Arnold Zweig über Hitler und Kipling

Es wird keinen Freund der Literatur wundern, daß in Rudyard Kiplings Werk sich auch eine Begegnung mit dem Typus Hitler findet. Ist doch dieses Werk an Begegnungen mit sonderbaren Wesen so reich wie die Schöpfung selbst und mußte sich doch vor Kiplings Dichteraugen jedes Stück Dasein so entkleiden, daß sein wesentlicher Gehalt unverkennbar zum Vorschein kam. .. Diese Geschichte heißt charakteristischerweise "The Man who would be King" und beginnt mit der Beschreibung, wie eines Nachts, lange vor der Jahrhundertwende, ein Mann in die Redaktion des "Pioneer" eintritt, einer indischen Zeitung, in deren Setzereiraum der Erzähler der Geschichte sitzt und Korrektur liest. Die heiße Nachtstunde, das grelle, ungeschirmte Licht der Leselampe, der kahle Raum der Druckerei sind geeignete Kulissen für den Auftritt dieses Mannes, der kein Maharadscha ist, kein Minister, kein Bankier oder Diplomat, sondern ein Landstreicher, einer jener besitzlosen, von der Gesellschaft nicht aufsaugbaren Europäer, die im Fernen Osten zwischen den Klassen und Kasten umhergetrieben werden.

Hier zeigt sich gleich die erste Parallele zu dem Fall des deutschen Reichskanzlers und Führers ..., der auch, vor dem ersten Weltkrieg, außerstande war, sich in der friedlichen Gesellschaft des Deutschen Reiches oder Österreichs einen Platz zu erkämpfen; er mußte im Asyl für Obdachlose jahrelang unterschlüpfen. Ob ihn freilich damals schon der Wille zur Macht so beseelte wie in unseren unglücklichen Tagen, wissen wir nicht. Mit nichts spart Herr Hitler so wie mit Bekenntnissen aus seiner Frühzeit. Unverkennbar dagegen flammt er in den Augen von Kiplings nächtlichem Besucher, der von dem Redakteur die Gunst erbittet, Landkarten einsehen zu dürfen. Er und ein Begleiter, den er mitbringt, sind unterwegs nach Kafiristan, einem Land im Himalayagebiet. Dort will er König werden, und er zweifelt nicht daran, daß es ihm gelingen muß. Die Tollheit dieses Unternehmens, das er sich zutraut, und das Zweigespann der Physiognomien fesseln den Redakteur, der ja gewöhnt ist, jede Art von Existenzen auf den Landstraßen Indiens daheim zu finden. Er leiht ihnen seine Karten, hilft dem kleineren der beiden, sich das Wichtigste daraus aufzuzeichnen: den Weg nach Kafiristan; und dann vergißt er sie, kaum daß sich Tür und Nacht hinter den beiden geschlossen haben, über seinen Leitartikeln und Druckfehlern.

Nicht so freilich der Leser, der unter Kiplings Meisterschaft steht. Er wundert sich nicht, daß nach Monaten der kleinere von beiden, zerlumpt und geistig verwirrt, wieder in der Redaktion des "Pioneer" auftaucht, um zu berichten, was man am besten bei Kipling selbst nachliest. Ja, der andere, sein Held, ist König geworden in Kafiristan. Dort gibt es Stämme von blonden Leuten, kriegstüchtige bewaffnete Männer, und der andere, der Rotbärtige, hat sie militärisch gedrillt, schlagkräftig gemacht und angeleitet, ihre Nachbarn anzugreifen und zu besiegen. Es wundert niemanden, daß sie ihn daraufhin zum König machten und ihn, den Berichterstatter, den Kleinen, Demütigen, seinen Goebbels, zum Minister und Propagandachef, der den Leuten von Kafiristan verkündete, wie groß ihr neuer König sei und wie glücklich sie selbst, daß er sie auserwählt habe. Eine Zeitlang ging es herrlich, und sie lebten wie Gott in Frankreich, der Führer und sein Minister. Aber dann kam der Umschwung, und der drückte sich so aus, daß die Leute von Kafiristan ihren König von einer Brücke in den Abgrund warfen, dreitausend Fuß hinunter, einen guten Sturz nach einer guten Höhe, wo er zerplatzte wie eine Schildkröte, die ein Adler auf einen Felsen fallen läßt. Ihn, den Propagandaminister, kreuzigten sie bloß und ließen ihn dann laufen, damit er in der Welt erzählen könne, was sich zwischen den Bergen zugetragen hatte und wie sein Freund und Herr aufgestiegen sei und gefallen – im wahrsten Sinn des Wortes.

Eine bemerkenswerte Geschichte, das wird man mir zugeben und sich nicht wundern, daß ich sie im Gedächtnis behielt, weit über zwölf Jahre. Als ich sie las, war noch keine Rede davon, daß sie einmal die grausige Wahrheit ...werden würde. ...

Anmerkung: Was Arnold Zweig (1887 – 1968), der liebenswerte Jude mit der großen Sehnsucht nach der klassenlosen Gesellschaft, über die Parallelität von Hitler und einer Erzählung des Freimaurers und Nobelpreisträgers (1907) Joseph Rudyard Kipling (1865 – 1936) schreibt, ist hochinteressant. Dies insbesondere, wenn man weiß, daß britische Logenkreise an der "Karriere" des GRÖFAZ maßgeblich beteiligt waren, weshalb er die Briten bei Dünkirchen schonte. Kipling verherrlichte das englische Weltreich und die Taten der angelsächsischen Rasse. Nach den heutigen - wegen der hirnrissigen pc überzogenen – Maßstäben könnte man versucht sein, ihn sogar einen "Rassisten" zu nennen. Arnold Zweig verschweigt, daß die beiden Abenteurer, die die Herrschaft über Kafiristan, welches noch nördlich des ohnehin für die Briten schon unbezwingbaren Afghanistan gelegen war, erringen wollen, Freimaurer waren. Als beide sich nämlich zufällig auf einem indischen Bahnhof begegnen, entwendet der "Heruntergekommene" dem "Situierten" dessen Taschenuhr. Als der Dieb daran die dem Eingeweihten bekannte Freimaurersymbolik erkennt, bringt er reuevoll seine Beute dem Logenbruder zurück, woraus sich diese herrliche Freundschaft wie auf dem Rollfeld von Casablanca entwickelt, die dann so jäh mit dem tiefen Sturz von der Brücke endet. Kipling war übrigens selber Freimaurer und zwar in verschiedenen Logen in den britischen Kolonien und in England. Was die kaum glaubhafte aber reale politische Erfüllung literarisch-prophetischer Vorlagen anbetrifft, wird die oben erwähnte (übrigens verfilmte) Novelle allerdings meilenweit übertroffen von Mynona (Pseudonym für Dr. Salomon Friedlaender): "Hat Erich Maria Remarque wirklich gelebt?" (Berlin 1929). Was der Hamburger Holzhändler Friedrich Nieland in der Broschüre "Wieviel Welt (Geld)-Kriege müssen die Völker noch verlieren?", die übrigens an alle Bundesminister und Parlamentarier der Bundesrepublik verteilt wurde, schrieb, ist allerdings nicht frei zugänglich. Das gegen Nieland deshalb angestrengte Strafverfahren wurde zwar vom Landgericht und dem Hanseatischen Oberlandesgericht nicht eröffnet; die Schrift wurde jedoch vom Bundesgerichtshof eingezogen, weil es doch immer noch einige Dinge gibt, die der deutsche Michel nicht wissen darf, auch wenn es für diese zumindest gehäufte Indizien, wenn nicht sogar handfeste Beweise gibt.