Der Fall Rainer Moll

Es war wohl Gerhard Mauz, der Nestor der deutschen Gerichtsreporter, der den Spruch prägte:

"Schon wieder etwas aus Filzbecks Justiz und schon wieder nichts gutes."

Als ihm einige Jahre später im Hamburger Redaktionsgebäude von einem Mediziner berichtet wurde, der Amtsrichter Dr. Watschenpeter sei in der Kasematte seines Filzbecker Stadthauses hockend gesichtet worden, wie er mit einer Metallsäge die Diebstahlssicherung eines auf öffentlicher Verkehrsfläche abgestellten Fahrrades durchtrennt habe, entfuhr Mauz ein:

"Was ist bloß mit Eurer Justiz los?"

Diese berechtigte Frage stellen sich allerdings viele Bürger in Filzbeck und Umgebung.

So standen im November 1994 vor dem Gerichtsgebäude in Filzbeck, das Planierraupen-Leo um ein Haar - wenn auch unwillentlich - in Schutt und Asche gelegt hatte, zwei Herren in bestem Mannesalter und verteilten Flugblätter.

Rainer Moll und Brutus Bärbeiss.

Bärbeiss hatte auf sattem Grün auf einen kurz zuvor erschienenen Illustriertenartikel mit nämlichen Tenor Bezug genommen und folgendes zu Papier gebracht:

"Unsere Justiz ist nazistisch verseucht,

schreibt der ‘Stern’ und gibt die Erfahrungen vieler Bürger wieder. Mit Kenntnis des Generalstaatsanwalts in Swinemünde und dem Landgerichtspräsidenten Kübel erscheint dieses Flugblatt Nr. 1. Der Generalstaatsanwalt bestreitet nicht die Rechtsbeugung der Richterin Faber zum Az. C 601/92. Er stellt aber auch keinen Strafantrag. Die Richterin Faber hat im Amt Juristenkollegen begünstigt und begünstigte ihren Juristenkollegen Rechtsanwalt Holzbock aus ganz niedrigen Beweggründen und außerdem Gerichtsvollzieher Mauschel. In dieser Rechtsfrage steigt der 20 x angeschriebene Landgerichtspräsident Kübel überhaupt nicht ein. Statt dessen wird er beleidigend, droht und wird mit einer unbegründeten Anzeige gegen mich abgeschmettert.

Aus den Akten ergibt sich:

Wissentlich falsche Anschuldigung durch die Richterin Faber. Öffentlich behauptet diese unter Zeugen, "Herr Bärbeiss, Sie sind ein Lügner".

Der Landgerichtspräsident Kübel verfolgt Unschuldige mit der erwähnten Strafanzeige ohne Anfangsverdacht. Kübel hält vorgeschlagene Gesprächstermine in dieser Sache nicht ein.

Kübel und der Generalstaatsanwalt aus Swinemünde machen sich zum Mittäter. Das ist der

Zusammenschluß einer kriminellen Vereinigung.

Oberstaatsanwalt Jablonsky (eine schillernde Figur) deckt Meineider und begünstigt kriminelle Straftäter wie im Fall Az. 776 Js 24861/91.

Der Justizminister schließt sich der Rechtsbeugung natürlich gleich an - weil es sich bei dem Beschuldigten um den Prototypen der verdorbenen Filzbecker "oberen Zehntausend", den Medizinprofessor Friedel Grobstich, Rotarier, handelt.

So verfestigt ist beim Landgericht der Nazigeist.

Weiter deckt der Oberstaatsanwalt Jablonsky den Medizinmann Grobstich in der Sache Az. Zs. 391/91.

Beim Kauf einer Eigentumswohnung von diesem Medizinmann Grobstich bestätigte mir das zuständige Amt, daß diese keine solche sei.

Staatsanwalt Dandy und Oberstaatsanwalt Hamsterbacke deckten einschließlich der Generalstaatsanwaltschaft aus anerzogener Amtskollegialität den dafür zuständigen und korrupten Landrat Kolin sowie den Leiter der Bauaufsicht Schober.

Mit Hilfe des Bauaufsichtsamtes wurde eine Teilungserklärung hervorgezaubert und das gleich für vier Wohneinheiten. Bei meinen Nachforschungen wurde immer nur ein leerer Aktendeckel ohne Inhalt gefunden.

Dieses ist nur die Spitze des Eisberges und kein Zufall, hier steckt System dahinter.

Wenn Recht zu Unrecht wird, ist das Widerstandsrecht des Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz die Pflicht eines jeden Bürgers.

Alles wie gehabt im Fall Ströbel - da heißt es:

"Das Urteil ist Unrecht, aber nun ist es rechtskräftig."

Ein Mann wie ich mit zwei Jahren St. Pauli-Erfahrung kann da nur sagen, daß es soviel Unrecht und Korruption auf dem Kiez auch nicht annähernd gab.

Verantwortlich für dieses Schreiben: Brutus Bärbeiss"

Moll war nicht so aggressiv, war er doch früher einmal Beamter gewesen und die ihm vielfältig zugefügten Missetaten hatten schon einiges von seinem Lebensmut

gekostet.

Sein Handzettel fragte in der Überschrift, ob in der schleswig-holsteinischen Justiz eine Mafia herrsche. Weiter war darauf zu lesen:

"Die öffentliche Kritik an der Justiz in Schleswig-Holstein hat in den letzten Jahren ein erstaunliches Ausmaß angenommen.

Trotzdem ändert sich nichts!

Die Herrschaften in den schwarzen Roben mauern sich weiterhin ein und verschwenden kaum einen Gedanken daran, wer sie so fürstlich besoldet. Ihre persönlichen Interessen sind ihnen viel wichtiger als die Belange der Bevölkerung. Sie sitzen wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten auf dem hohen Roß und auch die größte Sauerei wird im Kollegenkreis unter den Teppich gekehrt. Auch ich rufe die Bürger des Landes Schleswig-Holstein zum Widerstand auf, zu dem wir nach Artikel 20 IV des Grundgesetzes berechtigt sind, wenn eine andere Abhilfemöglichkeit nicht mehr besteht.

Ich rufe alle Justizopfer in Schleswig-Holstein auf, sich zusammenzuschließen, um den öffentlichen Druck auf die politischen Machthaber so zu verstärken, damit endlich grundlegende personelle Änderungen eintreten.

Bisher genießt hier jeder Richter und Staatsanwalt selbstbewilligte Immunität = Narrenfreiheit und die Anwälte, die nicht aufmucken und den Richtern weit genug in den Hintern kriechen, dürfen dann auch schon einmal Mandantengelder veruntreuen, ohne ihre Zulassung zu verlieren.

Einer meiner Anwälte sagte mir wörtlich:

"Was erwarten Sie von einer Justiz, die von über 80 Nazirichtern und Nazistaatsanwälten aufgebaut wurde, die überwiegend bis zu den Knöcheln im Blut unschuldiger Menschen gewatet haben!"

Auch mir wurde von der Justiz ganz übel mitgespielt:

Am 10.5.1990 erfolgte eine Durchsuchung meiner Wohnung. Ein Staatsanwalt, zwei Kripobeamte und fünf Bundespostbeamte stürmten unser Treppenhaus. Ohne zu klingeln wurde meine Wohnungstür aufgetreten, die ich einen Spalt geöffnet hatte. Die acht Leute stürmten meine Wohnung wie ein Gestapo- bzw. Stasi-Kommando. Ich dachte, ich sei das Opfer eines Raubüberfalles.

Später wurde ein Durchsuchungsbefehl vorgezeigt, der allerdings nie hätte ergehen dürfen, weil der mir fälschlicherweise vorgeworfene Sachverhalt keinen Straftatbestand erfüllte und weil er mit dem verfassungsmäßigen Erfordernis der Verhältnismäßigkeit unvereinbar war.

Der Staatsanwalt verschwand dann alsbald und ließ die Postler ohne Aufsicht weiterwüten. Es wurden Dinge beschlagnahmt, die mit dem Ermittlungsverfahren in überhaupt keinem Zusammenhang standen.

Obwohl ich absolut unschuldig war, wurde ich wie ein Schwerverbrecher behandelt. Wie sich später herausgestellt hat, wurden die Ermittlungen durch offenbar bewußt falsche Angaben der Post auf meine Person gelenkt.

Obwohl sich bei den beschlagnahmten Gegenständen höchstpersönliche und vertrauliche Dinge befanden, hat die Staatsanwaltschaft der Post diese ohne Überwachung zur Auswertung überlassen.

Später äußerte ein Oberstaatsanwalt mir gegenüber, die halbe Staatsanwaltschaft sei mit dem Fernmeldeamt verwandt oder verschwägert.

Als man dann merkte, daß man mir nichts am Zeug flicken konnte, hat dann sogar ein Mitarbeiter des Justizministers meine psychisch angeschlagene Situation ausgenutzt und mir empfohlen, ich solle doch etwas einräumen, dann werde das Verfahren eingestellt!

Alle Instanzen bis hinauf zum Justizminister und zur Staatskanzlei haben diese Schweinerei gedeckt. Keiner hat auch nur ein Wort der Entschuldigung gefunden. Nach der Verfassung geht alle Gewalt vom Volk aus. Es ist an der Zeit, daß wir diese Herrschaften zum Teufel jagen."

Auch Rechtsanwalt Wolf erhielt eines von Bärbeiss Flugschriften. Er las diese mit Interesse, hatte Verständnis dafür, daß der gerechte Zorn unbeugsame Charaktere überschäumen läßt und versandte eine Kopie dieses Pamphlets an die Staatskanzlei mit folgendem Begleitschreiben:

"Am 1. November 1994 wurde mir vor dem hiesigen Gerichtsgebäude das anliegende Flugblatt in die Hand gedrückt.

Auch ohne die darin von Herrn Bärbeiss erhobenen Vorwürfe überprüfen zu können, schließe ich mich nachdrücklich dem Aufruf zum Widerstand gemäß Artikel 20 IV GG an.

Widerstand meint Kampf gegen staatliches Unrecht. Voraussetzung dafür ist, daß der Staat nicht höchster Wert ist, sondern daß Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gewogen und möglicherweise zu leicht befunden werden können.

Fritz Bauer, ehemals Generalstaatsanwalt in Frankfurt am Main

Was ich in über 17 Jahren Anwaltstätigkeit an Willkür, Rechtsbruch, Machtmißbrauch und Strafvereitelung im Amt in Schleswig-Holstein erlebt habe, paßt auf keine Kuhhaut.

Warum scheuen Sie und der Justizminister die notwendige Auseinandersetzung mit den Rechtsbrechern innerhalb der Justiz?

Welches Ausmaß weiterer Beschädigungen des Rechtsstaates wollen Sie den Bürgern noch zumuten?

Warum schnüffelt das Parlament bis zum Atemstillstand in Jansens Schublade herum, während der Saustall der schleswig-holsteinischen Justiz weiter bis zum Himmel stinken darf?

Wir haben doch alle den Eid auf die Verfassung und die verfassungsmäßige Ordnung abgelegt. Wie können diese Leute jeden Morgen in den Spiegel schauen, ohne sich übergeben zu müssen?

Hat die SPD zwischenzeitlich vergessen, was die schwarz-braune Justiz seinerzeit z.B. mit Jochen Steffen angestellt hat?"

 

Was war geschehen?

Waren hier drei Irre am Werk?

Was hatte den Aufruf zum verfassungsrechtlichen Widerstandsrecht verursacht?

Eine Antwort auf diese Fragen gibt die nachfolgende Lebens- und Leidensgeschichte des Rainer Moll:

Rainer Moll stammt aus Ostpreußen. Im Jahre 1941 wurde er in Lyck geboren. Seine Vorfahren waren schon vor der Reformation in Moldzien, einem Pflügerdorf des Deutschen Ritterordens, an der polnischen Ostgrenze ansässig. Sein Großvater war noch ein wohlhabender Gutsbesitzer mit über 100 Kühen und Pferden Viehbestand.

Mit Ostpreußen ging auch dieser Hof verloren.

Molls Vater fiel 1944 in Frankreich. Seine Mutter mußte mit ihm und seinen beiden Schwestern im Herbst 1944 Lyck wegen der näherrückenden Sowjetarmee verlassen und für einige Monate nach Allenstein ausweichen. Danach gelang mit einem der letzten Züge die Flucht bis in die Nähe von Dresden, wo der sinnlose Luftangriff der alliierten Bomberstaffeln miterlebt wurde, der über 30.000 wehrlosen Menschen das Leben kostete. Auch die Besetzung durch die Rote Armee ist der Familie Moll in bleibender Erinnerung geblieben. Frau Moll kam glimpflich davon und büßte nur Fotoapparat und Armbanduhr ein. Miterlebt wurde, wie junge Mädchen durch Russen von ihren Eltern getrennt, verschleppt und grausam mißbraucht wurden.

Durch Vermittlung seiner Tante fand die Familie Moll Unterkunft in einem Dorf in Sachsen-Anhalt. Die Zwangseinweisung in einen Bauernhof ergab erhebliche Widerstände der Eigentümer. Im Jahre 1951 durfte die Großmutter im Westen besucht werden. Nur mit einem Koffer voll Kinderkleidung kam Frau Moll zusammen ihren drei Kindern in Filzbeck an und beschloß, hierzubleiben. Wegen "illegalen Verlassens" der DDR wurde die Wohnung der Familie Moll eingezogen und alle persönlichen Sachen von der Volkspolizei vernichtet.

