Ramirez alias Carlos
(...) Der Kalte
Krieg ging zu Ende. Carlos und sein Leben, insbesondere seit Ende der sechziger
Jahre, sind auf eigentümliche Weise Teil dieses Kalten Krieges. Jedes Land hat
einen eigenen Namen für ein Geschöpf wie ihn. In Carlos' Muttersprache, dem
Spanischen, jagt man den Kindern mit »coco« einen Schrecken ein. In Italien ist es der »spauracchio« in Rußland der
»gombore domowoi«, in Frankreich der »croque-mitaine«, in Deutschland der
»Schwarze Mann«. Jetzt haben wir dank eines Venezolaners ein universelles Wort
für dieses Phänomen - Carlos. Die Sache der Palästinenser und ihr Kampf für
einen unabhängigen Staat hatten Ilich Ramirez begeistert. Aber diese
Begeisterung legte sich bald und wurde durch etwas anderes ersetzt, das er weitaus
begehrenswerter fand; er selbst sprach von »scharfen Sachen«. Der einstige
Marxist wurde Kapitalist. Er verriet seine ursprüngliche politische
Weltanschauung ebenso gelassen wie die Sache der Palästinenser. Das Kind aus
kleinbürgerlichen Verhältnissen entwickelte sich als Erwachsener zum Inbegriff
des Bourgeois. Seine persönlichen Vorstellungen von Moral und Integrität hatte
Ramirez schon vor Jahrzehnten über Bord geworfen.
Ramirez und andere seines
Schlages waren all die Jahre kein Propagandageschenk für die Palästinenser,
sondern für die israelischen Falken. Jeder sinnlose Terrorakt diente der
extremen Rechten in Israel nicht nur als Vorwand, Gebietsabtretungen
grundsätzlich abzulehnen, sondern auch als Rechtfertigung für eigene sinnlose
Akte der Gewalt und des Terrors.
Ich breche hier weder eine
Lanze für Jassir Arafat und die anderen PLO-Führer noch für Jizchak Schamir und
seine Kollegen. Sie haben allesamt die Zeichen der Zeit nicht erkannt und
hängen vergangenen Tagen nach. Meine Sympathien gelten dem palästinensischen
und dem israelischen Volk. Beide verdienen eine bessere Führung. Sie verdienen
Frieden, und den wird es erst geben, wenn eine gerechte Lösung für beide Seiten
gefunden ist. Israel ist das Land der Juden, es ist aber auch die Heimat der
Palästinenser. Es ist geradezu absurd, daß die praktischen und intellektuellen
Fähigkeiten beider Völker nicht zum gegenseitigen Nutzen eingesetzt werden.
Wenn die Ewiggestrigen auch künftig nicht gewillt sind, eine gerechte Lösung
auszuhandeln, dann werden sie der kommenden Generation ein schreckliches Erbe
hinterlassen. Im Vergleich zu dem Blutbad, das dann auf uns zukommt, werden uns
die vergangenen 50 Jahre wie ein Picknick vorkommen. (...)
Quelle: David A. Yallop in
„Die Verschwörung der Lügner“, München 1993, S. 640 f