"They come to take me away ... haha"

Über den Amtsrichter Dr. Watschenpeter ließe sich ein mehrbändiges Buch schreiben. Wir beschränken uns auf die Mitteilung einiger Highlights.

Watschenpeter war schon als Schüler ein penetranter Streber und bei seinen Klassenkameraden allseits im Verschiß. Weil er sich immer wieder als Kameradenschwein bewies, mußte er häufig Klassenkloppe oder den Heiligen Geist über sich ergehen lassen. Allerdings konnte ihm sein widerliches Strebertum nicht ausgetrieben werden, auch wenn seine Mitschüler ihn splitternackt ausgezogen auf den Tisch stellten.

Ein wesentlicher Faktor seiner verkorksten Sozialisation und charakterlichen Unterbelichtung mag gewesen sein, daß seine Eltern sich früh hatten scheiden lassen. Alte und neue Familien lebten pikanterweise unter einem Dach; Watschenpeter mit Mutter und Bruder im Keller des Stadthauses, während sich der Vater mit seiner neuen Flamme in Paterre und belle etage verlustierte.

Ein akademisches Doppelstudium schloß er jeweils mit der Promotion ab. Neben der Juristerei widmete er sich der Musik.

Weil Watschenpeter einen miesen Charakter hat, beherrschte er das Kriechen nach oben und das Treten nach unten perfekt. Was er als Gymnasiast und Student praktiziert hatte, perfektionierte er zu Beginn seiner beruflichen Tätigkeit.

Seinerzeit betreute ein Dr. Lautenschläger - ehemals Senatspräsident am Kammergericht - eine Gruppe junger begabter Musici. Da Watschenpeter ein überdurchschnittlich begabter Klavier- und Orgelspieler war, schlich Watschenpeter sich in Lautenschlägers Vertrauen und Rektum. Zum Dank setzte Lautenschläger trotz nicht unerheblicher Widerstände bei seinem Verlag durch, daß Watschenpeter sein Nachfolger als Kommentator eines verfahrensrechtlichen Standardwerkes werde. Diesen Kommentar hat Watschenpeter dann jedoch alsbald reichlich heruntergewirtschaftet.

Nach dem Assessorexamen begann Watschenpeter bei der Staatsanwaltschaft. Wer dort nicht innerhalb der ersten sechs Monate ausgesiebt wird, erhält in aller Regel nach etwa zwei Jahren eine Planstelle auf Lebenszeit. Watschenpeter hatte sich jedoch in der Behörde dermaßen unmöglich benommen, daß man ihn zwar wegen seiner mächtigen Protektionisten nicht ‘rausschmiß, aber man wollte ihm partout auch keine Lebenszeitanstellung geben. Nach dem Landesbeamtengesetz hätte er nach fünf Jahren aber entweder übernommen oder entlassen werden müssen. Die Staatsanwaltschaft weigerte sich, ihn zu übernehmen. Ein in Schleswig-Holstein einmaliger Vorgang. Überall im Lande wurde fieberhaft nach einer anderen Stelle im öffentlichen Dienst für Watschenpeter gesucht. Überall wurde abgewinkt, weil sich sein fieser querulatorischer Charakter herumgesprochen hatte.

Seinerzeit war Sophus Mariacron, Rotarier, eben gerade vom Posten eines Senatspräsidenten in Swinemünde zum Präsidenten des Amtsgerichts Filzbeck berufen worden. Sophus, der noch bei den Bayerischen Kürassieren gedient hatte, war eine selten anzutreffende Mischung von hochqualifiziertem Juristen, edlem Charakter und trinkfest geselligem Wesen. Diese Lobeshymne bekam einen Kratzer, als er sich von Watschenpeters einflußreichen Gönnern besabbeln ließ, ihm doch eine Planstelle beim Amtsgericht Filzbeck zu beschaffen. Seit nun schon über 30 Jahren terrorisiert Dr. Watschenpeter rechtsuchende Bürger, Anwälte und auch Kollegen.

