Wolfgang Grams

 

Ebenso wie die rechtsradikale NPD nach wie vor eine mit Spitzeln und Einflussagenten in- und ausländischer Dienste (Gründungsikone Adolf von Thadden arbeitete beispielsweise für den britischen Geheimdienst MI6) durchsetzte „Agentur des Parteienstaates“ ist, war die RAF eine teils vom Mossad gelenkte und teils vom Verfassungsschutz durch aufgedrängte Waffenlieferungen (man denke nur an den V-Mann Peter Urbach) in die Gewaltbereitschaft dirigierte Absplitterung der grundsätzlich friedlichen 68er-Bewegung. Axel Cäsar Springer – wegen seiner die tumben Bevölkerungskreise verhetzenden Presseagitation bevorzugtes Hassobjekt der rebellischen Studenten – war nach seriösen amerikanischen Quellen ein von der CIA im Anfangsstadium mit sieben Millionen US-Dollar ausgestatteter Knecht fremder Mächte, der einst SA-Uniform trug und später neben dem deutschen auch einen israelischen Pass besaß. So überrascht es nicht, dass einschließlich Wolfgang Grams sieben RAF-Mitglieder bei der ansich geplanten Verhaftung getötet wurden. In einem zu vermeidenden Prozess hätten sie ja Dinge ausplaudern können, die das korrupte Schweinesystem in ernste Bedrängnis hätte bringen können. Gibt es etwas entlarvenderes als die Aussage des später von der RAF erschossenen Generalbundesanwalts Buback (der sich übrigens als Knecht des Systems maßgebliche Meriten während der staatsterroristischen SPIEGEL-Affäre verdiente) bezüglich der Sonderakte der Hamburger Polizei über die Aussage des Gerhard Müller: „Wenn diese Akte bekannt wird, können wir alle unseren Hut nehmen.“ Selbstverständlich wurde diese alle bisherigen Erkenntnisse auf den Kopf stellende Akte auch dem Gericht im Baader-Meinhof-Prozess in Stuttgart-Stammheim vorenthalten, dessen Vorsitzender durch eine offenkundige Manipulation der Geschäftsverteilung bestimmt wurde. Insoweit von einem „Schweinesystem“ zu sprechen ist also keinesfalls abwegig oder bösartig, sondern tatsachen- und wertungsadäquat.

 

 

IN MEMORIAM Wolfgang Grams

 

Opfer eines politischen Mordes

 

(...) Man denke nur an den unangenehmen Fall Grams. Wer der westdeutschen Rechtsstaatlichkeit am Zeug flicken will, könnte sich keinen neuralgischeren Punkt aussuchen. Christoph Hein, jahrzehntelang im westlichen Landesteil verlässlich gelobt, solange er Unrecht und Missstände in der DDR zur Sprache brachte, begibt sich erstmals über die westdeutsche Schmerzgrenze und beginnt nun auch hüben zu bohren in bewährter stiller Aufsässigkeit, aber diesmal ohne den gewohnten Beifall. Der Unwille war vorhersehbar: Was erlauben Hein?

 

Er als Ostler habe sich herausgenommen, einen RAF‑Roman schreiben zu wollen, tönte es sofort missbilligend. Und schon dies ist ein grobes Missverständnis. «In seiner frühen Kindheit ein Garten» folgt zwar kaum verhüllt, vielmehr akten‑ und faktengetreu, dem gut dokumentierten Fall Grams und dessen gerichtlichem Nachspiel; um einen RAF‑Roman indes handelt es sich mitnichten. Wohl aber um Doku‑Fiction, ganz ähnlich dem dokumentarischen Roman «Mein Jahr als Mörder», in dem Friedrich Christian Delius neulich einer Kette von West‑Berliner Justizskandalen nachging, die so manches mit dem Fall Grams gemein haben.

 

Vertuschtes Fahndungsdesaster

 

Zur Erinnerung: Am 27. Juni 1993 kam es auf dem Bahnhofsgelände von Bad Kleinen in Mecklenburg zu einer chaotischen Fahndungsaktion gegen Mitglieder der RAF. Ein Schock Grenzschutz‑Beamte versuchte das Terroristen‑Paar Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld festzunehmen. Bei einem Schusswechsel wurden Grams und ein GSG‑9­Beamter tödlich verletzt. Wegen zahlreicher Ungereimtheiten geriet die Aktion alsbald zum öffentlichen und niemals überzeugend aufgeklärten Skandal, der nicht nur die Medien vehement beschäftigte.

 

Zur Frage, wer im Getümmel durch wessen Kugel starb, gaben die Behörden widersprüchliche Darstellungen. Die Informations‑Pannen nahmen ungewöhnliche Ausmaße an. Grenzschutzbeamte und Polizisten bezichtigten erst einander und widerriefen dann, die Aussagen unbeteiligter Augenzeugen, die eine regelrechte Hinrichtung des verletzten Grams durch einen aufgesetzten Polizeischuss gesehen haben wollten, wurden systematisch in Zweifel gezogen oder vertuscht, Beweismaterial wurde unterdrückt oder vernichtet, Videoaufnahmen verschwanden, die Präsenz eines dritten Terroristen ‑ in Wahrheit ein V‑Mann des Verfassungsschutzes, der verabredungsgemäß flüchten durfte ‑ bei der Bahnhofsaktion wurde verschleiert, Gutachten wurden durch Gegengutachten konterkariert.

 

Der offizielle Untersuchungsbericht schrieb schließlich die Version fest, der angeschossene Terrorist Grams habe sich selbst getötet, durch einen Kopfschuss im Rückwärtsfallen auf das Bahngleis. Eine Woche nach den Ereignissen von Bad Kleinen trat der damalige Innenminister Rudolf Seiters zurück, tags drauf wurde der Generalbundesanwalt und oberste RAF‑Fahnder Alexander von Stahl in den Ruhestand entlassen, beides kommentarlos. Trotzdem wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt.

 

Ein Michael Kohlhaas, gewaltfrei

 

Diese Ereignisse interessieren Christoph Hein nur insofern, als sie die realen Eltern Grams zum Handeln motivierten, womit sie ihm den kaum verschlüsselten Romanstoff lieferten. Heins Protagonisten sind der pensionierte Gymnasialdirektor Richard Zurek und dessen Frau, die Eltern des untergetauchten und dann erschossenen Terroristen, der im Roman Oliver Zurek heißt. Hein erzählt, wie die fragwürdigen Todesumstände Olivers seinen Vater dazu bringen, den Kampf gegen die Behörden aufzunehmen, um Gerechtigkeit für seinen Sohn zu erstreiten, den Polizei, Justiz und Radaupresse ohne Beweise zum «Polizistenmörder» gestempelt haben. Heins Buch ist weniger ein RAF‑ als vielmehr ein Michael-Kohlhaas-­Roman.

 

Richard Zurek ist allerdings ein Kohlhaas minus Gewalttätigkeit ‑ nach Herkunft und Milieu ist er ein treuer Staatsdiener, unkritisch und politisch naiv, fast preußisch obrigkeitsfromm und ohne Ahnung von den Motiven, die seinen Sohn in die Illegalität und die Staatsfeindschaft abdriften ließen. Erst nach Olivers Tod liest er die linken Kampfschriften von Che Guevara bis Gramsci nach und findet, sie seien «reine Lyrik, erbaulich und schön wie die Korintherbriefe. Das ist die Bergpredigt, nichts anderes, samt einer Wollmaske mit Augenschlitzen». Er kommt zu dem blauäugigen Schluss: «Das sind keine Terroristen, es sind Träumer, nichts weiter.» Seine einfältigen Meinungen zum Terror der RAF sind als ideologische Sollbruchstelle zu lesen ‑ als kleine Falle für Leser: Mal sehen, ob sie reinfallen und den Autor mit der Figur verwechseln.

 

Dem Protagonisten Heins geht es um die Ehre seines toten Sohnes. In immer neuen Beschwerden, die immer aufs Neue abgewiesen werden, klagt er sich durch die Instanzen, bis hin nach Straßburg. Er bittet den Innenminister in einem bewegenden Brief, ihm die wahren Gründe seines Rücktritts zu nennen, und wird als Querulant brüsk abgewiesen. Er erstattet Strafanzeige gegen den Bundeskanzler wegen des Verdachts der üblen Nachrede und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Der Kampf politisiert ihn, schärft und radikalisiert seine Ansichten. Jede Niederlage vor Gericht steigert seine Empörung und entfremdet ihn Schritt für Schritt dem Staat, dem er als vereidigter Beamter so lange gedient hat. Doch Zurek gibt nicht auf, auch nicht um den Preis des Zerwürfnisses mit seiner Tochter, einer unerbittlichen Vertreterin der Mehrheitsmeinung, wonach Oliver als Mitglied einer Mörderbande auch selbst ein Mörder war und nur erntete, was er gesät hatte.

 

Der Chronist als Heißsporn

 

Am Ende kann der Alte sich in seinem Kampf gegen den Staat zwar einen halben Sieg gutschreiben, zieht aber für sich eine höchst querköpfige Konsequenz: Er entlässt sich selbst aus dem Amtseid und scheidet sich von seinem Staat «Ich habe geschworen, das Grundgesetz und alle Gesetze des Landes gewissenhaft zu wahren. Da der Staat aber ..eine eigenen Gesetze nicht wahrt, bin ich von meinem Amtseid entbunden.»

 

Heins Romanhelden sind keine lauteren Sympathieträger, zur Identifikation laden sie nicht unbedingt ein. Auch den aufrechten Zurek, so wacker er sich schlägt, lässt Hein durchaus seine krummen Touren fahren: Seinen Treueid auf Hitler hat er im Dritten Reich nur allzu sehr gehalten, hingegen als Seitenspringer seiner Ehefrau den Treueid nur allzu leicht gebrochen.

 

Aber wenn's drauf ankommt, ist Richard Zurek doch ein Intellektueller nach Heins Herzen. Als Aufgabe des Intellektuellen definierte Hein 1996 in einem Essay, er habe alles, worauf die Gesellschaft sich gründet, «in Frage zu stellen im Namen des Humanen. Er hat die Grundlagen und die Rücksichten, auf denen jede Gesellschaft gründet allein daraufhin zu prüfen, wieweit sie gerecht und menschenwürdig sind».

 

Solche Prüfung wird sich nun auch die Gesellschaft hüben von Christoph Hein gefallen lassen müssen. Aber wer sagt denn, dass sich in einem kühlen Chronisten nicht ein moralischer Heißsporn verbergen darf?

 

Quelle: Auszug aus "Literaturen" 03 II 2005 / S. Löffler bespricht "In seiner frühen Kindheit ein Garten" von Christoph Hein, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2005. 271 S., 17,90 Euro

 

Anmerkung: Weitere - bisher nicht veröffentlichte - Informationen zu den Vorgängen auf den Gleisen von Bad Kleinen wird der geneigte Leser in dem Kapitel 5 des zweiten Teils der "Rechtsbeugermafia" finden ("Staatskriminalität und Staatsterrorismus an den Beispielen Grams und Hafenstraße"). Darin wird unter anderem beschrieben, wie das "meineidige System" seine korrupten Helfer belohnt.

 

 

 

Wolfgang Grams (2)

 

(...) Die Ermittlungen nach der blutigen Polizeiaktion von Bad Kleinen vom 5. Juli 1993, in deren Verlauf der mutmaßliche Terrorist Wolfgang Grams und der Polizeibeamte Michael Newrezella getötet wurden, haben gezeigt, daß aus dem Fall Schmücker immer noch keine Konsequenzen gezogen worden waren. Wieder mußte die Justiz mühsam versuchen, Klarheit zu schaffen: Es galt, eine Tötung aufzuklären. Es war den Angaben eines anonymen Zeugen aus Polizeikreisen nachzugehen, der dem Spiegel offenbart hatte: »Die Tötung des Herrn Grams gleicht einer Exekution«. Wieder mauerten die anderen staatlichen Behörden. Sie waren nicht an Aufklärung interessiert, sondern an Verschleierung ‑ weil ihre Mitarbeiter auf fragwürdige Weise in den Tatablauf verwickelt waren. Deshalb verfügten sie Sperrerklärungen: Zeugen durften nicht aussagen; der V‑Mann mußte schweigen. Deshalb behinderten Polizei und Verfassungsschutz die Ermittlungen in jeder Weise, und deshalb fielen sie der Justiz in den Arm. Die Justiz mußte in der ersten Etappe der Ermittlungen von den Häppchen leben, die auf ihr Bitten und Betteln hin von Polizei und Verfassungsschutz gnädigerweise herausgerückt wurden. Eine ausreichende Aufklärung des Geschehens war nicht mehr zu erreichen: Zuviel an Spurensicherung war versäumt, zu viele Beweismittel waren blockiert und vernichtet worden. (...)

 

Quelle: "Deutschland leicht entflammbar" von Heribert Prantl, Carl Hanser Verlag, München Wien 1994, S. 202

 

Anmerkung: Weitere - bisher nicht veröffentlichte - Informationen zu den Vorgängen auf den Gleisen von Bad Kleinen wird der geneigte Leser in dem Kapitel 5 des zweiten Teils der "Rechtsbeugermafia" finden ("Staatskriminalität und Staatsterrorismus an den Beispielen Grams und Hafenstraße"). Darin wird unter anderem beschrieben, wie das "meineidige System" seine korrupten Helfer belohnt.

 

 

Wolfgang Grams (3)

 

Staatliche Hinrichtung trotz abgeschaffter Todesstrafe

 

oder

 

Wo wir sind, ist das Recht

 

Die Verhaftung der mutmaßlichen RAF‑Terroristen Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams hätte eine neue Sternstunde für die Anti-Terrorgruppe GSG 9 werden können, doch die Aktion endete mit einem blutigen Showdown auf dem Bahnhofsareal im mecklenburgischen Bad Kleinen. 44 Schüsse fielen, ein GSG‑9‑Beamter und Wolfgang Grams starben, zwei Personen wurden verletzt und ein V‑Mann »verbrannt«. In 25 Sekunden war alles vorbei, die Rekonstruktion der Ereignisse ließ allerdings acht Monate auf sich warten. Der Bericht darüber war trotzdem nicht in der Lage, alle Zweifel über den Hergang des Geschehens auszuräumen.

 

Grams und Hogefeld hatten einen Kurzurlaub geplant und sich am Sonntag, dem 27. Juni 1993, mit einer dritten Person namens Klaus Steinmetz im Billard‑Cafe auf dem Bahnhofsgelände in Bad Kleinen getroffen. Klaus Steinmetz operierte als V‑Mann und hatte bereits am 17. April seinem rheinland‑pfälzischen Dienstherrn vom bevorstehenden Urlaub der RAF‑Aktivisten berichtet. Informiert waren auch Generalbundesanwalt Alexander von Stahl, die Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA), Hans‑Ludwig Zachert, und des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Eckhart Werthebach, Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) und die Justizministerin Sabine Leutheusser‑Schnarrenberger (FDP).

 

Seit 1984 hatte es keinen Fahndungserfolg mehr gegen die Rote Armee Fraktion gegeben; ihre Morde an Siemens‑Manager Karl Heinz Beckurts, Diplomat Gerold von Braunmühl, Bankchef Alfred Herrhausen und Treuhand‑Boß Detlef Karsten Rohwedder waren ungeklärt. Die Zeit schien reif für einen Großeinsatz von 54 GSG‑9­-Beamten, der bis ins Detail geplant wurde. Seit Mitte Mai wurde das Gelände um den Schweriner See durchkämmt, minuziöse Einsatzpläne wurden erarbeitet. Die Aktion »Weinlese« sollte das Renommée der betroffenen Behörden auf Hochglanz polieren, endete aber in einem Fiasko.

 

Als Grams und Hogefeld in der Unterführung zu den Gleisen verschwanden, war der Zeitpunkt zum Zugriff für die Beamten gekommen. Beamter »Nummer 4« ‑ die Namen wurden bewußt nicht genannt ‑ hatte allerdings einen Funkspruch mißverstanden und dachte, die Aktion sei bereits gelaufen. Er rannte nach unten, vorbei am nichtsahnenden Grams, und eröffnete ihm so einen Fluchtweg. Sekundenbruchteile später erklang das Kriegsgebrüll acht herbeistürmender GSG‑9‑Beamten, die Birgit Hogefeld und den V-­Mann überwältigten. Grams flüchtete zu den Gleisen 3/4 und schoß mit seiner Pistole vom Typ Czeska 75 (»Brünner«) auf die Verfolger. Dabei wurde der Polizist Michael Newrzela tödlich und ein zweiter Beamter leicht verletzt. Die Beamten reagierten mit einer wilden Schießerei, innerhalb derer auch eine Zugbegleiterin verletzt wurde. Grams, von fünf Kugeln getroffen, stürzte rückwärts auf das Gleis. Es folgte ein Kopfschuß, Grams starb gegen 18.00 Uhr in der Universitätsklinik Lübeck. Er war das siebte RAF‑Mitglied, das bei seiner Verhaftung getötet wurde.

 

Noch am selben Abend informierte Generalbundesanwalt von Stahl die Öffentlichkeit, allerdings stimmten nicht alle Details seiner Ausführungen. Erst in den folgenden Tagen wurde publik, daß Hogefeld das Feuer nicht eröffnet und Grams den GSG‑9‑Beamten erschossen hatte. Trotzdem feierte Innenminister Seiters die Aktion »Weinlese« als Erfolg. Auf wessen Konto Grams' Tod ging, wurde zunächst nicht erörtert. Am 1. Juli 1993 berichtete das ARD‑Magazin Monitor von einer Zeugin, der Besitzerin des Bahnhofskiosks, Joanna Baron, die eidesstattlich versicherte, ein GSG‑9‑Beamter habe den wehrlosen Grams in den Kopf geschossen. »Die Tötung des Herrn Grams gleicht einer Exekution«, verbreitete auch der Spiegel. Zwei GSG‑9‑Beamte hätten den verletzten Grams erreicht, der nicht mehr fliehen wollte, bezeugte ein Sicherheitsbeamter, der namentlich nicht genannt werden wollte. Damit bestätigte er zwar die Aussage der Kioskbesitzerin, widersprach jedoch den Aussagen von sechs GSG‑9‑Beamten. Rudolf Seiters fiel aus allen Wolken, Staatsanwälte aus Schwerin sollten ermitteln. Vielleicht hatte er sich ja auch selbst erschossen?

