrift
"Deutsch-jüdischer Parnaß" ganz richtig fest: "Wir Juden
verwalten den geistigen Besitz eines Volkes, das uns die Berechtigung und
Befähigung dazu abspricht." Es war nicht zuletzt Kaiser Wilhelm II., seit
Friedrich dem Großen der erste Hohenzollern‑Herrscher, der nicht der
Freimaurer‑Loge angehörte, welcher viele Juden förderte: Albert Ballin,
den Generaldirektor der HAPAG, der sein Duzfreund war und sich November 1918
das Leben nimmt, als das deutsche Kaiserreich untergeht; die beiden Rathenaus
von der AEG; seinen Generaladjutanten Moßner; den Direktor der Berliner
Handelsgesellschaft Fürstenberg; den Bankier von Goldschmidt‑Rothschild,
der das erste Mitglied des Preußischen Herrenhauses mosaischer Religion war ‑
wie schon Kaiser Wilhelm I. den Bankier Gerson von Bleichröder, Bismarcks
Berater, adelte. Schließlich seien noch Namen erwähnt wie der preußische
Minister von Friedenthal, die Reichsstaatssekretäre Dernburg und von Friedberg,
der Reichs‑Kolonialdirektor Kayser, der Staats‑ und
Kirchenrechtslehrer Stahl, die Nationalliberalen von Simson, Bamberger und
Lasker, die "Halbjuden" Staatssekretäre von Thielmann und Freiherr
von Berchem u. v. a. Sie alle haben ein nationales deutsches Judentum
repräsentiert, das vollkommen in das deutsche Volk hineingewachsen war, gewiß
nicht zum Schaden der Nation, wie es Nietzsche einmal betonte.
Die Versuche der Juden, nach
der Emanzipation Anfang des 19. Jahrhunderts mit ihren sogenannten Gastvölkern
zu verwachsen, wurden sowohl durch den zunehmenden Antisemitismus; als auch
durch zionistische Maßnahmen in ihren eigenen Reihen erschwert und schließlich
unmöglich gemacht. Am Anfang steht dabei der berühmte Vorkämpfer des Zionismus,
der Lassalleaner und Sozialist Moses Heß (1812/75), der 1862 in seiner Schrift
"Rom und Jerusalem" die Anschauung vertrat: "Das Judentum ist
vor allen Dingen eine Nationalität." Während der junge Heß noch die
Christianisierung der Juden und dafür die christlich‑jüdische Mischehe
empfahl, wandte sich der Zionist Heß dem Rassegedanken zu. Die moderne
Gesellschaft sei aus den Bestrebungen zweier welthistorischer Menschenrassen
hervorgegangen, der Arier und der Semiten, die durchaus in friedlicher
Koexistenz miteinander leben könnten. Unter dem gleichen Gedanken schrieb der
Historiker Heinrich Graetz (1817/91) seine große Geschichte des Judentums. R.
Hirsch Kalischer in Thorn, der Rabbiner Rülf in Memel und die Kattowitzer Juden‑Konferenz
von 1884 verfochten eine jüdische Kolonisation in Palästina. Schließlich
schrieb Juda Löb Pinsker (1821/91), Sohn eines jüdischen Gelehrten in Polen,
1882 das Buch "Autoemanzipation. Eine Warnung eines russischen Juden an
seine Rasse!" Pinsker erhob als erster Zionist den Ruf nach einem
"Zusammenschluß aller Juden in einem Staate", in einer nationalen
Heimstätte« in Palästina. Allerdings sollten dort nicht alle Juden wohnen,
sondern nur ihr Überschuß nach Israel gehen ‑ so, wie es heute etwa
geschieht. Die anderen sollten bleiben, wo sie wohnen. Für sie forderte der
Verfasser in diesen Staaten nationale Rechte ‑ die er jedoch den Fremden
in Palästina nicht geben wollte (Hinweis auf den katholischen Priester jüdischer
Abstammung, dem im heutigen Israel die Einbürgerung verweigert wurde). Er
behauptete, die Juden seien nicht Staatsangehörige der Länder, in denen sie
lebten ‑ nur anderen Glaubens als die Mehrzahl der Bevölkerung ‑,
sondern sie seien Glieder einer eigenen und anderen Nation. Trotzdem aber
sollten sie die berechtigte Staatsbürgerschaft der respektiven Gaststaaten
voll und ganz genießen dürfen ‑ eine in ihrer Form einmalige Forderung,
wie sie sonst vielleicht nur Sieger sich anzumaßen vermögen. (Die Nationalsozialisten
haben später im Sinne Pinskers in ihrem Parteiprogramm für die Juden die
Fremdenrechte in Deutschland verlangt.) Nach diesen mannigfachen Vorbereitungen
wurde der Zionismus dann 1882 im Gefolge der russischen Judenverfolgungen
geboren und als jüdisch‑völkischer Gedanke von seinem Begründer Theodor
Herzl aus Budapest (1860/1904) in die Tat umgesetzt. Der ehemals
deutschnationale Burschenschafter der "Albia" Herzl schrieb 1896 das
Buch "Der Judenstaat" und gründete 1897 auf dem ersten Basler
Kongreß die Zionistische Weltorganisation, welche alle Juden nach dem Staate
Palästina hin zu sammeln bestrebt war. Diese Bewegung war nicht eine
philanthropine oder eine soziale Frage, sondern eine nationale und politische
Maßnahme, mit der die Juden auf den Antisemitismus verständlicherweise
antworteten ‑ wodurch sie aber die gegenseitigen Spannungen erhöhen
mußten. Sie wollten übrigens die Rückkehr in ihre alte Stammheimat, die jetzt
zu meist von Arabern bewohnt wurde, durch ein internationales Abkommen der
Großmächte erreichen. In Deutschland faßten die Zionisten vor allem bei den
jungen und den akademischen Juden Fuß. Als nach Herzls Tod der aus Litauen
gebürtige Kölner Kaufmann David Wolfsohn (1856/1914) Präsident wurde, verlegte
die Bewegung ihren Sitz nach Deutschland; 1911 übernahm der Berliner Professor
Otto Warburg die Führung, bis er 1920 nach Palästina auswanderte. Damit
spitzten sich aber zu dem von außen ausgeübten Druck noch die Verhältnisse
innerhalb der deutschen jüdischen Gemeinden zu und brachten eine politische
Note in ihre Arbeit ‑ wenn auch kaum 10 000 der deutschen Juden Zionisten
gewesen sein mögen. Ihre überwiegende Mehrheit lehnte den Zionismus ab und
trennte sich von ihm ‑ ja veranstaltete 1913 sogar einen
antizionistischen Kongreß. Da die Zionisten "schlechte Patrioten, Hetzer
und Friedensstörer" seien, gründete man 1893 einen "Zentralverein
deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens", dessen 70 000 Mitglieder
(1925) sich als eine religiöse Minderheit in unserem Volke betrachteten und zu
dem Grundsatz von Moritz Lazarus bekannten (Berliner PhilosophieProfessor,
1824/1903): "Wir sind Deutsche, nichts als Deutsche, wenn vom Begriff der
Nationalität die Rede ist; wir gehören nur einer Nation an, der
deutschen!" Es muß als einer unser schwerstwiegenden politischen Fehler
angesehen werden, diese Haltung verkannt, ja zurückgestoßen zu haben. Im
Gegenteil steigerte der Antisemitismus seine Angriffe, und den Juden im Reiche
blieben kaum Abwehrmöglichkeiten. Viele ließen sich taufen, allein in
Altpreußen ihrer 13 300, die zwischen 1900 und 1935 lutherisch wurden, jährlich
etwa 166 (im Jahre 1928), dann 933 im Jahre 1933. Auch die Zahl der Mischehen
nahm zu, zwischen 1901 und 1933 zusammen 42 372, die allerdings im Durchschnitt
nur zwei Kinder zählten.
