Typisch lübsch (150)

 

Wer macht in Lübeck eigentlich die Stadtplanung?

 

bürger nachrichten – Zeitung der Bürgerinitiative Rettet Lübeck Nummer 92

Oktober-November 2004 / S. 10

 

Noch einmal: Südliche Wallhalbinsel

 

Gehobene Stadtvillen am Wasser?

 

 

Wir berichteten in der letzten Ausgabe der Bürgernachrichten über den Auf­trag der Bürgerschaft an die Lübecker Stadtplanung, für das Areal zwischen Wallstraße und Stadttrave auf der südlichen Wallhalbinsel den geltenden Bebauungsplan mit der Ausweisung „Öffentliches Grün“ zu ändern und dort ein „kleines hochwertiges Wohnquartier“ zu entwickeln.

Mit diesem politischen Beschluss waren alle bisherigen stadtplanerischen Untersuchungen und Überlegungen zu einer behutsamen Neuordnung des Areals plötzlich Schnee von gestern: keine Erhaltung und Sanierung des Kulturdenkmals Wallstraße 25 (Wohnhaus mit Ausspann, früher auch als St. Petri-Ziegelhof bezeichnet), keine Herstellung von Grün- und Erholungsflächen als Ausgleich für die dicht bebauten Sanierungsgebiete ge­genüber.

Das Ziel, die südliche Wallhalbinsel insgesamt einer öffentlichen, also kulturellen und touristischen Nutzung vorzubehalten, wurde dadurch zu­mindest in einem wichtigen Teilbereich eindimensionalen Wirtschaftlichkeits-Überlegungen der politischen Gremien geopfert.

Wer immer den Anstoß zu diesem Kurswechsel gab - von städtebaulichen Visionen wurde er nicht geplagt. Der Traum der Stadtplaner, in Nachbar­schaft zu Salzspeichern, Holstentor und 700-Jahr-Halle mit Blick auf den von Lübeck angestrebten Kulturhauptstadt-Status ein Kultur-Areal zu schaffen, ist aber nicht ausgeträumt. Doch bis auf weiteres ist zu befürch­ten, dass auch an dieser Stelle eine Einzelhandelskette ihre „welcome"-Angebote auf den Holstentorplatz rollen könnte, wenn der Grundstückspreis stimmt.

Der Auftrag an die Bürgerschaft ist nicht ohne öffentliches Echo geblieben. Im Sommer hat sich eine Bürgerinitiative „Kultur im Alltag“ organisiert, die sich gegen die Pläne der Stadt wendet, gegen die vorgesehene Wohn­bebauung und gegen den Abriss der Kulturdenkmale an der Dankwartsbrücke. Detaillierte Nutzungsvorschläge dieser Bürgerinitiative greifen den bisherigen Gedanken der kulturell/öffentlichen Nutzung der gesamten südlichen Wallhalbinsel wieder auf. In den vorhandenen denkmalge­schützten Baulichkeiten der Wallstraße ist ein internationales Künstlerzentrum als Ort der Begegnung vorgesehen.

Für diese Ideen konnte die Gründerin der Initiative, Frau Stephanie Göhler (Hartengrube 18/5, 23552 Lübeck, Tel.: 0451-704139), immerhin 764 Menschen im Rahmen einer Unterschriftensammlung begeistern. Pünktlich zur Bürgerschaftssitzung am 26. August, in der über den Verkauf der Grundstücke Wallstraße 23-27 an den Lübecker Bauver­ein abgestimmt werden sollte, wurden die Unterschriftenlisten und die al­ternativen Nutzungs-Vorstellungen der Bürgerinitiative dem Bürgermeister und den Stadtpolitikern zugestellt. Erfolg hatte diese Aktion bisher nicht.

In der Sitzung wurde per Basta!-Entscheidung der Verkauf des be­sagten ca. 3000 Quadratmeter großen Areals verfügt. Dafür wandert der Gegenwert von einer Million Euro ins Stadtsäckel, abzüglich der Kosten für die Altlastenbeseitigung. Daran beteiligt sich der Bauverein nur bis zu 25.000 Euro.

Zeitgleich zum Verwaltungsverfah­ren hat der zukünftige Käufer - der Bauverein - seine Neubaupläne nach dem Entwurf des Lübecker Architekten Schindler beiseite ge­schoben und sich - vermutlich nicht ganz freiwillig - zu einem einge­schränkten Wettbewerb in Form ei­ner Mehrfach-Beauftragung von sechs Architekturbüros bequemt. Drei Lübecker Büros - die Archi­tekten Ulrich Schünemann, Manfred Zill und Wolfgang Bruch - so­wie ein Hamburger, ein Kieler und ein Berliner Architektenbüro wurden aufgefordert, für die anstehende Bauaufgabe, 26 Eigentumswoh­nungen „im oberen Preissegment“, Entwürfe einzureichen. Vorgesehen ist eine dreigeschossige Bebauung - zwei Vollgeschosse, ein Staffelgeschoss plus Tiefgarage - sodass traveseitig ein 4-geschossiges Er­scheinungsbild zu befürchten ist. Am 29. September sind diese Ent­würfe von einer Jury aus Architek­ten, Stadtplanern, Denkmalpflegern und Vertretern des Eigentümers be­urteilt worden. -

Es verwundert schon, dass im lau­fenden Verfahren der gestalterische Zusammenhang beider Uferseiten der Obertrave keine Berücksichti­gung fand. Die Gewinner des Wett­bewerbs für den Umbau des stadtseitigen Ufers der Obertrave - Trüper, Petersen/Pörksen - wurden je­denfalls nicht beteiligt.