Die in Filzbeck sattsam bekannten Anekdoten haben allerdings bei Licht betrachtet einen bitteren Hintergrund, und allein schon das Unwesen, das Dr. Watschenpeter seit drei Jahrzehnten treibt, würde allemal eine verfassungsrechtliche Modifizierung der richterlichen Unabhängigkeit rechtfertigen.

Als Watschenpeter in Filzbecks feinster Wohngegend ein Haus erstanden hatte, war seine erste Amtshandlung die Verfüllung des Schwimmbeckens mit Erdreich, und danach wurde sein Nachbar mit dem Gartenschlauch - nicht etwa versehentlich - durchnäßt.

Soweit er in Hamburg eine verkehrsjuristische Radiosendung moderieren durfte, rächte er sich über den Äther an unbotmäßigen Anwälten. Ein ehemaliger Ratsherr aus feinster Familie erschien z.B. in seiner Sendung mit voller Namensnennung als "giftiger Rentner".

Seine verkehrspädagogischen Ergüsse waren für ihn höchstpersönlich selbstverständlich irrelevant ("Quod licet Iovi, non licet bovi" – zu deutsch: "Was Jupiter gestattet ist, darf der Ochse noch lange nicht"). Beim Verlassen des Kreisverkehrs zwischen Stadttor und Gerichtshaus mißachtete er die Vorfahrtsberechtigung einer Radfahrerin, die – zwei Wochen vor ihrer geplanten Hochzeit – schwerste Verletzungen einschließlich eines Beckenbruches erlitt, so daß sie keine Kinder mehr bekommen kann.

Schon in den ersten Jahren seiner Berufstätigkeit gingen Hunderte von Dienstaufsichtsbeschwerden gegen ihn ein, die Mariacron gar nicht mehr zählte, sondern nur noch übereinanderlegte und nach Höhe in Zentimetern abmaß.

In Folge seines herrischen und cholerischen Wesens hatte er auch ständig Zoff mit seinen Protokollführerinnen. Sein Umgangston war unerträglich. Frau Zimmerling, eine wirkliche Spitzenkraft, warf ihm wegen einer seiner üblichen Flegeleien seine gesamten Terminsakten mit dem Bemerken vor die Füße, "er solle seinen Scheiß doch alleine machen". Der Präsident Dr.Synodalis, Rotarier, entschuldigte sich für Watschenpeters Ungezogenheit.

Eines Tages war der bundesweit bekannte und renommierte Ordinarius für Rechtsmedizin Prof. Zwibulla als sachverständiger Zeuge zu einem Verhandlungstermin bei Dr. Watschenpeter geladen. Nach dem Termin äußerte Prof. Zwibulla auf dem Gerichtsflur gegenüber den an dem Verfahren beteiligten Rechtsanwälten, wenn es denn einmal darauf ankommen sollte, könne er ärztlicherseits ohne jeden Zweifel diagnostizieren, daß "dieser Richter dort drinnen verrückt ist".

Nach zuverlässigen Auskünften der übergeordneten Berufungskammer wurden etwa 75 % seiner Urteile in der Berufungsinstanz aufgehoben oder abgeändert. Der Präsident und der Vizepräsident des Landgerichts haben ihm mehrfach schriftlich den Erlaß von Willkürentscheidungen attestiert.

Über Watschenpeters Art, seine Urteile abzufassen, kursierte ein wildes Gerücht: In den sechziger Jahren habe er eine homoerotische Affäre mit dem legendären William S. Burroughs gehabt, der ihn in die kultischen Geheimnisse der Cut-up-Methode einweihte. Dabei werden Manuskriptseiten zerstreut, wahllos zusammengestellt, zerschnipselt und variantenreich neu zusammengepuzzelt. So waren die meisten Watschenpeter-Urteile denn auch mehr ein Fall für das Tineff-Buch der Rekorde und blieben Prosa aus der Zwangsjacke.