Nach dem Schulbesuch begann Rainer Moll 1957 eine Lehre als Fernmeldehandwerker. Nach Abschluß der Lehrzeit wurde er in Filzbeck im unterirdischen Kabelbau eingesetzt und späterhin in den Innendienst versetzt.

Heute kann Rainer Moll rückwirkend feststellen, daß es in der etwa 1000-köpfigen Belegschaft des Fernmeldeamtes Filzbeck einen mafiosen Zirkel von etwa 50 Personen gibt, der die Fäden der Macht in Händen hält, über Beförderung oder Karriereende entscheidet und nicht anpassungsbereite Mitarbeiter gnadenlos zugrunde richtet.

Aus Gründen der Authentizität wollen wir Herrn Moll sein Schicksal der psychischen Vernichtung am Arbeitsplatz persönlich berichten lassen, auch wenn ihm heute eine exakte chronologische Darstellung nicht mehr möglich ist:

"In den Jahren 1970 bis 1981 wurde ich vom Fernmeldeamt Filzbeck mit Vorsatz und Willkür so schwer mißhandelt, daß ich in den vorzeitigen Ruhestand gehen mußte.

Seit dem 1.10.1957 war ich im Dienst der Deutschen Bundespost. Meine letzte Beförderung war am 16.3.1976 zum Technischen Fernmeldehauptsekretär. Ich durfte mich Abnahmebeamter nennen und meinen privaten Pkw dienstlich benutzen. Bei einer Fahrleistung bis zu 2.000 km im Monat erhielt ich eine hohe Extraentschädigung. Dies weckte den Neid der Kollegen und so begann mein Leidensweg.

Zunächst wurde ich als unfähig hingestellt, als Versager. Nach kurzer Zeit konnte ich mich jedoch in mein neues Aufgabengebiet einarbeiten und völlig selbständig alle Aufgaben und Probleme lösen.

Die Kollegen hatten mich völlig isoliert und verweigerten jede Hilfe. Meine wiederholten Bitten um Entlastung wurden abgelehnt. Und dies schlug sogar ins Gegenteil um; denn die Kollegen verlangten, daß ich auch noch schwierigere Fälle mitübernehmen sollte, die sie selbst nicht lösen konnten oder wollten.

Ich wurde mit Schikanen überhäuft.

Ein ganz schlimmer Finger war Amtsrat Horch, der für die Fernleitungen zuständig war. Meine Aufgabe war es, an den Endpunkten der Fernleitungen Modems aufzustellen, die fehlerfreie Übertragung der Daten zu prüfen und dann die Leitung dem Kunden (z.B. einem Geldinstitut) zu übergeben.

Bei einem Bankinstitut war das Rechenzentrum z.B. in Kornbach. Zwei Drähte gehen nach Domstadt, dann weiter nach Eulenbüttel und dann zurück nach Kornbach. An allen drei Orten mußte ich ein Modem aufstellen und mit einem selbstentwickelten Kurzschlußstecker die Terminals in der Bank nachbilden. Dann sendete ich im Rechenzentrum Kornbach einen Prüftext. Dieser mußte über Domstadt und Eulenbüttel einwandfrei in Kornbach zurückkommen.

Selbstverständlich hätten mich zwei Kollegen unterstützen müssen, um an Ort und Stelle in Domstadt und Eulenbüttel die Messungen zu kontrollieren. Da aber Seilmann keine Kollegen abstellen wollte, mußte ich nun zwischen Kornbach, Domstadt und Eulenbüttel immer im Kreis fahren, Geräte aufstellen, Stecker einsetzen und nach der Messung wieder einsammeln. So kam ich auf eine monatliche Fahrleistung von 1.500 - 2000 km. Da ich unter Zeitdruck stand, fuhr ich immer mit Höchstgeschwindigkeit, ständig in der Hoffnung, nicht in eine Radarfalle zu geraten. Horch hatte nun angeordnet, daß die Fernleitungen ständig gesperrt wurden. Angeblich sollte verhindert werden, daß die Geldinstitute Leitungen vor der Freischaltung nutzten. Meinen Hinweis auf den selbstverständlichen Umstand, daß ein solcher Mißbrauch ohne meine Modems nicht möglich sei, ließ er - stur wie ein Panzer - nicht gelten.

Häufig kam es vor, daß die Meßtöne nicht in der Empfangsstation ankamen. Dann mußte ich zunächst in den Vermittlungsstellen suchen, wo Horch die Leitung unterbrochen hatte. Das war reine Schikane und totaler Streß für mich.

Amtsrat Horch beschwerte sich dann auch noch bei dem Abteilungsleiter Pöhlsen, daß meine Abnahmeprotokolle "so geschmiert wären". Durch den Streß begannen meine Hände zu zittern. Im Laufe der Jahre verschlechterte sich meine Schrift zusehends, so daß der Stellenvorsteher Treu, mein unmittelbarer Vorgesetzter, den Amtsleiter Stanich mehrfach darauf hingewiesen hatte, wahrscheinlich stehe mein Zusammenbruch unmittelbar bevor. Stanich hat dies jedoch nicht angefochten!

Der Leiter der Kraftfahrzeugstelle Lusche gehörte auch zu der Truppe, die das Mobbing gegen mich betrieb. Als Abnahmebeamter hatte ich das Recht, meinen privaten Pkw im Dienst zu benutzen. Lusche ordnete an, daß ich einen uralten VW-Käfer fahren mußte, in dem ich die vielen notwendigen Meßgeräte kaum hinter den Rücksitzen verstauen konnte. Der Käfer hatte eine kaum wahrnehmbare Beschleunigung und nur eine Höchstgeschwindigkeit von ca. 90 km/h.

Die Monteure der Computer-Hardware-Lieferanten hatten eine Sondererlaubnis für ihre Fahrzeuge und durften direkt vor der Bankfiliale parken. Obwohl ich hoheitsrechtliche Aufgaben zu erfüllen hatte, hatte mir Lusche eine solche Sondererlaubnis verweigert, so daß ich die bis zu 20 kg schweren Meßkoffer oft weite Entfernungen vom Parkplatz oder Parkhaus zur Bank schleppen mußte. Da ich einen Wirbelsäulenschaden "nach Scheuermann" hatte, litt ich ständig unter Rückenschmerzen. Erst nach einem Unfall wurde der "Uralt-Käfer" verschrottet und erst danach durfte ich mit meinem eigenen Fahrzeug fahren. Damit war ich privilegiert, was den blanken Neid der Kollegen entfachte.

Die gefahrenen Kilometer, Parkhausgebühren usw. mußte ich in einem Erstattungsantrag abrechnen, den ich Seilmann auf den Tisch zu legen hatte. Nun hatten alle Kollegen Gelegenheit zu kontrollieren, ob die von mir notierte Entfernung auch tatsächlich mit dem Kilometer-Zähler im Fahrzeug übereinstimmte. Der Neid meiner Kollegen wegen dieser monatlichen Nebeneinnahmen von etwa 700,-- DM schlug sich u.a. darin nieder, daß ständig mein Parkplatz auf dem Hof der Dienststelle versperrt wurde, so daß ich mir auf der Straße einen Parkplatz suchen mußte.

Dann war für mich in der Dienststelle angeblich auch kein Raum frei, wo ich meine notwendigen Schreibarbeiten erledigen konnte. Ein etwa 20 qm großer Raum war zwar frei, aber Seilmann wollte diesen nicht frei geben, da er dort angeblich Geräte lagern wollte. Schließlich ließ der Dienststellenleiter von der Hausverwaltung eine Besenkammer von nur 2 m Breite ausräumen, damit ich zumindest meinen Schreibtisch unterbringen konnte. In meiner Abwesenheit wurden aus dieser Besenkammer ständig Unterlagen und Werkzeug entfernt bzw. entwendet. Ein Name stand nie dabei. Daraufhin hielt ich die Besenkammer verschlossen und meldete die Vorfälle dem Abteilungsleiter Pöhlsen. Dieser ordnete daraufhin an, daß Diensträume grundsätzlich nicht verschlossen werden dürften. Unter diesen Belastungen begann ich zu zittern und bekam Zuckungen im Gesicht. Im Jahre 1976 mußte ich mich wegen eines Magengeschwürs im Krankenhaus behandeln lassen. Danach bat ich die Amtsleitung erstmalig um Hilfe und schilderte meinen sehr schlechten Gesundheitszustand. Auf Nachfrage benannte ich Seilmann als Mitverantwortlichen.

Danach wurde der Terror der Kollegen noch unerträglicher. Sie beschimpften mich offen als Kollegenschwein. Der Kollege Seilmann verstieg sich sogar zu der Behauptung, ich sei ein Kinderschänder. Seilmann äußerte u.a. vor den versammelten Kollegen wörtlich:

"Der Moll bumst kleine Mädchen!"

Damals war ich mit der 17jährigen Tochter eines Richters verlobt. Seilmann wurde zwar von dem Abteilungsleiter Pöhlsen zurechtgewiesen; dieser Rufmord haftet mir jedoch noch heute an. Von diesem Zeitpunkt an war Seilmann mein erbitterter Widersacher. Jeden Morgen empfing er mich mit zynischen Vorwürfen in Gegenwart der Kollegen. Jeden Tag bin ich mit Grausen in die Dienststelle gegangen. Ich wurde systematisch von den Kollegen isoliert, verachtet und bespitzelt. Jeder Kollege war verpflichtet, mich zu beobachten und vor allen Kollegen meine Handlungen zu erörtern. Herr Drommel, der meinen Dienstposten haben wollte, führte Buch über alle Details meiner dienstlichen Tätigkeit. Jeder vermeintlich für mich negative Vorfall wurde genau registriert und im ganzen Amt verbreitet.

Das Mobbing-System war einfach. Alle meine erfolgreichen Tätigkeiten wurden verschwiegen. Wenn jedoch etwas nur scheinbar nicht klappte, wurde dies wochenlang erörtert und aufgebauscht. Über Herrn Kurras wurden die Informationen dann an den Hauptpersonalrat Nevermann und den Abteilungsleiter Pöhlsen weitergegeben. Eines Tages berichtete mir Herr Pöhlsen, daß Herr Kurras ihm Tag für Tag vor der Kantine des Amtes auflauere, um zu berichten, was für ein Schwein ich sei!

Von 1977 bis Juni 1980 war Pöhlsen mein Abteilungsleiter. Er hat sich Woche für Woche die Klagen meines Stellenvorstehers angehört. Herr Treu hat ihn immer wieder eindringlich darauf hingewiesen, daß der Moll "vor die Hunde geht". Herr Treu und ich waren bis zum Schluß zuversichtlich, daß Pöhlsen handeln werde. Geschehen ist aber nichts. Einmal bot Pöhlsen mir an, ich solle meinen Dienstposten mit Drummel tauschen, "dann würden mich die Kollegen sicher in Ruhe lassen". Mit einem solchen Tausch war jedoch insbesondere der Dienststellenleiter nicht einverstanden. Auch Herr Treu gab zu bedenken, daß Drummel nicht in der Lage war, Probleme eigenständig zu lösen, so daß man auch bei einem Stellentausch immer nur auf mich hätte zurückgreifen müssen.

Der Hauptpersonalrat Nevermann hatte schon 1975 in einer Versammlung der Führungskräfte behauptet:

"Der Moll ist ein Schwein!"

Daraufhin wurde ich von anderen Kollegen gefragt, warum ich mich denn mit dem Hauptpersonalrat angelegt hätte, worauf ich erklärte, daß ich den Nevermann überhaupt nicht kenne. Nevermann hatte mich also als Schwein abqualifiziert, obwohl wir uns in diesem Zeitpunkt noch überhaupt nicht persönlich kannten.

Später, als die Schikanen gegen mich immer schlimmere Formen annahmen, hatte ich mich mehrfach auch an die Personalvertretung gewandt und um Hilfe gebeten. Die Mitglieder der Personalvertreter Malon und Nevermann lehnten jedoch meine Bitte, mich vor einer gesundheitlichen Zerstörung zu bewahren, schlankweg ab.

Nun war ich von der Amtsleitung und von der Personalvertretung verlassen und dem Terror der Kollegen wehrlos ausgeliefert.

Im März 1980 ging Herr Bader, mit dem ich zusammen die Abnahmetätigkeit ausführte, zum Lehrgang. Seine Arbeit mußte ich mitübernehmen. Die Kollegen von der Entstörungsabteilung lehnten eine Unterstützung bzw. eine Vertretung für Herrn Bader strikt ab. In dieser Zeit wurden bei vielen Banken, Sparkassen und Apotheken gleichzeitig Datensätze aufgebaut. Das von mir zu betreuende Gebiet hatte einen Radius von ca. 60 km um Filzbeck herum. Obwohl ich auf Pausenzeiten verzichtete und mit meinem Pkw ständig die Geschwindigkeitsbegrenzungen überschreiten mußte, konnte ich den Arbeitsanfall kaum bewältigen.

Trotz dieser extremen Überlastung wurde ich bei jeder Gelegenheit von den Kollegen getadelt, verhöhnt und diskriminiert.