In diesem Zusammenhang sei
darauf hingewiesen, daß von den verschiedensten Seiten aus behauptet worden
ist, die Juden seien an dem Antisemitismus nicht ganz unschuldig, da sie ihn
für ihre zionistischen Maßnahmen benötigten, um das Volk Israel "bei der
Stange" zu halten. Den Anlaß für diese Vermutungen haben die Juden immer
wieder selber gegeben, so absurd das Ganze sein mag. So schrieb etwa Constantin
Brunner aus Altona, Jahrgang 1862, hinter dem sich der Philosoph, Spinozist und
Antizionist Leo Wertheimer verbarg, in seinem Buche "Der Judenhaß und die
Juden" (1918/S. 309): "Die Antisemiten sind Judenmacher, sind die
Erschaffer der Juden, die nicht Jude sein wollen. Der Antisemitismus ist der
Juden Hauptengel, gewaltig sorgend, daß die Juden Juden bleiben, Juden mit der
jüdischen Eigentümlichkeit, mit der Eigentümlichkeit ihres Herzens für die
ewige Wahrheit." Dieses Zitat wurde auch in der "Allgemeinen
Wochenzeitung der Juden in Deutschland" in einem Aufsatz von Dr. Chiel Zwierszynski
über "Die Tragödie der Assimilation" wiederholt und mit dem Kommentar
versehen: "Die Rassentheorie hatte auch. verschiedenartige Folgen. Nach
mehr als einem Jahrhundert seit der Emanzipation der deutschen Juden wurde den
Enkeln der damals Getauften gezeigt, daß man seinem Schicksal nicht entfliehen
kann." Der Haß der Zionisten und jüdischen Nationalisten traf gerade jene
Juden, die "schlechte" Juden, dafür aber "gute" Deutsche
sein wollten, die Assimilationsjuden, an denen Jahves Strafgericht durch die
"Jäger" (s.Altes Testament, Jeremias 16, 16) zu vollziehen sei.
Hierüber schreibt Abram Poljak in seiner Schrift "Zertrümmertes
Hakenkreuz", in welcher er die Verdienste Hitlers um den Aufbau
Palätsinas und des Staates Israel würdigt: "Ja, das Böse muß kommen in
die Welt, doch wehe dem, durch den es kommt! Die Juden müssen um ihrer Sünden
willen geschlagen werden, doch wehe dem, der sie schlägt! Ein merkwürdiges
Schicksalgesetz ... schwer begreiflich, doch Gottes Wille, Gottes Weisheit, das
letzte Wort ... " Zu dem gleichen Sachverhalt hat dem Chemiker und
Nobelpreisträger Geheimrat Ostwald einmal der berühmte jüdische Maler Max
Liebermann aus Berlin (1847/1937), Präsident der Preußischen Akademie der
Künste, Träger des Ordens Pour le Mérite (Friedensklasse) und des Adlerschildes
des Deutschen Reiches, in seiner bekannten sarkastisch‑offenen Art
angedeutet: "Wissen Sie, das mit dem Antisemitismus wird erst was werden,
wenn's die Juden selbst in die Hand nehmen!" Fürwahr ein sehr gefährliches
Wort, wenn man daran denkt, daß
a) der getaufte Jude Rindfleisch 1298 Urheber einer der schwersten mittelalterlichen
Judenverfolgungen war, die über 140 israelische Gemeinden vernichtete;
b) ein Aron Jud
um 1400 mittels einer Ritualmordbeschuldigung in Diedenhofen ein Pogrom auslöste;
c) der getaufte Jude Victor von Karben (1442/1515) die Vertreibung der Juden vom Niederrhein
veranlaßte;
d) der getaufte Jude Torquemada als spanischer Großinquisitor 1492 die spanischen Juden
graumsam verfolgte und aus dem Lande vertrieb;
e) der
Mönch und getaufte Jude Pfefferkorn um
1509 dem Antisemitismus der Reformationszeit einen erheblichen Auftrieb
gab;
f) die
Juden Baptista, Moro u. a. die
römisch‑katholische Inquisition 1550 veranlaßten, Juden lebendig zu
verbrennen;
g) der
Täufling Paul Christian Kirchen 1720
in Frankfurt a. M. eine Ritualmordbeschuldigung erhob;
h) desgleichen 1882 ein Täufling Paulus Meyer;
i)
der getaufte
Jude Brafmann als einer der Urheber
der "Protokolle der Weisen von Zion" (s. u.) nach 1905 erneute
antijüdische Pogrome in Rußland verursachte;
j)
mit Hilfe der
Beschuldigungen eines Juden und eines orthodoxen Priesters gegen den Juden
Beilis in Kiew ein Pogrom ausgelöst wurde;
k) der k. und k. Erzbischof von Olmütz,
Monsignore Kohn, schrieb "Sollte die Ungerechtigkeit der Juden das Maß
überschritten haben? Ist die Zeit gekommen, in der sie durch Feuer und Schwert
vom Erdkreis verschwinden?"
l)
der SS‑Obergruppenführer Heydrich als Mann
überwiegend jüdischer Abkunft (sein Vater war Musikdirektor in Halle und hieß
It. Riemannschem Musiklexikon standesamtlich "Isidor Süß") mit die
grausamste und blutigste Judenverfolgung der Geschichte durchführte und doch
dabei überzeugt war, "daß es reiner Wahnsinn ist, dieses jüdische Problem
geschaffen zu haben", wie er W. Schellenberg gegegenüber einmal betonte.
Wir
werden weiter unten noch anderen Menschen jüdischer Abkunft begegnen, die gegen
ihr eigenes Blut in Wort und Schrift und Tat gewütet haben. Es liegt dem
zumeist der Eifer des Konvertiten zugrunde, sich nunmehr restlos von seiner
bisherigen Gemeinschaft abzusetzen und immer wieder zu beweisen, daß er anders
ist. Da er aber sein eigenes Volk verrät, kann er in diesem Falle wohl kaum
als "Jude" angesehen werden (Einen interessanten Hinweis gibt der
Schriftsteller Henry Miller in seinem in den USA als Bestseller erschienen
Buche "Wendekreis des Krebses", das nicht ganz frei von
antisemitischen Äußerungen ist. Auf Seite 15heißt es: "...und außerdem,
wer haßt den Juden mehr als der Jude?").