 

Doch dafür gab es zunächst keine Beweise, statt dessen jede Menge Ungereimtheiten. Die zur Tat unmittelbar anwesenden GSG-9‑Beamten erfanden im Laufe der Untersuchung diverse Szenarien, wie es zu Grams' Kopfschuß gekommen sein konnte. Doch wollte keiner hingesehen haben, als der entscheidende Schuß fiel. Auch die Spurensicherung arbeitete skandalös schlampig. Statt alle am Tatort befindlichen Waffen einzusammeln und zu versiegeln, war es möglich, daß einer der Beamten seine Privatwaffe erst viel später abgab. Noch Tage darauf wurden auf dem Gelände Projektilhülsen gefunden, sogar dort, wo Grams auf die Gleise gestürzt war. Auch bei seiner Obduktion passierten Patzer. Zu viele Beamte waren mit der Spurensicherung beschäftigt, so daß keiner wußte, welche bereits gesichert waren. Da man vor der Obduktion sein Gesicht und seine Hände gereinigt und das Kopfhaar vernichtet hatte, war nicht mehr zweifelsfrei nachvollziehbar, ob Grams tatsächlich Selbstmord begangen hatte. Als Todesursache wurde festgestellt, »daß die tödliche Schußverletzung durch einen Aufsetzschuß oder durch einen Schuß aus unmittelbarer Nähe in die rechte Schläfe erfolgt ist«. Am Montag nach der Tat wurden die Pistolen zum Schußwaffenvergleich im Wiesbadener BKA abgefeuert, ohne daß sie zuvor auf Gewebespuren untersucht worden waren, die nach einem aufgesetzten Schuß vorhanden gewesen wären. Die schleppenden und schlampigen Ermittlungen schürten den Verdacht, daß durch viele kleine Pannen eine große vertuscht werden sollte.

 

Die Eltern von Wolfgang Grams stellten Strafanzeige »wegen Verdacht des Mordes bzw. des Totschlags«. Mit der Untersuchung seines Todes wurde die Stadtpolizei von Zürich beauftragt, die als besonders sachkundig galt. Innenminister Seiters zog Konsequenzen aus den offensichtlichen Fehlern und Koordinationsmängeln, die es bei den Bundesbehörden gegeben hatte, und trat am 4. Juli zurück. Drei Tage später wurde auch von Stahl in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Im Bundesinnenministerium wurde der zuständige Abteilungsleiter für Polizeiangelegenheiten, Schreiber, in den Vorruhestand abgeschoben; der BKA‑Vizepräsident Gerhard Köhler wurde ins Innenministerium versetzt; nur in der Verfassungsschutzbehörde fanden keine personellen Umstrukturierungen statt.

 

Endlich lag der Abschlußbericht der Zürcher Untersuchungen vor. Darin hieß es, der tödlich aufgesetzte Kopfschuß stamme aus Grams' Waffe. Des weiteren stellten die Schweizer fest: »Es gibt keine neuen Erkenntnisse, die zwingend gegen eine Selbstbeibringung des Nahschusses durch Grams sprechen würden.« Der Satz läßt auch andere Folgerungen zu. Doch im Schlußbericht der Bundesregierung im März 1994 wird von einer eindeutigen Selbsttötung Grams' gesprochen und das Verfahren eingestellt. Seine Eltern legten dagegen Beschwerde ein. Wissenschaftliche Unterstützung fanden sie beim Direktor des Rechtsmedizinischen Instituts in Düsseldorf, Wolfgang Bonte. Er war zu dem Schluß gekommen, daß Grams seine Waffe entwunden worden war, bevor er den Kopfschuß erhielt. Die Frage, ob Selbstmord oder Mord Grams' Tod herbeigeführt hatte, wurde zuletzt vom leitenden Oberstaatsanwalt in Schwerin zur Glaubenssache erklärt.

 

Es gab nicht wenige wie den Fraktionsvorsitzenden der hessischen Grünen, Rupert von Plottnitz, denen die Aktion in Bad Kleinen Anlaß gab, sich auf konservative Strafverfolgungstraditionen zurückzubesinnen. »Bei den Mitgliedern der GSG 9 handelte es sich offenbar mehr um Beamte, die als Soldaten für Einsätze gegen militärische Gegner ausgebildet waren, als um Polizisten, die über Erfahrungen bei der Festnahme mutmaßlich bewaffneter Verdächtiger verfügten«,  schrieb  er  in  der Frankfurter Allgemeinen vom 1. August 1993. »Eine Polizei, die sich mehr und mehr vermummt und auf das rechtsstaatliche einst verbürgte offene Visier verzichtet, leistet keinen Beitrag zur Sicherheit, sondern läuft Gefahr, selbst zum Unsicherheitsfaktor zu werden.«

 

An sich stellt der Skandal von Bad Kleinen nichts anderes dar als eine Fortsetzung der langen und nicht enden wollenden Reihe polizeilicher Ermittlungs‑ und Verhaltenspannen, die ihre Grundlage aus dem schlichten Selbstverständnis bezieht: Wo wir sind, ist das Recht.

 

Quelle: Christina Moles Kaupp in "Was die Nation erregte", München 1998, S. 148 - 152

 

Anmerkung: Weitere - bisher nicht veröffentlichte - Informationen zu den Vorgängen auf den Gleisen von Bad Kleinen wird der geneigte Leser in dem Kapitel 5 des zweiten Teils der "Rechtsbeugermafia" finden ("Staatskriminalität und Staatsterrorismus an den Beispielen Grams und Hafenstraße"). Darin wird unter anderem beschrieben, wie das "meineidige System" seine korrupten Helfer belohnt.

 

Des weiteren wird der Beitrag "R A F" - auf dieser Weltnetzseite - in Erinnerung gerufen, der untermauert, daß auch die angeblichen Selbstmorde von Stammheim keine Suizide, sondern vorsätzliche Tötungsdelikte gewesen sein dürften und daß die erste Generation der RAF an den Strippen des MOSSAD gehangen haben soll. Was lag näher, als auch Grams zu exekutieren. Jahre später soll durch eine neue Analysemethode festgestellt worden sein, daß ein Haar, welches am Ort der Schußabgabe auf Detlef Karsten Rohwedder in einem Handtuch gefunden wurde, Wolfgang Grams zuzuordnen sei. Dadurch wird alles klar, wenn man weiß, wem Rohwedder im Wege war und wer seine Nachfolgerin werden sollte!

 

 

 

Beschwerdebegründung

gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Schwerin im Ermittlungsverfahren gegen zwei GSG-9-Beamte


Anwälte der Eltern von Wolfgang Grams






I.

Nach gründlicher Auswertung der uns von der Staatsanwaltschaft Schwerin aufgrund des Beschlusses des Landgerichtes Schwerin vom 30.12.1993 am 14.01.1994 zur Einsichtnahme überlassenen Ermittlungsakten und nach Einholung weiterer wissenschaftlicher Gutachten halten wir den Schluß für zwingend, daß Wolfgang Grams von Beamten der GSG 9 durch einen Kopfschuß aus der ihm zugeordneten Waffe getötet worden ist.

Nachdem Birgit Hogefeld und der Verfassungsschutz-Mitarbeiter Klaus Steinmetz im Tunnel unter dem Bahnhof Bad Kleinen von GSG-9-Beamten überwältigt worden waren, rannte Wolfgang Grams die Treppe zum Gleis 3/4 hinauf. Ihm folgte ein Spezialeinsatztrupp (SET) von GSG-9-Beamten, die bereits auf der Treppe das Feuer auf Wolfgang Grams eröffneten. Wolfgang Grams erreichte den Bahnsteig und bog um das linke Geländer des Treppenaufganges. Hier drehte er sich mit dem Rücken zum Gleis 4 und der Vorderseite zum Aufgang. In dieser Position zog er eine Pistole mit der rechten Hand. Auf dem Bahnsteig befand sich nun auch der ihm nacheilende Polizeitrupp und feuerte auf ihn aus ca. 1,50 Meter Entfernung. Wolfgang Grams wurde getroffen und rückwärts vom Bahnsteig auf das Bahngleis 4 vor die Bahnsteigkante geschleudert. Die GSG-9-Beamten Nr. 3 und 6 setzten unmittelbar nach. Wolfgang Grams umklammerte zu diesem Zeitpunkt die Pistole mit der rechten Hand. Sie wurde ihm von einem der beiden nachgeeilten GSG-9-Beamten mit einem Entwindungsgriff abgenommen. Mit einem aufgesetzten Nahschuß wurde ihm von diesem GSG-9-Beamten in die rechte Schläfe geschossen. Der Schuß war tödlich. Der GSG-9-Beamte Nr. 3 verließ das Gleisbett. Der GSG-9-Beamte Nr. 8 trat an das Gleis heran. Das gesamte Geschehen dauerte wenige Sekunden.

II.

Die staatsanwaltschaftliche Einstellungsverfügung geht in ihrem Abschlußvermerk von folgendem festgestellten Sachverhalt aus: Wolfgang Grams habe sich die Treppe zum Bahnsteig 3/4 hochbewegt. Die GSG-9-Beamten Nr. 2, 3, 5, 6, 7 u. 8 sowie Newrzella seien ihm nachgestürmt. Newrzella und der Zeuge GSG 9 Nr. 5 hätten die Verfolger angeführt. Wolfgang Grams habe sich auf dem Bahnsteig nach links gedreht und Newrzella, der seine Pistole nicht gezogen gehabt hätte, Schüsse in die Brust und beide Beine versetzt sowie einen Streifschuß an der linken Gesäßpartie. Newrzella sei daraufhin am oberen Ende der Treppe zu Boden gestürzt. Der GSG-9-Beamte Nr. 5 habe von Wolfgang Grams Schüsse in den Oberschenkel, auf die Magazintasche und in den linken Oberarm erhalten. Wolfgang Grams habe sich nunmehr auf dem Bahnsteig zwischen Treppengeländer und Bahnsteigkante nach links (westwärts) bewegt und dabei weiter auf die die Treppe heraufstürmenden GSG-9-Beamten geschossen. Diese hätten ihrerseits während Wolfgang Grams Schüssen auf Newrzella das Feuer auf Wolfgang Grams erwidert. Der GSG-9-Beamte Nr. 6 habe hinter einem Pfosten am linken Ende des Aufganges auf der obersten Stufe Deckung gesucht. Wolfgang Grams habe bei diesem 8 - 15 Sekunden dauernden Schußwechsel insgesamt 5 Treffer erhalten: Schuß auf die Magazintasche, Beinsteckschuß, streifender Durchschuß, Bauchsteckschuß, perforierender Schuß durch Hose und Portemonnaie ohne Verletzung. Er sei rückwärts auf das Gleis gestürzt, wo er liegenblieb. Noch bevor die GSG-9-Beamten ihm nachgesetzt hätten, habe er sich in Suizidabsicht einen Kopfdurchschuß versetzt. Erst etwa 30 bis 60 Sekunden nach Beendigung der Schußabgabe sei der GSG-9-Beamte Nr. 6 zu Wolfgang Grams auf das Gleis getreten und habe diesen mit der beidhändig auf dessen Kopf gerichteten Dienstwaffe gesichert. Wenig später sei der Beamte GSG 9 Nr. 8 ebenfalls zu Wolfgang Grams ins Gleisbett getreten. Weitere Schüsse seien nicht gefallen.

Der vorgenannte Sachverhalt wird von einer verständigen Würdigung der Ermittlungsergebnisse nicht getragen.
1. Die dem Einstellungsergebnis der Staatsanwaltschaft zugrundegelegten Gutachten werden in wesentlichen Punkten durch die von uns anliegend vorgelegten Gutachten widerlegt.
2. Der von der Staatsanwaltschaft festgestellte Sachverhalt steht darüber hinaus mit einer Ausnahme in eklatantem Widerspruch zu den Aussagen der nicht am Schußwechsel beteiligten unmittelbaren Zeugen St., J., D., T. und W.
3. Die Staatsanwaltschaft hat schließlich eine Reihe von sich aufdrängenden Ermittlungsmaßnahmen unterlassen bzw. nicht zu Ende geführt, soweit diese das von ihr vorgelegte Ergebnis hätten desavouieren können.

III.

Unter der Überschrift "objektive Beweismittel" hat die Staatsanwaltschaft in ihrem Abschlußvermerk versucht, ihre Selbstmordtheorie mit Ergebnissen verschiedener rechtsmedizinischer Untersuchungen und Gutachten zu belegen. Zusammenfassend wird in Hinblick auf den tödlichen Kopfdurchschuß u.a. behauptet, daß aufgrund der Blutspuren an der Wolfgang Grams zugeordneten Waffe und seiner Kleidung feststehe, daß dieser sich selbst erschossen habe.
Die Unterzeichner haben zur Überprüfung der der Beurteilung der Staatsanwaltschaft zugrundeliegenden Gutachten ihrerseits den Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Herrn Prof. Dr. med. W. Bonte beauftragt. Dieser hat das Ergebnis seines Gutachtens wie folgt zusammengefaßt:
"Hauptziel aller durchgeführten Untersuchungen war festzustellen, ob der tödliche Kopfschuß von Herrn Grams selbst abgegeben wurde oder von einem der GSG-9-Beamten. Alle Gutachter gehen übereinstimmend davon aus, daß der Schuß aus der Brünner CZ 75 kam. Hieran ist nicht zu zweifeln. Indes beweist dieses nicht, daß Herr Grams diese Waffe bei Schußabgabe geführt hat.
Die Untersuchungen wurden durch strategische Fehler erheblich gestört, wodurch wichtige Rückschlüsse nicht mehr oder nur noch eingeschränkt möglich waren. Dieses wurde insbesondere von Züricher Gutachtern verdeutlicht. Sie sahen sich zu einer sicheren Differenzierung zwischen Selbst- und Fremdtäterschaft nicht in der Lage.
Eine sichere Beurteilung wurde ausschließlich von Prof. Brinkmann vorgenommen. Er stützt die Annahme einer Selbsttäterschaft im wesentlichen auf zwei Argumente:
1. Die Waffe muß so schnell zu Boden gefallen sein, daß sie diesen erreichte oder nahezu erreichte, bevor ein zunächst nach oben spritzender Spray aus Blut und Gewebeteilen darauf herabregnen konnte. Nach Ansicht von Prof. Brinkmann wird diese Bedingung nur erfüllt, wenn man davon ausgeht, daß eine sofort einsetzende atonische Lähmung die Waffe aus der Hand freigab. Damit sei Selbsttäterschaft bewiesen.
2. Bei Fremdtäterschaft hätte die Bekleidung des Täters mit solchen Partikeln bespritzt werden müssen; die entsprechenden Untersuchungen hätten aber ein negatives Ergebnis gehabt. Folglich sei Fremdtäterschaft auszuschließen.

In der vorliegenden Stellungnahme wurden insbesondere diese Argumente einer eingehenden Analyse unterzogen. Sie kam zu dem Ergebnis, daß beide Argumente nicht zwingend oder falsch sind:
1. Die Waffe wurde im Augenblick des Einschusses bespritzt. Alle Gegenargumente sind sicher widerlegbar. Ein Rückschluß auf Selbsttäterschaft ist wissenschaftlich nicht haltbar.
2. Anders als bei Prof. Brinkmann verliefen die Untersuchungen bei Prof. Bär positiv. Die Interpretation dieses Befundes ist allerdings durch fehlerhafte Handhabung erschwert. Fremdtäterschaft ist nicht zwingend abzuleiten. Keinesfalls ist sie auszuschließen.
Entgegen der Annahme von Prof. Brinkmann ist also weder Selbsttäterschaft bewiesen, noch Fremdtäterschaft ausgeschlossen. Eine sichere Differenzierung ist anhand der vorgelegten Untersuchungsergebnisse nicht möglich.

Es erscheint lohnenswert, der Ursache der charakteristischen Hautabschürfungen auf dem rechten Handrücken von Herrn Grams experimentell nachzugehen (Entwindungsgriff?) und die wissenschaftlich angreifbare Schußentfernungsbestimmung zu überprüfen".
Die zuvor angesprochene charakteristische Hautabschürfung auf dem Handrücken von Wolfgang Grams wurde erstmals im Gutachten des IRM Zürich vom 15.11.1993 mit dem Tatgeschehen in Zusammenhang gebracht.
Dieses führte am 30.11.1993 zu einer Beauftragung des Rechtsmediziners Prof. Dr. med. Sellier, der bereits am 12.12.1993 sein Gutachten erstattete. Hierin führte er als Ergebnis aus, "am ehesten bietet sich an, diese Hautveränderung durch Einwirkung von Schotter zu erklären...". Dieses Ergebnis führte dazu, daß die Frage der Hautabschürfung im staatsanwaltschaftlichen Abschlußvermerk keine weitere Erwähnung fand.
Prof. Dr. Bonte ging im Auftrag der Unterzeichner der charakteristischen Verletzung der rechten Hand in einem Ergänzungsgutachten weiter nach, das er wie folgt zusammenfaßte:
"Die auf dem rechten Handrücken von Wolfgang Grams festgestellte bogenförmige Hautabschürfung und -rötung läßt sich widerspruchsfrei durch einen streifenden Kontakt mit dem Hahnende im Rahmen eines Entwindungsgriffs erklären. Form und Aussehen der Hautveränderung sind im Experiment in weitestgehender Annäherung reproduzierbar. Auch beim Herausziehen der zwischen Schotterbett und Gesäß eingeklemmten Hand hätte es im Prinzip zu einer Verletzung am gleichen Ort kommen können. Es ist unwahrscheinlich, daß dabei eine regelmäßige viertelelliptische Rötung ohne durchgehend sichtbare Hautabschürfung entstanden wäre. Mit Sicherheit wäre es zu einer umschriebenen Hautabschürfung in der Nähe des Daumengrundgelenks gekommen, nicht aber im handgelenksnahen Bereich, wie im vorliegenden Fall."
Die beiden von Herrn Prof. Dr. Bonte erstatteten rechtsmedizinischen Gutachten vom 29.03.1994 und vom 19.05.1994 werden anliegend vorgelegt. Auf den Inhalt wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
Aufgrund der vorgelegten Gutachten ist die Behauptung der Staatsanwaltschaft, wonach Wolfgang Grams zwingend Selbstmord begangen haben soll, nicht mehr zu halten. Vielmehr besteht der hinreichende Verdacht, daß Wolfgang Grams die ihm zugeordnete Waffe entwunden worden ist, wodurch die charakteristischen Verletzungen an seiner rechten Hand entstanden.