Im April 1980 gab Herr Treu bekannt, daß ich bald 1.600 Datengeräte geschaltet hätte und daß ich deshalb für eine Beförderung zum Betriebsinspektor vorgesehen sei. Durch diese Erklärung wurden die Kollegen ungeduldig und verfaßten eine Beurteilung über mich, in der ich als untragbares Kollegenschwein dargestellt wurde. Diese "Beurteilung" wurde Pöhlsen und Treu vorgelegt. Treu weigerte sich, diese inhaltlich falsche Beurteilung zu unterschreiben, obwohl er von Pöhlsen dazu ultimativ aufgefordert worden war. Herr Treu, der zusammen mit Herrn Bader in diesem Amt allein Rückgrat bewiesen hat, weigerte sich nicht nur, diese herabwürdigende Beurteilung zu unterzeichnen; er ließ darüber hinaus keine Gelegenheit aus, mich als seinen besten Mann und Techniker zu loben. Meines Wissens war an dieser schändlichen Beurteilung auch Horch beteiligt, der späterhin die Abteilung "Betriebssicherheit" übernahm. Dort soll er allerdings späterhin unehrenhaft abgelöst worden sein, weil er u.a. ohne richterliche Erlaubnis den Telefonanschluß einer Prostituierten aus Bad Schwallbach abgehört haben soll.

Obwohl der Amtsleiter Spanich meine verzweifelte Lage genauestens kannte, ordnete er Ende Mai 1980 an, daß ich die Dienststelle sofort - unter unehrenhaften Umständen - verlassen müsse. Pöhlsen gab diese Nachricht in Feldherrenpose den Kollegen bekannt, die darauf Beifall klatschten. Mir wurde diese Entscheidung erst am nächsten Tag bekannt gegeben, als ich zum Dienst kam. Da mir die Gründe unbekannt waren (und bis heute unbekannt sind), bat ich Amtsleiter Spanich um Auskunft. Dieser lehnte es ab, seine Entscheidung zu begründen. Danach hatte ich noch den Personalrat Nevermann aufgesucht, der mir wörtlich erklärte:

"Herr Drummel hat einen Arbeitskampf (!!!) geführt. Es ging ums Geld. Deshalb haben wird Drummel unterstützt. Wenn Sie sich gegen die Versetzung wehren, bewerfen wir Sie mit soviel Dreck, daß Sie daran ersticken!"

Daraufhin schickte mich Herr Treu zum Nervenarzt, weil ich am ganzen Körper stark zitterte. Der Nervenarzt hat mich dann sofort für sechs Wochen krankgeschrieben und die Einweisung in eine psychosomatische Klinik eingeleitet.

Während ich dieses aufschreibe, muß ich wieder heulen wie ein Schloßhund, obwohl das alles nun schon über 15 Jahre her ist.

Es ist alles so bitter.

Leider hat Herr Treu seine standhafte Haltung schwer büßen müssen. Er hat mir praktisch seine Karriere geopfert. Etwa ein halbes Jahr nach meiner Entlassung wurde er innerhalb des Amtes total isoliert. Dann mußte er über fünf Jahre eine stille Beförderungssperre über sich ergehen lassen.

Das Amt braucht immer zumindest einen "Prügelknaben".

Kürzlich hat meine Mutter den Seilmann zufällig in einem Supermarkt getroffen und mit deutlichen Worten zur Rede gestellt. Seilmann war die Situation natürlich äußerst peinlich und er brachte für die Schweinereien an denen er maßgeblich beteiligt war, nur heraus:

"Ihr Sohn konnte sich nicht unterordnen".

Die Zeit von Juni 1980 bis zu meiner Pensionierung Ende 1985 habe ich überwiegend in psychosomatischen Kliniken oder - mit ärztlicher Krankschreibung - zu Hause verbracht.

Im März 1987 wurde ich erneut gesundheitlich überprüft. Da ich weiterhin dienstunfähig war, wurde mein beamtenrechtlicher Status um weitere zwei Jahre verlängert, bis ich dann im März 1989 endgültig aus dem Postdienst entlassen wurde.

Seit März 1987 habe ich mich dann wieder intensiv um meinen Computer gekümmert, um meine Freizeit sinnvoll zu gestalten. Da ich der englischen Sprache nicht mächtig bin, hatte ich erhebliche Probleme mit den Beschreibungen und Betriebsanleitungen der Computer, die alle in englischer Sprache abgefaßt waren. Mir kam die Idee, ein Übersetzungsprogramm englisch-deutsch zu erarbeiten, weil es sehr mühselig war, jedes Fremdwort in einem Lexikon nachzuschlagen. Häufig konnte ich spezielle Computerfachbegriffe der englischen Sprache noch nicht einmal in den dicksten Wälzern auffinden. Um das von mir entwickelte Programm zu vermarkten, nahm ich - zunächst erfolglos - Kontakt mit Redakteuren von Verlagen auf, die Computerzeitschriften herausgaben. Die Redakteure fanden zwar nicht mein Programm, aber meine vielfältigen Ideen zu Tips und Tricks am Computer interessant. Mir wurde nahegelegt, alle nicht von den Herstellern erkannten oder nicht aus den Betriebsanleitungen ersichtlichen Nutzungsmöglichkeiten und Anwendungshinweise zu Papier zu bringen und den Fachverlagen anzubieten.

So begann ich dann, als freiberuflicher Journalist zu arbeiten.

Der Erfolg war erstaunlich. Insgesamt habe ich 15 Artikel verfaßt, die allesamt von Verlagen in München, Eschborn und Scheidegg abgedruckt wurden.

Dagegen zeigten die Redaktionen der Computerverlage lange Zeit kein Interesse an dem von mir entwickelten Übersetzungsprogramm "Esperantomat", da es kein vergleichbares Programm für den Amiga-Computer auf dem Markt gab. Es bedurfte erheblicher Überzeugungskraft und diverser Nachbesserungen, bis dann endlich der Maxon-Verlag das Programm erwarb. Auch wenn das Programm in der Computerszene kontrovers beurteilt wurde, konnte es sich am Markt durchsetzen. Computerbesitzer ohne Fremdsprachenkenntnisse konnten nun die englischen Anweisungen zumindest verstehen und danach vorgehen. Bis heute wurde das Programm in ca. 30 Versionen in immer aufwendigerer Programmiertechnik nachempfunden und verbessert.

Im Frühjahr 1989 trafen meine Mutter und ich meinen ehemaligen Abteilungsleiter Pöhlsen in einem Strandbad an der Filzbecker Bucht. Ihm erzählte ich von meiner schriftstellerischen Tätigkeit und wie diese doch recht ansehnlich vergütet werde. Pöhlsen konnte sich noch daran erinnern, daß ich schon während meiner aktiven Dienstzeit ein tüchtiger Computerfachmann gewesen sei und lobte meine damalige Tätigkeit. Ohne ersichtlichen Grund wurde Pöhlsen dann jedoch ersichtlich zornig und äußerte mit einem irren, in die Ferne gerichteten Blick, daß es gegenüber meinen ehemaligen Kollegen ungerecht sei, die ja für ein wesentlich geringeres Einkommen Tag für Tag arbeiten müßten, während ich jetzt mit meiner Pension und meinen Honoraren als freier Schriftsteller erheblich besser dastünde. Meine Mutter war von diesem plötzlichen Stimmungswechsel meines ehemaligen Abteilungsleiters sichtlich erschrocken und warnte, daß dieser Mann mir noch einmal gefährlich werden könne. Ich hielt dies damals für unbegründet und erklärte meiner Mutter, daß Pöhlsen schon damals während seiner aktiven Dienstzeit häufig einen solch starren irren Blick an sich hatte. Von Amtmann Bader erfuhr ich dann, daß Pöhlsen auch nach seiner Pensionierung immer noch regelmäßig in der Dienststelle des Fernmeldeamtes erscheine und die Kollegen besuche. Heute gehe ich davon aus, daß Pöhlsen meinen ehemaligen Mobbing-Kollegen von dem Inhalt unseres Gespräches berichtet hat und damit - wissentlich oder unwissentlich - den Ausgangspunkt für weitere Mißgunst und die Inszenierung der weiteren Vernichtung meiner Existenz gelegt hat.

Frau Moll sollte mit ihren dunklen Vorahnungen Recht behalten. Im Verborgenen wurde ein Komplott gesponnen, das am 10. Mai 1990 ausgeführt wurde.

Die Vorgänge an diesem Donnerstag lassen wir Frau Moll persönlich schildern:

"Es klingelte um 9.30 Uhr bei mir. Als ich die Tür öffnete, standen acht Herren im Treppenhaus. Sie stellten sich nicht vor und wollten zu Rainer. Wie ich später erfuhr, waren es ein Staatsanwalt, zwei Kriminalbeamte und fünf Postbeamte. Rainer öffnete die Tür zu seiner benachbarten Wohnung, weil er wohl diesen Auftrieb gehört hatte und sehen wollte, was man von mir wollte. Der Staatsanwalt stellte sofort seinen Fuß in den Türspalt und drückte die Tür gewaltsam auf. Danach stürmten alle acht Personen in das nur 12 qm große Wohnzimmer meines Sohnes. Sie zeigten ihm nur eine Kopie eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses. Es ging um eine Telefonrechnung eines anderen Postkunden aus dem Bildschirmtextdienst (BTX) in Höhe von ca. 800,-- DM.

Dieses Greifkommando stellte alles auf den Kopf, auch den Keller, den Boden und das Auto meines Sohnes. Sie durchwühlten alles, auch alte Fotoalben, meine Akten und auch ärztliche Krankenhausberichte und Gutachten wurden genauestens durchgelesen und anschließend beschlagnahmt. Die Beamten liefen ständig treppauf, treppab und räumten die Wohnung meines Sohnes leer.

Rainer hatte wegen der Brutalität der Postbeamten einen Schock bekommen und fiel zu Boden.

Mein Sohn, der im Zusammenhang mit seiner Frühpensionierung als Schwerbehinderter anerkannt wurde, wußte gar nicht, was er gestehen sollte. Er überblickte überhaupt nicht, was vor sich ging. Die Postbeamten versuchten die Hilflosigkeit meines Sohnes auszunutzen, um ein Geständnis herauszupressen.

Der Staatsanwalt ist dann alsbald verschwunden und hat es damit zugelassen, daß die fünf Postbeamten zwei Stunden allein ohne Aufsicht die Wohnung meines Sohnes durchwühlen konnten, wobei ein unbeschreibliches Chaos hinterlassen wurde. Unter anderem war nach dieser Durchsuchung ein Geldbetrag in Höhe von 550,-- DM aus der Wohnung meines Sohnes verschwunden.

Wir wurden wie Kriminelle behandelt. Neun Hausbewohner haben diesen entwürdigenden Vorgang beobachtet, denn die Beamten ließen die Etagentür offen stehen. Unser Ansehen und unser guter Ruf wurde damit ruiniert. Ich hatte das Gefühl, die Postler seien Stasi- bzw. Gestapomitarbeiter. Selbst einer der beiden Kriminalbeamten zeigte sich betroffen von dem brutalen Vorgehen der Postbeamten.

Mein Sohn und ich haben nach diesem kriminellen Vorgang wochenlang immer wieder geweint und gezittert. Wir befanden uns in einem hilflosen Schockzustand. Nie hätten wir es uns träumen lassen, daß so etwas in einem angeblichen Rechtsstaat möglich sein könnte."

Dabei hatte Frau Moll gar nicht einmal alles mitbekommen, was das Rollkommando in Wildwestmanier angestellt hatte. Obwohl die Postler aufgrund ihrer angeblichen besonderen Sachkunde im Fernmeldewesen bzw. im BTX-System den alsbald nach dem Sturmangriff auf Molls Wohnung verschwundenen Staatsanwalt Tews unterstützen sollten, beschäftigte man sich nicht nur mit dem Bargeld in Molls Schrank, sondern ebenso intensiv um ein Kleinkaliber-Gewehr, um Moll einen unerlaubten Waffenbesitz anzulasten. Allerdings verwahrte Moll dieses Gewehr völlig legal mit Waffenbesitzkarte in seiner Wohnung.

Sogar Prügel wurde Moll angedroht, wenn er nicht endlich gestehe. Amtsrat Blohm benahm sich dabei besonders brutal und fies. Er schrie fortwährend, Moll solle endlich alles gestehen und zwar, daß er Mitglied eines Hackerclubs sei, unerlaubt in das BTX-Netz eingedrungen sei und wie er angeblich unerlaubt an interne postalische Unterlagen herangekommen sei (die die Post ihm freiwillig für seine journalistische Tätigkeit überlassen hatte). Wenn Moll alles zugeben und aufklären würde, wollte Blohm die ganze Aktion sofort abbrechen. Während Blohm mit seinen Helfershelfern Molls Wohnung auf den Kopf stellte, drang er zwischenzeitlich ohne um Erlaubnis nachzusuchen in die Wohnung der Mutter ein, um Moll seine geballte Faust vor das Gesichts zu halten. In der anderen Hand hielt er ein Kalenderblatt aus August 1989, aus dem hervorging, daß Moll seinem Arbeitskollegen, dem Fernmeldeinspektor Bader ein technisches Gerät verkauft hatte. Mit wutverzerrtem Gesicht schrie Blohm Moll an, wie er dazu komme, mit einem Beamten des gehobenen Dienstes Geschäfte mit technischen Geräten zu machen, als wenn es verboten sei, wenn Beamte des mittleren und des gehobenen Dienstes außerdienstlich Umgang haben bzw. im Rahmen ihres gemeinsamen Hobbys Geschäfte tätigen.

Als Rainer Moll sich halbwegs von diesem Piratenstreich berappelt hatte, beauftragte er Rechtsanwalt Zuckel. Einen Verteidiger hatte er an sich nicht nötig, weil er ja unschuldig war; aber er wollte selbstverständlich schnellstmöglich seinen Computer nebst Zubehör zurückhaben und außerdem war Moll natürlich neugierig, wie er in die Mühlen der Justiz geraten konnte.