Wir sprachen bereits davon,
daß der deutsche Nationalismus im Judentum sehr lebendig war und erhebliche
Verdienste für Volk und Reich aufweisen kann. Daher sollen im folgenden als
Beleg eine Reihe von jüdischen Persönlichkeiten genannt werden, die hierzu
beigetragen haben:
1.Gabriel Riesser aus Hamburg
(1806/63), Enkel eines litauischen Rabbis, Hochgradfreimaurer, Rechtsanwalt,
Vizepräsident der Hamburger Bürgerschaft und dort 1859 Obergerichtsrat, 1848
Mitglied des Frankfurter Parlaments, amtierte er zweimal als dessen
Vizepräsident, trat (z. B. in der berühmt gewordenen Kaiser‑Rede von
1849) für ein preußisches Erbkaisertum ein und war Mitglied der Deputation zu
König Friedrich Wilhelm IV.. Bei den Beratungen zur neuen Verfassung des
deutschen Bundes verteidigte Riesser eifrig die Gleichberechtigung der deutschen
Juden. In seinen gesammelten Schriften heißt es zu diesem Thema: "Wir sind
nicht eingewandert, wir sind eingeboren, und weil wir es sind, haben wir
anderswo keinen Anspruch auf eine Heimat. Wir sind entweder Deutsche, oder wir
sind heimatlos! ... Wer mir den Anspruch auf mein deutsches Vaterland
bestreitet, der bestreitet mir mein Recht; darum muß ich mich gegen ihn wehren
wie gegen einen Mörder!"
2. Eduard von Simson aus
Königsberg (1810/99), Urenkel des Schutzjuden Moses Friedländer, 1823
evangelisch getauft, Freimaurer, mit 23 Jahren in Königsberg Professor der
Rechte, 1879/91 erster Präsident des deutschen Reichsgerichts in Leipzig.
Simson war 1848 Präsident der Frankfurter Nationalversammlung ‑ in der 17
Juden als Abgeordnete saßen ‑ und einer der besten Redner des Parlaments.
Er leitete jene Delegation von Parlamentariern, die dem preußischen König
Friedrich Wilhelm IV. am 3. 4. 1849 die deutsche Kaiserkrone anbot aber von dem
schwachen Monarchen abgelehnt wurde, weil sie eine "beschnittene
Krone" sei, "aus Dreck und Lehm gebacken", wie der König
spottete. Der noble Jude präsidierte später (1860/61) dem Preußischen Landtag,
ab 1867 dem Norddeutschen Bundestag und 1871/73 dem ersten Deutschen Reichstag,
in dessen Auftrag er am 18. 12. 1870 dem nunmehrigen preußischen König Wilhelm
I. die deutsche Kaiserkrone antrug. Simson, ein persönlicher Bekannter Goethes,
gründete 1885 die deutsche Goethe‑Gesellschaft, präsidierte ihr
gleichfalls und wurde 1888 mit dem höchsten preußischen Orden, dem Schwarzen Adlerorden
ausgezeichnet sowie mit dem Erbadel belehnt.
3. Robert Linderer aus Erfurt,
1824/86, war als Schriftsteller der Autor des deutschen Flaggenliedes
"Stolz weht die Flagge Schwarz‑weiß-rot!", unter dessen Gesang
so manches deutsche Schiff nach heldenmütigen Kampfe auf See unterging und das
zum Liedgut der NSDAP zählte.
4. Joseph Weyl aus Wien
(1821/95), ebenfalls Schriftsteller und der Umdichter des Niederländischen
Dankgebetes "Wir treten zum Beten vor Gott den Gerechten" (eine
übrigens typisch mosaische Formel) ‑ das auch zum musikalischen Gut der
Hitler‑Wehrmacht gehörte.
5. Jakob Riesser aus Frankfurt
a. M. (1853/1932), der Neffe von Gabriel, Sohn eines Kaufmanns, Rechtsanwalt,
Geheimer Justizrat und ab 1905 Professor an der Berliner Universität, 1918 in
Stresemanns Deutscher Volkspartei, 1906/28 Mitglied und seit 1921 Vizepräsident
des Deutschen Reichstages. Er gründete 1918 die Bürgerräte als Gegengewicht zu
den Arbeiter‑ und Soldatenräten der Roten, dann den Reichsbürgerrat.
Dieser war im Jahre 1925 Träger der Kandidatur des Generalfeldmarschalls Paul
von Hindenburg für die Reichspräsidentschaft.
6. Hugo Preuß aus Berlin
(1860/1925), Sohn eines Kaufmanns, Professor und 1906 Rektor der Berliner
Handels‑Hochschule, als Staatsrechtler der Vater der Weimarer
Reichsverfassung. Er wollte ein starkes und großdeutsches Reich, konnte sich
aber den Sozialisten gegenüber nicht durchsetzen. Seine Hauptschriften:
"Das deutsche Volk und die Politik" (1915), "Obrigkeitsstaat und
großdeutscher Gedanke" (1916) und "Der deutsche Nationalstaat"
(1924). Im November 1918 gründete er zusammen mit Friedrich Naumann und Max
Weber die Deutsche Demokratische Partei. Preuß trat als erster
Reichsinnenminister 1919 aus Protest gegen die Unterzeichnung des Versailler
Diktats zurück.
7. Bernhard Dernburg aus
Darmstadt (1865/1937), Sohn eines Journalisten und nationalliberalen
Reichstagsabgeordneten, Protestant. Dr. jur. et rer. pol., Direktor einer
Großbank, kaiserlicher Wirklicher Geheimer Rat, wurde er 1906 Direktor der Kolonialabteilung
des Auswärtigen Amtes ‑ deren erster Chef der Jude Paul Kayser gewesen
war. 1907 war Exzellenz Dernburg erster Staatssekretär des Reichskolonialamts
und trat 1909 in den Ruhestand. Erst Mitglied des Preußischen Herrenhauses,
vertrat er als Abgeordneter 1912 die Deutsche Demokratische Partei im
Reichstag. Während des Ersten Weltkrieges leitete er die deutsche Propaganda in
den Vereinigten Staaten von Amerika. 1919 trat Dernburg als
Reichsfinanzminister von seinem Amt aus Protest gegen die Unterzeichnung des
Versailler Diktats zurück. Es ist bedeutsam, hier festzustellen, daß es zwei
jüdische Reichsminister waren, die als einzige aus Protest gegen die
Vergewaltigung des deutschen Volkes in Versailles zurücktraten, niemand anders
sonst. Sie besaßen jene tiefe Vaterlandsliebe, die sie eher auf ihr Amt als auf
ihre Ehre verzichten ließ.