IV.

Um die vorliegenden Zeugenaussagen zu objektivieren, setzen wir uns zunächst mit den verschiedenen Bekundungen von fünf Zeugen auseinander, die nicht selbst unmittelbar in das Zugriffsgeschehen verwickelt gewesen sind. Dies sind die Zeugen St. (BKA Nr. 12), T., J., L. D. und W..

1. Direkte Zeugen

Der Zeuge St., Beamter des BKA, hat sich auftragsgemäß als Beobachter auf dem Stellwerk ca. 300 Meter westlich des Bahnhofes Bad Kleinen in angeblich ca. 20 Meter Höhe aufgehalten. Er schildert während zweier Vernehmungen und in einem Vermerk seine Wahrnehmungen. "Beobachten konnte ich, wie eine Personengruppe vom Aufgang kommend sich der Bahnsteigkante näherte. Eine Person drehte sich dann in Richtung des Aufganges um. Zeitgleich mit dem Umdrehen hörte ich zwei Schüsse, auf die dann mit sehr kurzer zeitlicher Unterbrechung eine Salve von Schüssen folgte. Während die Schüsse fielen, wurde eine Person rückwärts auf die Gleise geschleudert, wo sie auf dem Rücken liegen blieb. Zwei Personen sprangen ihr nach und blieben neben der Person stehen". "Ich möchte auch noch einmal erwähnen, daß ich diese Beobachtungen vom geöffneten Fenster des Stellwerkes aus gemacht habe. Dieser von mir geschilderte Ablauf spielte sich nach meiner Schätzung innerhalb von 10 bis 15 Sekunden ab ".

Der Zeuge Martin J., BGS Beamter in Ausbildung und dienstlich wohl nicht in den Einsatz involviert, befand sich am Übergang des Bahnsteiges 3/4 zum Bahnsteig 5. Auch der Zeuge J. beobachtete zunächst, daß "mehrere Zivilisten aus dem gleichen Aufgang auf den Bahnsteig stürmten. Eine einzelne Person, die zuerst aus der Unterführung kam, drehte sich um und ging rückwärts in Richtung Gleisanlage 4. Unmittelbar nachdem die Person sich umgedreht hatte, zog sie eine Waffe und schoß auf die Personen, die sie verfolgten. Diese einzelne Person (männlich) ging langsam rückwärts weiter und stürzte dann rücklings auf die Gleise und blieb regungslos liegen... Die erste Person, die sich dann rückwärts in Richtung Gleise bewegte und dann auch schoß, wurde meiner Meinung nach von ca. 7 männlichen Personen verfolgt. Diese Personen konnte ich auf dem Bahnsteig sehen... Zwischen der rückwärts gehenden Person und den Verfolgern befand sich meiner Meinung nach ein Abstand von ca. 150 cm. Diese Abstandsangabe zwischen den Personen kann ich deshalb ziemlich genau schätzen, weil das Geländer vom Niedergang bis zu den Gleisen ca. 3 Meter beträgt, der erste Verfolger sich ungefähr in der Mitte zwischen Geländer und Bahngleisen befand... Unmittelbar nach dem Sturz auf die Gleise war ein Verfolger bei der Person, d.h. diese Person sprang auch auf die Gleise und hielt eine Waffe in Kopfhöhe des Liegenden. Diese Person, die die Waffe in der Hand hielt, stand seitlich zu mir gerichtet... Die ganze Aktion verlief in Sekundenschnelle". Die vorstehenden Angaben machte der Zeuge J. während seiner ersten Vernehmung am 04.07.1993. Später rückte er von diesen Angaben zum Teil ab.

Die zum Tatzeitpunkt einundsiebzigjährige Zeugin Lisbeth D. befand sich mit ihrem Ehemann und einer weiteren älteren Frau zwischen Treppenaufgang und Bahnhofshäuschen auf dem Bahnsteig 3/4. Nach ihrer Beobachtung bekam ein junger Mann, der ein Funkgerät in seiner rechten Hand trug, folgende Mitteilung: "Jetzt kommen sie zum Treppenaufgang". Einige Sekunden später lief der junge Mann vom Bahnsteighäuschen direkt in gebückter Haltung an ihr vorbei. Dabei konnte sie erkennen, daß er eine Pistole in der Hand hielt. Während der Mann auf den Treppenaufgang zulief nahm sie den Beginn der Schießerei wahr. "Ich weiß auch nicht, wo die vielen Leute so schnell herkamen; sie standen jedenfalls aus meiner Sicht auf der linken Seite des Treppenaufganges. Ich kann auch nicht genau sagen, welche Personen gezielt auf andere Personen geschossen haben. Plötzlich nahm ich rechts von den Treppen mehrere Personen wahr, von denen eine männliche Person über das Gleis 4 in Richtung Gleis 5 (unvollständig). Auf dem Gleis wurde er dann - wie ich meine - von einem Schuß in den Rücken getroffen. Noch in dem selben Moment ist er aus meiner Sicht rückwärts auf das Gleis gefallen und liegen geblieben...Die Schießerei hörte dann auf. Ich bin mit meinem Mann und der Frau sofort von unserem Standort schnell weggegangen in Richtung Bahnsteighäuschen "

Der Zeuge T. befand sich als Lokomotivführer an dem dem Gleis 4 zugewandten linken Fenster der Lokomotive auf Gleis 5 und unterhielt sich mit der dort stehenden Zugführerin, der Zeugin Sigrid H. "Während dieses Gespräches hörte ich aus dem Fußgängertunnel laute Rufe und Geräusche, die mich an Knallkörper oder KK-Gewehre erinnerten. Unmittelbar danach sah ich mehrere Personen aus dem Aufgang Richtung Aufsicht laufen. Die Person, die den Bahnsteig als erste erreichte, drehte sich, nachdem sie den Bahnsteig erreicht hatte, sofort um und schoß in Richtung Aufgang... Diesen Mann habe ich nur von hinten gesehen. Ich habe gesehen, daß dieser Mann mehrmals geschossen hat und sich dabei rückwärts in Richtung Bahngleis bewegte". In einer weiteren Vernehmung führte der Zeuge T. aus: "Ich hörte laute Rufe, was gerufen worden ist, kann ich nicht sagen. Weiterhin hörte ich auch etwas knallen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch keine Personen auf dem Bahnsteig 3/4... Auf nochmalige Nachfrage gebe ich an, daß ich mir hundertprozentig sicher bin, daß ich noch keine Personen auf dem Treppenaufgang des Bahnsteiges 3/4, Richtung Wismar gesehen (von meinem Standort), aber gleichzeitig schußähnliche Geräusche wahrnahm".

Schließlich ist der Zeuge W. anzuführen, der sich am 02.07.1993 an das BKA wandte. Dort bekundete er, sich zwanzig bis dreißig Meter von dem gegenständlichen Treppenaufgang entfernt aufgehalten zu haben. "Ich habe mich dann sofort umgedreht, und in die Richtung geschaut, aus der die Schüsse kamen. Es war eine sehr schnelle Abfolge von Einzelschüssen, die nicht aus einer Maschinenpistole stammten. Von meinem Standpunkt aus konnte ich lediglich eine Person sehen, die mit einer Pistole Schüsse abgab... Ich habe ihn (gemeint ist Wolfgang Grams) zum ersten Mal bewußt wahrgenommen, als er schon fast an der Bahnsteigkante war. Zuvor habe ich noch eine Pulverdampfwolke wahrgenommen. Ich sah, wie Grams rückwärts gehend vom Bahnsteig hinunter in den Gleisbereich trat und von dort aus in leicht geduckter Haltung in Richtung Treppenaufgang schoß. Ich kann nicht sagen, ob er mit einer Hand oder beidhändig schoß. Ich kann auch nicht sagen, wieviele Schüsse er abgegeben hat. Während ich versuchte zu erkennen, wer die anderen Schützen waren, bzw. auf wen Grams schoß, fiel er nach hinten über und blieb mit dem Kopf auf den Schienen liegen. Genau zu diesem Zeitpunkt brach die Schießerei ab. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich auch keine weiteren Schützen gesehen... Ich kann mit absoluter Sicherheit sagen, daß, nachdem Grams nach hinten umgefallen war, kein weiterer Schuß gefallen ist... Meiner Erinnerung nach hat der Schußwechsel ca. 5-10 Sekunden gedauert. Eine deutliche Zeit später, wie ich mich zu erinnern meine, etwa eine Minute später, kamen zwei männliche Personen in mein Blickfeld auf den Bahnsteig. Sie hielten in ihren Händen Pistolen. Sie gingen hintereinander versetzt in Richtung Grams. Der hintere der beiden verharrte auf dem Bahnsteig in beidhändigem Anschlag, wobei er auf den Bauch/Brustbereich von Grams zielte. Der Vordere stieg in den Gleisbereich und ging auf Grams linker Seite um diesen herum. Dabei hatte er ständig seine Waffe auf dessen Kopf gerichtet".

Die Angaben des Zeugen W. und das Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft Schwerin stimmen in den wesentlichen Punkten überein. Wolfgang Grams soll sich also allein auf dem Bahnsteig befunden und als erster geschossen haben. Dann soll Wolfgang Grams laut dem Zeugen W. in das Gleisbett 4 getreten sein und von dort weiter in geduckter Haltung geschossen haben. Nach seinem Zusammenbrechen soll er dort bis zu einer Minute allein gelegen haben, bevor der erste GSG-9-Beamte zu ihm ins Gleisbett trat. Dieser sei durch einen weiteren Beamten an der Bahnsteigkante gesichert worden. Schüsse seien nicht mehr gefallen.
Dagegen stehen die im wesentlichen übereinstimmenden Bekundungen der Zeugen St., J., D. und T., soweit deren Beobachtungen reichten. Sie schildern, daß sie durch Lärm und Schüsse auf eine Gruppe von Personen aufmerksam werden, die die Treppe vom Tunnel zum Bahnsteig 3/4 heraufstürmen. Wolfgang Grams biegt auf dem Bahnsteig als erster nach links um den Pfosten am Geländer, dreht sich mit dem Rücken zum Gleis 4 und zieht eine Waffe. Die Verfolger erreichen unmittelbar danach den Bahnsteig. Aus einer Gruppe von 5 bis 7 Beamten wird in Richtung Wolfgang Grams geschossen. Dieser wird daraufhin mit Wucht rückwärts auf das Gleis 4 geschleudert und bleibt dort quer zum Gleis regungslos liegen. Unmittelbar danach springen wenigstens zwei der Verfolger mit gezogenen und auf Kopf und Körper gerichteten Schußwaffen ins Gleis. Der gesamte Vorgang dauert nach übereinstimmenden Aussagen 8 - 15 Sekunden.
Besondere Beachtung ist hierbei den Angaben des Zeugen St. zu widmen. Er war als Mitglied des BKA-MEK als professioneller Beobachter des Geschehens auf einer Aussichtsplattform eingesetzt. Als Beamter des BKA-MEK ist er auch ein geschulter Zeuge, der anders als sog. "Trouble-Zeugen" nicht in gleicher Weise affektgeladen am beobachteten Geschehen beteiligt war. Zudem befand er sich an einer ausgesprochen sicheren Stelle, im Gegensatz zu den übrigen Zeugen, die sich direkt im Bereich einer möglichen Schußeinwirkung aufgehalten haben. Soweit also dem Zeugenbeweis zur Ermittlung eines strafrechtlich relevanten Geschehens überhaupt eine Bedeutung eingeräumt werden kann, handelt es sich insoweit bei Herrn St. um einen geradezu klassischen Zeugen, dessen Aussage besonderes Gewicht zukommt. Dies wiegt umso schwerer, als die Angaben des Zeugen St. in den entscheiden Punkten von den genannten Zeugen J., D. und T. bestätigt werden. Für die Glaubhaftigkeit seiner Angaben spricht schließlich, daß der Zeuge über sämtliche Vernehmungen hinweg und unter Druck und Verdächtigungen seine Aussage in allen entscheidenden Punkten aufrecht erhalten hat.

Das weitere Geschehen kann durch diese Zeugen nicht aufgehellt werden. Der Zeuge St. wandte seine Aufmerksamkeit ab diesem Zeitpunkt der Fahndung nach der angeblich flüchtigen sog. Zielperson 2 zu und blickte ins weitere Umfeld. Der Zeuge J. wurde durch einen in Kopfhöhe zur Linken von Wolfgang Grams stehenden Beamten in seiner Sicht behindert. Die Zeugin D. suchte unmittelbar nach dem Sturz von Wolfgang Grams auf die Gleise zusammen mit ihren Begleitern Deckung hinter dem Bahnsteighäuschen. Der Zeuge T. beobachtete das Geschehen bis zum Schußwechsel auf dem Bahnsteig. Noch bevor Wolfgang Grams auf die Gleise stürzte, wandte der Zeuge seine Aufmerksamkeit der von einer Polizeikugel getroffenen Zugführerin zu.
Die Aussage der Zeugin D. wird in dem Abschlußvermerk der StA Schwerin an einer für den zeitlichen Ablauf des Geschehens nicht unbedeutenden Stelle verfälscht. Dort heißt es: "Nachdem eine Weile Ruhe geherrscht habe, habe sie hinter dem Bahnsteighäuschen hervorgeschaut und gesehen, wie eine Person vom Bahnsteig an die auf dem Gleis liegende Person herangetreten sei...". Tatsächlich hat die Zeugin D. ausweislich des Vernehmungsprotokolls ausgesagt: "...Nachdem wir dann nichts mehr gehört hatten, traute ich mich wieder hinter dem Häuschen hervor und ging in Höhe des Häuschens dem Bahnsteig zu. Von dort konnte ich sehen, wie ein Mann mit einer Pistole in der Hand vor dem quer über dem Gleis liegenden Mann stand."
Durch die verfälschte Aussage wird suggeriert, daß die Zeugin erst nach einer Weile den ersten GSG-9-Beamten auf Wolfgang Grams habe zugehen sehen. Diese Darstellung entspricht zwar dem gewünschten Ergebnis, wonach die ersten GSG-9-Beamten erst nach 30 bis 60 Sekunden an Wolfgang Grams herangetreten seien, hat mit der tatsächlichen Beobachtung der Zeugin aber nichts mehr zu tun.
Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Staatsanwaltschaft Schwerin in Kenntnis der vorzitierten Bekundungen der Zeugen einseitig der Aussage des Zeugen W. folgt, während sie die weitgehend übereinstimmenden Aussagen der Zeugen St., J., D. und T. ignoriert. Dieses ist auch nicht mit der geänderten Aussage des Zeugen und BGS-Anwärters J. zu erklären, der seine anfänglich präzisen und detaillierten Angaben während der Vernehmungen am 17.08.1993 relativierte und dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsergebnis anpaßte.
Grundsätzlich gilt für die tatnächste Aussage eines Zeugen die Annahme der größten Authentizität. Nach seiner ersten Vernehmung am 04.07.1993 durch das LKA MV bestätigte der Zeuge am 12.07.1993 vor dem LKA MV nochmals ausdrücklich seine Angaben vom 04.07.1993. Er betonte, "obwohl ich mir nach diesem Ereignis immer wieder Gedanken gemacht habe, kann ich nur den von mir in meiner Vernehmung geschilderten Ablauf wiederholen". Erst in der Vernehmung der Staatsanwaltschaft Schwerin vom 17.08.1993 rückte der Zeuge in entscheidenden Details von seinen früheren Angaben ab. Zwischenzeitlich war die öffentliche Diskussion um die Ereignisse von Bad Kleinen fortgeschritten und es liegt nahe, daß diese Diskussion das Aussageverhalten des Zeugen nicht unerheblich beeinflußt haben dürfte.

Als Fazit ist festzustellen, daß sich aufgrund des überwiegenden Teils der Zeugenaussagen für den Zeitraum bis unmittelbar vor dem tödlichen Kopfschuß schlüssig nur ein anderer als der von der Staatsanwaltschaft festgeschriebene Tatablauf ergibt.

2. Zeugin Baron

Einzige namentlich bekannte Tatzeugin der Tötung von Wolfgang Grams ist derzeit die Zeugin Baron. Ihrer Aussage ist daher besonderes Gewicht beizumessen. Trotz der folgenden Kritik an der staatsanwaltschaftlichen Bewertung der Zeugenaussage bleibt vorauszuschicken, daß sich die Zeugin bei der Wahrnehmung der Ereignisse in einer Situation befand, in der massiver Streß ausgelöst wurde. In der forensischen Wahrnehmungspsychologie existieren bis heute kaum fundierte Erkenntnisse über die exakten Auswirkungen von Streß und Erregung auf Zeugenbeobachtungen. Es ist aber davon auszugehen, daß massiver Streß mit hoher Wahrscheinlichkeit die Verarbeitung von Informationen beeinträchtigt und die Aussageleistung reduziert.
Trotz verschiedener Inkonsistenzen der Aussage der Zeugin bleibt bedeutsam, daß die Kernaussage über die verschiedenen Befragungszeitpunkte gleich bleibt. Diese besteht im folgenden Ablauf: Feuer; dann eine Person auf dem Gleis liegend; ein Mann der dabeistand; erneutes Mündungsfeuer; ein weiterer Mann, der hinzukam; Schußgeräusch, daß sich vom vorherigen unterschied.
Die Tatsache, daß diese Konstanz bezüglich des Kerngeschehens vorliegt, obwohl im Anschluß an den Vorfall alle möglichen Hergangsversionen öffentlich diskutiert wurden und auch von Medienvertretern direkt mit der Zeugin erörtert wurden, spricht für einen realen Wahrnehmungshintergrund. Das soll heißen, daß die diskutierten unterschiedlichen Versionen die Darstellung der Zeugin Baron nicht beeinflußt haben. Die Aussage gegenüber Monitor, daß auf den Kopf von Herrn Grams geschossen worden sein soll, kann nicht herangezogen werden, da diese von Frau Baron nicht selbst geäußert wurde, auch wenn sie sie später unterschrieb. Die Tatsache, daß sie sich in späteren Vernehmungen immer von der ihr zugeschriebenen Äußerung distanzierte, zeigt eher, daß ihre Erinnerungen nicht durch Dritte beeinflußt wurden.