Ein Mitglied der Berufungskammer, der späterhin persönlicher Referent des Justizministers wurde, äußerte in der Kantine des Gerichtsgebäudes, "er habe nun die Schnauze endgültig voll, und er werde Watschenpeter wegen Rechtsbeugung anzeigen". Aus dieser Berufungskammer heraus wurde weiterhin geäußert, die "schwachsinnigen Urteile des Amtsrichters Watschenpeter würde man gar nicht mehr lesen, sondern gleich ganz von vorne anfangen".

Als ein Amtsrichter in Sprottenhausen einen Polizeibeamten zu drei Tagen Ordnungshaft verurteilt hatte, weil dieser als Zeuge wegen einer Erkrankung seiner Atemwege einen Hustenbonbon gelutscht hatte, nahm Rechtsanwalt Wolf dies zum Anlaß, in einem Leserbrief anzufragen, "wieviel Betonköpfe, Psychopathen und Amateure sich die Justiz leisten könne". In Wolfs Beispielen erschien unter Ziffer 4 auch Watschenpeter, allerdings ohne Namensnennung:

           "Wer wiederholt fremde Kinder schlägt und im Termin regelmäßig seine Akten nicht kennt, darf rechtsuchende Bürger und Anwälte bis zur Pensionierung terrorisieren."

Die städtische Angestellte Frau Schuld, die schon unter Chomenis Machtmißbrauch zu leiden gehabt hatte, erlaubte es sich als Partei in einer mündlichen Verhandlung bei Dr. Watschenpeter, den vorstehenden Leserbrief-Teil zu zitieren. Watschenpeter lief momentan violett-rot an; allerdings platzte er nicht, sondern rief über seinen unter dem Richtertisch versteckten Klingelknopf Natoalarm aus. Frau Schuld wurde wie eine Schwerverbrecherin von mehreren Justizwachtmeistern aus dem Sitzungssaal abgeführt.

Watschenpeter besaß nicht nur ein Haus im Grünen, sondern auch ein Stadthaus am Fegefeuer. Es ärgerte ihn maßlos, daß Patienten benachbarter Ärzte ihre Fahrräder auf öffentlicher Wegefläche vor seinem Haus abstellten und dann noch ihre Diebstahlssicherungen durch das Gitterrost vor seinem Kellerfenster zogen. Watschenpeter entblödete sich nicht, von seinem Keller aus in die Kasematte zu kriechen, um mit einer Metallsäge eine Kette zu durchtrennen.

Ein jahrelanger Boykott aller Filzbecker Taxifahrer beruhte auf einer exquisiten Fiesheit. Watschenpeter hatte sich vor vielen Jahren eine Kraftdroschke bestellt und den Fahrer wegen angeblicher Terminverpflichtungen mehrfach zur Eile angetrieben, um diesen dann späterhin wegen Geschwindigkeitsüberschreitung anzuzeigen.

Als eines Tages Watschenpeters Waschmaschine ihren Geist aufgegeben hatte, wurde ein fachkundiger Monteur herbeizitiert, der nach gründlicher Untersuchung zu dem Schluß kam, eine Reparatur sei höchst unwirtschaftlich und die Kosten würden den Zeitwert weit überschreiten. Als der Monteur sich trotz der insistierenden Haltung von Watschenpeter weigerte, seinen Werkzeugkoffer auszupacken, wurde er vom "Doppeldoc" schlank weg in der Waschküche eingeschlossen, wobei ihm Watschenpeter in das Verlies hinein bedeutete, er werde erst wieder freigelassen, wenn er die Reparatur zu seiner Zufriedenheit ausgeführt habe.

Strafanzeigen gegen Dr. Watschenpeter waren völlig sinnlos, da er sich höchster Protektion erfreute.