8. Sven von Hedin, der
weltberühmte schwedische Forschungsreisende und Gelehrte (1865/1952), soll hier
genannt werden, weil er als ein wahrhaftiger Freund des deutschen Volkes für
dieses in seiner Not immer wieder eingetreten ist, sei es im Ersten Weltkriege
oder in der schweren Nachkriegszeit, sei es während des Dritten Reiches, im
Zweiten Weltkriege oder nach dem katastrophalen Zusammenbruch von 1945, immer
war der Schwede an der Seite der Deutschen. Eine Woche nach der Harzburger
Tagung von 1931 nennt er z. B. auf dem Stockholmer Friedens‑Kongreß den
Versailler Frieden die gigantischste Dummheit, die jemals begangen worden ist;
es sei kein Friede möglich, ehe nicht die Kriegsschulden gestrichen und alle in
der Stunde der Not erzwungenen Bekenntnisse der Kriegsschuld zerrissen sind.
Freimaurer Hedin, der in vierter Generation von einer in Schweden
eingewanderten jüdischen Familie Abraham Brody alias Berliner abstammte, zählte
zu den Freunden Hitlers, der ihm stets besondere Verehrung entgegenbrachte. Als
neunfacher Doktor (promoviert in Halle/Saale zum Dr. phil.) war er der letzte
Schwede, der durch Sondererlaß seines Königs in den Adelsstand erhoben wurde.
1936 krönt er eine Deutschlandreise mit 96 Vorträgen und dem Abschlußreferat
anläßlich der Berliner Olympischen Spiele im dortigen Stadion. In seinem Buche
"Deutschland und der Weltfrieden" urteilt er 1937 über den
Nationalsozialismus, dieser "hat Deutschland aus einem Zustand politischer
und moralischer Auflösung gerettet ... " Er sei eine deutsche Erscheinung,
die man aus den Erfahrungen der Deutschen heraus erklären müsse. Scharfe Kritik
aber hat der Gelehrte an den Maßnahmen gegen das Judentum geübt, wo man
"die Grenzen der Vernunft wie der Humanität überschritten" habe.
9. Salomon Marx, aus
Schwerte/Ruhr, 1866 geboren, Konsul, leitender Direktor der Norddeutschen
Elektrizitäts‑ und Stahlwerke und Mitglied des Hauptvorstandes der
Deutschnationalen Volkspartei Hugenbergs. Er stellte wesentliche Finanzmittel
zur Niederwerfung der Spartakus-Unruhen der Kommunisten Rosa Luxemburg und
Karl Liebknecht zur Verfügung und finanzierte auch die deutschen Freikorps
damit sowie das Plakat, das zum Mord an Liebknecht aufrief.
10. Adolf Grabowsky aus
Berlin, 1880 geboren, Katholik und Sohn eines Kaufmanns, Dr. jur. et rer. pol.,
konservativer Schriftsteller und Geopolitiker, wollte als Mitbegründer der
"Zeitschrift für Politik" 1908/33 und der Zeitschrift "Das Neue
Deutschland" 1913/23 die deutsche Intelligenz für die Rechtsparteien
gewinnen ‑ sowie auch durch sein Werk "Kulturkonservativismus".
1921/33 Dozent an der Hochschule für Politik in Berlin, wo er 1923 in ihrem
Rahmen das geopolitische Seminar begründete, war er seit 1950 Professor an der
Marburger Universität und trieb immer noch seine alte Wissenschaft. Grabowsky
regte während des Ersten Weltkrieges 1917 für eine Politik der Verständigung
die Schaffung einer überparteilichen Sammelorganisation "Volksbund für Vaterland
und Freiheit" an und wurde 1960 mit dem Großen Verdienstkreuz der
Bundesrepublik Deutschland geehrt.
11. Viele rechtsstehende
nationale Juden arbeiteten unter Hugenberg in der Deutschnationalen Volkspartei
mit, welche dann von Hitler 1933 zur Selbstauflösung getrieben und im Herbst
1962 als kleines Grüppchen in Kassel wiedergegründet wurde. Zwar hatte auf dem
Görlitzer Parteitag 1922 eine kleine völkische Gruppe unter von Graefe‑Wulle‑Henning
einen Arierparagraphen gefordert, drang damit aber nicht durch, weil sich Karl
Helfferich gegen "Staatsbürger
zweiter Klasse in unserem Vaterlande" energisch wandte; darauf schieden
die Antisemiten aus der DNVP aus. So konnten die Juden hier mitarbeiten, gemäß
der Tradition des Gründers der Konservativen Partei, F. J. Stahl , aus der die
DNVP ja entstanden war. Einer ihrer führenden Männer war der bedeutende
Wirtschaftsführer und Reichstagsabgeordnete Geheimrat, Rechtsanwalt und Notar
Dr. Reinhold Quaatz (geboren 1876 zu Berlin als Sohn eines Gymnasialdirektors).
Vor allem aber in den Presseorganen der Partei und im Scherl‑Verlag waren
jüdische Mitarbeiter Hugenbergs gern gesehen: Rechtsanwalt Otto Scheuer als
Leiter der Sozialabteilungen des 10000 Menschen umfassenden Verlages; Dr. S.
Breslauer als Chefredakteur des "Berliner Lokalanzeigers" mit seinem
Verlagsdirektor Goldschmidt und den Schriftleitern und Redakteuren Caro,
Schönfeld, Elsa Herzog, Aron, Kapralik, Maritai, Rosenthal, Schweriner und
Stern; die Redakteure Tannenbaum, Poloczek, Prokauer und Simonsohn von der
"Berliner Nachtausgabe", u. a. m. (Vgl. Jacob Toury: "Die
politische Orientierung der Juden in Deutschland - von Jena bis Weimar",
Tübingen 1967).
12. Im Juni 1921, in der
tiefsten Not des Vaterlandes, entstand in Berlin der "Verband
nationaldeutscber Juden e.V.", der sich in seinem Gründungsaufruf an die
"Nationaldeutschen Juden! Deutschfühlende Männer und Frauen jüdischer
Abstammung, denen ihr Deutschtum über alles geht!" zwecks Zusammenschluß
wandte und proklamierte: "Unser Deutschtum war uns von Kindheit an etwas
Selbstverständliches ... Wir brauchen den Zusammenschluß derer, aber nur derer,
die nationaldeutsch fühlen wie wir. Wir haben nicht den gleichen Weg mit
Zionisten und Jüdischnationalen, mit 'Zwischenschichtlern', die unklar zwischen
Deutschtum und Judentum schwanken, mit international fühlenden Schwarmgeistern.