Im folgenden sollen beispielhaft Wertungen der Staatsanwaltschaft bezüglich der Aussagen der Zeugin Baron untersucht und kritisch gewürdigt werden.
Ohne genaue Fundstelle zitiert die staatsanwaltschaftliche Abschlußverfügung: "Unerklärlich ist, wie die Zeugin in diesem Zusammenhang zu der Formulierung "nicht mehr" kommen konnte. Am 09.08.93 hat sie unter Eid erklärt, die erste Person, bei der sie überhaupt eine Pistole wahrgenommen habe, sei der zuletzt hinzutretende Beamte gewesen. Bei dem ersten Beamten habe sie die Pistole erstmals gesehen, nachdem sie das "Feuer" und insgesamt vier Knallgeräusche wahrgenommen hatte und beide Beamte bei Grams standen. Die Formulierung "nicht mehr" deutet jedoch darauf hin, daß sie bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine Waffe gesehen hat. Gleichermaßen nicht nachvollziehbar ist die von der Zeugin in derselben Vernehmung gewählte Formulierung, sie habe anschließend bei dem zweiten Schuß des ersten Beamten "wieder Feuer" gesehen, wenn sie bei diesem Beamten zuvor überhaupt noch kein Mündungsfeuer gesehen hatte."
"Nicht mehr" bezieht sich offensichtlich auf "Mündungsfeuer" und nicht auf "Pistole", wie sich auch aus dem vorherigen Abschnitt der staatsanwaltschaftlichen Beweisführung ergibt. Nachdem die Zeugin doch im Zusammenhang mit der ersten bei den Gleisen stehenden Person von Mündungsfeuer gesprochen hatte, erscheint es überhaupt nicht widersprüchlich, später Mündungsfeuer "nicht mehr" bzw. "wieder Feuer" gesehen zu haben. Die Zeugin differenzierte explizit zwischen der Wahrnehmung von Mündungsfeuer einerseits und von einer Pistole andererseits. Die Schilderung, zunächst Feuer gesehen und dann später die Pistole wahrgenommen zu haben - die Zeugin hat niemals gesagt: "Ich habe Mündungsfeuer aus dem Lauf der Pistole gesehen", wie die Formulierung des staatsanwaltschaftlichen Abschlußvermerkes nahelegt - spricht keineswegs gegen die Richtigkeit der Aussage, sondern fast eher für die Wiedergabe von einzelnen Beobachtungen, die nicht im nachhinein durch logische Verbindungen zusammengeführt wurden.
Ein typischer Wahrnehmungsfehler wäre dagegen beispielsweise: Zeuge A sieht Person B mit Pistole in der Hand, hört einen Schuß und gibt später an, gesehen zu haben, daß B schoß. Die Gefahr, daß zwei Beobachtungen miteinander verknüpft werden, weil dies plausibel erscheint, ist groß. Die Tatsache, daß Frau Baron angibt, die Pistole erst später wahrgenommen zu haben, spricht insofern dafür, daß solch ein Interferenzfehler von ihr nicht gemacht wurde.
Die Schlüsse der Staatsanwaltschaft bezüglich der Anzahl der von der Zeugin Baron im Gleisbett wahrgenommen Personen sind nicht nachvollziehbar: "Die von der Zeugin gewählten Bezeichnungen 'erste', 'zweite' Person usw. deuten darauf hin, daß sie insgesamt vier Personen auf dem Gleis gesehen haben will. Bei der neben dem Liegenden stehenden Person handelt es sich anscheinend nicht um die zuerst allein wahrgenommene stehende und 'ballernde' Person. Andernfalls hätte die Zeugin von einer Person sprechen müssen, die neben der ersten Person gelegen habe. Es handelt sich mithin bei der zunächst allein neben Grams stehenden Person um insgesamt die dritte von ihr beobachtete Person. Bei der schließlich hinzutretenden weiteren Person handelt es sich folglich um insgesamt die vierte Person".
Es ist nicht richtig, daß jemals von vier Personen gesprochen wurde. Vielmehr ist es so, daß mit "erster Person" einmal die auf dem Gleis liegende Person (= Wolfgang Grams) bezeichnet wurde und ein anderes Mal die erste im Gleis stehende Person, um die herum das erste Feuer wahrgenommen wurde, gemeint waren.
Vor diesem Hintergrund kann auch die Schlußfolgerung nicht nachvollzogen werden: "Mithin müßte es eine weitere (dritte) ebenfalls mit einer weinroten Jacke bekleidete Person gegeben haben".
"Erkennbar weinrot gekleidet war, wenn auch mit T-Shirt und Pullunder, lediglich Grams.". Diese Feststellung der Staatsanwaltschaft ist unzutreffend.
Der Zeuge GSG 9 Nr. 3 war mit einem rosaviolett-farbenen Sweatshirt bekleidet (= weinrot), der Zeuge GSG 9 Nr. 8 trug ein weinrotes Sweatshirt, das bezeichnenderweise von dem Zeugen nie zur kriminaltechnischen Untersuchung abgegeben worden ist. Weinrote Jacken im eigentlichen Sinn hatte ohnehin niemand der Beteiligten an. Das im Abschlußvermerk angeführte Rettungspersonal kann ernst gemeint außer Betracht bleiben. Diese Überlegung ist abwegig, da das Rettungspersonal in einem komplett anderen Kontext agiert hat und die Farbe ihrer Bekleidung grell orange war.
Die staatsanwaltschaftlichen Tautologien setzen sich mit folgender Feststellung fort: "Eine Erklärung, wie Grams zu einem auf dem Gleis stehenden um sich schießenden Polizeibeamten gelangt sein könnte, ist nicht erkennbar, zumal er zu dieser Zeit zumindest auf Newrzella und den GSG-9-Beamten Nr. 5 geschossen haben muß...". Tatsächlich hat die Zeugin immer gesagt, daß sie die liegende Person auf dem Gleis erst wahrgenommen hat, als sie bereits dort lag. Selbst die Tatsache, daß sie die liegende Person erst kurze Zeit nach der stehenden Person wahrgenommen hat, bedeutet keineswegs, daß sich die liegende nicht bereits vorher dort befunden hat. Hätte die liegende Person sich zuvor an der schießenden Person vorbeibewegt, hätte das die Zeugin sicher wahrnehmen müssen. Eine entsprechende Äußerung wurde von ihr nie gemacht.

Bei der Beurteilung der Zeugin Baron zeigt die Staatsanwaltschaft wenig Differenzierungsvermögen, wenn sie feststellt: "Die Zeugin ist offenbar nicht in der Lage, logische Brüche in ihren Aussagen oder immanente Widersprüche zu erkennen und ihre Aussage unter diesem Aspekt kritisch zu überprüfen. So macht die kausale Verknüpfung 'keine Erinnerung an Schüsse' mit 'keine Mündungsfeuer gesehen' keinen Sinn. Entweder hat die Zeugin vergessen ('weiß nicht mehr'), ob geschossen worden ist, oder sie kann nicht sicher sagen, ob geschossen worden ist, weil sie sich daran erinnert, nur Knallgeräusche gehört, aber keinerlei Mündungsfeuer gesehen zu haben. In keinem Fall ist die sichere Erinnerung daran, kein Mündungsfeuer gesehen zu haben, ein nachvollziehbarer Grund für einen Erinnerungsverlust hinsichtlich der Schußabgabe".
Zu den Grundsätzen der Verwertbarkeit einer Zeugenaussage zählt zuvorderst, daß der Zeuge zwischen eigenen Wahrnehmungen und Schlußfolgerungen unterscheidet. Fehler in Zeugenaussagen treten gerade dann auf, wenn eigene Wahrnehmungen reflektiert und Wahrnehmungs- oder Erinnerungslücken "logisch" ausgefüllt werden bzw. vermeintliche Widersprüche im Nachhinein abgeleitet werden.
Wenn für die Zeugin Baron ein beobachtetes Mündungsfeuer ein sicheres Indiz ist, daß an dieser Stelle geschossen wurde, scheint es durchaus plausibel, daß sie die bloße Wahrnehmung eines Knalles ohne Mündungsfeuer als nicht ausreichend betrachtet, um sagen zu können, ob diese Person geschossen hat oder nicht. Es wird ein recht hoher Anspruch an die sprachliche Differenziertheit der Zeugin gestellt, wenn die Äußerung "ich weiß nicht mehr" nicht als mögliches Synonym für "ich weiß nicht genau" betrachtet wird. Inwieweit die Tatsache, daß die Zeugin erst seit 1972 in Deutschland lebt, bei der Frage etwaiger sprachlicher Unschärfen zusätzlich zu berücksichtigen ist, läßt sich ohne Kenntnis der Zeugin und sachverständige Würdigung ihrer verbalen Fähigkeiten nicht ausreichend beurteilen.

Die staatsanwaltschaftliche Bewertung der Aussage der Zeugin Baron ist auch zu kritisieren, wenn sie feststellt: "Selbst Ereignisse, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Schußwechsel auf dem Bahnsteig stehen, schildert sie in ein und derselben Vernehmung in einander logisch ausschließenden Varianten. So hat sie erklärt, dem Zeugen S. gegenüber am 27.07.1993, also drei Wochen, nachdem sie spätestens im Rahmen der Vernehmung vom 05.07.93 darauf aufmerksam geworden war, daß in der eidesstattlichen Erklärung sowohl der von ihr angeblich beobachtete Sturz einer Person auf das Gleis als auch die Schußabgabe auf den Kopf entgegen ihren damaligen Angaben gegenüber dem Zeugen S. zu Unrecht aufgeführt worden sind ..., bestätigt zu haben, daß sie zu der eidesstattlichen Erklärung nach wie vor stehe (...). Andererseits will sie dem Zeugen S. gegenüber betont haben, daß sie von Schüssen auf den Kopf nichts gesehen habe; diesen Einwand habe der Zeuge S. mit dem Einwand beiseite gewischt, es sei 'richtig so, es hätte ja auch der Kopf sein können'. Daß sie zumindest in diesem zentralen Punkt keineswegs zu dem Inhalt der Erklärung steht, ist der Zeugin offenbar entgangen".
Aus der Tatsache, daß die Zeugin Baron möglicherweise nicht immer in der Lage ist, die logischen Konsequenzen einer Äußerung zu durchschauen, ergibt sich nicht, daß sie nicht in der Lage wäre, Beobachtungen zutreffend wiederzugeben. Die Äußerungen der Zeugin zu den eidesstattlichen Erklärungen lassen sich im übrigen durchaus so verstehen, daß sie im Prinzip zu der Erklärung stehe, lediglich von Schüssen auf den Kopf nie gesprochen hat.

Die Staatsanwaltschaft hat unzutreffende Vorstellungen über die Wahrnehmungsfähigkeit von Trouble-Zeugen: "Es ist jedoch kaum nachvollziehbar, daß die Zeugin sich, falls sie tatsächlich beobachtet hätte, wie die beiden bei Grams stehenden Personen auf diesen schießen, ausgerechnet und ausschließlich auf die Jacke des ersten der beiden Schützen konzentriert haben will. Das Richten der Aufmerksamkeit auf bestimmte Umstände ('sich auf etwas konzentrieren') ist ein willensgesteuerter Vorgang, der sich gewöhnlich auf als wesentlich oder wichtig eingeschätzte Umstände oder Gedanken richtet. Welchen Grund ausgerechnet die Jacke einer der auf dem Gleis stehenden Personen für die Zeugin Baron von solch außergewöhnlicher Bedeutung sein sollte, daß sie unter Vernachlässigung aller anderen Umstände ihre gesamte Aufmerksamkeit gerade auf diese Jacke hätte richten sollen, ist unerfindlich".
Die Aussage: 'Ich habe nur auf die Jacke geachtet', bedeutet wohl keineswegs, daß die Aufmerksamkeit im Rahmen eines willensgesteuerten Vorganges auf ein bestimmtes Detail gerichtet wurde, sondern läßt sich ebenso gut verstehen, daß dieses Detail lediglich wahrgenommen wurde.

Zusammenfassend muß festgestellt werden, daß die Bewertung der Aussagen der Zeugin von der Staatsanwaltschaft in kaum nachzuvollziehender Weise mißinterpretiert und verkürzt worden sind, um sie schließlich als unglaubhaft abzutun. Angesichts der Tatsache, daß es sich bei Frau Baron um die derzeit einzige bekannte Tatzeugin handelt, weckt diese Vorgehensweise den Verdacht, daß sie systematisch demontiert werden sollte.

Dieser Verdacht wird dadurch bestärkt, daß die Staatsanwaltschaft den sich aufdrängenden Fragen aus den Vernehmungen der Zeugin nur in oberflächlichster Weise nachgegangen ist bzw. diesen gar nicht nachgegangen ist.
So verfügte der ermittelnde Staatsanwalt an den Unterabschnitt Ermittlungen des LKA MV u.a. die Fragen:
"a) Ist unter den Beleuchtungsverhältnissen, wie sie am Ereignistag gegen 15.15 Uhr auf den Gleisen Bahnsteig 3/4 Bahnhof Bad Kleinen geherrscht haben, Mündungsfeuer bei aus den Waffen der GSG-9-Beamten (P7) und der Waffe des Grams abgegebenen Schüssen bei Verwendung der festgestellten Munition sichtbar? Falls ja: wie stellt sich das Mündungsfeuer dar? Die Zeugin hat es als etwa 20 cm lange Flamme geschildert.
b) Sind die Schußgeräusche, die sich bei Schußabgabe aus den Waffen P 7 bzw. Brünner (Grams) ergeben, bei Verwendung der festgestellten Munition von einander unterscheidbar? Nach Angaben der Zeugin klangen die Schüsse des hinzutretenden Beamten leiser".

Das LKA MV (Dez. 600) wies die Staatsanwaltschaft darauf hin, daß die Beantwortung der obigen Fragen anhand der vorliegenden Informationen nicht möglich sei. Insbesondere fehlten Informationen über die Beleuchtungsverhältnisse am Ereignisort, den Standort der Schützen, eingeordnet in den Handlungsablauf, örtliche und zeitliche Zuordnung der Waffen etc. Das LKA schlug daher eine Nachstellung am Ereignisort vor.
Aus den Akten ergibt sich, daß die Staatsanwaltschaft diesen sachdienlichen Anregungen nicht gefolgt ist. Am 30.08.93 legte das LKA MV der Staatsanwaltschaft die Ergebnisse unter folgenden Einräumungen vor: "Die Untersuchungsergebnisse haben somit nur hinweisenden Charakter und können nicht auf die konkreten Verhältnisse von Bad Kleinen zum Ereigniszeitpunkt interpoliert werden".
Zusammenfassend wurde die Frage a) wie folgt beantwortet: "Abhängig von den Leuchtdichten der Betrachtungsflächen (Hintergrund) ist es möglich, daß Mündungsblitze aus den Waffen P 7 und CZ wahrgenommen werden können. Die P 7 hatte mit ca. 15 cm den längsten Mündungsblitz. Die Waffe P 7 war von der CZ anhand der Form und der Größe des Mündungsblitzes unterscheidbar..."
Die Frage b) wurde wie folgt beantwortet: "Die Untersuchungen erfolgten unter Freifeldbedingungen. Die Ergebnisse sind somit nicht auf die Verhältnisse von Bad Kleinen (Reflektionen, auch Abschattungen, Richtungsabhängigkeiten) übertragbar. Die subjektiven Einschätzungen wurden von Probanden vorgenommen, die im Bereich Schußwaffen- Schußwaffenuntersuchungen arbeiten. Nicht alle Probanden waren in der Lage, die Waffe P 7 von der Waffe CZ akustisch zu unterscheiden...
Schlußfolgerungen: Eine Rekonstruktion der optischen und akustischen Wahrnehmungen am Ereignisort scheint sinnvoll...".
Eine Staatsanwaltschaft, die sich auf die Selbstmordtheorie versteift hatte, ging dieser Anregung wiederum nicht nach, ebenso wie die reduzierten Ergebnisse der Versuche im Abschlußvermerk keinerlei Erwähnung fanden.

Die Staatsanwaltschaft hatte sich schnell in ihrem Vorurteil gegen die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugin Baron dermaßen festgelegt, daß sie wichtige Ermittlungsmaßnahmen unterlassen hat. In ihrer Vernehmung am 05.07.1993 gab die Zeugin auf die Frage nach dem Aussehen der verdächtigen Personen im Gleis an: "Die erste Person, die bei dem Liegenden stand, kam mir nicht sehr groß vor; der zweite war wesentlich größer und kräftiger...Bei dem Mann der zuerst dort stand, bin ich ganz sicher, daß er nicht maskiert war, aber sein Gesicht beschreiben, könnte ich auch nicht. Bei dem zweiten Mann könnte ich nicht einmal ausschließen, ob er eine Maske getragen hat".
Mit Schriftsatz vom 30.07.1993 hatte der unterzeichnende Rechtsanwalt Andreas Groß beantragt, für den Fall, daß noch keine Lichtbildmappe von den bei dem Einsatz in Bad Kleinen eingesetzten Polizeibeamten angelegt worden ist, dies unverzüglich nachzuholen und diese Lichtbildmappe gemäß den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren der Zeugin vorzulegen und begründet, daß der Staatsanwaltschaft zwischenzeitlich wenigstens ein Name der als Täter in Betracht kommenden Zeugen bekannt sei. Zuvor hatte Rechtsanwalt Groß bereits am gleichen Tage telefonisch eine Gegenüberstellung der Zeugin Baron mit dem GSG-9-Beamten verlangt. Mit Verfügung vom 04.08.1993 teilte die Staatsanwaltschaft mit, eine Gegenüberstellung oder eine Wahllichtbildvorlage sei nicht beabsichtigt. Aus den Aussagen der am Schußwechsel beteiligten Beamten ergebe sich die gesicherte Erkenntnis, um welche Beamte es sich dabei handele. Für die Frage, ob die Zeugin den übrigen Geschehensablauf richtig beobachtet und wiedergegeben habe, sei ein etwaiges Wiedererkennen der Beamten auf Lichtbildern oder bei einer Gegenüberstellung ohne Bedeutung. Daß eine Zeugin eine Person wiederzuerkennen vermöge, bedeute nämlich nicht, daß sie auch in der Lage sei, einen Geschehensablauf richtig zu beobachten und wiederzugeben. Zudem sei nicht zu erwarten, daß die Zeugin einen Beamten wiedererkenne, weil sie während der Vernehmung vom 05.07.93 ausgesagt habe, das Gesicht nicht beschreiben zu können.
Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand ist aber gar nicht mehr so sicher, wer die von der Zeugin beobachteten Beamten im Gleis 4 gewesen sind. Besser gesagt, es spricht vieles dafür, daß anstelle oder neben den von der Staatsanwaltschaft unterstellten GSG 9 Nr. 6 und 8 sich zumindest auch noch der GSG 9 Nr. 3 während des Todesschusses bei Wolfgang Grams befand. Die Unterlassung der beantragten Gegenüberstellung oder Wahllichtbildvorlage erweist sich somit als schwerer Fehler, weil eine wichtige Möglichkeit zur Identifizierung der Personen im Gleis 4 vertan wurde. Im übrigen ist das von der Zeugin am 05.07.1993 benannte Unvermögen, das Gesicht der Person zu beschreiben natürlich kein Argument gegen eine Gegenüberstellung oder eine Wahllichtbildvorlage, weil somit eine Möglichkeit des Wiedererkennens oder der Erinnerung fahrlässig ausgeschlossen wurde. Dies bestätige sich bereits fünf Tage nach der staatsanwaltschaftlichen Verfügung, am 09.08.1993, als die Zeugin Baron in einer weiteren Vernehmung aussagte: "Die erste Person würde ich vielleicht an ihrer Figur und der Kleidung wiedererkennen. Beim Gesicht würde ich nein sagen." Frage des Staatsanwaltes: "Konnten Sie das Gesicht sehen?" Antwort:" Ja, er hat ja in meine Richtung gesehen. Vielleicht würde ich das Gesicht wiedererkennen". Es braucht hier kaum noch erwähnt zu werden, daß die Staatsanwaltschaft an ihrer vorgefaßten Auffassung - keine Gegenüberstellung, keine Wahllichtbildvorlage - festhielt.