Als Rechtsanwalt Wolf an einem Mittwoch im Saal 252 des Amtsgerichts Filzbeck bei Frau Ballermann einen Termin wahrzunehmen hatte, kam aus dem benachbarten Verhandlungssaal ein junger Mann, der schon von weitem wegen der unter dem Arm getragenen roten Gesetzessammlung "Schönfelder" als Referendar erkennbar war. In jenem Saal tagte mittwochs Rumpelstilzchen Doppeldoc. Wolf fragte Frau Ballermann sogleich, ob denn das Präsidium noch ganz bei Trost sei, dieses Monstrum in die Nachwuchsausbildung einzubinden. Frau Ballermann entgegnete wörtlich:

            "Sie haben recht, Herr Wolf, dieser Idiot darf Referendare ausbilden!"

Es war wirklich verwunderlich, daß Watschenpeter bei seinem garstigen und oft beleidigenden Auftreten noch nie Prügel bezogen hatte. Kurz davor stand er jedoch oft. Als Kollege Rasputin Plisch wieder einmal Opfer von Watschenpeters üblichen Launen wurde, drohte der Advokat dem Richter an, "er werde ihn gleich über den Tresen ziehen". Watschenpeter gab diese Äußerung wörtlich zu Protokoll, und zwar mit dem Zusatz, "das Gericht könne mit dieser Erklärung nichts anfangen".

Auch sonst war Plisch, der kaum eine Gelegenheit für eine Zote ausließ, für seinen hintersinnigen Humor berühmt. So verkündete er mehrfach lauthals in der Gerichtskantine, er sei der einzige Filzbecker Notar, der mit seiner Ehefrau mehr Nummern mache, als er auf seiner Urkundenrolle habe. Das jeweils neueste 911-Modell aus Zuffenhausen konnte er sich im Hinblick auf seine unkonventionellen Honorarabrechnungen locker leisten; seine gehäuft über dem gesetzlichen Gebührenrahmen liegenden Rechnungen machte er der Mandantschaft dadurch plausibel, daß er einen Irrtum über Vertrag und Diktat erregte ("Erlaube ich mir, folgende Gebührenvereinbarung zu treffen.")

Während der Abfassung dieses Buches hat uns Kollege Plisch für immer verlassen. Wir gedenken seiner in Wehmut. Er kuschte vor keinem Richter oder Staatsanwalt und Wolfs Seelenverwandschaft mit dem altersuntypisch Langhaarigen beruhte u. a. auch auf der nämlichen Freudschen Fehlleistung. Als das Grundbuchamt ausgelagert und die Räumlichkeiten der Anwaltschaft hergerichtet waren, lasen beide die Zimmerbeschriftung als "Schankraum", obwohl dort die Roben-Schränke untergebracht waren. Gott sei Dank hat er sich nicht quälen müssen. Im Zustand höchster Erregung – allerdings als Zuschauer eines Eishockeyspiels – faßte er sich ans Herz und fiel tot um. Es ist eine Gnade, in den Stiefeln zu sterben.

Der alternde Junggeselle Oberstaatsanwalt Hamsterbacke wohnte seinerzeit noch bei seiner Schwester schräg gegenüber von Watschenpeters Anwesen. Hamsterbackes Neffe Josua Jäger war mit Edgar Strecker befreundet. Beide standen vor der Haustür, als Watschenpeter sich darüber erregte, daß Streckers Commodore GSE vielleicht 30 cm in den Luftraum des Bürgersteigs hineinragte, so daß man immer noch bequem mit einem Zwillingskinderwagen hätte vorbeifahren können. Als Strecker daraufhin Watschenpeter zurief, "er könne gleich ‘was vor die Schnauze bekommen, wenn er sich nicht unverzüglich trollen werde", war Josua dies in dieser feinen Gegend äußerst peinlich und er zerrte Edgar schnell in das Haus hinein, während Watschenpeter sich fluchend entfernte: "...und das vor dem Haus eines Oberstaatsanwalts!".