Wir kennen keine jüdische, wir kennen nur eine deutsche Einheitsfront! Am
Aufbau des deutschen Vaterlandes wollen wir arbeiten in Reih und Glied, an der
Seite unserer deutschen Volksgenossen nichtjüdischen Stammes ... Deutsche unter
Deutschen, Gleiche unter Gleichen!" Unterzeichnet war der Aufruf von
vielen hervorragenden Namen wie etwa Professor Dr. Jonas Cohn aus Freiburg/Br.,
Geheimer Justizrat Arnold Feige aus Breslau, Professor Dr. Siegmund Ginsberg
aus Berlin, Professor Dr. Max Herrmann aus Berlin, Generaloberarzt Sanitätsrat
Dr. Eugen Jacoby aus Berlin, Professor Dr. Richard Mühsam aus Berlin, Professor
Dr. Karl Neumeyer aus München, Kommerzienrat Konsul A. Rosenwald aus Nürnberg,
Professor Dr. Otto Rubensohn aus Berlin, Reichsgerichtsrat Dr. Hugo Salinger
aus Leipzig, Bankier Paul D. Salomon und Bankier Martin Schiff aus Berlin,
Professor Dr. Georg Schlesinger aus Berlin, Rittergutsbesitzer und Senator Dr.
Paul Schottländer aus Breslau, Landgerichtspräsident Emil Weinberg aus
Oldenburg, u. v. a. Noch im August 1934, als über Hitlers antisemitischen Kurs
längst Klarheit herrschte, erließ der jüdische Nationalverband zur Wahl einen
Aufruf für Hitler, in dem es hieß: "Wir Mitglieder des im Jahre 1921
gegründeten Verbandes nationaldeutscher Juden haben stets in Krieg und Frieden
das Wohl des deutschen Volkes und Vaterlandes, dem wir uns unauflöslich
verbunden fühlen, über unser eigenes Wohl gestellt. Deshalb haben wir die
nationale Erhebung vom Januar 1933 begrüßt, trotzdem sie gegen uns selbst
Härten brachte, denn wir sahen in ihr das einzige Mittel, den in 14
Unglücksjahren von undeutschen Elementen angerichteten Schaden zu
beseitigen!" Und das wurde geschrieben Jahre nach den Warnungen des
Antisemiten Ludendorff vor Hitlers Gewaltherrschaft, als er in einem Brief vom
24. 1. 1931 sagte, er wolle "die Deutschen vor ihrem grimmigsten Feinde,
dem Nationalsozialismus, bewahren!" Oder der zur Wahl am 3. 4. 1932 in
seiner Zeitung warnte: "Ich frage die Deutschen unter den Wählern des
Regierungsrats Hitler, erkennen sie nicht endlich, daß von ihm nie Rettung,
sondern nur dreifaches Verderben durch fanatisierte Gewaltmenschen kommen
kann?" Ludendorff behielt leider recht ... Der von Dr. Max Naumann
begründete jüdische Nationalverband sollte bald bitterste Enttäuschungen
erleben. Das deutsche Volk, dem er dienen wollte, wies in seiner ganzen
Verblendung die deutschen Juden zurück, statt ihre wertvollen Kräfte mit in
einen Aufbau zu stellen, der mit ihnen zum Erfolg, gegen sie aber zur restlosen
Niederlage führte ‑ führen mußte!
Auch während des Ersten
Weltkrieges stand die überwältigende Mehrheit des deutschen Judentums im
nationalen, ja gelegentlich sogar im chauvinistischen Lager ‑ und zwar
weitgehend aus dem soziologischen und psychologischen Zwang ihres
Assimilationsprozesses heraus. Deutschland hätte den Krieg sofort verloren bzw.
gar nicht erst führen können, wenn nicht der jüdische Chemiker Geheimrat
Professor Dr. Fritz Haber aus Breslau (1868/1934), bis 1933 Leiter des Kaiser‑Wilhelm‑Instituts
für physikalische Chemie und 1918 Träger des Nobelpreises, die
Stickstoffgewinnung aus der Luft entdeckt und damit die deutsche Sprengstoff‑
und Munitionsherstellung gesichert hätte. Hauptmann der Landwehr Haber leitete
dann während des Krieges auch die deutschen Gaskriegsvorbereitungen und deren
Abwehr, zusammen mit R. Willstätter. Die Forscher Epstein und Sakur waren in
der Gaskriegsführung wissenschaftlich tätig, wobei der letztere bei einem
Experiment getötet wurde. Der Direktor des Kaiser-Wilhelm‑Instituts für
Biochemie, Professor Dr. Carl Neuberg, 1877 als Sohn eines Hannoverschen
Kaufmanns geboren, machte sich um die Glyzerin‑ und Fettproduktion
hochverdient. Sein seit 1913 am gleichen Institut als Direktor tätiger
Vorgänger, der Arzt und Bakteriologe Geheimrat Professor Dr. August von
Wassermann (1966 bis 1925, Sohn eines kgl. bayerischen Hofbankiers aus
Bamberg), der durch die Entdeckung der Syphilis‑Reaktion Weltruhm errang,
organisierte den Heeresimpfdienst und hatte maßgeblichen Anteil an der
Wundbrandbekämpfung im Felde. Der schon mehrfach genannte Walter Rathenau
leistete ebenfalls Beträchtliches für die deutsche Kriegs-Rohstoff‑Bewirtschaftung.
Als der später antisemitische General Ludendorff die militärische Lage
katastrophal beurteilte und im Oktober 1918 vom Kaiser entlassen wurde, da ließ
der deutsche Mann Walther Rathenau unter der Überschrift "Ein dunkler
Tag!" seinen Aufruf zur "levée en masse", zur Volkserhebung
erscheinen, um die feindlichen Invasionsheere in einem letzten Heldenkampf auf
deutschem Boden abzuwehren (wie es sich später im Jahre 1944/45 wiederholte) ‑
ein Aufruf, den der damalige Reichskanzlers der Hochgradfreimaurer Prinz Max
von Baden den "Herzensschrei eines großen Patrioten" nannte. Rathenau
hat auch die Revolution von 1918 als eine "Revolution aus
Verlegenheit" und die "Revolution der Ranküne" bezeichnet, für
eine Ablehnung der "unannehmbaren Waffenstillstandsbedingungen"
unserer Feinde 1919 plädiert und das deutsche Waffenstillstandsersuchen als
"die katastrophalste geschichtliche Dummheit aller Zeiten"
bezeichnet. Noch ein anderer patriotischer Jude muß erwähnt werden, der 1918
nicht den Kopf verlor: Max Moritz Warburg aus Hamburg, geboren 1867, Dr. h. c.
und Bankier, bis 1933 Mitglied des Generalrates der Deutschen Reichsbank, Sohn
eines Bankiers, selber Mitglied der Deutschen Volkspartei Stresemanns; er
wanderte 1938 nach den USA aus und starb dort 1946. Prinz Max von Baden
berichtet, daß Warburg bei den Verhandlungen, die der deutschen Waffenstreckung
1918 vorausgingen, den Vertreter der Obersten Heeresleitung zum Aushalten
beschworen habe. Als er damit keinen Erfolg hatte, erklärte er in der Konferenz
beim Reichskanzler: "Es kommt mir seltsam vor, daß ich als Zivilist den
Militärs heute zurufen muß: Kämpfen Sie weiter! Ich weiß, daß mein einziger
Sohn, der jetzt ausgebildet wird, in vier Wochen im Schützengraben sein wird,
aber ich beschwöre Sie, machen Sie jetzt nicht Schluß!" Dieselbe deutschnationale
Haltung legte auch, verbunden mit einem kräftigen Schuß Antisemitismus, der
Jude Ludwig Geiger aus Breslau (1848/1919) an den Tag, der Sohn des Rabbiners
Abraham Geiger, ein Kultur- und Literaturhistoriker, 1880 Professor an der
Berliner Universität und seitdem (bis 1913) Herausgeber des Goethe‑Jahrbuches.