Im nachherein muß Moll feststellen, daß Rechtsanwalt Zuckel für ihn keine echte Hilfe war, weil er viele fachliche Fehler gemacht hatte und immer vorrangig darauf bedacht war, nur nicht dem zuständigen Staatsanwalt Tews auf die Füße zu treten, was allerdings unter verschiedenen Aspekten dringend geboten gewesen wäre. Leider hat Rechtsanwalt Zuckel Herrn Moll erst viel zu spät und mit einem nicht nachvollziehbaren Stolz mitgeteilt, daß Tews sein Freund sei. Zuckel hat nicht geduldet, Tews anzugreifen. Zuckel hat nur reagiert, wenn Moll ihn schriftlich oder persönlich dazu aufgefordert hatte.

Mit Schriftsatz vom 16.5.1990 hatte Rechtsanwalt Zuckel der Staatsanwaltschaft unter Vollmachtsvorlage die Vertretung des Rainer Moll angezeigt und sogleich darauf hingewiesen, daß seinem Mandanten anläßlich der Durchsuchung ein Geldbetrag von 550,-- DM, die sich in seinem Schrank befanden, entwendet worden sei und daß u.a. persönliche Krankenunterlagen des Mandanten anläßlich der Durchsuchung mitgenommen worden seien, die mit dem angeblichen Vorwurf des Computerbetruges absolut nichts zu tun haben konnten.

Am 28.5.1990 erhielt Rechtsanwalt Zuckel Einsicht in die Ermittlungsakte. Dabei stellte sich folgender Sachverhalt heraus:

Die Krankenschwester Margot Runge hatte am 4.10.1989 bei der Kriminalpolizei Filzbeck Strafanzeige gegen unbekannt wegen angeblichen Computerbetruges gem. § 263a StGB erstattet. Nach dieser Vorschrift wird bestraft, wer in Bereicherungsabsicht durch unbefugte Datenverwendung auf einen Datenverarbeitungsvorgang einwirkt und dadurch das Vermögen eines anderen schädigt.

In der Zeit vom 29.8.1989, 19.45 Uhr, bis 30.8.1989, 0.54 Uhr , hatte ein Unbekannter unter Mißbrauch der Kennung der BTX-Box der Frau Runge Bestellungen im Wert von insgesamt 792,57 DM getätigt, und zwar vom Fleurop-Blumenstrauß bis zum Jahresabonnement für eine Farbhochglanz-Sexpostille. Frau Runge war selbstverständlich weder mit den unerbetenen Warensendungen, noch - bzw. erst recht nicht - mit den entsprechenden Belastungen ihres Kontos einverstanden.

Nach Aktenlage konnte Frau Runge bzw. ihre Hausgenossen für diese Bestellungen nicht verantwortlich sein, da in dieser Zeit sowohl ihr Computer als auch das den Zugang zu BTX-Bestellungen vermittelnde Modul defekt gewesen sein sollen.

Auf Moll als angeblichen Täter wollte das Fernmeldeamt gekommen sein, weil er zuvor einmal die BTX-Box besessen und benutzt hatte, die späterhin in der Wohnung der Frau Runge installiert wurde.

Bereits am 18.5.1990 - also 10 Tage vor der Einsicht in die Ermittlungsakte - hatte sich Moll mit Zuckel zu Staatsanwalt Tews begeben. Derartiges kann man als Verteidiger in aller Regel nur verantworten, wenn der Mandant - wie in diesem Fall - ein absolut reines Gewissen hat.

Tews war sich mit Sicherheit darüber im klaren, daß die Postler, als sie Molls Wohnung ausgeräumt hatten, viel zuviel mitgenommen hatten. Gleichwohl hat Tews im gesamten Ermittlungsverfahren immer wieder versucht, Moll zu einem "kooperativen" Verhalten zu nötigen, wobei eine Beschlagnahme bzw. sogar eine spätere Einziehung seiner Geräte als Druckmittel eingesetzt wurde.

Am 18.5.1990 berichtete Moll dem Staatsanwalt Tews, daß er als freiberuflicher Journalist im Bereich Computerwesen, Datenverarbeitung und Datenübertragung tätig sei. In diesem Zusammenhang habe er auch über die Möglichkeiten und die Qualität des BTX-Systems geforscht, wobei ihm von der Bundespost für dieses Vorhaben kostenlos eine BTX-Box zur Verfügung gestellt worden sei, die er nach etwa einem Monat wieder zurückgegeben hätte. Weiterhin erklärte Moll, daß es ihm im Rahmen seines Sicherheitstestes problemlos gelungen sei, die Kennung seiner ihm überlassenen Box auszulesen, was jedoch kein entscheidender Sicherheitsmangel sei, da der Kunde ja durch sein persönliches Kennwort geschützt werde.

Moll bestätigte, daß er mit anderen Personen über die Möglichkeit, die Kennung einer BTX-Box auszulesen, ebenso gesprochen habe, wie über den prinzipiellen Zuschnitt und Aufbau der von der Post benutzten Kennungen, wobei dies anhand eines Beispiels (Fantasiekennung) demonstriert wurde. Die konkrete Kennung der ihm überlassenen BTX-Box hat er jedoch keinem Dritten mitgeteilt. Wenn Staatsanwalt Tews in der Vernehmungsniederschrift vom 18.5.1990 etwas anderes protokolliert hat, liegt jedenfalls der objektive Straftatbestand der Falschbeurkundung im Amt gem. § 348 StGB vor.

Weiterhin klärte Moll den Staatsanwalt Tews darüber auf, daß bereits seit etwa zwei Jahren ganz einfach strukturierte Terminalprogramme über Mail-Boxen verteilt würden, die als "Kennungsleser" funktionieren.

Trotz dieser freimütigen und nicht widerlegbaren Einlassungen war Tews zähneknirschend nur bereit, einen kleinen Teil der bei Moll beschlagnahmten Gegenstände herauszugeben, wobei es sich aber auch nur um solche Dinge handelte, die nun wirklich absolut in keinerlei Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren gebracht werden konnten.

Die Staatsanwaltschaft wurde jedoch immer stinkiger, weil wohl begriffen worden war, daß man den Falschen gegriffen hatte. Oder wußte man dies sogar von vornherein?

Tews Vorgesetzter und Abteilungsleiter Oberstaatsanwalt Ruben beantragt am 5.6.1990 die richterliche Bestätigung der Beschlagnahme der verbliebenen Gegenstände. Amtsrichter Sonnenfranz hat diese Bestätigung - wie bei ihm üblich - ohne kritische Prüfung beschlossen, obwohl jeder Sonderschüler erkennen kann, daß z.B. weder ein Nadeldrucker, noch ein Monitor als Beweismittel in dieser Sache in Betracht kommen konnten.

Es verdient festgehalten zu werden, daß sich Oberstaatsanwalt Ruben sein juristisches Studium als Kopfcroupier im nahegelegenen Kasino verdient hatte. Eine grundlegende Neuorientierung brachte sein Eintritt in die Filzbecker Staatsanwaltschaft nicht, da sich auch seine nachfolgende Berufsausübung für die betroffenen Bürger als Roulettespiel darstellte.

Dabei wurden selbstverständlich auch die diversen Hinweise von Moll und Rechtsanwalt Zuckel ignoriert, verschiedene beschlagnahmte Gegenstände seien von Moll nachweislich erst nach der angeblichen Tat vom 30.8.1989 angeschafft worden.

Mit der Schutzschrift vom 6.6.1990 reichte Rechtsanwalt Zuckel u.a. ein Attest der Psychiater und Nervenärzte Dres. Kalinka pp. zur Ermittlungsakte. Dr. med. Jochen Kalinka bescheinigte darin:

"Herr Rainer Moll befindet sich seit 1983 in meiner Behandlung. Wegen der Art seiner Erkrankung ist er gegenüber Situationen, die sich durch Vernehmungen ergeben, nicht ausreichend belastungsfähig, und er vermag auch komplexere Zusammenhänge unter seelischem Druck nicht ausreichend zu überblicken. Im Interesse des Gesundheitszustandes meines Patienten, und um die Gefahr einer weiteren Verschlechterung zu vermeiden, halte ich es für dringend notwendig, daß das anhängige Verfahren alsbald und möglichst ohne weitere Belastungen für meinen Patienten zum Abschluß gebracht wird."

Dies hinderte die Staatsanwaltschaft jedoch nicht, nach wie vor mit aller Hartnäckigkeit und Brutalität gegen Moll vorzugehen.

Am 6.6.1990 hat Rechtsanwalt Zuckel telefonisch gegenüber Staatsanwalt Tews erneut darauf gedrängt, die beschlagnahmten Gegenstände herauszugeben. Staatsanwalt Tews sagte Rechtsanwalt Zuckel zwar eine sofortige Überprüfung zu, entblödete sich jedoch nicht, Moll über Zuckel darauf hinweisen zu lassen, seine schriftstellerische Tätigkeit bedürfe der Genehmigung des früheren Dienstherrn und Moll müsse die daraus erzielten Einkünfte beim Finanzamt und bei seinem ehemaligen Dienstherrn angeben. Man faßt sich an den Kopf, mit welchem wahnwitzigen Verfolgungseifer dezernatsübergreifend bis in die ausgegliederte Steuerfahndung hinein auf einen amtlich anerkannten Schwerbehinderten eingedroschen wurde.

Selbstverständlich lief bei Moll alles korrekt ab, was man von Tews ja nun wirklich nicht sagen konnte.

Allmählich bekamen Staatsanwalt und Bundespost kalte Füße, weil der Vorwurf des Computerbetruges praktisch in sich zusammengebrochen war. Unter dem 15.6.1990 schob deshalb die Oberpostdirektion Hamburg einen ebenso hirnrissigen Strafantrag wegen eines angeblichen Vergehens nach § 202a StGB nach, weil Rainer Moll die Kennung der BTX-Anschlußbox ausgelesen hatte. Nach dieser Vorschrift wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft, wer sich unbefugt Daten beschafft, die nicht für ihn bestimmt und die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind.

Nicht nur aufgrund der freimütig eingeräumten angeblich freundschaftlichen Beziehungen zwischen Rechtsanwalt Zuckel und Staatsanwalt Tews, sondern auch wegen der wenig effektiv erscheinenden Verteidigertätigkeit beauftragte Rainer Moll den Rechtsanwalt Joe Pupus, der unter dem 19.6.1990 Strafanzeige gegen die an der Durchsuchung vom 10.5.1990 beteiligten Postbeamten erstattete.

Am 29.6.1990 entschied sich Staatsanwalt Tews für den in solchen Situationen üblichen faulen Kompromiß und beantragte einen Strafbefehl. Diese oberfaule Sache durch eine Anklage zur Hauptverhandlung zu bringen, wäre ihm wohl doch zu dreist erschienen und beim Strafbefehl besteht immer noch die Möglichkeit, daß der Beschuldigte aus Schusseligkeit oder Dusseligkeit die Einspruchsfrist versäumt. Die Begründung seiner Entschließung zur Beantragung eines Strafbefehls beruht jedoch gem. Ziffer 5 seiner Verfügung vom 29.6.1990 auf der faustdicken Lüge, eine beschlagnahmte Kassette enthalte die Tonaufnahme eines Telefongesprächs, in dem Rainer Moll einem unbekannten Dritten die Kennung der ihm seinerzeit überlassenen BTX-Box übermittele. Rainer Moll hat diese Kennung nie einem Dritten übermittelt und demzufolge gab es auch keinen Gesprächsmitschnitt über eine solche Mitteilung.

Der Strafbefehl wurde - wie beantragt - am 12.7.1990 durch den Amtsrichter Siegesmund Mulatt erlassen. Der Strafbefehl behauptete sowohl einen Computerbetrug gem. § 263a StGB, als auch eine Datenausspähung gem. § 202a StGB. Als Geldstrafe wurden satte 40 Tagessätze zu je 100,-- DM, zusammen also 4.000,-- DM, festgesetzt. Dafür hätte sich Moll eine Trunkenheitsfahrt mit Unfall und Fahrerflucht "leisten können".

Gegen diesen Strafbefehl ließ Moll Einspruch einlegen. Zu einer Hauptverhandlung kam es jedoch nicht. Das Verfahren blieb noch fünf Monate in der Schwebe, was den aus psychischen Gründen frühpensionierten Moll schwer belastete. Selbst das Filzbecker Gesundheitsamt hielt es für geboten, gegenüber der Staatsanwaltschaft zu intervenieren. In diesem Schreiben heißt es auszugsweise wörtlich:

"Ich darf davon ausgehen, daß der Staatsanwaltschaft die Grunderkrankung von Herrn Moll bekannt ist... Es bleibt festzuhalten, daß der Gesundheitszustand von Herrn Moll äußerst instabil ist, so daß bei unvorhergesehenen Ereignissen, vor allem aber bei seelischen Belastungen und Erschütterungen, nicht nur mit einer akuten Verschlimmerung der Krankheit zu rechnen ist, dieses vielmehr wahrscheinlich ist. Aus Krankheitsgründen ist Herr Moll, der ansonsten einen hochintelligenten Eindruck macht, nicht in der Lage, ein Ermittlungs- bzw. Strafverfahren zu verarbeiten. Er ist nicht einmal in der Lage, die ihm zur Last gelegten Vorwürfe ohne deutlich erkennbare innere Ergriffenheit und Erschütterung im Zusammenhang zu schildern ... Sein subjektives Empfinden, die ihm zur Last gelegten Rechtsverstöße nicht begangen zu haben, ist nicht aufgesetzt, sondern Ausdruck seiner Persönlichkeit insofern, als er Gesetzesverstöße als wesensfremd empfindet ... Neben vielen anderen liegt, soweit mir ... bekannt ist, unserem deutschen Strafrecht die Maxime zugrunde, einen zu Verurteilenden auch an seinem subjektiven Unrechtsbewußtsein zu messen. Dieses ist bei Herrn Moll weder vorhanden noch zu wecken ... Ich will nicht ausschließen ..., daß in dieser Folge mit suizidalen Handlungen sowohl von Herrn Moll als auch seiner Mutter gerechnet werden muß ..."