3. GSG 9-Zeugen

Nach wiederholter Durchsicht der Akten stellt sich die Frage nach der Täterschaft der vorsätzlichen Tötung an Wolfgang Grams für die Unterzeichner grundsätzlich neu.

Aufgrund der vorstehend zitierten Bekundungen der Zeugen St. (BKA Nr. 12), J., D. und der Zeugin Baron sowie inzident der Aussagen der am Zugriff beteiligten GSG 9-Beamten steht für die Unterzeichner fest, daß sich der Zugriff einschließlich des Nachsetzens durch die GSG 9-Kräfte als ein durchgängiger Handlungsablauf von 10 bis 15 Sekunden abgespielt hat. Die nacheilenden Polizeikräfte befanden sich während der Schießerei noch vor dem Sturz von Wolfgang Grams auf dem Bahnsteig vor und neben dem Treppenaufgang. Nachdem Newrzella und GSG 9 Nr. 5 durch Schußverletzungen ausgefallen waren, sprangen die direkt an der Spitze des SET befindlichen Beamten GSG 9 Nr. 3 und Nr. 6 zu Wolfgang Grams ins Gleis. Wolfgang Grams wurde die Waffe entwunden. Es folgte der tödliche Schuß. GSG 9 Nr. 3 verließ das Gleisbett, während GSG 9 Nr. 8 an das Gleis herantrat.
Da dieser tödliche Schuß in unmittelbarer Nähe und vor den Augen der GSG-9-Beamten Nr. 2, 3, 6, 7 und 8 gesetzt wurde, sofern sie nicht selber als direkte Täter in Betracht kommen, sind die übrigen vorgenannten Beamten als Mittäter wegen Handelns durch Unterlassen strafrechtlich verantwortlich.
Diese Beurteilung der Unterzeichner ergibt sich aus den Zeugenaussagen der beschuldigten GSG-9-Beamten hinsichtlich ihrer Positionen während des Zugriffsgeschehens, ihrer Bekleidung, den Aussagen der vorgenannten Zeugen, insbesondere der Zeugin Baron und aus Mitteilungen über das Verhalten einzelner GSG-9-Beamten unmittelbar nach der Erschießung Wolfgang Grams'.
GSG 9 Nr. 2 hat während seiner Vernehmungen wiederholt angegeben, daß er in dem SET im letzten Viertel des Treppenaufganges, Wolfgang Grams an fünfter Stelle nachgeeilt sei. Vor ihm hätten sich die GSG-9-Beamten Newrzella, Nr. 5, 3 und 6 befunden. Ihm seien zwei Kollegen gefolgt. Nachdem Newrzella und GSG Nr. 5 verletzt worden waren, befanden sich vor dem Zeugen demnach nur noch die Beamten GSG 9 Nr. 3 und Nr. 6.
GSG 9 Nr. 3 beschreibt seine Position als den Dritten oder vierten der Verfolger auf der Treppe. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt im oberen Viertel der Treppe. Über die Position der Nachfolgenden weiß er nichts zu berichten. Er gibt seine Funktion im SET als Führer und als für die Überwältigung vorgesehen an. Seine Kleidung am Einsatztag gibt er wie folgt an: Turnschuhe Marke Adidas, Farbe schwarz-silber, Blue-Jeans Farbe hellblau, weinrotes Sweat-Shirt sowie hauptsächlich blaue Regenjacke mit einer weißen Polizeiarmbinde am linken obere Ärmel.
GSG 9 Nr. 5 beschreibt seine Position beim Nacheilen hinter Newrzella und neben GSG 9 Nr. 3 an dritter Stelle. Er wurde von drei Schüssen getroffen und konnte auf dem Bahnsteig wegen der nacheilenden Polizeikräfte keine weiteren Schüsse abgeben, um die Kollegen nicht zu gefährden. GSG 9 Nr. 3 sei am oberen Treppenende abgetaucht.
Der GSG 9 Nr. 7 gibt während seiner Vernehmungen keine klare Positionsbestimmung innerhalb des SET an und beschreibt lediglich, neben einem Kollegen noch aus dem Treppenaufgang heraus durch das Gitter auf Wolfgang Grams geschossen zu haben. Nach seinen Angaben befanden sich bei seinem Eintreffen auf dem Bahnsteig vor ihm schon Kollegen und es sicherte GSG 9 Nr. 6 Wolfgang Grams. GSG 9 Nr. 7 trug ein violettes T-Shirt, das er nicht zur KT-Untersuchung abgab. "Das getragene T-Shirt sollte nicht mit eingepackt werden, da es nicht zur Oberbekleidung mitgezählt werden sollte".
GSG 9 Nr. 6 gibt seine Position im SET als Dritten an, nach Newrzella und GSG 9 Nr. 5. Er will am linken Pfeiler des Treppenaufganges oben am Bahnsteig Deckung genommen und vier Schüsse in Richtung Grams abgegeben haben. Grams sei rückwärts auf das Gleis gestürzt. Danach sei er für ihn nicht mehr zu sehen gewesen und es sei kein Schuß mehr gefallen. Er sei als erster Beamter bei Grams im Gleis gewesen. Ihm sei unmittelbar ein Kollege gefolgt. Die maximale Zeitspanne vom Sturz des Wolfgang Grams auf die Schienen bis zu dessen Sichern durch ihn habe unter zehn Sekunden betragen. "Es ist ein Ausbildungsgrundsatz, daß einem schießenden Gegner sofort nachgesetzt wird, um ihn in Handlungszwang zu bringen, um die weitere Schußabgabe auf eigene Kräfte zu verringern". GSG 9 Nr. 6 beschreibt die Lage der rechten Hand von Wolfgang Grams im Zeitpunkt des eigenen Herantretens wie folgt: "Die rechte Hand lag näher am Körper in Richtung des Gürtels auf Höhe des Nierenbereiches irgendwie eigenartig verdreht. In der Ursprungslage konnte ich die Hand nicht sehen, als ich auf die ZP 2 zukam". Nachdem GSG 9 Nr. 6 bereits am Tattag eine handschriftliche sowie eine maschinenschriftliche Äußerung zum Geschehen getätigt hatte, erfolgte am 01.07.1993 eine Anhörung durch den BGS, am 05.07.1993 eine weitere durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsamtes Grünig und am gleichen Tag eine Vernehmung durch den Generalbundesanwalt. Erstmalig am 07.07.1993 gab er bei dem LKA MV zu Protokoll, daß es sich bei dem zweiten Kollegen, der Wolfgang Grams mit gesichert habe, um den GSG 9 Nr. 8 handele.
GSG 9 Nr. 8 war nach seinen Angaben im SET der letzte der nacheilenden Beamten. Er habe Wolfgang Grams zwei Meter hinter dem GSG 9 Nr. 6 erreicht. Im Rahmen seiner Aussage vor der Bundesanwaltschaft hat der Zeuge seine Aussage wie folgt präzisiert. Er sei zur Bahnsteigkante gelaufen, sogleich auf das Gleisbett gesprungen und sei ca. 2 Meter hinter einem Kollegen bei Grams angekommen. Nachdem GSG 9 Nr. 8 zunächst die Lage der Hand von Wolfgang Grams wie der GSG 9 Nr. 6 beschrieben hatte, nur daß er dies auf die linke Hand bezog, korrigierte er sich während der Vernehmung am 07.07.1993 und räumte nach Vorhalt des Fotos 5 ein, daß es sich um den Arm und die Hand handelte, um die später eine Manschette gelegt worden war, also die rechte. Der GSG 9 Nr. 8 war nach seinen Angaben unter einer braunen Nappalederjacke mit einem weinroten Sweat-Shirt und weinroten Jeans bekleidet. Das weinrote Sweat-Shirt wurde nicht zur KT-Untersuchung abgegeben.

In ihrer Würdigung der Aussagen der GSG 9 Nr. 6 und Nr. 8 führt die Staatsanwaltschaft aus: "Die Schilderung des Beschuldigten GSG 9 Nr. 6, aus welchem Grund Grams seinem Blickfeld zeitweise entzogen gewesen sein soll, zeigt sich nach einer Inaugenscheinnahme des Ereignisortes als gänzlich abwegig und reines Phantasieprodukt. Es ist unerklärlich, daß er Grams während seiner Annäherung nicht im Blickfeld gehabt haben will. Schon ein Beobachter, dessen Augen sich nur wenige Zentimeter über Bahnsteigniveau befinden, hätte sowohl vom Standort des Beschuldigten GSG 9 Nr. 6 als auch von der Treppe aus ohne weiteres Grams auf dem Gleis liegen sehen. Eine nachvollziehbare Erklärung dafür, daß keiner der Beschuldigten von seinem Standort Grams auf dem Gleis hat liegen sehen, haben beide nicht gegeben. Dem Umstand, daß Grams nach dem Sturz auf das Gleis aus seinem Blickfeld verschwunden gewesen sei, führe er nunmehr darauf zurück, daß ihm möglicherweise beim Aufrichten hinter dem Pfeiler dieser die Sicht verdeckt habe. Das Bemühen beider Beschuldigter, möglichst alle Widersprüche zwischen ihren Angaben sowie denen der übrigen Zeugen, soweit sie ihnen aus Vorhalten oder sonst bekannt gewesen sind, zu vermeiden durch allmählich hinzugefügte Ergänzungen und wiederholte Vorname von Änderungen in den Aussagen, ist unübersehbar. Die Aussagen der beiden Beschuldigten sind jedenfalls hinsichtlich der Annäherung an Grams, des Aufnehmens von dessen Waffe und dessen Lage auf dem Gleis uneinheitlich und wechselhaft und unterliegen schon allein deswegen zumindest bezüglich der Einzelheiten des Zugriffsgeschehens im Zusammenhang mit dem Nachsetzen und Sicherstellen der Waffe des Grams erheblichen Zweifeln...".
Es fragt sich, weshalb die Staatsanwaltschaft die von ihr herausgearbeiteten Widersprüche in den Aussagen der Beschuldigten nicht in einen direkten Zusammenhang mit dem Tatvorwurf stellt, sondern sie auf dem Nebengleis des Vertuschens dienstlicher Schlechtleistungen ("Feigheit vor dem Feind", unprofessionelles Verhalten) abhandeln will. Dieses scheint um so befremdlicher, als die eingangs zitierten Zeugen übereinstimmend mit den Aussagen der GSG-9-Beamten einen durchgängigen Geschehensablauf ohne Verzögerungen bekundet haben.
In Hinblick auf die objektiven Befunde, aufgesetzter Kopfschuß und nachweisbarer Entwindungsgriff ist vielmehr evident, daß die eingesetzten Beamten das tatsächliche Geschehen wahrnehmen mußten.
Die Auflösung der Widersprüche besteht schlicht und einfach darin, daß die als Zeugen oder als Beschuldigte vernommenen GSG-9-Beamten als Täter der vorsätzlichen Tötung von Wolfgang Grams in das Geschehen involviert waren und jede wahrheitsgemäße Bekundung dies hätte offenkundig werden lassen.

Schließlich unterläßt es die Staatsanwaltschaft in nicht nachvollziehbarer Weise, die Angaben der GSG 9 Nr. 6 und Nr. 8 zur Lage des rechten Armes von Wolfgang Grams unter seinem Körper in ihrem Ermittlungsergebnis zu berücksichtigen. Diese Angaben der Beschuldigten werden im übrigen auch durch ein aus dem Videofilm gewonnenen Foto bestätigt. Die Angabe des GSG 9 Nr. 15 bestätigt diese Wahrnehmungen: "Zur Lage des Verletzten kann ich nur sagen, daß er linksseitig lag. Aufgefallen ist mir eine abnorme Haltung des rechten Armes, das rechte Handgelenk war angewinkelt".
Folgt man der Darstellung der Staatsanwaltschaft, wonach Wolfgang Grams sich auf dem Rücken liegend selbst erschossen hat, muß anschließend sein rechter Arm neben dem Körper gelegen haben. Da sich aber seine rechte Hand und ein Teil des rechten Unterarmes tatsächlich unter seinem Körper befunden haben, ist dies mit dem unterstellten Suizid nicht in Einklang zu bringen und wird im Ermittlungsergebnis schlicht unterschlagen.

Die Staatsanwaltschaft will in ihrem Abschlußvermerk auch das an der Bekleidung von GSG 9 Nr. 6 aufgefundene Spurenbild mit erstaunlicher Oberflächlichkeit als unbeachtlich abtun: "Es handelt sich um eine Wisch- oder Kontaktspur an der Rückseite des rechten Ärmels... Eine Entstehung durch das unmittelbare Schußgeschehen durch Aufspritzen bei Abgabe des Schusses oder Herabregnen unmittelbar danach scheidet...aus. Derartige Spuren wären jedoch im Falle der Abgabe des Kopfschusses durch den Beschuldigten GSG 9 Nr. 6 sicher zu erwarten gewesen, da ein Ausweichen nicht möglich ist...".

Bezüglich der Bekleidung des GSG 9 Nr. 6 schlußfolgerte Prof. Dr. Brinkmann: "Zusammenfassend ergibt sich, daß nur an der Jacke 6.1 humanes Blut nachgewiesen werden kann, welches Herrn Grams zugeordnet werden kann. Die kontaktartige, formlose Ausprägung dieser Spur und ihre Lokalisation an der Rückseite des rechten Ärmels weisen nicht zwangsläufig auf einen bestimmten Entstehungsmechanismus hin". Zu den festgestellten Blutanhaftungen fügt Prof. Bär in seinem Gutachten hinzu: "Weitere Untersuchungen an kleinsten, nur bei Lupenbetrachtungen erkennbaren aus dem Institut für Rechtsmedizin Münster entnommenen Klebefolien ab der Vorderseite der Jacke Ass. 6.1, resp. der Hose Ass. 6.2 herauspräparierten Gewebe- und Blutkrüstchen, ergaben nach "PCR-Analytik (System TC 11) eine Mischspur. In dieser Mischspur kann anteilmäßig Grams nicht ausgeschlossen werden, da er zwei der drei Merkmale auch besitzt". Folglich sind die von Herrn Prof. Brinkmann mitgeteilten Negativ-Ergebnisse irrelevant. Auch das von Prof. Bär festgestellte Ergebnis besagt nicht mehr, als daß die Bekleidung des GSG 9 Nr. 6 nicht nur an der Rückseite des rechten Ärmels, sondern auch an der Vorderseite von Jacke und Hose Blutspuren aufweist, die Herrn Grams zugeordnet werden können. Ob es sich ursprünglich um geringste Blutmengen oder um umfangreiche Anspritzungen gehandelt hat, ist angesichts der im Gutachten von Prof. Dr. Bonte Seite 26 ff. dargelegten insuffizienten Handhabungen bereits im Vorfeld der Untersuchungen nicht mehr zu entscheiden. Auf diesem Hintergrund kommt dem "Verschwinden" der Jacke des GSG 9 Nr. 6 aus dem IRM Zürich eine besondere Indizwirkung zu.

