Waterloo in Middle-East

 

Das Trauerspiel von Afghanistan

 

Theodor Fontane

 

Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt,

Ein Reiter vor Dschalalabad hält,

»Wer da!« - »Ein britischer Reitersmann,

Bringe Botschaft aus Afghanistan.«

Afghanistan! Er sprach so matt;

Es umdrängt den Reiter die halbe Stadt,

Sir Robert Säle, der Kommandant,

Hebt ihn vom Rosse mit eigener Hand.

Sie fuhren ins steinerne Wachthaus ihn,

Sie setzen ihn nieder an den Kamin,

Wie wärmt ihn das Feuer, wie labt ihn das Licht,

Er atmet hoch auf und dankt und spricht:

»Wir waren dreizehntausend Mann,

Von Kabul unser Zug begann,

Soldaten, Führer, Weib und Kind,

Erstarrt, erschlagen, verraten sind.

Zersprengt ist unser ganzes Heer,

Was lebt, irrt draußen in Nacht umher,

Mir hat ein Gott die Rettung gegönnt,

Seht zu, ob den Rest ihr retten könnt.«

 

Sir Robert stieg auf den Festungswall,

Offiziere, Soldaten folgten ihm all,

Sir Robert sprach: »Der Schnee fällt dicht,

Die uns suchen, sie können uns finden nicht.

Sie irren wie Blinde und sind uns so nah,

So lasst sie's hören, dass wir da,

Stimmt an ein Lied von Heimat und Haus,

Trompeter, blast in die Nacht hinaus!«

Da huben sie an und sie wurden's nicht müd,

Durch die Nacht hin klang es Lied um Lied,

Erst englische Lieder mit fröhlichem Klang,

Dann Hochlandslieder wie Klagegesang.

Sie bliesen die Nacht und über den Tag,

Laut wie nur die Liebe rufen mag,

Sie bliesen - es kam die zweite Nacht,

Umsonst, daß ihr ruft, umsonst, daß ihr wacht.

Die hören sollen, sie hören nicht mehr,

Vernichtet ist das ganze Heer,

Mit dreizehntausend der Zug begann,

Einer kam heim aus Afghanistan.

 

Anmerkung: Der Kulturredakteur von „luebeck-kunterbunt“ hatte 1971 die einmalige Gelegenheit zu einer abenteuerlichen Reise um den halben Weltball genutzt. Mit einem VW-Käfer, Baujahr 1954, ging es bis nach Lahore, der Millionenstadt in der Nähe der pakistanisch-indischen Grenze. Wegen eines Bruchs der Pendelachse und wegen der restriktiven Kraftfahrzeugeinfuhrbestimmungen Indiens mußte „Herby“ vorübergehend zurückgelassen werden. Die Reise bis nach Katmandu in Nepal wurde unter Mithilfe des Volvo-Busses eines freundlichen schwedischen Ehepaares, der Eisenbahn und einer DC 3 aus dem Zweiten Weltkrieg fortgesetzt. Bei der Rückkehr nach Lahore war die Pendelachse geschweißt und die Reise ging weiter über den legendären Khyber-Pass nach Afghanistan. Wir waren kurz vor Sonnenuntergang das letzte Fahrzeug, welches von der pakistanischen Seite aus Richtung Khyber-Pass die Grenzstation verlassen durfte. Hinter uns wurde die Straße mit einem Metallgitterzaun gesperrt. Bei der afghanischen Pass-, Zoll- und Einreisekontrolle wurden wir als Deutsche privilegiert behandelt und mussten nicht die 100 US-Dollar ersatzweise 400 DM vorzeigen, was von den anderen Touristen verlangt wurde. In einer der ersten Ortschaften jenseits des Khyberpasses hatten wir uns danach ersteinmal in einem Straßencafé mit einem leckeren „Omelette nature“ und einem Glas Tee gestärkt. In Kabul konnten wir uns ein schlichtes Hotelzimmer leisten. Der Besitzer sprach deutsch. Er gab freimütig zu, den Erwerb des Hotels mit ein paar Flügen nach Ost-Berlin finanziert zu haben, wobei er jedes Mal sein Reisegepäck mit bestem „schwarzen Afghan“ gefüllt hatte, wofür es dann in West-Berlin liquide Abnehmer gab. In Kabul – und auch in Kandahar – hatte die deutsche Entwicklungshilfe vorbildliche Ingenieurschulen zur Ausbildung einheimischen Nachwuchses eingerichtet. In der Werksatt der Kabuler Schule wurde unserer „Herby“ einer gründlichen Inspektion unterzogen und zwar kostenlos; wir besorgten nur das Motorenöl zum Wechseln. Bei der Suche nach Andenken konnte ich für meinen Bruder eine „Royal Enfield 1869“ für umgerechnet 60 Mark erwerben. Der Brite, dem das Gewehr einmal gehörte, war wahrscheinlich einer der Unglücklichen, der Britanniens Imperialismus im wilden freien Afghanistan mit dem Leben bezahlt hatte.

Der weitere Weg führte uns dann über die straßenmäßig besser ausgebaute Südroute nach Kandahar, Herad, Farad nach Iran (Meshed, Teheran, Täbris).