Zwischenzeitlich hatten offenbar die Eingaben, die Moll und seine Mutter an alle erdenklichen Behörden und Institutionen versandt hatten, einigen Wirbel ausgelöst. Auch das Justizministerium war eingeschaltet worden. Ein Ministerialbeamter des Justizministeriums nutzte die psychisch angeschlagene Situation des Rainer Moll aus und riet ihm in einem Telefongespräch, er solle "ein klein wenig" einräumen, dann werde das Verfahren eingestellt. Staatsanwalt Tews wollte sich jedoch nach wie vor als Großwildjäger betätigen und bestand auf einer Einstellung gegen Geldbuße gem. § 153a StPO. Amtsrichter Mulatt setzte sich jedoch gegenüber Staatsanwalt Tews durch und verfügte die Einstellung gem. § 153 StPO, die allerdings ein mögliches, wenn auch geringes Verschulden voraussetzt.

Soweit Moll Strafanzeige wegen der skandalösen Vorfälle anläßlich der Durchsuchung vom 10.5.1990 erstattet hatte, wurden die entsprechenden Ermittlungsverfahren allesamt eingestellt, ohne daß die Beschuldigten überhaupt verantwortlich vernommen worden wären. Dabei ging es nicht nur um den Diebstahl der 550,-- DM, sondern auch um verbotene Vernehmungsmethoden, die ohne weiteres als strafbare Nötigung anzusehen waren. Gegen die Bestätigung der Verfahrenseinstellung durch den Generalstaatsanwalt ließ Moll über Rechtsanwalt Pupus Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen. Aber auch das Klageerzwingungsverfahren war vergeblich. Durch eine ebenfalls skandalöse Entscheidung des II. Strafsenats des Oberlandesgerichts in Swinemünde wurde der Antrag als unzulässig verworfen. Das Oberlandesgericht meinte, die (krass rechtswidrig) unterbliebene Vernehmung der Beschuldigten habe der Verfahrenseinstellung nicht entgegengestanden, wenn dienstliche Äußerungen der betroffenen Beamten in einem anderen Zusammenhang abgegeben worden sein sollten. Diese angeblichen dienstlichen Äußerungen habe Rechtsanwalt Pupus für Rainer Moll jedoch in den Klageerzwingungsantrag nicht eingearbeitet. Diese angeblichen dienstlichen Äußerungen sind jedoch in keiner der diversen Ermittlungsakten enthalten und dürften mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch nicht dem Akteneinsichtsrecht des Anzeigenerstatters unterliegen. Senatspräsident "Null-Punkte-Emil", der Pol-Pot der Klageerzwingungsverfahren, hatte wieder einmal zugeschlagen.

Was allerdings generell von der Spruchpraxis insbesondere des II. Strafsenats des Oberlandesgerichts in Swinemünde zu halten ist, wird im Band II noch an anderer Stelle ausführlich abgehandelt.

Je höher man in der Hierarchie der Justizbehörden und Gerichte steigt, desto ungenierter werden die offenkundigen Rechtsbrüche.

Auch die von Pupus gefertigte Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen. Moll erhielt von den Herren in roter Robe eine Mißbrauchsgebühr in Höhe von 300 DM aufgelegt, und zwar, "im Hinblick auf die überaus oberflächliche Begründung des Rechtsbehelfs durch Pupus."

Moll und seine Mutter ließen sich bei Oberstaatsanwalt Ruben einen Gesprächstermin geben. Ruben hörte sich die Beschwerden gelangweilt an, und bevor er beide aus seinem Dienstzimmer komplimentierte, äußerte er noch, die halbe Staatsanwaltschaft in Filzbeck sei mit Bediensteten des Fernmeldeamtes verwandt oder verschwägert und bei der Hochzeit seiner Tochter hätten etwa 50 % der Gäste irgend etwas mit der Telekom zu tun gehabt. Er wollte sich mit dieser Sache nicht mehr beschäftigen und verwies darauf, daß er für diese Abteilung angeblich nicht mehr zuständig sei.

In der Tat hatte Rubens Tochter den Sohn von Louis Glöde geheiratet, der zeitweilig mit Moll zusammen im nämlichen Kabeltrupp gearbeitet hatte. Louis Tochter Lorelei hatte Johann Paul Rommel geehelicht, seines Zeichens Hauptpersonalrat der Deutschen Telekom AG.

Als Ruben im Januar 1994 mit 63 Jahren in die Pension wechselte, überschlugen sich die pressewirksam postierten Laudanten, ihm "für die menschliche Wärme und die Fachkompetenz bei der Zusammenarbeit zu danken", obwohl allgemein bekannt war, daß er für Molls Elend in erster Linie verantwortlich war.

Auch mit Rechtsanwalt Pupus hatte Moll keinen Glücksgriff getan. Ebenso wie Rechtsanwalt Zuckel entfaltete Pupus keine Eigeninitiative. Auch Pupus hätte die Angelegenheit am liebsten ohne jedes Aufsehen begraben. Er tat nur das, was Moll ihm ausdrücklich auftrug. Nach Molls Worten war er "ein Hund, den man zur Jagd tragen mußte".

Dabei waren die Rechtsbrüche und unvertretbaren Fehlentscheidungen überwiegend aus dem Aktenmaterial ersichtlich und hätten jedem auch nur durchschnittlich begabten Juristen ins Auge stechen müssen, und zwar insbesondere folgendes:

1. Der Tatbestand des Computerbetruges gem. § 263 a StGB war - unabhängig von der Frage der Täterschaft - überhaupt nicht gegeben. Wie das Oberlandesgericht Zweibrücken bereits vor einiger Zeit entschieden hat, ist dieser Straftatbestand nicht gegeben, wenn es an einer dem klassischen Betrugstatbestand des § 263 StGB entsprechenden Täuschungshandlung fehle oder ein entsprechendes Täuschungsverhalten gegenüber Personen nicht zum Betrug führen würde.

Selbst wenn man dieser Rechtsprechung nicht folgen sollte, war Moll nach seiner Einlassung und nach dem Durchsuchungsergebnis eine Täterschaft nicht nachweisbar.

Eine Strafbarkeit wegen Teilnahme hätte für Tews als langjährigem Staatsanwalt trotz der objektiv unrichtigen Protokollierung der Einlassung des Beschuldigten sofort ausscheiden müssen. Unabhängig davon, daß der doppelte Teilnehmervorsatz erkennbar nicht gegeben war, hätte man dem Haupttäter einen zumindest bedingten Vorsatz bezüglich einer Bereicherung eines Dritten nie nachweisen können, da es aus den Inhalten der BTX-Bestellungen eindeutig erkennbar war, daß es dem Haupttäter nur um eine Demonstration des unzulänglichen Sicherheitsstandards des BTX-Systems ging und nicht darauf ankommen konnte, daß Frau Runge einen Vorteil oder die Vertragspartner einen Schaden erleiden. Auf den Vermögensvorteil zugunsten des Dritten muß es dem Täter aber ankommen, was seit den Zeiten des Reichsgerichts anerkannt ist. Wenn die Vorteilserlangung nur eine notwendige, dem Täter unerwünschte Nebenfolge eines von ihm erstrebten anderen Erfolges ist, ist kein Betrugstatbestand erfüllt.

2. Auch der Straftatbestand der Datenausspähung gem. § 202 a StGB war eindeutig nicht erfüllt. Die BTX-Box hat keine besondere Sicherung zur Verhinderung des Auslesens der Kennung. Dabei handelt es sich zwar um ein abgeschlossenes Behältnis, welches Moll jedoch in keiner Weise geöffnet oder beschädigt hat. Die Kennung kann ganz einfach über die nächste Verteilerdose unter Zuhilfenahme eines Kassettenrecorders ausgelesen werden. Die Verteilerdose ist nicht verplombt.

3. Der Staatsanwaltschaft Filzbeck und dem Fernmeldeamt kam es erkennbar nicht darauf an, den tatsächlichen Täter zu ermitteln. In den Texten der BTX-Bestellungen ergaben sich konkrete Hinweise auf den tatsächlichen Täter, der sich mit seinem Pseudonym "Marillion" geoutet hatte, wobei die dahinterstehende Person, nämlich ein Student aus Bad Schwallbach, in Computerkreisen in Filzbeck und Umgebung allgemein bekannt ist. Sich in diese Richtung geradezu aufdrängende Ermittlungen wurden nicht einmal im Ansatz eingeleitet.

4. Das Fernmeldeamt hatte die falsche Fährte zu Moll u.a. durch die wahrheitswidrige Behauptung gelegt, er sei Mitglied im Filzbecker Chaos-Computer-Club, dessen Identifizierungsmerkmale ebenfalls auf den BTX-Bestellungen vorgefunden wurden. Obwohl Moll mit diesem Verein nichts zu tun hatte, hat die Staatsanwaltschaft die vom Fernmeldeamt behauptete Mitgliedschaft nicht überprüfen lassen.

5. Obwohl sich der Mißbrauch des BTX-Anschlusses der Frau Runge auf einen Zeitraum von nur fünf Stunden erstreckte, hat weder Staatsanwalt Tews noch Verteidiger Zuckel Veranlassung gesehen, nach einem Alibi zu forschen. Es hätte z.B. durchaus möglich sein können, daß Moll in diesen fünf Stunden in der nächsten Eckkneipe mit seinen Freunden Skat gespielt hatte.

6. Die Beantragung und die Anordnung der Hausdurchsuchung waren rechtswidrig.

Ein Schaden war nicht entstanden, da es zu einem Leistungsaustausch nicht gekommen war und Frau Runge die gebuchten Gebühren nicht entrichten mußte. Selbst wenn man insoweit auf die ursprünglich berechnete Gebührenhöhe von knapp 800,-- DM abstellt, wäre eine Hausdurchsuchung aus verfassungsrechtlichen Gründen unverhältnismäßig.

Die vorläufige Beschlagnahme von höchstpersönlichen Aufzeichnungen des Herrn Moll, die teilweise auch den Intimbereich berührten, war unzulässig.

Die Postbeamten waren zur Durchsicht der vorgefundenen Papiere gem. § 110 StPO nicht befugt. Gem. § 110 II 2 StPO hätten die Postbeamten die Papiere in einen Umschlag nehmen müssen, der in Molls Gegenwart hätte versiegelt werden müssen. Dieser Umschlag hätte dann einem Richter oder dem Staatsanwalt zur Durchsicht vorgelegt werden müssen. Die unverschlossen von den Postbeamten mitgenommenen Krankenberichte, Arztgutachten usw. waren gem. § 97 I StPO beschlagnahmefrei. Diese Unterlagen hätte man Moll sofort zurückgeben müssen (vgl. BVG NJW 1990, 563 f) und zwar ungelesen!

Die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze bezüglich der Besonderheiten von Durchsuchungen und Beschlagnahmen gegenüber Journalisten wurden selbstverständlich ebenfalls ignoriert.

7. Es war unverantwortlich, daß sich Staatsanwalt Tews wenige Minuten nach Beginn der Durchsuchung entfernt hat und dabei den fünf Postbeamten allein das Feld überließ. Die beiden Kriminalbeamten haben ebenfalls keine Kontrollfunktion mehr ausgeübt und die Postbeamten nach eigenem Ermessen bzw. eigener Willkür handeln lassen. Die Kripobeamten haben sich weitgehend in der benachbarten Wohnung von Molls Mutter aufgehalten. Tews muß es sogleich nach dem Eindringen in Molls Wohnung klargeworden sein, mit welchen Haßgefühlen die Postbeamten ihm gegenüber Rachegelüste austoben wollten.

Der von § 105 II StPO bezweckte Schutz des Bürgers vor derartigen Übergriffen wurde durch das Verhalten des Staatsanwalts und der beiden Kripobeamten vereitelt.

Im übrigen war Staatsanwalt Tews zwar grundsätzlich nicht gehindert, zur Durchsuchung Sachverständige hinzuzuziehen; die Zuziehung von sachkundigen Angestellten des Unternehmens bzw. der Behörde, auf dessen Strafanzeige die Durchsuchung angeordnet wurde, ist aber grundsätzlich unzulässig (vgl. OLG Hamm NStZ 1986, 326).

8. Es bedarf keiner besonderen Hervorhebung, daß die Postbeamten keinerlei Befugnis zur Vernehmung des Herrn Moll hatten, daß der Versuch, mit geballter Faust vor dem Gesicht des Beschuldigten ein Geständnis zu erhalten, eine verbotene Vernehmungsmethode und außerdem eine strafbare Nötigung darstellt.

9. Die Postbeamten waren ausdrücklich nur anläßlich der Durchsuchung beigezogen worden, um ihre fernmeldetechnische Sachkunde einzubringen. Damit unvereinbar ist es, wenn nach der Durchsuchung 550,-- DM aus einem Schrank des Beschuldigten fehlen und wenn sich die Postbeamten intensiv mit einem legal erworbenen Kleinkalibergewehr nebst Munition des Herrn Moll beschäftigen.

