Osterspaziergang
von Johann Wolfgang Goethe
Vom
Eise befreit sind Strom und Bäche
durch
des Frühlings holden, belebenden Blick,
im
Tale grünet Hoffnungsglück;
der
alte Winter, in seiner Schwäche,
zog
sich in rauhe Berge zurück.
Von
dort her sendet er, fliehend, nur
ohnmächtige
Schauer körnigen Eises
in
Streifen über die grünende Flur;
aber
die Sonne duldet kein Weißes,
überall
regt sich Bildung und Streben,
alles
will sie mit Farben beleben;
doch
an Blumen fehlt's im Revier,
sie
nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre
dich um, von diesen Höhen
nach
der Stadt zurückzusehen!
Aus
dem hohlen, finstern Tor
dringt
ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder
sonnt sich heute so gern,
sie
feiern die Auferstehung des Herrn;
denn
sie sind selber auferstanden.
Aus
niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
aus
Handwerks‑ und Gewerbesbanden,
aus
dem Druck von Giebeln und Dächern,
aus
der Straßen quetschender Enge,
aus
der Kirchen ehrwürdiger Nacht
sind
alle ans Licht gebracht.
Sieh
nur, sieh! wie behend sich die Menge
durch
die Gärten und Felder zerschlägt,
wie
der Fluß in Breit' und Länge
so
manchen lustigen Nachen bewegt!
Und
bis zum Sinken überladen
entfernt
sich dieser letzte Kahn.
Selbst
von des Berges fernen Pfaden
blinken
uns farbige Kleider an.
Ich
höre schon des Dorfs Getümmel,
hier
ist des Volkes wahrer Himmel,
zufrieden
jauchzet groß und klein:
hier
bin ich Mensch, hier darf ich's sein.