Er stellte die zionistischen Juden als Feinde des deutschen Vaterlandes und als
daher der bürgerlichen Ehrenrechte für unwürdig hin. Schon vor 1914 wünschte er den Ausschluß der aus Rußland und Polen
zugewanderten Ostjuden als schädlicher Ausländer aus den jüdischen Gemeinden in
Deutschland ‑ ähnlich wie dann nach dem Kriege ein Vertreter des
Verbandes national‑deutscher Juden von einer "Ostjudengefahr"
sprach also ehe der Nationalsozialismus zu derartigen Forderungen gelangte. Während des Ersten
Weltkrieges verlangte Geiger sogar den Abbruch der Beziehungen zwischen den
deutschen Juden und ihren Feinden, den Juden in den gegnerischen Staaten, für
immer, weil diese sich an der Vernichtung der deutschen Macht mitbeteiligten.
Aus diesem antijüdischen Geiste heraus sollten dann im Mai 1920 in Bayern von
seiten der Regierung und Verwaltung die Ostjuden innerhalb fünf Tagen aus dem
Lande gewiesen werden ‑ was nur im letzten Moment verhindert wurde;
während im Jahre 1923 dann doch Hunderte solcher Ostjuden-Familien aus
Deutschland abgeschoben wurden. Diesen deutschen Nationalismus fand man
natürlich auch im alten Österreich-Ungarn. Als Beispiel dafür sei Moritz
Benedikt (1849‑1920) genannt, Chefredakteur der "Neuen Freien Presse"
in Wien, ab 1881, ein Menschenalter lang einer der mächtigsten Männer
Österreichs. Er vertrat, ähnlich wie Rathenau, im Ersten Weltkriege einen
"jüdischen Pangermanismus", wie es die Londoner "Times" in
ihrem Nachruf vom 20. 3. 1920 nannte. Dazu Friedrich Heer: "Jüdischer
Pangermanismus: Altösterreichs Juden waren zuallermeist leidenschaftliche
Anhänger der deutschen Bildung und Kultur und wurden deshalb (von den Slawen)
als 'Deutsche' angegriffen. Führende Köpfe dieses Judentums waren großdeutsch bis
in die Knochen." So braucht es denn auch nicht verwundern, daß das
Manifest "An meine, Völker!", mit dem Kaiser Franz Joseph I. 1914
seine Nation zum Kriege aufruft, von dem tschechischen Juden Moritz Bloch
verfaßt ist, der als Beamter in der kaiserlichen Kabinettskanzlei zu Wien
diente.
Schließlich haben viele Juden
die deutsche Sache im Ersten Weltkriege propagandistisch unterstützt. Der
berühmte Chemiker Professor Dr. Richard Willstätter aus Karlsruhe (1872/ 1942),
Dozent in Berlin und München, Mitglied der dortigen Akademien der
Wissenschaften, Nobelpreis‑Inhaber von 1915 und Träger des Ordens Pour le
Mérite für Wissenschaften, gehörte mit zu den 93 Professoren, die 1914 in einem
Aufruf Deutschlands Schuldlosigkeit am Ersten Weltkriege bekundeten. 1918
antwortete er als ehemaliger Züricher Professor der "Neuen Züricher
Zeitung" mit aller Schärfe, als diese dem zusammengebrochenen Reiche den
Eselstritt geben wollte: "... Ihr Mitarbeiter eifert gegen die 900
auszuliefernden 'Kriegsverbrecher' ... Wir empfinden in Deutschland ganz
anders. Wir sind keine betrogene Nation, die ihre Führer zur Rechenschaft
ziehen will. Betrogen hat uns nur das Vertrauen auf die Bedingungen Wilsons ...
Unsere Führer haben das Größte geleistet, unser Volk ist schließlich der Hungerblockade
erlegen. Das deutsche Volk ist einig in der Empörung über die Schmach, seine
besten Männer vor dem Gerichtshof der Sieger schleppen zu sollen!" (zu
diesen 'Kriegsverbrechern' gehörte neben Ludendorff auch der Professor Haber).
Über seine Einstellung zur Judenfrage schrieb Willstätter ‑ der sich als
Emigrant nach 1933 nicht bereit fand, in die Dienste der Feinde Deutschlands zu
treten und erst 1939 emigrierte: "Unter meinem Judentum litt ich viel,
nämlich dann, wenn ich bei süddeutschen und mitteldeutschen Juden verbreitete
Entartungserscheinungen sah ... Ungezügelten Erwerbssinn, Verweichlichung im
Wohlstand, schwelgerisches Leben, dazu an der Öffentlichkeit, fand ich peinlich
und abstoßend, nicht weniger als Christen diese Erscheinungen empfunden haben
können ... Die Erbitterung über die Beteiligung von Juden unter den
Revolutionären von 1918 war furchtbar . . . "; leider habe man es sich
dann bequem gemacht und einfach alle Schuld an diesem Zusammenbruch auf die
Juden abgewälzt. Willstätter hat übrigens die deutsche Gasmaske hergestellt,
die zwei Weltkriege überstanden hat und im Ersten Weltkriege Zehntausende
unserer Soldaten vor Tod und schwerer Krankheit bewahrte.
Alfred Kerr, eigentlich
Kempner, aus Breslau (1867/1948) verfaßte die wohl blutrünstigsten und
annexionsfreudigsten Kriegsgedichte der damaligen Zeit in Deutschland ‑
gleich einem Ilja Ehrenburg, dem Kreml‑Dichter des Zweiten Weltkrieges.