10. Ein Großteil der anläßlich der Durchsuchung sichergestellten Gegenstände hatten mit dem Ermittlungsverfahren nicht das geringste zu tun. Dies gilt insbesondere für Krankenunterlagen, medizinische Gutachten, Fotoalben und andere Dinge aus dem persönlichen Bereich.

11. Es bedarf keiner Hervorhebung, daß es weder die Strafprozeßordnung, noch die Verfassung zulassen, nach einer Durchsuchung eine Wohnung in einem chaotisch verwüsteten Zustand zurückzulassen.

12. Es war offenkundig rechtswidrig, wenn das Amtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft späterhin die Beschlagnahme im übrigen bestätigt hat, soweit es sich um Dinge gehandelt hat, die erkennbar mit dem Ermittlungsverfahren nichts zu tun haben konnten (z.B. Drucker und Monitor) bzw. die nachweislich erst nach der angeblichen Tat angeschafft worden waren.

13. Es war offenkundig rechtswidrig, den gesamten Umfang der bei der Durchsuchung sichergestellten Gegenstände ohne jede Kontrolle einem nicht näher bekannten Personenkreis innerhalb des Fernmeldeamtes zur beliebigen Auswertung zu überlassen.

14. Es war erkennbar rechtswidrig und bei dem zu vermutenden Vorsatz auch strafbar, wenn Mitarbeiter des Fernmeldeamtes alle Daten auf der Festplatte des Computers des Herrn Moll gelöscht haben.

15. Staatsanwalt Tews hat sich u.a. offenbar der Verfolgung Unschuldiger strafbar gemacht. Im Strafbefehl behauptet er, es sei durch ein Tonband zu beweisen, daß Moll die Kennung einem Dritten übermittelt habe, während er vor Erlaß des Strafbefehls gegenüber Rechtsanwalt Zuckel erklärt, die Kennung sei auf dem Band nicht bzw. nicht vollständig aufgezeichnet.

16. Nach Molls Kenntnisstand ist nie geprüft worden, welche Auswirkungen die nach Aussage von Oberstaatsanwalt Ruben bestehenden verwandtschaftlichen Beziehungen bzw. Verflechtungen zwischen Staatsanwaltschaft und Fernmeldeamt in diesem konkreten Fall hatten; waren Tews und/oder Ruben mit Mitarbeitern des Fernmeldeamtes verwandt oder verschwägert und ggf. mit welchen Funktionsträgern?

17. Selbstverständlich war es unzulässig, wenn ein Mitarbeiter des Justizministeriums in einem Telefongespräch mit Moll hinter dem Rücken seines Verteidigers nahelegt, er solle etwas einräumen, damit das Verfahren dann wegen geringer Schuld eingestellt werden könne.

Die Staatsanwaltschaft hat nach Aktenlage nicht geprüft, ob die gegen den Fernmeldebeamten Horch erhobenen Vorwürfe des illegalen Abhörens u.a. des Telefonanschlusses einer Prostituierten in Bad Schwallbach zutreffend sind.

18. Weder das Justizministerium, noch die Staatskanzlei haben es gewürdigt, daß das Fernmeldeamt offenkundig mißbräuchlich das Sonderheft zum Ermittlungsvorgang zur Verschlußsache erklärt hat und daß dem späteren Rechtsvertreter des Beschuldigten die Einsicht in dieses Sonderheft verweigert wurde und erst über das Amtsgericht erzwungen werden mußte.

19. Wenn man bedenkt, daß ein Rechtsanwalt und Notar aus Eulenbüttel Mandantengelder in Höhe von über 30.000,-- DM veruntreuen konnte, ohne angeklagt zu werden und ohne seine Zulassung zu verlieren, kann die von Tews im Strafbefehl geforderte Geldstrafe von 4.000,-- DM bei den spärlichen Bezügen eines frühpensionierten Hauptsekretärs nur als drakonisch bezeichnet werden.

20. Die Behandlung der von Moll erstatteten Strafanzeigen ist in gleicher Weise skandalös. Alle acht an der Durchsuchung beteiligten Personen einschließlich der Mutter von Herrn Moll hätten vernommen werden müssen.

Diese Strafanzeige hat Oberstaatsanwalt Hamsterbacke fünf Monate ohne die geringste Ermittlungsmaßnahme "liegenlassen". Wenn der Generalstaatsanwalt dann nach weiteren fünf Monaten die Beschwerde mit der Begründung zurückweist, es gäbe keine Anhaltspunkte dafür, daß die am 10.5.1990 erfolgte Durchsuchung nicht den gesetzlichen Bestimmungen entsprochen habe, sollte man nach Swinemünde fahren und ihm diese Entschließung solange um die Ohren hauen, bis er die nach dem Gesetz und allgemeiner Verfahrenspraxis üblichen Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt hat.

21. Bezeichnend ist allerdings, daß der Justizminister offenbar seiner eigenen Mannschaft nicht über den Weg getraut hat. Ein Mitarbeiter des Justizministers hatte nämlich seinerzeit dem Büro von Rechtsanwalt Pupus mitgeteilt, man solle an den Generalstaatsanwalt ein Schreiben mit folgendem Inhalt schicken:

"Ich habe Zweifel an der objektiven Ansicht der Staatsanwaltschaft Filzbeck und beantrage, die Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft Sprottenhausen abzugeben."

Dort wäre Moll jedoch aller Voraussicht nach vom Regen in die Traufe gekommen

22. Die Überlassung der beschlagnahmten Dokumente und elektronischen Speicher an einen unüberschaubaren Personenkreis innerhalb des Fernmeldeamtes verstieß selbstverständlich auch gegen diverse Vorschriften der einschlägigen Datenschutzbestimmungen. Gleiches gilt für die in Molls Wohnung aufgenommenen Fotografien.

23. Selbst ein Sonderschüler kann erkennen, daß die Anfertigung von Fotografien in der Wohnung von Molls Mutter ohne bzw. gegen ihren Willen kraß rechtswidrig war, da sich der Durchsuchungsbeschluß nur gegen Moll jun. und seine Wohnung richtete.

"Die Pflicht jedes Einzelnen ist es, laut zu rufen, wenn Ungerechtigkeit sich ausbreiten sollte, und spätestens jedenfalls dann handelnd einzugreifen, wenn die Regierenden Gebot und Gesetz verletzen sollten!

Der Bürger dieses Staates hat nicht nur ein Widerstandsrecht – sondern auch die Widerstandspflicht!"

Helmut Schmidt, Bundeskanzler a.D.

 

Die Rechtsanwälte Zuckel und Pupus hatten alle justizförmigen Rechtsbehelfe, zu denen Moll sie angespornt hatte, ergebnislos abgeschlossen; teilweise allerdings auch durch unzureichende oder fehlerhafte Vorbereitung regelrecht in den Sand gesetzt.

Daß die Justiz diese hochpeinliche Angelegenheit unter dem Teppich halten wollte, war allerdings unverkennbar.

Von dem Verhalten seiner Rechtsbeistände war Moll fast ebenso frustriert, wie von den Vertuschern innerhalb der Justiz.

Moll konnte es sich jedoch nicht vorstellen, daß alle Rechtsanwälte so leichtfertig und ineffektiv mit den Interessen ihrer Mandanten umgehen sollten und machte sich in Filzbeck auf die Suche nach einem engagierten Advokaten, den man nicht "zur Jagd tragen mußte".

Die Enttäuschungen wurden jedoch immer herber:

Rechtsanwältin Suhrbier hatte die Sache anläßlich einer Beratung innerhalb der öffentlichen Rechtsauskunftsstelle an Land gezogen; dann aber schnellstmöglich zurückgezuckt. Sie riet Moll, das Verfahren insbesondere mit Rücksicht auf seine Gesundheit nicht weiter zu verfolgen und bat um Verständnis dafür, daß sie seine Vertretung nicht übernehmen werde. Aus der schriftlichen und gebührenpflichtigen Absage der Rechtsanwältin Suhrbier ergibt sich jedoch, daß sie sich zumindest soweit mit der Materie beschäftigt hatte, daß sie hätte erkennen müssen, daß allein schon die verantwortliche Vernehmung aller Beteiligten der Hausdurchsuchung einschließlich der Zeugenvernehmung der Mutter des Mandanten unterblieben war, was ein nicht zu rechtfertigender und krasser Rechtsverstoß war.

Rechtsanwalt H. Otter wollte Moll nicht vertreten, weil der Ministerialbeamte Puffpaff, der Moll hinter dem Rücken seiner Verteidiger eingeredet hatte, zur Ermöglichung der Verfahrenseinstellung etwas einzuräumen, angeblich sein Schulkamerad gewesen sein soll. Das konnte allerdings nicht stimmen, weil Otter über 10 Jahre älter war als Puffpaff. Allerdings wußte Otter aus persönlicher Anschauung, welche Wohltat es sein kann, wenn man Skandale möglichst geheimhält. Sein Vater gehörte zu der von den Nazis handverlesenen Truppe, die vor dem Volksgerichtshof im Sinne des großdeutschen Reiches verteidigen durften. Nach dem Krieg war sein Vater kurzfristig Bürgermeister von Filzbeck; stürzte dann jedoch u.a. über höchst unsaubere Grundstücks- und Bauplanungsschiebereien und die unverhohlene Einflußnahme, als es mit dem Abitur eines seiner Sprößlinge nicht so richtig klappen wollte.

Noch ärger hatte Otter der Absturz seines Bruders getroffen, der - ebenfalls Advokat - eine Freiheitsstrafe verbüßen mußte, weil man ihn der Entwendung von Edelsteinen im Werte eines siebenstelligen Betrages überführt hatte. Nach der Haftentlassung wurde seinem Bruder vorgeworfen, einen Container voller Zigaretten gestohlen zu haben. Diesen Vorwurf wies er jedoch mit der grandiosen Einlassung zurück, als Täter komme er nicht in Betracht, weil er Nichtraucher sei. Daß auch ein Ermittlungsverfahren wegen Spionage gegen ihn lief, daß Prozeßakten auf höchst merkwürdige Weise aus einem Gerichtsgebäude verschwanden und daß die Staatssicherheit der DDR ihn als Doppelagenten einstufte, mag u.a. mit überstaatlichen Geheimdienstverbindungen und alten Nazis zusammenhängen. Jedenfalls hatte sein Patron, dem er nach Verlust seiner Anwaltszulassung als "Syndikus" diente, eine zweistellige NSDAP-Mitgliedsnummer und beste Beziehungen zu den Umsatzsteuerbetrügern und Müllschiebern in Ost und West.

Als nächster verweigerte Rechtsanwalt Dr. Grombein die Mandatsübernahme, weil er angeblich mit Staatsanwalt Tews befreundet sei. Moll bekam immer mehr den Eindruck, daß die Rechtsanwälte sich von der Justiz abhängig machten und keinesfalls unabhängige Organe der Rechtspflege seien.

Die Rechtsanwälte Zacke und Wink lehnten eine Vertretung ab, weil es darum gehe, gegen die Justiz tätig zu werden und dies u.a. aussichtslos sei.

Den Vogel schoß Rechtsanwältin Mütinga, eine junge und von weiblichen Reizen unterdurchschnittlich gesegnete aber dafür besonders zickige Juristin ab, die Moll mit der Bemerkung nach Hause schickte, sie möchte sich nicht lächerlich machen.

Vor so viel Unrecht die Augen zu verschließen, war jedoch keine auf die Rechtspflege beschränkte Eigenschaft. Moll und seine Mutter hatten diverse Personen des öffentlichen Lebens um Hilfe gebeten, aber nur Absagen und Ausflüchte gehört. Einige signifikante Äußerungen mögen die mafiosen Strukturen (omerta) erhellen:

Die Leiterin des Filzbecker Frauenbundes Magda Debré ließ sich am 19.5.1990 ausführlich den Vorfall schildern. Sage und schreibe 3 1/2 Jahre später lehnt sie es ab, gegen die Justiz tätig zu werden, "da dies nicht möglich sei". Etwas schizophren ist ihr Zusatz, sie wolle gleichwohl nicht Mittäterin sein.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Rinaldo Buthmann lehnt es ab, gegen Postbeamte vorzugehen und äußerte wörtlich, bevor er Moll und seine Mutter aus seinem Büro warf:

"Ich muß denen vom Fernmeldeamt helfen."

Der Justizminister läßt mitteilen, er könne kein Fehlverhalten der Justiz erkennen.

Die CDU-Landtagsabgeordnete Birgit Rebe lehnt es ab, Rainer Moll zu helfen und erklärt wörtlich, bevor sie sich jeden weiteren Kontakt strikt verbittet:

"Der arme Herr Tews wird nun von allen Seiten angegriffen."

Der Landtagsabgeordnete und Berichterstatter im Petitionsausschuß Ulrich Bohn, im Zivilberuf Kriminalbeamter, beschimpft Moll im rüden Ton und bestätigt einmal mehr, wie weit sich Sozialdemokraten von ihren hehren ideologischen Wurzeln entfernt haben.

Mario und Rosi Amaretto, Filzbecks Bürgermeister nebst politisch aktiver Ehefrau, beantworten Molls Hilfegesuch nicht einmal. Dafür bekommen aber rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber deutsche Paßdokumente und zwar entgegen der ausdrücklichen Weisung des Innenministers. Von Frau Debré hat Moll erfahren, es sei zwischen ihr, Rosi Ameretto und der Gesundheitsdezernentin abgesprochen worden, untätig zu bleiben.

Landgerichtspräsident Kübel immerhin - man höre und staune - stellt fest, daß hier Unrecht geschehen sei. Hilfe bleibt gleichwohl aus.