Einmal öfter stellt sich die Frage: Wer macht in Lübeck eigentlich die Stadtplanung? Der Bereich Stadt­planung, der Bürgermeister, die Po­litiker, die KWL-GmbH oder der Käufer? Zur Zeit macht fast alles den Eindruck von zufälligem Flick­werk, das in abgrundtiefe Haus­haltslöcher geworfen wird.

Dieter Schacht

 

Anmerkung: Leider sind immer noch viel zu wenige Lübecker Bürger bereit, den – in der Tat tendenziell verschwörungstheoretisch anmutenden – Hintergrund lübscher Politik zur Kenntnis zu nehmen, obwohl er bei weitem nicht erstmalig von „luebeck-kunterbunt“ oder „luebeck-zeitung“ thematisiert wurde. Bereits Professor Jonas Geist und die ehemalige LN-Redakteurin Viola Roggenkamp hatten vor Jahren sinngemäß darauf hingewiesen, dass viele wichtige Entscheidungen in den Hinterzimmern von Rotary, LIONS, der Loge oder der Kaufmannschaft getroffen werden und dann von dem demokratischen Beschlussgremium der Bürgerschaft nicht mehr zu hinterfragen, sondern nur noch abzunicken sind!

 

 

Bauverein entlarvt sich selbst

 

bürger nachrichten – Zeitung der Bürgerinitiative Rettet Lübeck Nummer 93

Februar – März 2005 / S. 15

Am 7. Februar war es soweit: Der Bauverein drückte auf den Knopf und die Abbruchfirma Grabowski legte den „Petri-Ziegelhof“ an der Dankwartsbrücke flach. Das war Gesetz-Bruch in flagranti. Die Abbruch-Ar­beiten konnten zwar erst einmal stillgelegt werden, doch der Bauver­ein, der auf diesem „Traumgrundstück“ ins „hochpreisige“ Wohnungs­bau-Segment einsteigen möchte und wegen der immer lauter werdenden Proteste offensichtlich kalte Füße kriegte, war am Ziel. Hier ist nichts mehr zu sanieren.

Was sich Politik und angeschlossener Bauverein ausgedacht haben, um in den Winkel zwischen Wallstraße, Trave und Dankwartsbrücke „für 4,6 Millionen Euro drei Appartement-Blöcke mit insgesamt 21 Wohnungen“ (Lübecker Nachrichten) hineinstellen zu können, bewegt sich in der Grauzone zwischen Begünstigung im Amt und gesetzwidrigem Ausschluss der Öffentlichkeit in öffentlichen Angelegenheiten (vergl. Beitrag „Stadtplanung ade“ auf Seite 11 und die Beiträge in BN 91 und 92: „Luxusvillen am Wasser“). Der Stadt - genauer: Herrn Saxe und dem Stadtkämmerer - geht es um eine Million Euro, die der Bauverein für das noch in städtischem Besitz befindliche Grundstück zahlen soll. Diese Million würde wirkungslos im Orkus der Lübecker Ver­bindlichkeiten verschwinden. Die Erz-Sünden wider die guten Regeln des Städtebaus aber würden bleiben: Bauen am Wasser gegen das Gewässerschutzgesetz und Bauen gegen die (alte) Regel, dass zwischen Trave und barockem Festungsring („Bastionen“) eine verdichtete mehrgeschossige Bebauung ausgeschlossen ist. Der „unverbaubare Blick“ von der Wall­krone auf die Altstadt würde durch Neubauten verstellt; die „Aussicht“ privatisiert. Dazu kommt der Bruch sanierungsrechtlicher Verbindlich­keiten: die „grüne Seite“ der Obertrave ist als Ruhe- und Erholungsbereich für die Sanierungsgebiete an der Altstadtseite ausgewiesen gewesen. Gegen diese Punkte gibt es nur ein Gegenargument, das darin besteht, einen be­gangenen Fehler nachträglich sanktioniert und zum Ansporn für Schlimmeres gemacht zu haben: die Villenbebauung auf dem Gelände von Opel-Meyer und die Aushebelung der sanierungsrechtlichen Auflagen (zugunsten der bereits beschlossenen Versilberung des Geländes).

Die Wasserfront der Trave unterhalb des Walles mit einem Kranz von Ap­partementblöcken bestücken, aus denen Aussicht-bevorzugte Menschen auf das „Weltkulturgut“ gegenüber gucken - soetwas kann eine fachlich in­tegre Lübecker Stadtplanung nicht wollen. Umso mehr richtet sich der Zorn gegen die verantwortlichen Politiker und gegen die von ihnen begünstigte Wohnungsbaugesellschaft. - Stephanie Göhler und ihr Verein „Malerwinkel“ kämpfen gegen diese unhaltbaren Zustände. Das verdient höchsten Respekt und unsere volle Unterstützung.