Späterhin erwarb Watschenpeter ländlichen Grundbesitz in der Holsteinischen Schweiz. Seinen Nachbarn waren allerdings lauschige Grillabende verwehrt, weil Watschenpeter gnadenlos mit Eimer oder Gießkanne über den Zaun gestiegen kam, um ad hoc die schwelende Glut zu löschen.

Wie im Fall des parlamentarischen Waffenhändlers Joe Pupus konnte die Staatsanwaltschaft alles unter den Teppich kehren, weil die Strafvereitelung im Amt in Schleswig-Holstein eine sehr lange Tradition hat. Nur der Druck der Öffentlichkeit konnte die Staatsanwaltschaft veranlassen, einen an sich Unantastbaren zu verfolgen. Auch bei Watschenpeter war eines Tages der Volkszorn nicht mehr zu bändigen, nach dem Watschenpeter nach zwei Begünstigungen zum dritten Mal einschlägig straffällig wurde:

1.

Als Watschenpeter einen Schüler schlug, weil dieser mit seinem Fahrrad einer verkehrsreichen Straße auf den Bürgersteig auswich, wurde das Verfahren durch Oberstaatsanwalt Hamsterbacke einstellt. Die Begründung der Einstellung hätte jedem Strafverteidiger zur Ehre gereicht. Es fehlte nur noch der Hinweis, daß der Beschuldigte als guter Christ auch konfirmiert sei.

2.

Am Morgen des 14.11.1980 suchte Watschenpeter im Fegefeuer einen Parkplatz. Zur Sicherung der Durchführung geplanter Tiefbauarbeiten hatte ein Schachtmeister rot-weiß gestrichene Dreibeinböcke zur Reservierung aufgestellt. Watschenpeter vergriff sich an diesen Böcken und warf sie zur Seite. Als der Schachtmeister seinem Treiben ein Ende setzen wollte, legte Watschenpeter den Rückwärtsgang ein und gab kräftig Gas. Dabei wurde der Schachtmeister verletzt.

Auch diese Strafanzeige wurde von der Staatsanwaltschaft Filzbeck nicht akzeptiert.

3.

Am 25.09.1984 meinte Watschenpeter, einen 15 Jahre alten Schüler ermahnen zu müssen, weil dieser sich angeblich mit seinem Mofa verkehrswidrig verhalte. Watschenpeter hätte wissen müssen, daß der Versuch, derartige Konflikte argumentativ mit Worten an Ort und Stelle beizulegen, regelmäßig aggressive Verhaltensmuster auslöst.

Es kam wie es kommen mußte. Watschenpeter nannte den Schüler einen "Schnösel" und dieser revanchierte sich mit einem bissigen "Pisser". Es kam zum Gerangel. Zwei Mofas nahmen Schaden, und der Schüler fing sich zwei Ohrfeigen ein. Der herbeigerufene Polizist wurde dann oben drauf von Watschenpeter auch gleich als "dummer Wachtmeister" abgebürstet.

Filzbecks Bevölkerung hätte der Staatsanwaltschaft die Scheiben eingeworfen, wenn auch dieser Vorfall der üblichen Justizkumpanei zum Opfer gefallen wäre. Während der laufenden Ermittlungen ließ Watschenpeter sich psychiatrisch untersuchen. Das Ergebnis ist offiziell nicht bekannt geworden; vielleicht hätte es ja seine sofortige Dienstentfernung bewirken müssen, worauf die damalige Äußerung des Prof. Zwibulla hindeutete. Aus der Gerüchteküche war allerdings zu vernehmen, Watschenpeter leide unter Platzangst-Visionen, die sich gelegentlich in der Wahrnehmung schwitzender Tapeten oder rohrkrepierender Erektionen äußern sollten, wobei es aus psychiatrischer Sicht für ihn und seine Mitmenschen das beste sei, wenn er weiterhin versuche, der realen Welt – so gut es eben machbar sei – aus dem Wege zu gehen. Auch wenn einige psychiatriekritische Stimmen mit guten Gründen behaupten, der einem Mitmenschen attestierte Wahnsinn sei nur der Wahnsinn der diagnostischen Methode, dürfte in der Beurteilung von Dr. Watschenpeter Einigkeit innerhalb aller Irrenärzte von Melbourne bis Hammerfest bestehen: Watschenpeter ist ein neurotischer Psychopath.