Ähnlich geht es Moll mit dem Professor Thomasus, Rotarier, einem führenden Vertreter der evangelisch-lutherischen Kirche in Filzbeck, der wie Kübel feststellt, daß Moll eindeutig Unrecht geschehen sei. Aber auch Professor Thomasus sieht keine Möglichkeit, Moll effektiv zu helfen.

Andererseits organisiert sein Nachfolger im Amt des Pastors der Haupt- und Ratskirche St. Marien ein formaljuristisch illegales Kirchenasyl für rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber, die auch noch von der nachgeschalteten "Gnadenkommission zur Behebung verwaltungsrechtlicher Härten" kein Bleiberecht erlangen konnten. Moll hielt dies mit guten Gründen für schizophren, wo doch ihm als Opfer staatsterroristischer Verfolgung im eigenen Land nicht geholfen werden sollte; andererseits aber der Bischof von Holstein vollmundig von der Kanzel der Stadtkirche St. Aegidius herab verkündete:

"Protest ist überall nötig, wo Menschen zu Opfern gemacht und in ihrer Würde als Gottesgeschöpfe beleidigt werden. Hier mischt sich auch die Kirche ein. Dies ist ihr gutes und notwendiges Recht."

Ein Sprecher der Grünen-Partei erklärt Moll, auch dort habe man die Erfahrung gemacht, daß der Justizminister alle Verfahren mit begründeten Vorwürfen gegen Beamte niederschlägt.

Ein Abteilungsleiter des Ordnungsamtes setzte dann "noch einen obendrauf", indem er feststellte, es sei allgemein bekannt, daß die Beamten lügen.

Die Regionalpresse ist in diesen Vertuscherklüngel voll eingebunden. Redakteurinnen von immerhin drei Presseorganen wird das einschlägige Material zur Verfügung gestellt und im Sinne der oben aufgeführten 21 Rechtsbrüche erläutert; gleichwohl traut sich keiner an die Sache heran.

Bezeichnend war dann auch noch die Äußerung des innerhalb der Staatskanzlei zuständigen Ministerialbeamten, der am Telefon zu Moll sagte, er werde sich hüten, "B" zu sagen, wenn das Justizministerium zuvor "A" gesagt habe.

Die bisher einzige Resonanz hat diese Skandalgeschichte in zwei Radiosendungen des offenen Kanals gefunden, weil ein junges unverbrauchtes und unverdorbenes Team von Amateurjournalisten den Vorfall aufgegriffen hat. In der ersten Sendung fand Moll Gelegenheit, seinen Fall den Hörern zu schildern. In der zweiten Sendung wurden dann Interviews mit drei Juristen übertragen, und zwar mit dem Vorsitzenden Richter am Landgericht Filzbeck Korwin, dem Richter am Landgericht Heiligenstädten Dr. Bosau-Schmalensee und Rechtsanwalt Wolf aus Filzbeck.

Für Moll war das, was damals über den Äther ging, der erste - und gar nicht mal so kleine - Lichtblick in der Finsternis der undurchdringlich erscheinenden Katakomben einer mabusischen Justiz und einer sie beschützenden Politik.

In dieser Rundfunksendung referierte Rechtsanwalt Wolf in groben Zügen, welche aktenmäßig dokumentierten Rechtsbrüche und kaum vertretbaren Fehlentscheidungen die Justiz gegenüber Moll zu verantworten habe.

Die schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden, die Moll davongetragen hatte, seine psychische Zugrunderichtung, wurden ebenso erörtert, wie die starre Haltung der Justiz, die endlich eine Spur menschlicher Größe zeigen und zumindest ein Wort des Bedauerns finden solle.

Abschließend wollte Redakteur Kisch eine Beurteilung der Qualität und Handlungsfähigkeit der schleswig-holsteinischen Justiz von Molls Anwalt wissen, worauf Rechtsanwalt Wolf antwortete:

"Selbstverständlich muß man diese Frage differenziert betrachten; allerdings habe ich keine Scheu, mich als Nestbeschmutzer zu betätigen.

Ein viel zu großer Anteil des Justizpersonals des höheren Dienstes in Schleswig-Holstein hätte aus fachlichen oder charakterlichen oder aus beiden Gründen nie Richter oder Staatsanwalt werden dürfen. Aber Sie wissen ja sicherlich, wie braun eingefärbt die Justiz hier nach dem zweiten Weltkrieg begann. Da hat sich vieles in die nächste Generation fortgepflanzt, was mit den Grundideen unserer Verfassung nicht übereinstimmt.

Aber auch den an sich integeren und qualifizierten Justizjuristen muß man vorwerfen, daß sie regelmäßig nicht den Mut aufbringen, für die nötige Sauberkeit in den eigenen Reihen zu sorgen."

Im nachfolgenden Gespräch stellte der Vorsitzende Richter am Landgericht Korwin klar, daß ihm als außenstehenden und nicht am Verfahren "Moll" beteiligten Juristen ein abschließendes Urteil ohne vollständige Kenntnis der einschlägigen Akten nicht möglich sei; zu der allgemeinen Frage, wie die Justiz mit ihren Fehlern umgeht, konnte er folgendes beisteuern:

"Selbstverständlich machen Richter Fehler, teilweise auch gravierende Fehler, und im Hinblick auf die Macht und die Verantwortung, die wir haben, kann das für die Betreffenden sehr folgenschwer sein. Das bedeutet, daß wir von daher in besonderer Weise uns auch mit unseren eigenen Fehlern auseinandersetzen müssen. Das geschieht nicht zureichend. Selbst dort, wo wir, gemessen an der Gesetzeslage, keine Fehler begehen, begehen wir Fehler, weil wir uns nicht hinreichend und intensiv darum bemühen, unsere Entscheidung verständlich zu machen. So muß der Richter anhören, aber anhören ist relativ wenig im Verhältnis zum Zuhören. Ich glaube, gerade der Fall des Herrn Moll macht deutlich, daß hier, und da teile ich die Auffassung von Herrn Wolf, völlig unabhängig wie das in der Sache gelaufen ist, eine Durchsuchung in einer Wohnung einen schweren Eingriff darstellt. Subjektiv, das konnten vielleicht die Betreffenden, die die Durchsuchung durchgeführt haben, von vornherein nicht wissen, hat diese Durchsuchung nachhaltigen Eindruck bei Herrn Moll hinterlassen und das Verfahren ist später eingestellt worden. Das stellt in der Tat die Frage, ob das verhältnismäßig war. Ich würde mal sagen, selbst wenn der formale juristische Instanzenzug hier abgeschlossen ist, würde es allen Beteiligten gut anstehen, nicht nur in Sachen Barschel einen runden Tisch zu machen, sondern auch hier mit Herrn Moll an einen runden Tisch zusammenzusetzen, um Herrn Moll auch mal einfach Gelegenheit zu geben, völlig unverkrampft und ohne in der Defensive zu sein, als gleichberechtigter Partner, seine Situation darzustellen, und ich glaube, daß es dann den beteiligten Staatsanwälten auch nicht schwer sein sollte, hier das Bedauern zum Ausdruck zu bringen im Hinblick auf die Folgen, die sicherlich nicht beabsichtigt waren. Ich hoffe, daß eine solche Form des Umgangs mit einem solchen Problem angemessen und geeignet wäre, auch Vertrauen, das die Justiz zunehmend verloren hat, wiederherzustellen."

Kisch: "Herr Korwin, wie sieht das Berufsbild des Staatsanwalts aus?"

Korwin: "Die Staatsanwaltschaft ist zunächst zur Objektivität verpflichtet. Also anders als in Amerika ist sie nicht Partei, sondern sie muß auch entlastende Umstände in ein Ermittlungsverfahren einbringen. Man sagt, die Staatsanwaltschaft müsse die objektivste Behörde der Welt sein. Die Staatsanwaltschaft ist im Rahmen dieser Funktion Organ der Rechtspflege, d.h., sie wirkt eben mit den Richtern und mit den Rechtsanwälten bei der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit mit. Die Staatsanwaltschaft ist auch ein Dienstleistungsbetrieb für den Bürger. Ich glaube, wenn ich dies so als Forderung an das Berufsbild des Staatsanwalts stelle, dann wird es schon Schwierigkeiten geben, weil viele Staatsanwälte dies, wie ich meine, nicht so richtig in ihrer Arbeit zum Ausdruck bringen und dies auch wohl noch nicht dem überwiegenden Selbstverständnis der Staatsanwälte entspricht. Ich meine, und das erlebe ich auch häufig im Gerichtssaal, daß es viele Staatsanwälte gibt, die mit ihrer Arbeit, ich sage das mal so etwas pointiert, einen besonderen Jagdeifer verbinden. Ich würde mir wünschen, daß da mehr Distanz an den Tag gelegt wird. Ich würde mir andererseits auch wünschen, daß Staatsanwälte nicht die, sagen wir mal, Verfolger sind. Das ist ja so die landesübliche Vorstellung. Sollen Staatsanwälte tatsächlich im Sinne, wie ich es eingangs beschrieben habe, auf der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit mitwirken, und nicht letztlich doch eine Parteirolle einnehmen, die davon getragen ist, möglichst jemanden zu überführen und auch möglichst hoch zu bestrafen. Diese Vorstellung wirkt häufig bei Staatsanwälten noch mit. Ich kenne Staatsanwälte, die auch zuhören, die sich auch auf Angeklagte und ihre Situation einlassen und die dann nach gründlicher Abwägung zu einer entsprechenden Entscheidung kommen. Ich glaube, in diesem Bereich kann man noch Mängel feststellen."

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Kisch: "Wie gerecht ist die Justiz?

Sie hörten von Fällen, in denen sich Beteiligte ungerecht behandelt fühlen und andere bevorteilt werden.

Wir sprachen von Fällen, die Begünstigungen von befreundeten Personen vermuten lassen. Die Justiz ist nur so gerecht wie ihre Gesetze. Das bewahrheitete sich auf schreckliche Weise im Nationalsozialismus des Dritten Reiches. Wie entstand daraus unsere heutige Justiz in Schleswig-Holstein. Entnazifizierung war das Stichwort der Nachkriegszeit. Die Öffentlichkeit wollte aber von den beschämenden Tatsachen der Vergangenheit nichts mehr hören. Um Aufklärung bemühte sich eine SPD-Regierung durch ein Entnazifizierungsgesetz. 1950 löste eine konservativ rechte Koalition die SPD ab und verschüttete alles, was an Wahrheit über die NS-Zeit noch zu sagen gewesen wäre. Die kollektive Verdrängung ermöglichte es vielen NS-Beamten, im Staatsapparat wieder Fuß zu fassen. Seilschaften entstanden, bei der der eine die Vergangenheit des anderen deckte. In den 50er Jahren wurde der ehemalige NS-Euthanisiearzt Heyde alias Sawade als amtierender Gerichtsgutachter enttarnt. Die Affäre verursachte großes Aufsehen, da viele Juristen und Mediziner um die wahre Identität und Vergangenheit des Dr. Sawade wußten. 94 Personen, Richter, Staatsanwälte und Minister, Ministerialbeamte und Professoren sollen Kenntnis oder Vermutungen über die wahre Persönlichkeit gehabt haben. Keiner der Mitwisser wurde je verurteilt. Selbst die Akten waren bis in die 90er Jahre geheime Verschlußsache. Im sogenannten Dritten Reich wirkten 14.031 Richter und 2.517 Staatsanwälte "zum Wohle des Volkes". Viele davon faßten Fuß in der Nachkriegsjustiz. Sie bildeten ihrerseits Richter aus, schrieben Bücher, lehrten an Akademien und hatten Einfluß auf die Personalpolitik. Welche Auswirkungen diese Entstehungsgeschichte auf unsere Justiz heute immer noch hat und ob sich ein roter Faden von damals durch die Geschichte zieht, läßt sich nur vermuten."

Einer, der diese Zeit bestens recherchiert hat, ist der Richter am Landgericht Heiligenstätten Dr. Bosau-Schmalensee. Britta Seidel hat ihn telefonisch für uns interviewt:

"Herr Dr. B-S, warum wurden die Akten über Prof. Heyde erst 1993 freigegeben?"

Dr. B-S: "Das ist eine berechtigte Frage. Nach 1945 hatte sich so ein Konglomerat aus Tätern und Sympathisanten gebildet, die ein Ziel verfolgten, nämlich die NS-Vergangenheit zu verschweigen. Und das haben die auch sehr erfolgreich getan! Und was Schleswig-Holstein angeht, da wurde ich mit diesem Verschweigen im Jahre 1990 konfrontiert, als ich mein Buch schreiben wollte über die Renazifizierung der schleswig-holsteinischen Justiz und da stellte ich fest, daß die Ministerialbürokratie hier in Schleswig-Holstein, obwohl nun nicht mehr NS-belastet, sich vehement dagegen sträubte, daß ich einschlägige Akten einsehen konnte, so u.a. Personalakten von Richtern und Staatsanwälten. Mit Hilfe des heute noch amtierenden Justizministers Dr. Lingenberg, der selbst rechtshistorisch interessiert ist, ist es mir gelungen, alle einschlägigen Akten einzusehen; das war 1990.

Heute haben wir ein Archivgesetz in Schleswig-Holstein und nun ist die Sache ganz einfach. Das ist nun gesetzlich geregelt. Man stelle sich vor, das Landesarchiv in Schleswig hatte eine Sperrfrist von 60 Jahren verfügt. Dann wäre ja gar nichts mehr gegangen. Also mir ist es gelungen, damals eine Generalvollmacht zu bekommen, die heute noch wirksam ist, und so kann ich dann publizieren."