Der Dichter und Lyriker Ernst Lissauer aus Berlin (1882/1937), ein Vertreter
freier und weltlicher Religiosität, erlangte durch die Dichtung
"1813" ‑ ein nationales Heldenlied ‑ und durch den
berüchtigten "Haßgesang gegen England" von 1915 einen großen Ruf
sowie den Preußischen Roten Adlerorden IV. Klasse. Der Schriftsteller Julius
Bab aus Berlin (Jahrgang 1880) sammelte die Lyrik des Ersten Weltkrieges unter
dem Titel "Der deutsche Krieg im deutschen Gedicht" (1914 ff.); Bab
emigrierte 1933 in die USA. Leo Sternberg, Amtsrichter aus Limburg/Lahn,
Jahrgang 1876, und der 1915 gefallene Schriftsteller Walter Heymann aus
Königsberg, Jahrgang 1882, Verfasser der Feldpostbriefe, betätigten sich als
Kriegsdichter. Der Zionist Hugo Zuckermann aus Eger, Jahrgang 1881 und als
Kriegsdichter und Flieger gefallen, schrieb das "österreichische
Reiterlied", das beliebteste deutsche Kriegslied von damals: "Drüben
am Waldesrand hocken zwei Dohlen ... " Ein Blick nach Amerika, wo Bernhard
Dernburg die deutsche Propaganda leitete (s. o.) zeigt, daß die osteuropäischen
Juden in ihrer Abneigung gegen Rußland, aus dem sie ja als Flüchtlinge kamen,
ihre besonderen Sympathien dem Deutschen Reiche zuwandten. So wurden ihre
jiddischen Zeitungen nach dem Kriegseintritt der USA im Jahre 1917 wegen ihrer
Deutschfreundlichkeit sogar vorzensurpflichtig. Als Beispiel stehe hier ein Gedicht
des jiddischen Arbeiterdichters und Gettosängers, des Schneidergesellen Morris
Rosenfeld aus Polen (1862 bis 1923):
"Ich bin ganz fremd zum
Teuton,
es ist der Jid in mir, wo redt
-
doch wünsch ich Segen
Deitschlands Fohn,
wos flattert über Rußlands
Stedt ...
Mein Lied der deitschischen
Nation,
hoch for dem Kaiser und sein
Land,
hoch for sein Mut und seine
Fohn!
Und hoch for sein gesegnet
Hand!"
Wie die besten Männer des
deutschen Judentums damals dachten, dafür möge eine der Zierden deutschen
Gelehrtentums Zeugnis ablegen, der Neukantianer und Marburger
Philosophie-Professor Geheimrat Dr. Hermann Cohen (1842‑1914) aus Anhalt.
Er schreibt 1916 in seiner Schrift "Deutschtum und Judentum":
"Wir leben in dem Hochgefühl deutschen Patriotismus, daß die Einheit
zwischen Deutschtum und Judentum, die ganze bisherige Geschichte des Judentums,
die sich angebahnt hat, nunmehr endlich als eine kulturgeschichtliche Wahrheit
in der deutschen Politik und im deutschen Volksleben, auch im deutschen
Volksgefühl, aufleuchten werde. Wir wollen als Deutsche Juden sein und als
Juden Deutsche. So sehen wir im fernsten Punkt am Horizont der geschichtlichen
Welt wiederum Deutschtum und Judentum innerlichst verbunden."
Aus dieser Haltung heraus
haben sich Juden als deutsche Soldaten allezeit und selbst in der Hitler‑Wehrmacht
stets bewährt und ihren nichtjüdischen Kameraden in nichts nachgestanden und
mußten sich dazu noch beleidigen lassen, wie durch jene Haßflugschrift etwa,
die im Herbst 1918 in Berlin verteilt wurde und lügnerisch behauptete:
"Überall grinst ihr
Gesicht, nur im Schützengraben nicht!" Als in einer antisemitischen
Zeitung im Ersten Weltkriege ein Aufruf erschien, wonach demjenigen 1000 Mark
versprochen wurden, dem es gelinge, eine jüdische Mutter zu nennen, die drei
Söhne auch nur drei Wochen im Schützengraben aufzuweisen hätte ‑ benannte
kurz darauf der Rabbiner Dr. Freund‑Hannover 20 Mütter seiner Gemeinde,
die dieser Aufforderung entsprachen, ja er konnte sogar Familien mit sieben
oder acht Söhnen vor dem Feinde aufweisen. Bereits in den Freiheitskriegen
erwarben sich die deutschen Juden in Preußen, von denen 600 als
Kriegsfreiwillige hinauszogen, als Kämpfer einen Orden Pour le Mérite
(Marschall Blüchers Kriegskommissarius Simon Kremser 1775/1851, der Erfinder
des Kremser‑Ausflugswagens) und 72 Eiserne Kreuze sowie 23
Offizierspatente wegen Tapferkeit. 1866 standen 1000 jüdische Kämpfer auf
preußischer Seite, 1870/71 waren es deren 6000 in Deutschland, von denen 448
fielen und 327 das Eiserne Kreuz erhielten. 1914/18 waren insgesamt 100 000
Juden als deutsche Soldaten eingezogen, von denen 80 000 an der Front standen,
d. s. 12% bei einem Volksdurchschnitt von 13 %. 12 000 Juden fielen im Felde,
d. s. 2 % gegen 3,5 % im Volksdurchschnitt, 35 000 wurden dekoriert (davon 1000
mit dem E. K. 1. Kl., 17 000 mit dem E. K. 2. Kl.), 23 000 befördert, davon
2000 zum Offizier. 10 000 Juden rückten als Kriegsfreiwillige ein, von den 1100
Mitgliedern des jüdischen Studenten‑Kartell‑Convents z. B. 991! Von
den 164 jüdischen Fliegern des deutschen Heeres sind 30 gefallen. Der jüngste
Kriegsfreiwillige des Ersten Weltkrieges war der Jude Joseph Zippes, der beide
Beine verlor; einer der ersten Gefallenen war der Kriegsfreiwillige,
Reichstagsabgeordneter der SPD, Dr. Ludwig Frank, Rechtsanwalt und Redakteur in
der Arbeiterbewegung (1874/1914); er schrieb damals: " ... Aber jetzt ist
für mich der einzig mögliche Platz in der Linie, in Reih und Glied, und ich
gehe wie alle anderen freudig und siegessicher." Zu den ersten deutschen
Kampffliegern gehörte der 1917 gefallene Träger des Ordens Pour le Mérite
Hauptmann Wilhelm Frankl. Neben ihm erhielten weitere fünf Juden das preußische
Goldene Militär‑Verdienst‑Kreuz. Noch im Jahre 1935 wurden die
"Kriegsbriefe gefallener deutscher Juden" herausgegeben ‑
welche 1961 unter Patenschaft des damaligen Bundesverteidigungsministers F. J.
Strauß vom Seewald‑Verlag wieder neu aufgelegt sind. Nach dem Kriege
beteiligten sich wiederum zahlreiche Juden am Selbstschutz im Osten. In
Oberschlesien waren sie 1921 mit dem Freikorps des Oberleutnants Alwin Lippmann
dabei, während der Jude Alfred Baldrian die Fahne der Kompanie Schlageter trug!