Die Anklage war relativ schnell gezimmert, aber die eigentlichen Probleme traten dann bei den Damen und Herren Strafrichterkollegen auf; einer nach dem anderen hielt sich für zu befangen, um über den "lieben Kollegen" zu richten.

Erst nach diversen Selbstablehnungen fand sich einer der wenigen SPD-Richter bereit, über Watschenpeter zu Gericht zu sitzen. Um der Sache einen volkstümlichen Anstrich zu geben, war vor dem Schöffengericht Anklage erhoben worden. Auch vor Gericht beanspruchte Watschenpeter die einem "Richterkönig" gebührende Sonderbehandlung, was damit begann, daß er den Sitzungssaal nicht durch die Tür zum Gerichtsflur betrat, sondern vom Beratungszimmer aus. Auch zu der die Anklage vertretenden Oberstaatsanwältin stellte er sogleich ein behaglich intimes Verhältnis her, indem er auf die qualifizierte Nachbarschaft "in unserem Villengebiet, wo wir gemeinsam wohnen ..." anspielte.

Watschenpeter war weder einsichtig, noch bußfertig. Er schimpfte auf "Greenpeace, Hausbesetzer und Radfahrer, die die blanke Verzweiflung eines Bürgers hervorrufen müßten." In seiner Anhörung beschrieb er eine Welt, in der Recht und Ordnung untergegangen seien, ohne zu merken, daß er in den Augen von Hunderten oder sogar Tausenden von ehrlichen und anständigen Filzbecker Bürgern mit guten Gründen als "Justizterrorist" angesehen wurde. Mit DM 7.200,-- fiel die Strafe angemessen aus. Läuterung war allerdings von Watschenpeter nicht zu erwarten.

Nicht lange nach dieser Verurteilung wurde Rechtsanwalt Wolf von einem seiner ehemaligen Klassenkameraden beauftragt, Ersatzansprüche geltend zu machen, weil seine Tochter in einen Verkehrsunfall verwickelt war. Ein abbiegendes Fahrzeug hatte sie auf die Kühlerhaube genommen. Sie war zwar auf dem Fahrradweg unterwegs, dummerweise jedoch auf der falschen Seite. Nach Absprache mit dem Mandanten machten beide sich den Spaß, Watschenpeter wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, weil er ja - stadtbekannt - im Bereich von sich im Straßenverkehr angeblich regelwidrig verhaltenden Kindern unter einer ausgeprägten "partiellen Geschäftsunfähigkeit" leide. Watschenpeter steckte den Frontalangriff locker weg und stimmte mit modifizierter Begründung der Besorgnis der Klägerin zu. So hatte er ohne großen Aufwand die Nummer auf der Zählkarte und sein geschäftsverteilungsmäßiger Vertreter A. Chomeni sollte die Arbeit machen. Chomeni war es allerdings leid, fortgesetzt den Schuttabladeplatz für Watschenpeters Faulheit abzugeben. Das Landgericht gab Chomeni Recht und bezweifelte Watschenpeters Ausflüchte. Wolf wies darauf hin, daß Watschenpeters Begründung jedenfalls nicht grob rechtsirrig sei, worin das OLG Swinemünde ihm folgte und Chomeni die Arbeit machen ließ. Weil Wolfs Mandanten allerdings bei Chomeni auch nur vom Regen in die Traufe gekommen wären, sorgte er mit einigen Telefongesprächen für eine allseits befriedigende außergerichtliche Vergleichsregelung.