Besondere Beachtung verdienen die Feststellungen zum Verhalten des GSG 9 Nr. 3.
Dieser Beamte, Führer des SET, befand sich nach eigenen Angaben und den Bekundungen seiner Kameraden mit Newrzella und GSG 9 Nr. 5 an der Spitze der nacheilenden Polizeikräfte. Er beschreibt seine Funktion im Einsatz als "für die Überwältigung vorgesehen". Nach dem Ausfall von Newrzella und GSG 9 Nr. 5 befand er sich gemeinsam mit GSG 9 Nr. 6 an der Spitze des SET, während sich GSG 9 Nr. 8 am Ende der Gruppe befand.
GSG 9 Nr. 3 trug, wie bereits ausgeführt, ein weinrotes Sweat-Shirt, das er frisch gewaschen zur KT-Untersuchung ablieferte. Daß er während des direkten Zugriffsgeschehens darüber die oben beschriebene Regenjacke mit der Polizeiarmbinde getragen haben will, ist zu bezweifeln, weil dadurch ja die ansonsten hochgehaltene Tarnung des Zugriffstrupps als harmlose Zivilpersonen am einem Sonntag zerstört worden wäre.
GSG 9 Nr. 3 hat angegeben, sich zu der im Tunnel befindlichen Birgit Hogefeld begeben zu haben und ihr anstelle der Kapuze Ihres Anoraks seine eigene schwarze Gesichtsmaske verkehrt herum über den Kopf gezogen und diese mit Klebeband fixiert zu haben. GSG 9 Nr. 4 berichtet ebenfalls, gemeinsam mit GSG 9 Nr. 3 Birgit Hogefeld gefesselt zu haben. Birgit Hogefeld hat dieses Zusammentreffen mit dem GSG 9 Nr. 3 wie folgt beschrieben: "Die vom Greiftrupp kamen mir spätestens seit der Schießerei, aber eigentlich auch schon vorher bei dem Gerenne, total nervös und hektisch vor - einer z.B. lief dann zu mir, hob meinen Kopf hoch und haute mir ins Gesicht; von der ganzen Art her kam der mir mehr durchgeknallt als brutal vor. Mir wurden die Hände auf den Rücken gefesselt - sie sind jetzt noch taub, geschwollen, eingeschnitten - und eine schwarze Kapuze über den Kopf gezogen. Die Kapuze haben sie mehrere Runden mit Klebeband in Mund-Nasenhöhe festgeklebt, so daß ich sehr schlecht Luft gekriegt habe" (Brief von Birgit Hogefeld, taz vom 02.07.1993).
Daß GSG 9 Nr. 3 psychisch angeschlagen war, wird auch noch aus einem anderen Sachverhalt deutlich: Durch Telefonat teilte der unterzeichnende Rechtsanwalt Groß der Staatsanwaltschaft Schwerin mit, er habe erfahren, daß ein Beamter der GSG 9 unmittelbar nach dem Zugriff aus dem Geschehen herausgelöst und einer "Sonderbehandlung" zugeführt worden sei. Hierin verbarg sich nach Auffassung der Staatsanwaltschaft die Vermutung, der betreffende Beamte der GSG 9 sei noch vor Ort einer psychologischen Betreuung zugeführt worden. Bei diesem Beamten könne es sich möglicherweise um den "Todesschützen" gehandelt haben. GSG 9 Nr. 3 gab hierzu an: "...Als ich ca. eine halbe Stunde nach dem Zugriff auf dem Bahnsteig stand, bekam ich so etwas wie einen Weinkrampf. Grund dafür war, die zu diesem Zeitpunkt schwere Verletzung von Herrn Newrzella. Dabei wurde ich von einem Beamten meiner Einheit etwas abseits geführt. Ich glaube es war der Zeuge Nr. 9. Er hat beruhigend auf mich eingeredet. Das dauerte ca. 1 Minute. Ich stand dann in dieser Phase abseits in Höhe des Kiosks zum Bahnsteig 4 hin. Danach schloß sich die Situation an, in der unser stellvertretender Einsatzführer uns empfahl, an Ort und Stelle ein Gedächtnisprotokoll für den persönlichen Gebrauch anzufertigen. Hierzu gingen wir in das Billard-Cafe und ich fertigte dort dieses Protokoll an".
Bei GSG 9 Nr. 9 handelte es sich um den Einsatzleiter der GSG 9 Kräfte. Dieser wird richterlich wie folgt befragt: "Hat es Auffälligkeiten hinsichtlich Ihrer Kameraden der GSG 9 während und nach dem Einsatz gegeben, die eine spezielle Betreuung erforderlich machten?" Antwort: "Auffälligkeiten nahm ich insoweit wahr, daß die Stimmung extrem niedergeschlagen war nach dem Einsatz durch die schwere Verletzung, die bei Newrzella zu erkennen war. Nach dem festgestellten Tod steigerte sich dieses noch." Vorhalt: "Durch den Anwalt der Familie Grams wurde mitgeteilt, er habe aus einer nicht näher bezeichneten Quelle erfahren, daß ein Beamter der GSG 9 unmittelbar nach dem Zugriff aus dem Geschehen herausgelöst und einer "Sonderbehandlung" zugeführt worden sei. Hier hinter verbirgt sich nach Auffassung der StA die Vermutung, der betreffende Beamte der GSG 9 sei noch vor Ort einer psychologischen Betreuung zugeführt worden. Bei diesem Beamten kann es sich möglicherweise um den "Todesschützen" gehandelt haben." Antwort: "Ich bin mir 100%ig sicher, daß so etwas nicht stattgefunden hat ..."
Ausweislich des Akteninhaltes trafen die vorbeschriebenen Auffälligkeiten ausschließlich auf den GSG Nr. 3 zu. Die unwahrhaftige Antwort des GSG 9 Nr. 9 auf die richterlichen Fragen verdeutlicht, daß ein unbefangener Umgang mit dem tatsächlichen Geschehen für diesen Zeugen nicht in Betracht kam.

Die bisherige Annahme, daß dem GSG 9 Nr. 6 unmittelbar GSG 9 Nr. 8 gefolgt sei, ist nicht länger zu halten. GSG Nr. 8 hätte sich als letzter des SET zum Erreichen des Gleises erst durch die vor ihm stehende Kollegengruppe begeben müssen. Die Zeugen haben aber berichtet, daß zwei Beamte unmittelbar innerhalb von Sekunden in das Gleis zu Wolfgang Grams sprangen. Es liegt sehr viel näher, daß es sich bei diesen beiden Männern um GSG 9 Nr. 6 und Nr. 3 gehandelt hat. Auch GSG 9 Nr. 3 trug die von der Zeugin Baron beschriebene weinrote Oberbekleidung, die sie dem Todesschützen zuordnet. Als Überwältigungskraft entsprach das unmittelbare Nacheilen auch seinem Einsatzauftrag, während GSG 9 Nr. 8 als Sicherungskraft nach hinten eingeteilt war. GSG 9 Nr. 3 zeigte nach dem Zugriff psychische Auffälligkeiten und unkontrolliertes Verhalten. Er schlug die am Boden liegende Birgit Hogefeld ohne Grund ins Gesicht und fesselte sie brutal. Er erlitt einen Weinkrampf und wurde von seinem Vorgesetzten aus dem Einsatz herausgelöst. Das Zusammentreffen dieser Faktoren führt zu der Beurteilung, daß es sich bei GSG 9 Nr. 3 um einen der beiden Beamten gehandelt hat, die direkt zu Wolfgang Grams in das Gleisbett traten. Nachdem Selbstmord ausscheidet, ist einem dieser beiden Beamten der tödliche Schuß zuzurechnen, wobei aufgrund der Beobachtungen der Zeugin Baron der Verdacht in erster Linie auf den mit dem weinroten Sweat-Shirt bekleideten GSG 9 Nr. 3 fallen muß.

Diese Einschätzung wird auch durch das Aussageverhalten der GSG 9 Kräfte bestätigt, die allesamt GSG 9 Nr. 6 als die erste Person bezeichnen, die zu Grams ins Gleis sprang, während sie sich in Bezug auf die Person des zweiten Beamten zunächst nur merkwürdig unkonkret äußern und erst ab dem 07.07.1993 unisono den GSG 9 Nr. 8 als den zweiten Beamten bei Wolfgang Grams bezeichnet haben. Beispielhaft ist das Aussageverhalten des GSG 9 Nr. 2, der nur von einem Kollegen spricht, der mit gezogener Waffe auf Wolfgang Grams zuging, um zu sichern. Von einem zweiten Kollegen habe er nur erfahren. Angaben über den Standort des sichernden Kollegen, also GSG 9 Nr. 6, könne er nicht machen. GSG 9 Nr. 7 macht dagegen ständig widersprüchliche Angaben zum Standort des ersten und des zweiten später hinzutretenden Beamten im Gleis, will dort aber GSG 9 Nr. 8 wiederum überhaupt nicht wahrgenommen haben. Das Aussageverhalten der GSG-9-Beamten ist insgesamt davon geprägt, die Einzelheiten so lange als möglich unkonkret zu belassen und nichts einzuräumen, bevor es nicht ohnehin nachgewiesen werden kann.
Da GSG 9 Nr. 3 neben GSG 9 Nr. 6 und Nr. 8 als der direkte Täter des tödlichen Schusses in Betracht kommt, sind die übrigen anwesenden GSG-9-Beamten aufgrund ihrer Garantenstellung wegen Handelns durch Unterlassen als Mittäter anzusehen.

V.

1. Wieviele Polizeibeamte befanden sich vor Zugriff auf Bahnsteig 3/4?

Während seines Wartens auf den Zug auf Bahnsteig 3/4 fiel dem Zeugen W. "an dem ersten Schuppen eine männliche Person auf, die eine Sporttasche dabei hatte, in die er hineinsprach, "An alle, die drei betreten den Tunnel, an alle, die drei betreten den Tunnel". Dieses Hineinsprechen war ca. 2 - 3 Minuten, bevor die Schießerei losging... Der schon erwähnte MEK-Beamte, der in die Tasche sprach. Dieser Mann ist zu Beginn der Schießerei aus meinem Blickfeld verschwunden. Ihn habe ich später noch einmal in der Gruppe der Beamten auf dem Bahnsteig stehen sehen". Diese Person beschreibt der Zeuge in seiner Vernehmung durch das LKA MV am 12.07.1993 wie folgt: "- Alter 30 - 35 Jahre, eventuell älter - dünner Schnauzbart - er trug eine blau-gräuliche Sporttasche an einem Schulterriemen gerade über die Schulter herunterhängend. Ich schätze die Tasche auf die Maße 40 x 25 x 30 cm. - Der Mann war ansonsten von einer eher unauffälligen Erscheinung... Ich sah ihn erst später nach dem Schußwechsel in einer Gruppe von Männern stehen, die um zwei liegende Personen auf dem Bahnsteig 3/4 standen".
Die Beobachtung des Zeugen W. korrespondiert mit einer Angabe der Zeugin D.: "...Ich drehte mich in diese Richtung um und sah einen jungen Mann an der Frontseite des Bahnsteighäuschens gegenüber dem Treppenaufgang mit einem Funkgerät in der Hand stehen. Er hatte das Funkgerät in seiner rechten Hand am rechten Ohr. Eine Stimme hatte über Funk folgendes sinngemäß gesagt: "Jetzt kommen sie zum Treppenaufgang". Einige Sekunden später lief der junge Mann vom Bahnsteighäuschen direkt in gebückter Haltung an mir vorbei und ich konnte erkennen, daß er eine Pistole in der Hand hielt... Er lief auf den Treppenab- bzw. aufgang zu und dann begann auch schon die Schießerei".
Nach den Angaben der GSG 9 Zeugen und den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft müßte es sich bei dem von den Zeugen beobachteten Beamten nur den Beamten GSG 9 Nr. 4 gehandelt haben, da dieser sich als einziger Beamter bis kurz vor dem Zugriff auf Bahnsteig 3/4 aufgehalten habe. GSG 9 Nr. 4 soll dann die Treppe hinunter gegangen sein und Birgit Hogefeld festgenommen haben. Diese Feststellungen stehen im Widerspruch zu den Beobachtungen der beiden Zeugen, wonach zum einen der beschriebene GSG-9-Beamte mit gezogener Waffe an Wolfgang Grams vorbei auf Birgit Hogefeld zugegangen sein müßte und dann später, obwohl er mit der Sicherung von Birgit Hogefeld befaßt gewesen ist, von dem Zeugen W. bei den um Newrzella stehenden Beamten gesehen worden ist. Auch die zeitliche Abfolge der Beobachtung der Zeugin D., wonach die Schießerei schon begann, als der beobachtete Beamte mit gezogener Waffe auf den Treppenabgang zulief, lassen Zweifel an den staatsanwaltschaftlichen Feststellungen aufkommen. Schließlich beschreibt der Zeuge W. einen Beamten, der in eine Sporttasche spricht, während die Zeugin D. eine Beamten wahrnahm, der das Funkgerät direkt am Ohr hatte. Es fragt sich auch insoweit, ob es sich demnach um mehrere Beamte auf dem Bahnsteig 3/4 handelte.
In diesem Zusammenhang ist das Aussageverhalten des GSG 9 Nr. 8 bedeutsam. Auf die Frage: "Warum waren nur im Bereich der Treppe zum Bahnhofsvorplatz und im Bereich des Zuganges zum Bahnsteig 1/2 Zugriffskräfte postiert und nicht auch auf Bahnsteig 3/4? Damit bestand für die Zielpersonen ja von vornherein die Möglichkeit, während des Zugriffs auf Bahnsteig 3/4 zu fliehen, wo zu diesem Zeitpunkt nur Zeuge Nr. 4 postiert war." antwortet er, "Hierbei handelt es sich um taktische Maßnahmen, über die ich keine Aussage machen darf".
Die Ermittlungsbehörden haben es unterlassen, die sich auftuenden Widersprüche aufzuklären bzw. die sich aufdrängenden Fragen überhaupt zu stellen.

2. Unvollständige Erfassung sämtlicher mitgeführter Waffen und Munitionsbestände,
mangelhafter Soll-Ist-Abgleich

Der Zeuge GSG 9 Nr. 2 hat während der Schießerei einen Magazinwechsel durchgeführt. Diesen Sachverhalt gab er weder in seiner Niederschrift vom 01.07.1993), noch in seiner dienstlichen Erklärung vom 04.07.1993, weder in seiner Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft vom 05.07.1993, noch in seinem handschriftlichen Festnahmebericht vom 27.06. 1993 an. Während der vorgenannten Bekundungen räumte er jeweils lediglich ein, sechs Schüsse auf Wolfgang Grams abgegeben zu haben.
Erst während seiner Vernehmung durch das LKA MV vom 06.07.1993 antwortete er, nachdem er den Schußwechsel im Gesamten geschildert hatte, ohne seinen Magazinwechsel zu erwähnen, auf die Frage.: "Haben Sie, nachdem der Schußwechsel beendet war, Geräusche wie ein "Klicken" oder "Klacken" wahrgenommen?" Antwort: "Ja das habe ich. Hierfür gibt es eine simple Erklärung, alle meine Kollegen und ich haben bei diesem Einsatz die Pistole P 7 geführt. Bei dieser Waffe entstehen beim Vorspannen, das heißt, wenn die Waffe schußfertig gemacht wird, klickende Geräusche. Ebenso entstehen diese Geräusche beim Entspannen. Dazu kann ich erklären, daß ich, nachdem ich sechs Schuß abgefeuert hatte, einen Magazinwechsel durchgeführt habe, wobei auch ein einrastendes, klickendes Geräusch entsteht". In seiner richterlichen Vernehmung vom 06.08.1993 präzisierte er auf die Frage nach einem durchgeführten Magazinwechsel: "Ich wußte zu dem Zeitpunkt nicht, wieviel Schuß ich bereits abgegeben hatte. Anhand des Zustandes der Waffe erkannte ich, daß noch mindestens ein Schuß im Rohr war. Ich habe dann vorsichtshalber einen Magazinwechsel durchgeführt. Daß ich 6 mal geschossen habe, habe ich später anhand meiner Restmunition errechnet".
Dieses von dem Zeugen erwähnte Magazin taucht aber bei den Asservaten nirgendwo auf. Erstaunlicherweise gab GSG 9 Nr. 2 seine Pistole Nr. 76 837 in folgendem Zustand ab: "1 HK Nr. 76837 geladen, gesichert. Munition: 1 Magazin mit 2 Patronen + 1 im Lauf". Folglich muß der Zeuge vor der Abgabe seiner Waffe einen weiteren Magazinwechsel durchgeführt haben, um den angeblich ursprünglichen Zustand (sechs abgegebene Schüsse) wiederherzustellen oder er hat noch einmal sechs Schüsse abgegeben und das erste Magazin verschwinden lassen. So oder so fehlen aber immer das erste oder das zweite Magazin.
Der GSG Nr. 3 gab dagegen zwei Magazine ab, ein leergeschossenes und eines in seiner Pistole. In einem Vermerk des LKA MV vom 04.07.1993 heißt es dazu: "...sind bei den Trägern der anderen o.a. Waffen keine weiteren Magazine sichergestellt worden [außer HK 76 840 = GSG Nr. 3].
Es ist nun zu fragen, weshalb nicht sämtliche im Einsatz befindlichen Magazine eingesammelt worden sind und eine akkurate Munitionsbilanz erstellt wurde. Diese umfaßt selbstverständlich auch die Reservemagazine, um sämtliche mitgeführte und verschossene Munition abzugleichen und zu überprüfen. Dabei wäre es natürlich von besonderem Interesse gewesen, ob auf seiten der GSG 9 nicht doch auch Vollmantelgeschosse im Einsatz gewesen waren.
Es besteht in diesem Zusammenhang hier bis auf weiteres der Verdacht, daß entsprechende aufgefundene Munitionsteile nicht korrekt aufgesammelt und in den Spurenplänen erfaßt worden sind.
So gibt z.B. ein Zeuge, der Notarzt Dr. G. von der Luftrettung Eutin an, er habe eine Vielzahl von Patronenhülsen auf dem Bahnsteiggelände und weitere Patronenhülsen am unteren Treppenende bzw. an der Ecke zur Unterführung wahrgenommen. Im Spurenplan - Spurenbereich 1.1 - liegt in der Unterführung überhaupt keine Hülse, lediglich auf der zweituntersten Treppenstufe liegen zwei Hülsen (57 und 58), die nächsten Hülsen liegen erst wieder auf Stufe 11 (42) und 12 (37). Da der Treppenaufgang 18 Stufen hat, kann man die Stufe 11 beim schlechtesten Willen nicht mehr als unteres Treppenende bezeichnen. Wohin sind also die Patronenhülsen, die der Zeuge Dr. G. gesehen hat, verschwunden?
Des weiteren ist zu beachten, daß der verletzte Zeuge GSG Nr. 5 am Tattag seine Pistole mit Magazin abgegeben haben soll. Am 06.07.1993 gingen dem LKA MV siebzehn Papiertüten mit sichergestellten Bekleidungsgegenständen, die die Beamten der GSG 9 während des Einsatzes in Bad Kleinen getragen haben wollen, ein. Der Zeuge GSG Nr. 5 gab als einziger eine Magazintasche mit noch zwei weiteren Magazinen und 16 Patronen ab. Möglicherweise ist es nicht mehr gelungen, den Zeugen GSG 9 Nr. 5 zu informieren, was aus Sicht der GSG 9 sinnvollerweise abzugeben ist, weil er sich aufgrund seiner Verletzungen noch im Krankenhaus befand. Fest steht zudem, daß die Magazine und ihr Inhalt zu diesem Zeitpunkt schon längst hatten ausgetauscht werden können.
Die Staatsanwaltschaft muß sich der Tatsache stellen, daß alle GSG-9-Beamte drei Magazine hatten. Der Zeuge GSG 9 Nr. 18, Verbindungsbeamter zum sog. Polizeiführer, bekundete: "Im Vorfeld des Einsatzes wurde angeordnet, daß jeder eingesetzte Beamte seine persönlich zugewiesene Faustfeuerwaffe P 7 mit jeweils drei Magazinen à 8 Patronen bei sich führt. Eines dieser Magazine befand sich jeweils in der Waffe dazu zusätzlich eine weitere Patrone bereits im Patronenlager. Das heißt, daß jeder der eingesetzten Beamten 25 Patronen der zugewiesenen Actionmunition zu Verfügung hatte...Zusätzlich war jeder Trupp ausgestattet mit je einer MP 5 S 2 und MP 5 SD".
Dagegen gibt der Zeuge GSG Nr. 19 an: "Ich habe für meine Dienstwaffe P 7 insgesamt 2 Magazine mitgeführt mit jeweils 8 Schuß". Daß der Zeuge GSG 9 Nr. 3 nur zwei Magazine angegeben hat, wurde vorstehend bereits dargelegt.
Daß entgegen den GSG 9-Angaben auch Maschinenpistolen mitgeführt wurden, bestätigen die Bekundungen von zwei Ärzten aus den Flugrettungsteams Güstrow und Eutin, die jeweils mitteilten, eine Maschinenpistole in der Nähe des Treppenaufganges an einem Gitter liegen gesehen zu haben. Dr. B. teilte dazu mit, " daß diese Waffe ein langes Rohr als Lauf hatte und zwei Griffe". Dr. G. berichtete: " Habe ich eine Maschinenpistole wahrgenommen. Diese Waffe war ca. 40 - 50 cm lang". Der Zeuge würde die Waffe seiner Meinung nach auch wiedererkennen. Eine entsprechende Vorlage wurde aber nach Aktenlage nicht veranlaßt.
Nicht alle am Zugriffsgeschehen beteiligten GSG-9-Beamten mußten im übrigen ihre Waffen abgeben. Im Verzeichnis des BKA über sichergestellte Gegenstände fehlen die Waffen und die Munition von GSG 9 Nr. 1 und GSG 9 Nr. 4. Diese beiden Beamten sollen zwar nach dem Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft die Zeugin Hogefeld und den Verfassungsschutzspitzel Steinmetz festgenommen haben. Diese Angaben unterliegen allerdings, wie bereits ausgeführt, gewissen Zweifeln
Selbst wenn sie zuträfen, hätten die Beamten ihre Waffen, Magazine oder Munition mit anderen GSG-9-Beamten unmittelbar austauschen können. GSG 9 Nr. 8 berichtet dann auch, daß er sich von GSG 9 Nr. 4 ein volles Magazin mit Actionmunition ausgeliehen und dieses später zurückgegeben haben will. GSG 9 Nr. 8 ist immerhin Beschuldigter in einem Mordverfahren.
Vorliegend kommt erschwerend hinzu, daß sogar unter GSG-9-Beamten kursierte, daß es sich bei GSG 9 Nr. 4 um den Todesschützen handele: "Am 08.07.1993 berichtete mir Herr Salewski (Psychologe der GSG 9) folgenden Sachverhalt: Er wurde am 07.07.93 von einem Redakteur der Focus-Redaktion angerufen. Der Anrufer teilte mit, er kenne den Namen des Todesschützen und bat um weitere Auskünfte. Der Todesschütze sei nach seinen Informationen Herr [geschwärzt] (GSG 9 Nr. 4) genannt [geschwärzt]. "Er ist ja damals schon in Beirut aufgefallen". Auf Nachfrage von Herrn Salewski von wem er die Information erhalten habe, teilte der Focus-Redakteur mit, daß Herr (geschwärzt) (ehemaliger Angehöriger der GSG 9) einen Informanten innerhalb der GSG 9 hätte. Herr Salewski teilte dem Anrufer mit, daß er sich einen neuen Informanten suchen solle, da die Information absolut falsch sei".
Daß es sich bei der Nichtsicherstellung von Waffe, Munition und Magazinen um einen weiteren gravierenden Ermittlungsfehler handelt, wird spätestens klar, wenn die Aussagen der Zeugen D. und W. über einen oder mehrere Beamte auf dem Bahnsteig 3/4 doch noch Berücksichtigung finden sollten.
Daß Ermittlungsergebnissen des BKA hinsichtlich der Munitionsausstattung nicht zu trauen ist, hat die Staatsanwaltschaft in ihrem Abschlußvermerk selber festgehalten. Darin wurde dargelegt, daß zwischen den zugeordneten Munitionstypen nach dem Vermerk des BKA und denen nach dem Vermerk des WD Zürich starke Divergenzen auftauchen, so daß die angeblich im Einsatz nicht verwendete DAG-89-6 Munition eben doch zum Einsatz gekommen ist.
Eine weitere Merkwürdigkeit ist zu verzeichnen. Im Asservatenverzeichnis des LKA MV wird aufgeführt: (ohne Asservatennummer) 1 Patrone 9x19 mm "action" übergeben vom Zeugen Nr. 3 (BGS) sicherstellender Beamter Ko.,KOK, am 06.07.93 . Das LKA MV war bereits seit dem 01.07.1993 mit den Ermittlungen beauftragt. Warum übergab ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt noch ein GSG-9-Beamter noch eine Patrone? Angeblich waren die Munitionsteile doch schon asserviert. Wo hatte der SET-Führer GSG 9 Nr. 3 die Patrone her? Das LKA MV hatte jedenfalls die bei seinen sog. Nachuntersuchungen auf dem Bahnhof von Bad Kleinen seine eigenen, neu gefundenen Spuren mit LKA 1, LKA 2 usw. bezeichnet.