Seidel: "Weshalb kam es dann nicht zu einer Verurteilung des Dr. Heyde alias Sawade."

Dr. B-S: "Ganz einfach! Im Mai 1962 hatte die Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt am Main Anklage gegen Heyde erhoben wegen Mordes an 70.000 Erwachsenen und 3.000 Kindern, und im Februar 1964 nahm er sich unter mysteriösen Umständen das Leben durch Erhängen. Das ist die Antwort."

Seidel: "Man sprach in Sachen Heyde/Sawade über ein sog. Juristen- und Medizinerkomplott. Gibt es noch heute Personen, die Angst vor dem Inhalt der Akten haben, wie sehen Sie das?"

Dr. B-S: "Die Frage ist sehr brisant. Also viele Personen, die in die Heyde/Sawade-Affäre verstrickt waren , sind tot und wenn sie noch leben, brauchen sie strafrechtlich (wegen Verfolgungsverjährung oder Verhandlungsunfähigkeit) nichts zu befürchten. Im übrigen sollten nur gegen zwei Justizjuristen strafrechtliche Schritte unternommen werden. Das war der Präsident des Landessozialgerichts in Schleswig Dr. Buresch und ein ehemaliger Staatsanwalt Dr. Bourwieg. Beide, und das ist der Skandal, sind nicht belangt worden. Die schleswig-holsteinische Justiz, allen voran das Landgericht Flensburg und das Landgericht Kiel, haben diese beiden Verfahren sozusagen im Sande verlaufen lassen, daß es zu keiner Verurteilung gekommen ist. Das ist der eigentliche Skandal!"

Seidel: "Mit welchem Hintergrund ist das passiert?"

Dr. B-S: "Ich würde meinen, das will ich in meinem Buch über die Heyde/Sawade-Affäre näher darlegen, es ist wiederum kaum nachvollziehbar, von allen Sympathisanten auch in der Justiz zu sprechen. Man muß wissen, die Euthanasie stieß ja gar nicht auf breite Abwehr in der Bevölkerung, und die Justiz ist ja nicht isoliert zu sehen. Die schleswig-holsteinische Justiz wollte nicht in so ein Mammutverfahren hinein. Das ist der eigentliche Hintergrund. Aber das zu belegen, kann ich heute in diesem Interview nicht, das ist zu kompliziert."

Seidel: "Wie ist heute die personelle Zusammensetzung von der Vergangenheit geprägt?"

Dr. B-S: "Mein Buch "Die Renazifizierung der Justiz" ist biologisch abgeschlossen. Die NS-Staatsanwälte und die NS-Juristen sind überwiegend tot oder pensioniert. Aber die eigentliche Frage muß anders lauten. Viel wichtiger ist nämlich die Feststellung, daß auch heutige Juristen und Juristinnen, die wegen ihres Alters überhaupt nicht NS-belastet sind, sich überwiegend, so ist meine Erfahrung, gegen eine sog. Aufarbeitung der NS-Justiz und der Nachkriegsjustiz wenden, auch jüngere Kolleginnen und Kollegen. Hier kommt unübersehbar sog. Kastendenken zum Ausdruck. Bloß die allgemeine Tendenz in Schleswig-Holstein und nicht nur in Schleswig-Holstein in der Justiz ist, daß man die Vergangenheit vergessen will und sozusagen gepaart mit einer gewissen Überheblichkeit denkt, wir sind immun, uns kann das, was während der NS-Zeit abgelaufen ist oder in der Nachkriegszeit, uns passiert so etwas nicht."

Seidel: "Meine letzte Frage an Sie! Für wie handlungsfähig halten sie die Justiz?"

Dr. B-S: "Die Erledigungszahlen stimmen wohl; das wird auch immer nachgeprüft. Eine andere und viel wichtigere Frage ist, ob sich in der heutigen Justiz ein demokratisches Bewußtsein unumstößlich verfestigt hat, so daß die Justiz dagegen gefeit ist, die Fehler aus der Vergangenheit zu wiederholen. Und da bin ich, entgegen der Ansicht vieler Justizpolitiker, sehr skeptisch, auch was meine Erfahrung im Rahmen der Forschung und Vortragstätigkeit angeht. Ich möchte dies hier mal an einem Beispiel deutlich machen:

Wenn in Deutschland eine autoritäre Politik so schleichend die Oberhand gewinnen sollte mit der Folge, daß antidemokratische und menschenverachtende Gesetze erlassen werden, dann stellt sich doch die Frage, wie würde heute die Justiz darauf reagieren, jeder einzelne, Richter, Richterin, Staatsanwalt, Staatsanwältin und daran anschließend muß man wohl feststellen, daß die wohl nicht widerstandsfähig sind. Die Justiz ist ja nicht losgelöst von unserer Gesellschaft, und es liegt nämlich u.a. an einem Grund, warum ich diese Feststellung treffe. In der Nachkriegsjustiz bis heute werden nur wenig Fortbildungen betrieben, die sozusagen demokratischen Fortbildungsseminare. Es wird nur immer auf das rechtstechnokratische Wissen abgestellt, sehr wichtig, aber nicht ausreichend. Und seit 1991/92, vielleicht auch durch meine Forschungen bedingt, hat sich eine gewisse Wandlung in Schleswig-Holstein vollzogen."

Seidel: "Sie sind der Meinung, daß sich schon innerhalb der universitären Ausbildung der Juristen etwas ändern müßte, also in den Anfängen?"

Dr. B-S: "An der Universität müßte sich einiges ändern, und das ist sehr schwierig, da auch die Universität nach dem Krieg ihre Vergangenheit vertuscht und verleugnet hat. Nach dem Krieg hat man an der juristischen Fakultät der Universität Sprottenhausen eine Art Giftschrank eingerichtet. Da wurden alle Veröffentlichungen der NS-Professoren versteckt und da kam man ohne Genehmigung der Fakultät gar nicht heran. Und erst 1988 oder 1989 ist das auf Widerstand gestoßen, so daß man den Giftschrank sozusagen jetzt geöffnet hat und man kann die Schriften von Professoren, die weit in die 60er und 70er Jahre die Juristen ja ausgebildet haben an der Uni, jetzt kann man lesen, was sie während des Dritten Reiches verzapft haben, wie sie ihre Meinung von heute auf morgen geändert haben."

Seidel: "Ja, ich denke mal, wir dürfen auf Ihr Buch gespannt sein, und zwar die Heyde/Sawade-Affäre und ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Dr. S-B.

Herr Korwin, gehen Sie mit Ihrem Kollegen konform?"

Korwin: "Ja, ich glaube, die wesentlichsten Aussagen, die hier eben von meinem Kollegen getroffen worden sind, kann man nur unterstreichen. Ich glaube auch, daß das Bedürfnis, sich mit der Vergangenheit und man muß eigentlich auch sagen der Gegenwart, auseinanderzusetzen, ist sehr gering ausgeprägt. Man möchte verdrängen und vergessen. Das stellt man bei vielen Fortbildungsveranstaltungen fest oder dort, wo der Versuch unternommen wird, die Juristinnen und Juristen der Gegenwart mit der Vergangenheit zu konfrontieren. Ich habe das häufiger auch erlebt in Diskussionen mit Kolleginnen und Kollegen. Man muß wissen, daß die Justiz irgendwo ein Familienbetrieb ist. Das ist auch im wahrsten Sinne des Wortes gemeint. Es gibt eine Fülle von Kolleginnen und Kollegen, deren Väter selbst vorher Richter waren, und wenn es denn auch Väter waren, die vorher selbst NS-Sonderrichter waren, und wenn dann diese Richter auch noch in relativ hohen Positionen sind, die Söhne jetzt, dann besteht eine besondere Ängstlichkeit und eine besondere Zurückhaltung, darüber zu diskutieren, weil die Sorge besteht, daß man dann hier so eine Art Sippenhaft vornimmt, obwohl das gar nicht der Fall zu sein braucht. Aber dort gibt es also allein deswegen deutliche Zurückhaltung. Ich glaube auch, daß die Einschätzung richtig ist, daß hier ein Stück Überheblichkeit vorhanden ist, daß man meint, so etwas könne dieser Justiz nicht passieren. Ich bin da sehr skeptisch, weil ich da auch voll Dr. B-S in seiner Auffassung unterstützen möchte, das Demokratiebewußtsein vieler Kolleginnen und Kollegen ist ausgesprochen gering entwickelt. Das merkt man immer wieder, wenn es auch um den Umgang der Kollegen untereinander geht, dort, wo wir auch demokratische Beteiligungsformen z.B. in der Selbstverwaltung haben, legen Kollegen ein erschreckend gering ausgeprägtes Demokratieverständnis an den Tag. Es hängt vielleicht auch mit der Machtposition eines Richters zusammen, daß häufig in diesen Auseinandersetzungen mehr auf Machtexekution gesetzt wird als auf den geistigen Diskurs. Ich bedauere das häufig, und damit wären wir eigentlich auch wieder bei den Bürgern, daß diese Art der Umgangsform sich dann auch in den Prozessen niederschlägt. Es mag schon sein, wie Herr Dr. B-S gesagt hat, daß die Justiz technokratisch gesehen überwiegend ordentliche Arbeit abliefert. Für mich heißt aber ordentliche Arbeit auch, sich dem Bürger verständlich zu machen, also auch im Gerichtssaal und bei der schriftlichen Niederlegung der Entscheidung Verständlichkeit zu organisieren. Das geschieht in der Praxis unzureichend. In diesem Bereich würde ich sagen, gibt es noch erhebliche Verbesserungen innerhalb unserer täglichen Arbeit."

Einige Wochen später nutzte Moll eine öffentliche Podiumsdiskussion zum Schutz der jüdischen Gemeinde in Filzbeck, um den Justizminister Dr. Lingenberg persönlich auf das ihm zugefügte Unrecht hinzuweisen. Moll empfand es als ungerecht, daß bereits ein Sturm öffentlicher bzw. veröffentlichter Entrüstung losbricht, wenn ein jüdischer Mitbürger auch nur "etwas schief angesehen" würde, während er seine Behandlung als Deutscher in der Bundesrepublik Deutschland als Folter mit schwersten gesundheitlichen Folgen empfunden haben mußte, ohne daß die dazu berufenen staatlichen Behörden oder die sich als vierte Gewalt im Staate verstehende Presse davon auch nur Notiz genommen hätte. Justizminister Dr. Lingenberg war die Störung seiner projüdischen Bußfertigkeit unangenehm und bürstete Moll kurzerhand mit der Bemerkung ab, er habe Molls Akten persönlich eingesehen und dabei festgestellt, daß an seinen Vorwürfen nichts dran sei. Entweder hat Dr. Lingenberg insoweit gelogen und die Akten nicht eingesehen oder er muß blind sein wie ein Maulwurf, wenn man die oben dargestellten 23 Rechtsbrüche und Fehlleistungen der Justizbehörden betrachtet. Allerdings soll Dr. Lingenberg schon in vorministerieller Zeit mit seiner Amtsrichtertätigkeit in Kornbach maßgeblich überfordert gewesen sein.

Als vorläufiges Fazit dieses Kapitels können wir feststellen, daß Mobbing und Justizterror Molls Leben zerstört haben. Er ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Ruhelos verfolgt er seine Rehabilitierung und die allseits ablehnende Haltung hat ihn allmählich zum Justizquerulanten werden lassen.

Aber schon nach 1945 hat man die Justizopfer unüberbietbar verhöhnt, indem man die meisten Schlächter mit dem Dolch unter der Robe wieder in ihre Ämter einsetzte und ihnen sogar steile Karrieren ermöglichte. Moll war bereits vor der Durchsuchung vom 10.5.1990 und dem damit zusammenhängenden Ermittlungsverfahren durch das Mobbing seiner ehemaligen Arbeitskollegen zum staatlich anerkannten Schwerbeschädigten geworden. Die Maßnahmen der Filzbecker Justiz gegen Moll im Jahre 1990 haben eine weitere Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bewirkt, so daß er in der Zeit danach auch seine journalistische Tätigkeit nicht mehr ausüben konnte.

Staatsanwalt Tews machte jedoch alsbald nach diesen Vorgängen Karriere und wurde neun Monate nach der von ihm mitzuvertretenden staatsterroristischen Attacke zum Oberstaatsanwalt und Abteilungsleiter befördert.

Puffpaff fiel ebenfalls die Treppe hinauf und wurde Leitender Oberstaatsanwalt in Filzbeck.

Rechtsanwalt Wolf konnte Moll allerdings nicht nahelegen, er solle seinen Frieden mit der Armut der Justiz machen. Er hofft allerdings, sein Mandant werde eines Tages zu der Einsicht gelangen, daß es kein Makel sein kann, von einer derartig verkommenen Justiz verfolgt und schikaniert worden zu sein, so daß eine Rehabilitierung durch eine solche - den Namen "Rechtspflege" nicht verdienende - Justiz nicht erstrebenswert sein kann, sondern nur die Aufklärung der Gesellschaft über das geschehene Unrecht, damit eines hoffentlich nicht mehr allzufernen Tages - wie schon 1789 in Frankreich und 1917 in Rußland - ein Sturm losbreche, um diesen stinkenden Haufen endgültig in den Orkus der Geschichte zu fegen.

"Die Deutschen müssen sich fragen, ob die Menschenrechte in unserem Land tatsächlich den Stellenwert haben, der ihnen nach unserer Verfassung und der Überzeugung aller Demokraten gebührt."

Wolfgang Thierse, Bundestagspräsident