Eine Posse besonderer Art leistete Watschenpeter sich in einem nicht berufungsfähigen Schadenersatzprozeß um eine zerdepperte Plastik.

Der Geschädigte war Charly Sturges; wegen Alkoholmißbrauchs, Herzrhythmusstörungen und Depressionen schon mit vierzig Jahren frühverrenteter Bühnenbildner. Sturges war Stammgast in "Michels Turnerheim" und gab sich sehr kulturbeflissen. Solange er noch seine betagte Mutter pflegen konnte, sprudelten die Zuwendungen, so daß er sich auch Reisen nach Paris leisten konnte, um Ausstellungen impressionistischer Künstler zu besuchen. Nach dem Tode seiner Mutter gönnte er sich nur noch Kamillentee; aber mit Alkohol konnte er ja ohnehin nicht umgehen. Seine Selbstdarstellungen in der Kneipe waren eine Mischung aus Blasiertheit, Schleimabsonderung und Aufdringlichkeit, wodurch Bruno Bussard sich in einer spontanen Aufwallung zum Mundtorpedo hinreißen ließ:

"Herr Sturges, Sie sind lästig wie eine Scheißhausfliege!"

Charlys Macke war offenbar alt und saß tief. Die zweite Anstalt mußte er schon in Untertertia verlassen. Seine berufliche Mittelmäßigkeit suchte er durch besonderes kulturelles Engagement zu kompensieren, wobei allerdings der von ihm Anfang der 60er geleitete Jazzschuppen in der unteren Kötergasse für geraume Zeit gut einschlug.

Sehr auf seine öffentliche Reputation bedacht, nutzte er jede Gelegenheit, als kunstsinniger Bohemien in die Regionalpresse zu gelangen. Das ging auch mal nach hinten los. Der Lacher des Monats war in der "FN" nachzulesen. Sturges hatte das Exponat eines ebenso unbekannten wie unbegabten Künstlers in mäzenatenhafter Großzügigkeit einem städtischen Museum gestiftet, das sich der Gabe als unwürdig erwies und dankend ablehnte. Über die künstlerische Werthaltigkeit kam es zum öffentlich ausgetragenen Streit. Der gebündelte kommunale Kunstverstand wähnte einen Sonderschüler als Produzenten des Machwerks, welches insbesondere durch aufgeklebte Schmirgelpapierstreifen hervorstach. Auf die Bedeutung dieses im Kulturbetrieb relativ ungewöhnlichen Werkstoffes angesprochen, triumphierte Sturges über das Banausentum der Kulturbürokraten mit der unkonventionellen Interpretation:

"Ist doch klar ... Man soll sich daran reiben."

Eines Tages ging die vorerwähnte Plastik in Sturges’ Wohnung zu Bruch. Außer dem Hausherren waren die Ballettänzerin Radatz und das angetrunkene schwule Pärchen Schwarz und Struwelpeter anwesend. Schwarz gestikulierte so heftig, daß Sturges’ liebstes Kunstwerk vom Sockel kippte und sich in Einzelteile zerlegte. Sturges war sauer. Schwarz war nicht versichert. Struwelpeter wollte über seine Haftpflichtversicherung einspringen, was er aber bald vergaß. Es kam zum Prozeß. Sturges klagte 420,00 DM Schadenersatz ein. Es kam zur Beweisaufnahme. Frau Radatz bestätigte als klassische Zeugin glaubwürdig die Darstellung des Klägers. Vor Struwelpeters Aussage bat Wolf "das hohe Gericht", den Zeugen Struwelpeter auf sein Zeugnisverweigerungsrecht hinzuweisen, weil er doch mit dem Beklagten "schwul verlobt" und beide nur noch nicht verheiratet seien, weil die Rechtslage es ihnen vorenthalte. Watschenpeter merkte nicht, daß er verkohlt wurde, war aber plötzlich blitzwach:

"Stimmt das?", fragte er aufgeregt: "Seid ihr Homos?".

