Internet - Wirkungen
Otfried Jarren sieht für eine
themenbezogene Teilöffentlichkeit im Netz per se kein relevantes gesellschaftliches
Ideologisierungs‑ und Mobilisierungspotential: "'Gegenöffentlichkeit'
vermag sich partiell und dem Anspruch nach über das Netz und die
Netzkommunikation als das Ergebnis von Selbstverständigungsprozessen
herauszubilden. Doch damit sind noch keine weiteren Personen oder soziale
Gruppen erreicht, die in der Regel benötigt werden, um Ziele durchzusetzen. Bei
der Netzkommunikation handelt es sich zunächst um Kommunikation unter Gleichen
('Betroffenen'), für die nur schwer andere zu interessieren sind, auch weil die
im Netz ablaufenden Prozesse als selbstbestimmte Formen nicht den allgemeinen
Relevanzkriterien entsprechen. [ ... ] So sind auch die Erfahrungen mit der
'Alternativpresse' oder mit den Versuchen zur Herausbildung von
'Gegenöffentlichkeit' durch alle Arten von 'Bewegungspublizistik' zu verstehen:
Sie kann im Konfliktfall dienlich sein, weil sie ‑ allein vom Anspruch
her ‑ allgemein öffentlich etwas thematisiert, was bei anderen zur
Unterstützung führen kann. Sie kann auf Dauer politisch nicht viel erreichen,
weil sie zumeist nur ihresgleichen umfaßt." (Otfried Jarren:
"Demokratie durch Internet?", in: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hg.), "Internet
und Politik", Sankt Augustin 1998 / www.kas.de).
Wenn eine Teil‑ oder
"Gegenöffentlichkeit" im Internet aber tatsächlich keine
realistischen Chancen hat, mittels Online‑Kommunikation die politischen
und ideologischen Schnittstellen mit der realen Welt außerhalb des Cyberspace
zu beeinflussen, dann stellt sich die Frage, warum die betroffenen
Gesellschaften gegen bestimmte Ausformungen dieser
"Gegenöffentlichkeit" Abwehrmechanismen auch auf politisch‑administrativer
Ebene entwickeln. Im Falle des Rechtsextremismus im Internet, soviel sei
vorweggenommen, versucht dies die institutionalisierte Politik relativ massiv.
Dabei werden oftmals gegenteilige als die intendierten Effekte provoziert, da
problematischen Informationen nicht selten eben durch die Versuche der Abwehr
breitere öffentliche Resonanz verschafft wird, die diese ohne die Bekämpfung
nicht hätte erreichen können.
Claus Leggewie sieht die
potentiellen Funktionen und Wirkungen der computervermittelten Kommunikation
durch das Internet im Gegensatz zu Jarren von einer anderen Perspektive. Er
geht davon aus, daß sich das Internet im allgemeinen gegenwärtig noch als
relativ unpolitisch darstellt, vermutet für die Zukunft jedoch aufgrund
verstärkter gesellschaftlicher Partizipation und weiterer Ausdifferenzierung
des Mediums einen Wandel dieser Entwicklung: "Gut informierte,
deliberationsfähige und beteiligungswillige Bürger werden mehr Raum im
Cyberspace bekommen, wenn sich das Internet, ähnlich wie das Fernsehen seit den
50er Jahren, zum Massenmedium entwickelt, und wenn sie die niemals ganz zu
verschließenden Spielräume zugleich als Netizens artikulieren. Politische
Öffentlichkeiten waren stets Angelegenheit einer Minderheit von Aktivbürgern
und wurden nur erweitert unter dem Druck sozialer Bewegungen. Das technische
Potential der Netze liegt bereit, um einen eventuellen Beteiligungsschub von
unten zu fördern und die Repolitisierung des Internet einzuleiten." (Claus
Leggewie: "Demokratie auf der Datenautobahn - Wie weit geht die
Zivilisierung des Cyberspace? Internet und Politik - ein Problemaufriß" /
www.heise.de/tp/deutsch/special/pol/6241/1.html). Auch wenn wir also
gegenwärtig noch nicht von einer umfassenden, an den technischen Möglichkeiten
des Mediums orientierten, optimalen gesellschaftlichen Nutzung des Internet
durch soziale und politische Bewegungen ausgehen können, so erscheint mir die
Prognose von Leggewie für die Zukunft als realistisches Entwicklungsszenario.
Quelle: "Rechtsextreme im Internet - Ideologisches
Publikationselement und Mobilisierungskapital einer rechtsextremen sozialen
Bewegung?" von Bernd Nickolay, Würzburg 2000, S. 22 f