Der Vollständigkeit halber sei hier noch auf die angeblich im Treppenbereich und der Unterführung sichergestellten 57 Geschoßteile hingewiesen, von denen 39 Teile aus der Wolfgang Grams zugeordneten Waffe stammen sollen. Wenn sich in Magazin und Patronenlager der Wolfgang Grams zugerechneten Waffe fünf Schuß noch befunden haben sollen, weitere 5 Schuß in die Körper der GSG-9-Beamten Newrzella und Nr. 5 und einer in den eigenen Kopf gelangt sein sollen, könnten theoretisch maximal weitere 6 Projektile in den Bereich Treppenaufgang/Unterführung gelangt sein. Die Staatsanwaltschaft will in ihrer Abschlußverfügung die im Treppenbereich gefundenen Geschoßteile lediglich drei Projektilen der Wolfgang Grams zugerechneten Munition zuordnen. Diese drei Projektile müßten sich dort bei Auftreffen in die 39 Teile zerlegt haben. Dieses ist aber von der Geschoßgeschwindigkeit (= VO), die bei einem Schuß aus der Brünner CZ 75 entwickelt werden kann, schlichtweg nicht möglich. Vielmehr werden Geschoßgeschwindigkeiten, die Vollmantelprojektile bei Auftreffen auf Beton oder Stahl entsprechend zerlegen, erst von Maschinenpistolen oder Gewehren erreicht. Dies wäre gegebenenfalls experimentell nachzuweisen.
Daraus folgt, daß in den Treppenbereich Projektile gelangt sind, die aus Maschinenpistolen oder Gewehren stammen. Sie können deshalb unmöglich Wolfgang Grams zugerechnet werden. Der hier erteilte Hinweis müßte bei der Bundesanwaltschaft zu einer Neuaufnahme des Ermittlungsverfahrens zum Nachteil Newrzella führen.

Schließlich soll auch an die ungeklärte Herkunft eines Projektils erinnert werden, dessen Existenz die Staatsanwaltschaft der Öffentlichkeit verschweigen wollte und dessen Bekanntmachung durch den unterzeichnenden Groß bezeichnenderweise herangezogen wurde, um diesem bis zum bitteren Ende des Ermittlungsverfahrens sein Recht auf Akteneinsicht vorzuenthalten, daß dann zusätzlich auch noch auf den unterzeichnenden Rechtsanwalt Kieseritzky sozusagen per Fernwirkung ausgeweitet wurde.
Der WD Zürich faßte seine Erkenntnisse bezüglich. des Asservates Nr. LKA 5 wie folgt zusammen: " ... halten wir fest, daß das Asservat Nr. LKA 5, weder aus einer der von uns untersuchten Waffe der Einsatzkräfte, noch aus der von Wolfgang Grams bzw. Birgit Hogefeld mitgeführten Waffe verfeuert wurde" (Schreiben WD Zürich an das LKA MV vom 14.10.1993). Auf dem Schreiben befand sich der Vermerk: "NB: Auf Anordnung von Herrn Oberstaatsanwalt Schwarz werden die oben aufgeführten Erkenntnisse in den Teilergebnissen Nr. 4 vom 18.10.1993 nicht aufgeführt". Bei dem Asservat handelte es sich um ein Vollmantelgeschoß vom Kaliber 9 x 19 mm, Gew. 8,0 gr. Dieser Munitionstyp wird nach Feststellungen des WD Zürich aus diversen Selbstladepistolen, dem Revolver FN-Browning und diversen Maschinenpistolen verfeuert, wobei diese Auflistung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.
Die Staatsanwaltschaft glaubt dieses sich auftuende Problem mit folgender Bemerkung ignorieren zu können: "...Aufgrund dieses Befundes sowie des Umstandes, daß das Geschoß erst mehrere Wochen nach dem Schußwechsel in einem Bereich aufgefunden worden ist, der ausweislich der benachbarten roten Farbmarkierungen bei der Spurensicherung sorgfältig abgesucht worden und überdies am oberen Ende der Treppe für jedermann gut einsehbar ist, ohne daß es bereits vor dem Zeugen G. jemandem aufgefallen wäre, steht außer Zweifel, daß dieses Geschoß mit dem Einsatz auf dem Bahnhof in keinerlei Zusammenhang steht. Es muß vielmehr angenommen werden, daß es nachträglich dort hingelangt ist". Oder Herr G. hat genauer hingeschaut als die Polizei erlaubt.

3. Verschwundene GSG-9-Beamte

Nach Aktenlage sind drei GSG-9-Beamte mit den fortlaufenden Nummern 20, 21 und 22 nie in das Ermittlungsverfahren, sei es durch Vernehmungen, sei es durch andere Aufführung, einbezogen worden. Eine Erklärung findet sich hierfür nicht. Dies gibt zu weiteren Fragen Anlaß.
Auf Seite 20 des Abschlußvermerkes findet sich zunächst die Bemerkung, Bekleidungsstücke des verstorbenen Beamten Newrzella (GSG 9 Nr. 18) wurden nicht übersandt. Nun wird auch der sog. Verbindungsbeamte zum Polizeiführer als GSG 9 Nr. 18 geführt. Hier fragt sich zunächst, ob lediglich ein Schreibfehler vorliegt oder die Staatsanwaltschaft insoweit im eigenen Abschlußvermerk die Übersicht verloren hat. Unzweifelhaft hat jedenfalls nach Aktenlage am 07.07.1993 ein Beamter unter der Legendierung GSG 9 Nr. 18 eine Vernehmung bestritten, in der er sich als Verbindungsbeamter bezeichnete.
Wegen der von der Zeugin Baron und vom Zeugen T. im Bereich der auf Gleis 5 stehenden Lokomotive wahrgenommenen vermummten Beamten, die möglicherweise mit Maschinenpistolen bewaffnet waren, ergibt sich wiederum die Frage, ob es sich bei diesen um die in den Ermittlungen verschwundenen GSG-9-Beamten handelt. Zu fragen ist jedenfalls, warum diese Personen nicht aufgeführt und vernommen worden sind.

4. Spurenvernichtung in Lübeck

Zu den rätselhaftesten Spurenvernichtungen des Ermittlungsverfahrens gehört die von den BKA Beamten A. und F. veranlaßte Reinigung der Hände angeblich zum Zwecke der Identifizierung. Der Beamte A. gab an, zusammen mit seinem Kollegen um 21.00 Uhr aus Bad Kleinen kommend in der Uni-Klinik Lübeck angekommen zu sein.
In diesem Zusammenhang fragt sich zunächst, welcher Auftrag den beiden Beamten erteilt worden war und wer den Auftrag erteilt hat. Ferner fragt sich, wie weit die Beamte zuvor über die Geschehnisse in Bad Kleinen im einzelnen informiert gewesen sind. Es fragt sich auch, ob die beiden BKA-Beamte ständig im Erkennungsdienst tätig sind oder in welchen Funktionen sie noch eingesetzt werden und in Bad Kleinen konkret eingesetzt worden sind. Angesicht der verheerend unprofessionellen Vorgehensweise muß auch die Frage nach der Erfahrung als Erkennungsdienstbeamte und ihre diesbezügliche Qualifikation erfragt werden. Schließlich drängt sich die Frage nach den Namen und dem Grund der Anwesenheit der BKA Beamten auf, die sich zur Zeit des Eintreffens von A. und F. bereits bei Wolfgang Grams befunden haben sollen.
Da sich zwischen den Angaben des Zeugen A. und denen des Dr. K. entscheidende Divergenzen ergeben, hätten diese unbedingt aufgeklärt werden müssen. Hierzu wäre zunächst eine Vernehmung des BKA Beamten F. erforderlich gewesen. Darüber hinaus hätte eine Vernehmung der übrigen, hier namentlich nicht bekannten "BKA Beamten aus Wiesbaden" vorgenommen werden müssen.
Bei dem im Raume stehenden Verdacht, wonach die in Lübeck durchgeführten bzw. angeordneten Maßnahmen der Spurenvernichtung gedient haben, ist es unverständlich, daß den sich in diesem Zusammenhang aufdrängenden Fragen durch die Staatsanwaltschaft Schwerin offensichtlich nicht nachgegangen worden ist.
Die Staatsanwaltschaft hat auch nicht aufgeklärt, um wen es sich bei dem von dem Zeugen Gernot Sch. im Hubschrauber Christoph 34 benannten BKA Beamten gehandelt hat und mit welchem Auftrag dieser Beamte mitflog. Über den weiteren Verbleib des Beamten in der Uni-Klinik in Lübeck und dessen weitere Tätigkeit vor Ort wurden ebenfalls keine Ermittlungen angestellt.

5. Fehlende Berichte und Vernehmungen in den Ermittlungsakten

Daß angeordnete Berichte sich nicht bei den Akten befinden, wird von der Staatsanwaltschaft im Abschlußvermerk nicht moniert: "Durch mich wurde am 15.07.1993 veranlaßt, daß die Personen, die Festnahmen durchführten, einen Festnahmebericht zu fertigen haben und daß Kopien davon mit ausgeschwärzten persönlichen Angaben an das BKA zu übersenden sind". Es wird angeregt, die fehlenden von GSG 9 Nr. 9 angeordneten Berichte der GSG 9 Nr. 1 und Nr. 4 beizuziehen.
Aus den Akten ergibt sich, daß die Zeugin L., der Zeuge B. am 30.06.1993 und 22.07.1993 sowie der Zeuge P. am 14.10.1993 und ein Ehepaar N. vom BKA vernommen worden sind. Niederschriften dieser Vernehmungen sind dem LKA MV bzw. der Staatsanwaltschaft Schwerin übergeben worden, befinden sich jedoch nicht bei den Akten. Die Bedeutung dieser Vernehmungen für das Ermittlungsergebnis kann von den Unterzeichnern daher nicht eingeschätzt werden.
Am 09.07.1993 meldete sich um 11.00 Uhr im BMI telefonisch ein Herrn Ja. aus K. (Insel ...) und erklärte, Augenzeuge des Geschehens in Bad Kleinen gewesen zu sein. Er gab ferner an, Polaroidbilder von dem Geschehen gefertigt zu haben und sich gegenüber anwesenden GSG-9-Beamten als Zeuge angeboten zu haben. Daraufhin habe man ihm zu verstehen gegeben, wenn er sich äußere, sei er ein toter Mann. Derselbe Ja. scheint am gleichen Tag gegen 11.10 Uhr bei der EG Bad Kleinen angerufen zu haben. Anfängliche Ermittlungen führten zu dem Auffinden eines Herrn Gerhard Ja. Dieser ist die einzige gemeldete Person namens Ja. auf der ganzen Insel ... Ein vernommener Herr Andreas Ha., gab an, keine derartigen Informationen an die Behörden gegeben zu haben. An dieser Stelle enden die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Schwerin aus nicht nachvollziehbaren Gründen.
Ebenso fehlen die Vernehmungen des Sanitäters Matthias Fi., Crewmitglied des Rettungshubschraubers SAR 63, Lufttransportgeschwader; des Piloten des Rettungshubschrauber Christoph 12, Matthias Ti.; des Bordwartes von Christoph 12, Stefan Hs. ; des Walter Ba., Pfleger der Uniklinik Lübeck und des Radiologen der Uniklinik Lübeck, Dr. Z. , ohne daß ein Grund hierfür nachzuvollziehen ist.
Der Zeuge Achim B. hat als Notarzt des Rettungshubschraubers Christoph 34 über die Lage von Wolfgang Grams eine vorgefertigte Skizze ergänzt. Diese Skizze ist nicht zur uns vorliegenden Akte gelangt. Auf fernmündliche Nachfrage des unterzeichnenden Rechtsanwaltes Groß am 08.05.1994 hat Dr. B. erklärt, diese Skizze beim LKA MV hinterlassen zu haben.