In der Brigade Ehrhardt kämpfte, mit dem Hakenkreuz am Stahlhelm, der Kapp‑Putschist
Adolf Arndt, 1949 Mitglied des
Bundestages und Kronjurist der SPD. 1919 sammelten sich die Kameraden im
"Reichsbund jüdischer Frontsoldaten" des Hauptmanns a. D. Dr. Leo
Loewenstein (1879 in Aachen geboren, Chemiker und Physiker, überlebte
Theresienstadt und starb 1956 in Schweden), der als Erfinder der Schallmessung
und als ihr erster Organisator an der Front bekannt geworden ist. Hier
gliederten sich 30 000 Mann in 16 Landesverbänden und 350 Ortsgruppen mit ihrer
Wochenzeitschrift "Der Schild". Auf dem Gute Groß‑Glagow bei Kottbus
(von der SA 1932 durch Sprengung zerstört) verfolgten sie nach Art der
Artamanen eigene Siedlungsbestrebungen und besaßen eine eigene
Kriegsopferversorgung. Im Oktober 1933 wollten sie noch ". . . in
altsoldatischer Disziplin mit unserem deutschen Vaterlande bis zum Letzten
stehen" ‑ und wurden dann doch (oder erst) 1939 aufgelöst. Ab 1941
durften Juden ihre Kriegsauszeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg nicht mehr
anlegen, ab 1942 gab es keine Vergünstigungen mehr für jüdische
Kriegsversehrte. Auch sie kamen nach Theresienstadt oder Auschwitz . . . Aber
auch in Seldtes "Stahlhelm", dem Bund der Frontsoldaten, dienten
jüdische Männer.
1. der zweite Bundesführer (ab
1924) Oberstleutnant a. D. Theodor Düsterberg, Jahrgang 1875, Enkel des Selig
Abraham, jüdischer Gemeindevorsteher von Paderborn, Sohn eines Oberstabsarztes,
Kadett, 1919 deutschnationaler Parteisekretär in Halle, 1932 Kandidat des
Stahlhelm« für die Reichspräsidentenwahl; führte 1924 gegen den Widerstand
vieler Mitglieder im Stahlhelm den Arier‑Paragraphen ein, dem er als
Teiljude später selber zum Opfer fiel; und
2. der
Bundeshauptmann (ab 1933) und Zionist Major a. D. Franz von Stephani
(1876/1939), Sohn eines Generals der Infanterie a. D. und 1918 letzter
Kommandeur des Leibbataillons im 1. preußischen Garde‑Regiment zu Fuß,
Freikorpsführer, ab 1933 Mitglied des NS‑Reichstages und SA-Obergruppenführer,
ebenfalls ehemaliger Kadett.
Selbstverständlich gehört hier
auch eine ganze Reihe Generale hin, von denen einige Namen erwähnt seien:
1. General der Kavallerie
Walter von Moßner (1846/1932), Flügel-Adjutant Kaiser Wilhelm II., 1899
Kommandeur der Garde‑Kavallerie-Division, 1903 Gouverneur von Straßburg,
Mitglied des preußischen Herrenhauses und à la suite des Leibgarde‑Husaren‑Regiments;
er war Sohn einer Rittergutsbesitzers und Berliner Bankiers, einer der besten
Reiter der Armee und erhielt sogar den Schwarzen Adlerorden mit dem erblichen
Adel.
2. der preußische General Otto
Liman von Sanders (1855/1929), aus Stolp, Sohn eines Rittergutsbesitzers,
türkischer Marschall, 1913 geadelt und Chef der deutschen Militär‑Mission
in der Türkei, wo er 1914/18 als Armeeführer eingesetzt war, genannt der
"Löwe von Gallipoli", Träger des Ordens Pour le Mérite mit
Eichenlaub.
3. Admiral Felix von Bendemann
(1848/1915), Sohn eines Malers und der Tochter des berühmten Bildhauers
Gottfried Schadow, 1905 geadelt, 1899 Chef des deutschen Admiralstabes und 1903
Admiral und Chef der Nordsee‑Station der Marine; er erwarb schon 1870 als
Mariner das damals sehr seltene Eiserne Kreuz.
4. Generalleutnant Johannes
von Hahn, 1862 als Sohn eines Oberverwaltungsgerichtsrates in Erfurt geboren,
geadelt 1907, im Ersten Weltkriege Kommandeur der 35. Infanterie-Division, 1918
Kommandant von Posen, dann Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei; sein
ältester Sohn fiel 1915 als Gardeleutnant.
5. In der k. k. österreichisch‑ungarischen
Armee dienten viele Juden und Soldaten jüdischer Abkunft als Generale, vor
allem im Sanitätskorps. Genannt seien nur Feldmarschall‑Leutnant Eduard
Ritter von Schweitzer (1844/1920), Feldmarschall-Leutnant Adolf Kornhaber (geb.
1956), Konteradmiral Oskar Stiege (1852/1932), Generalingenieur der k. k.
Flotte Siegfried Popper (1848/1933) sowie die Generalmajore Alexander Ritter
von Eiß (1840/1915), Simon Vogel (1850/1917) und Emil von Sommer (1866/1946).
Von ihnen und ihren reichsdeutschen, hochdekorierten Kameraden aus dem Ersten
Weltkriege kamen unzählige in Auschwitz und anderen Lagern um, darunter allein
zwei Feldmarschall‑Leutnants der k. und k. Armee (der Name des einen war
Friedländer).
6. Generalbaurat Ing. Günther
Burstyn, der als alter k. u. k. Offizier der eigentliche Erfinder des
Panzerkampfwagens war, den man aber 1912 im Wiener Kriegsministerium
kurzsichtig ablehnte. Burstyn, der von Hitlers Wehrmacht geehrt wurde, erschoß
sich 1945 beim Kommen der Roten Armee zusammen mit seiner Frau ‑ nachdem
sein Sohn bereits den Soldatentod erlitten hatte.
7. Selbst in der Wehrmacht des nationalsozialistischen Reiches dienten
etliche Offiziere und Generale jüdischer Abkunft wie:
a) Generalfeldmarschall Erhard Milch, Staatssekretär des
Reichsluftfahrtministeriums 1933/45 und Generalinspekteur der Luftwaffe
1938/44, Jahrgang 1892, Sohn eines MarineOberstabsapotheker s (ist jedoch
umstritten).
b) General der Artillerie Erich Freiherr von dem Bussche‑Ippenburg
(1878/1957), Kadett, Sohn eines Oberstleutnants a. D.
c) General der Infanterie 1941 Walter Fischer von Weikersthal
(1890/1953), Sohn eines Oberstleutnants a. D., Kommandierender General.
d) sowie einige Generale der Waffen‑SS und Polizei. Hier galt ja
bekanntlich der Ausspruch des Reichsmarschalls Hermann Göring "Wer Jude
ist, bestimme ich!"
Quelle: Dietrich Bronder "Bevor Hitler kam", 2. erweiterte
Auflage, MARVA - Genf 1975, S. 324 - 346 (19. Kapitel = "Die jüdischen
Probleme")