"Äm ... häm ... nun ja ..."

"Schlafen Sie miteinander? Geht Ihr miteinander ins Bett, will ich wissen!"

"Doch schon ... Manchmal."

Die ersten auf der Zuschauerbank wartenden Anwaltskollegen entfernten sich mit entgleisten Gesichtszügen aus dem Sitzungssaal.

Watschenpeter legte noch eine Kohle nach und fragte den irritierten Zeugen:

"Wohnen Sie etwa zusammen?"

"Ja, aber nur, weil Manni, äh ..., ich meine Herr Schwarz vom Arbeitsamt sowenig Geld bekommt."

Erst jetzt merkte Watschenpeter durch welches dünne Eis er eingebrochen war. Der Zeuge wurde kurz und zackig vernommen. Trotz seiner widersprüchlichen und unglaubwürdigen Aussage wies Watschenpeter die Klage ab, weil die Zeugin Radatz angeblich nicht mit letzter Sicherheit habe ausschließen können, daß der Beklagte angestoßen worden sei, als er die Plastik vom Sockel stieß, worauf dieser sich - trotz anwaltlicher Vertretung - überhaupt nicht berufen hatte. Dabei überging Watschenpeter die protokollierte Aussage der Zeugin Radatz, der Beklagte habe unmittelbar nach dem Malheur sein Versehen eingeräumt und Ersatzleistung zugesagt.

 

In gewissen Abständen zog es Dr. Dr. Watschenpeter manisch in die Filzbecker Stadtbibliothek, die an juristischer Literatur das Landgericht locker in den Schatten stellt, um die dortigen Karteikästen zu kontrollieren. Wenn er dabei regelmäßig zu seinem blanken Entsetzen feststellen mußte, daß seine Autorenbezeichnung nur mit einem Doktortitel vermerkt wurde, entlud sich über dem Bibliothekspersonal ein fürchterliches Donnerwetter. Der Mißstand sei unverzüglich abzustellen; immerhin sei er nicht irgendwer, sondern "Doktor zweier Fakultäten". Hatte er beigedreht, zeigte Amtsrat Lulu ihm zuerst die ellenbogengewinkelte Faust und dann den gestreckten Mittelfinger.

 

Den letzten Vogel hat Watschenpeter am 16.09.1996 abgeschossen. Reinicke jun., Vorsitzender einer Zivilkammer, traf im Gerichtsgebäude auf eine hilfsbedürftige 84-jährige Frau, die sich gerade beim Pförtner nach einem bestimmten Gerichtssaal erkundigte. Da der Weg der alten Dame schwer zu beschreiben war, nahm Reinicke sie bei der Hand, um sie hinzuführen. Er brachte sie bis vor die Tür des Sitzungssaales und, weil sie Angst hatte, bereits zu spät dran zu sein, wollte Reinicke sie beruhigen und seinem Amtsbruder Bescheid geben. Reinicke erlebte eine böse Überraschung, als er die Saaltür öffnete. Dreimal schrie Watschenpeter ihn mit hochrotem Kopf und lauter Stimme an, daß er eine Amtshandlung störe. Dann sprang Watschenpeter auf und forderte Reinicke ultimativ auf:

            "Kommen Sie mit zum Wachtmeister!"

Auf die mehrfache Frage von Reinicke, ob er denn nun verhaftet sei, antwortete Watschenpeter, es sei zwar noch keine, aber wenn er seine Personalien nicht angäbe, lasse er ihn vom Wachtmeister abführen.

 

Was hatte uns Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie dazu zu sagen:

           "Das am Minderwertigkeitskomplex leidende Individuum sucht nach einer Kompensation oder Überkompensation, die sich in Anmaßung und krankhafter Überheblichkeit äußert."