6. Die daktyloskopische Spurensicherung an der Tatwaffe

Bei der Wolfgang Grams zugeschriebenen Waffe ist unverständlicherweise die daktyloskopische Spurensicherung erst zu einem so späten Zeitpunkt veranlaßt worden, daß jede brauchbare Spur längst vernichtet war. Am 05.07.93 unterrichtete der KK P. das LKA MV darüber, daß die Waffe im BKA keiner daktyloskopischen Untersuchung unterzogen worden ist . Die Staatsanwaltschaft unterrichtete daraufhin am 06.07.1993 um 12.30 Uhr telefonisch den WD Zürich und wies darauf hin, daß die Sicherung von Fingerspuren für das Verfahren von außerordentlicher Bedeutung sei. Der WD wurde beauftragt, eine Untersuchung der Waffe auf Fingerspuren zu veranlassen. In seinem Gutachten qualifiziert Prof. Dr. Bonte das Fingerabdruckproblem wie folgt: "Auch der Versuch, auf der Tatwaffe Fingerabdruckspuren nachzuweisen, hat ein negatives Ergebnis gebracht. Dieses erstaunt, da doch sicher davon ausgegangen werden kann, daß mehrere Personen die Waffe in der Hand gehabt haben. Offenbar ist ein weiterer Fehler dafür verantwortlich, der deutlich wird, wenn man nachliest, in welcher Reihenfolge die verschiedenen Untersuchungen an der Waffe vorgenommen wurden. Sie ging zunächst zum BKA, wo sie beschossen wurde. Ferner wurden spurenkundliche Untersuchungen durchgeführt. Die Waffe wurde danach an Prof. Brinkmann weitergereicht. In Münster wurde eine ausführliche spurenkundliche Untersuchung durchgeführt, bei welcher u.a. biologische Spuren für analytische Zwecke abgenommen wurden. Sie wurde dann nach Zürich gebracht. Der WD asservierte zunächst biologische Spuren. Die Waffe wurde dann mit Klebeband abgetupft und an Prof. Bär weitergereicht, der wiederum biologische Spuren abnahm. Erst danach wurde sie einer daktyloskopischen Untersuchung unterzogen. Dabei bleibt unklar, ob der Züricher Beschuß der Waffe womöglich auch noch vorausging. Bedenkt man, daß es infolge der Spurenabnahme zu einer Spurenausdünnung gekommen sein muß und daß die Waffe hierzu ja auch von zahlreichen Händen angefaßt wurde - wohl mit Schutzhandschuhen, sonst müßten ja Fingerabdrücke der Untersucher vorhanden gewesen sein - dann bleibt nur eine Erklärung für den Negativbefund: ursprünglich vorhandene Fingerspuren wurden im Laufe der diversen Untersuchungen beseitigt". Dem ist nichts hinzuzufügen.

7. Die Sicherstellung der Kleidung der am unmittelbaren Zugriff auf Wolfgang Grams
beteiligten GSG-9-Beamten.

Am 03.07.93 verfügte die Staatsanwaltschaft, daß die Oberbekleidung sämtlicher am Einsatz auf dem Bahnhof Bad Kleinen bei der Festnahme Grams/Hogefeld beteiligten Beamten des BGS zu Beweiszwecken beschlagnahmt wird. Die Vollstreckung der Verfügung sollte durch das LKA MV erfolgen. Das LKA MV ersuchte am gleichen Tag das PP Bonn um Amtshilfe. Am 03.07.93 wurde die GSG 9 in St Augustin aufgesucht. Herrn Bi. von der GSG 9 wurde der Beschlagnahmebeschluß ausgehändigt. Nach seinen Angaben sollten die betreffenden GSG-9-Beamten jedoch kurzfristig nicht zu erreichen sein. Er ging davon aus, daß die Beamten ihre Kleidung nach Rückkehr aus dem Einsatz mit nach Hause genommen hätten. Sie seien über das gesamte Bundesgebiet verstreut. Nach Angaben von Herrn Bi. wurden nahezu alle betroffenen GSG-9-Beamten im Laufe der folgenden Woche zurückerwartet. Nach Rücksprache mit den Beamten werde er dann in Zusammenarbeit mit dem PP Bonn die Oberbekleidung unter Nummern asservieren. Am 06.07.93 wurden dem LKA MV Tüten mit den Nummern 1 bis 19 mit Ausnahme Nr. 5 und 18 übergeben. Dabei handelte es sich um die sichergestellte Bekleidung.
Die staatsanwaltschaftliche Verfügung zur Beschlagnahme der Bekleidung der verdächtigen GSG-9-Beamten und deren Ausführung bieten ein anschauliches Beispiel für uninteressiertes und nicht sachgerechtes Ermitteln. Zuerst bot schon die Verfügung nicht in hinreichender Bestimmtheit Kriterien für das, was unter Oberbekleidung überhaupt zu verstehen ist. Dies ermöglichte den vollstreckenden Polizeibeamten und letztlich dem Kommandeur der GSG 9 zu definieren, welche Kleidungsteile überhaupt sicherzustellen waren. Konkret wurde offenbar bei der GSG 9 die Parole ausgegeben, T-Shirts seien nicht abzugeben, da sie nicht zur Oberbekleidung zu zählen seien. Da andere Beamte ihr T-Shirt/Sweat Shirt abgaben, wurde die Entscheidung darüber offenbar ins Belieben der jeweiligen Beamten gestellt. So wurde von GSG 9 Nr. 8, immerhin Beschuldigter, das weinrote getragene Sweat-Shirt nicht abgegeben. In der Kaserne des BGS wurde auch keineswegs Nachschau gehalten, ob sich die Kleidung der Beamten noch in deren dienstlichen Unterkünften befand. Auf die bloße Vermutung des Herrn Bi. hin, die Bekleidung sei nach Hause mitgenommen worden, gab man sich mit dieser Auskunft zufrieden und vereinbarte, daß die GSG 9 die zu beschlagnahmende Kleidung selbst zusammenstellt und durch BGS-Hubschrauber nach Rampe überbringt, anstelle konkrete Sicherstellungsmaßnahmen bei den GSG-9-Beamten Zuhause zu veranlassen. Damit war der willentlichen oder unwillentlichen Spurenvernichtung Tür und Tor geöffnet. So haben fast alle Beteiligten gereinigte Kleidung abgegeben. Wesentliche KT-Maßnahmen konnten daher nicht mehr effektiv durchgeführt werden. In vergleichbaren Fällen von Schwerstkriminalität wird - auch nach Erfahrung der Unterzeichner - mit erheblich engagierteren Schritten für die Beweismittelsicherung von Spurenträgern Sorge getragen, notfalls mit bundesweiten Durchsuchungsaktionen bei einer Vielzahl von Privatwohnsitzen Verdächtiger.

8. Handhabung der Gewährung der Akteneinsicht

Nachdem gegen die GSG 9 Nr. 6 und Nr. 8 mit Verfügung vom 10.08.1993 Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes der vorsätzlichen Tötung von Wolfgang Grams eingeleitet worden waren, machten diese ab diesem Zeitpunkt von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Auf Antrag ihrer Verteidiger wurde diesen mit Verfügung vom 17.09.1993 umfassend Akteneinsicht gewährt. Dieses geschah somit lange vor Abschluß der Ermittlungen am 13.01.1994 und noch während die Ermittlungshandlungen und Vernehmungen von Zeugen fortgesetzt wurden. Am 08.12.1993 wurde der Verteidigerin des Beschuldigten GSG 9 Nr. 8 ergänzende Akteneinsicht gewährt.
Dagegen wurden von der Staatsanwaltschaft sämtliche Anträge der anwaltlichen Vertreter der nebenklageberechtigten Verletzten auf Gewährung der Akteneinsicht abgelehnt, bis auf Antrag der Unterzeichner das Landgericht Schwerin mit Beschluß vom 30.12.1993 dem ein Ende machte und gem. 406 e Abs. 4 die Gewährung der Akteneinsicht zum 14.01.1994 anordnete. Das Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigten wurde von der Staatsanwaltschaft daraufhin mit Verfügung vom 13.01.1994 eingestellt. In dem Antragsverfahren auf gerichtliche Entscheidung über die Gewährung der Akteneinsicht hatte die Staatsanwaltschaft gegenüber dem Gericht eingeräumt, die Akten gegenüber den Vertretern der nebenklageberechtigten Verletzten auf Intervention des Bundesinnenministeriums zurückgehalten zu haben.
Mit der Versagung der Akteneinsicht hat die Staatsanwaltschaft den Geschädigten und ihren Anwälten für die Dauer des Ermittlungsverfahrens die Möglichkeit genommen, dieses gedanklich zu begleiten und ihrerseits Anregungen zu geben, die wahrscheinlich geholfen hätten, eine Reihe von Stümpereien und Unterlassungen zu verhindern. Die unterschiedliche Handhabung der Gewährung der Akteneinsicht gegenüber Beschuldigten und Geschädigten ist evident und ließ das gefundene Ermittlungsergebnis erwarten.

Rechtsanwalt Andreas Groß
Rechtsanwalt Thomas Kieseritzky


06.06.1994


Namen gekürzt, Aktenverweise getilgt

 

 

Wolfgang Grams (5)

 

Detlef Winter                                                                                                                                      Lübeck, den 22.4.2006

Max-Planck-Str.13

23568 Lübeck

Tel/Fax: 0451-32990

www.luebeck-kunterbunt.de

 

 

Herrn Rechtsanwalt

Thomas K.                                   

- persönlich / vertraulich -

 

 

 

Wolfgang Grams - anwaltliche Vertretung seiner Eltern

 

Sehr geehrter Herr Kollege,

 

in der Annahme, daß Sie seinerzeit die Eltern von Wolfgang Grams vertreten haben, erlaube ich mir diese Kontaktaufnahme, nach dem ich Herrn Kollegen Andreas Groß nicht ausfindig machen konnte.

 

Kurz - damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben - meine Vorstellung: Ich war seit 1977 als Rechtanwalt - und später auch als Notar - in Lübeck tätig. Im September 1997 habe ich meine Zulassung wegen ungeheuerlicher Rechtsbrüche innerhalb der schleswig-holsteinischen Justiz unter Protest zurückgegeben. Danach habe ich - mit Dr. Edmund Haferbeck als Mitautoren - "Die Rechtsbeugermafia" verfaßt, die 1999 als Buch erschien und in 2. Auflage im Internet auf der o. g. Seite bereit steht. Im Nachwort der "Rechtsbeugermafia" wurde der Inhalt eines zweiten Bandes angekündigt und skizziert; das Kapitel 5 soll beinhalten: "Staatskriminalität und Staatsterrorismus an den Beispielen Grams und Hafenstraße". Bei der "Hafenstraße" geht um den bis heute ungesühnten Mord an zehn Asylbewerbern, die keine drei Kilometer von meiner Wohnung entfernt jämmerlich verbrannten oder sich zu Tode stürzten.

 

Auch deshalb habe ich gestern mit großem Interesse den Schlüsselroman von Christoph Hein "In seiner frühen Kindheit ein Garten" gelesen.

 

Eine Nachsuche im Internet führte mich zur Begründung der Beschwerde gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen zwei GSG 9-Beamte durch die Staatsanwaltschaft Schwerin und damit auch zu Ihrem Namen.

 

Sofern Sie es ebenfalls für angezeigt halten, möchte ich Sie bitten, eine Kopie dieses Schreibens den Eltern von Wolfgang Grams zuzuleiten.

Wie dem Roman von Christoph Hein zu entnehmen ist, hat sich Herr Grams senior als pensionierter Oberstudiendirektor intensiv mit den Medienveröffentlichungen im Zusammenhang mit der Tötung seines Sohnes beschäftigt, so daß ich natürlich Gefahr laufe, "Eulen nach Athen zu tragen". Gleichwohl halte ich es für möglich, daß meine Information möglicherweise noch nicht bekannt ist:

 

Dr. Hans-Jürgen F. war Staatsanwalt in Lübeck und machte unter Berücksichtigung seiner bescheidenen juristischen Kenntnisse und Fähigkeiten eine erstaunliche Karriere. Einer seiner Förderer war der LOStA Oswald Kleiner (Rotarier + CDU), der nach Barschels Willen als Nachfolger von Teschke (LIONS-Club) Generalstaatsanwalt hätte werden sollen. Die SPD Landesregierung unter Engholm entfernte beide aus dem Dienst. Dr. F. war jedoch schon Oberstaatsanwalt; zuerst mit einer sog. Leerstelle bei der Staatsanwaltschaft Itzehoe und dann als stellvertretender Pressesprecher der Generalsbundesanwälte Kurt Rebmann (LIONS-Club) und Alexander von Stahl (Rotary); außerdem war er für Spionagesachen zuständig. In dieser Eigenschaft war er in Bad Kleinen dabei und ich habe es mit eigenen Ohren gehört, wie er - auf Vorhalt zu dem Skandal und seinem Schweigen - sagte, er habe keine Lust gehabt, für den Rest seines Lebens zusammen mit Frau Baron Fritten im Bahnhof von Bad Kleinen zu verkaufen. Rebmanns Vertrauen in ihn war so groß, daß er ihn sogar mit der fürsorglichen Betreuung der "Unperson" Dr. Alexander Schalck-Golodkowski betraute. Noch als Pensionär blieb Rebmann ihm verbunden und versuchte sogar, ihm durch persönliche Vorsprache in Hamburg dort zum Generalstaatsanwalt zu machen; allerdings vergeblich. Später wurde Dr. F. unter der Regierung Manfred Stolpe (LIONS-Club) Ministerialdirigent und Chef des krisengeschüttelten brandenburgischen Verfassungsschutzes, dann Polizeipräsident von Brandenburg-Süd und dann wurde er stellvertretender Abteilungsleiter im Bundesinnenministerium (Bekämpfung des Rechtsextremismus). Ein erneuter Behördenwechsel soll angeblich zurück zur Generalbundesanwaltschaft bevorstehen.

 

Dr. F. war höchstwahrscheinlich der Zeuge, den der SPIEGEL hinsichtlich der Tötung Grams an der Hand hatte und den der SPIEGEL vergeblich zu bewegen versuchte, mit seinen Wahrnehmungen als Zeuge aufzutreten. Langjährig enge Beziehungen zwischen Dr. F. und dem SPIEGEL sind belegt.

 

Wenn ich mich richtig entsinne, war Leyendecker der zuständige SPIEGEL-Redakteur, der sich sehr in die Sache verbissen hatte und dann wenig später den SPIEGEL verließ. Heute schreibt er wohl überwiegend für die Süddeutsche Zeitung.

 

Es wird Ihnen sicher nicht verborgen geblieben sein, daß man später versucht hat, Wolfgang Grams die Ermordung des Chefs der Treuhand, Detlev Karsten Rohwedder in die Schuhe zu schieben (vgl. etwa DER SPIEGEL 21/2001/32-36). Es mag dahinstehen, ob daran etwas ist oder ob man nur einen Mythos zerstören wollte. Auch posthum gilt die Unschuldsvermutung und zwar noch verschärft, denn Wolfgang Grams kann sich nicht mehr wehren.

 

Wenn man die vielfältigen Mosaiksteine zusammenfügt, ergibt sich ein Bild, daß einen unweigerlich zum Verschwörungstheoretiker abstempelt, wenn nicht sogar zum Idioten und/oder Antisemiten:

 

1)        Barschel wurde nach Aussage des Ex-Mossad-Majors Victor Ostrovsky vom israelischen Geheimdienst ermordet, was allerdings nichts mit dem Fall "Grams" zu tun hat, aber Macht und Skrupellosigkeit beweist. Immerhin hat die Staatsanwaltschaft Lübeck dazu geschwiegen und die entsprechende Akte wurde beim Verfassungsschutz vernichtet.

2)        Die erste Generation der RAF wurde trotz eindeutig proarabischer und antizionistischer Ausrichtung letztendlich vom MOSSAD geführt, wofür es Beweise gibt. Die Parallelen zum Massaker des "Schwarzen September" in München und zum 11. September 2001 (vgl. den BND-Bericht vom 5.4.2002) sind im übrigen überdeutlich.

3)        Rohwedder wollte als Chef der Treuhand nationale deutsche Interessen vertreten, wurde deshalb liquidiert und durch Birgit Breuel ersetzt, die mehrheitlich andere Interessen bevorzugte und außerdem die einzige deutsche Frau im B'nai B'rith sein soll. Einige signifikante Charakteristika zum B'nai B'rith können in den Ansprachen des verstorbenen Erzbischofs Marcel Lefebvre nachgelesen werden.

4)        Rotary und LIONS wurden vor etwa 90 Jahren in den USA im Auftrag des B'nai B'rith gegründet.

5)        Der KoKo-Chef Dr. Schalck-Golodkowski hat kofferweise Bargeld, das zuerst der DDR und dann der BRD zustand, nach Israel geschafft.

6)        Dr. F ist ein Philosemit wie er im Buche steht. Die Deutschen sind ziemlich pauschal alles Nazis und Verbrecher. Seine großen Vorbilder sind I. Bubis (LIONS-Club), R. Giordano, H. Broder usw. ............

 

Zur Klarstellung: Ich stehe politisch links und bin alles andere als ein Antisemit. Nur ist der oberste Grundsatz aller Wissenschaft Vorurteilslosigkeit und Voraussetzungslosigkeit.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

 

Detlef Winter                                                                                                                                     Lübeck, den 19.7.2006

Max-Planck-Str.13

23568 Lübeck

Tel/Fax: 0451-32990

www.luebeck-kunterbunt.de

 

JUNGE FREIHEIT

Fax: 030 - 86 49 53 - 14

10713 Berlin

 

"Abgesang auf eine Verschwörungstheorie"

JF vom 7.7.2006 / S. 8

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Entgegen dem gewohnten Niveau Ihrer Zeitung steckt der Artikel über den Tod von Wolfgang Grams voller Fehler und unvertretbarer Wertungen. Es besteht kein vernünftiger Zweifel daran, daß Wolfgang Grams von einem GSG9-Mann vorsätzlich getötet wurde, auch wenn nicht nur Herrn von Stahl ein anderes Ergebnis sicherlich besser in die Biographie passen würde. Nicht nur die kritische Beurteilung der forensischen Ergebnisse (trotz der Vernichtung von Spuren/Beweismitteln) spielen dabei eine Rolle, sondern auch die Aussagen von zwei Tatzeugen. Nicht nur Frau Baron hat den Vorfall als vorsätzliche Tötung Grams wahrgenommen, auch der von Ihnen diskreditierte weitere "angebliche Antiterrorspezialist", dessen Identität auch keinesfalls unklar ist. Es handelte sich nämlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um einen Beamten der Bundesanwaltschaft, also einen Mitarbeiter von Rebmann und von Stahl, der - nach seinen eigenen Worten - "keine Lust verspürte, für den Rest seines Lebens zusammen mit Frau Baron Fritten in Bad Kleinen zu verkaufen". Leyendecker hatte diese Person seinerzeit schon fast so weit, öffentlich als Zeuge aufzutreten. Da jedoch maßgebliche beamtenrechtliche Nachteile drohten, die DER SPIEGEL im Extremfall nicht auffangen konnte, blieb der Zeuge stumm.

 

Mit freundlichen Grüßen