Typisch lübsch (132)
Ein großer Fehler und die Folgen
Das P&C‑Schloss
ist nicht vom Himmel auf den Markt gefallen. Es ist auch keine Ausgeburt des
globalen Kapitalismus. Lübecks Politiker, Bauverwaltung und eine Hand voll
Architekten haben es gewollt. Es ist der bis heute beschämende Augenblick in
der ersten Konferenz, als Architekt Hempel (Brixen, Südtirol) seine Schön‑Rede
mit dem bemerkenswerten Satz abschloss: "Wir stellen also fest, dass der
Neubau das Welterbe nicht gefährdet". Die anwesenden Denkmalpfleger und
Kritiker waren offenbar derart perplex ‑ die Vertreter von BIRL und
"Rettet den Markt" müssen sich da an die eigene Nase fassen ‑,
dass eine Widerrede erst einmal ausblieb: man hoffte auf Diskussion über Änderungen
im Detail. Doch eine solche Diskussion wurde unterbunden: die Architekten
wollten keine Auseinandersetzung mit der Architektur des Kollegen Ingenhoven. Aber: um Überprüfung und Begutachtung von
Überarbeitungen sollte es auf einer "kleinen" Nachfolge‑Konferenz
gehen.
Die Sitzung der "Kleinen
Nachfolge‑Konferenz" hätte bereits im April oder Mai 2002
stattfinden sollen. Über die um mehr als drei Jahre zu spät erfolgte
Terminierung hat die Lübecker Bauverwaltung sich passende Begründungen
zurechtgelegt: a) weil es für einen Neubau auf dem Stadthaus-Grundstück keine
Mieter‑Optionen und damit auch keine weitere Planung gab, was zweifellos
richtig ist, und b) weil die 1. Konferenz beschlossen habe, dass die Lübecker
Bauverwaltung die von der Konferenz ebenfalls verlangte Überarbeitung der
Kaufhauspläne in entsagungsvoller Eigenleistung unter Ausschluss der UNESCO zu
erbringen habe. Was ohne Zweifel falsch ist. Die in ungestörter Stille
erbrachte Eigenleistung lobt Senator Boden als "hochwertige Abarbeitung im
Detail".
Wir sagten dazu: Der Bock
macht sich zum Gärtner. Denn tatsächlich sollte die "Kleine
Konferenz" auch die Kaufhaus‑Überarbeitung begutachten ‑
Verfasser kann dies beeiden und weiß sich darin mit anderen
Konferenzteilnehmern einig. ‑ Aus dem vom Ingenhoven‑Vertreter
vorgetragenen Bau‑Ablauf ging nämlich klar hervor, dass eine "Kleine
Konferenz" sehr wohl Ende 2003, spätestens Mitte 2004 hätte einberufen
werden können ‑ vor Umsetzung der zwischen dem Büro Ingenhoven
und der Lübecker Bauverwaltung abgesprochenen Änderungen. Die Bauverwaltung
stritt die Zuständigkeit der "Kleinen Konferenz" auch für die
Überprüfung des Kaufhauses erneut rundweg ab. Schon in einem von BM (Bürgermeister) Saxe
unterzeichneten Brief vorn 18. 6. 03 an ICOMOS‑Chef
Petzet verwies man auf die "Planungshoheit Lübecks".
Das Lob des Büros Ingenhoven über seinen P&C‑Bau
fiel ebenso überschwänglich aus wie das Lob des Investor‑Vertreters Schöbben: ein "Haus, auf das wir stolz sind"; da
"haben wir für Lübeck doch was Gutes hingekrieg".
Die am Geschäft nicht‑Beteiligten waren aber
nicht hundertprozentig euphorisiert. Auch Bodens Eloge auf die feinfühlige
"Lübecker Planungskultur" hörte sich mehr nach Pflicht an. ‑
Nach der Zeit des Lobens begab man sich in lockerem Gutachterschritt zum
belobten Objekt. Es sprach der Vertreter des Büros Ingenhoven
und es sprach der Vertreter des Investors, Herr Schöbben.
Und der LN‑Fotograf knipste. Man durchquerte das Kaufhaus von unten nach
oben, wo die spießige Langeweile der Innenausstattung ("nicht von
uns", so der Ingenhoven‑Vertreter) bestens
mit grundrisslichen Mängeln harmonisiert ‑ siehe
den endlosen Hotelflur unter dem Schalendach, siehe die tiefen, nicht nutzbaren
Abseiten unter den Betonschalen. Alle schienen darüber nachzugrübeln, was diese
aufgeregte postexpressionistische Bauweise wohl mit Augen‑ und
Zahnarztpraxen zu tun hat. Und wo denn nun eigentlich Senator Bodens
"hochwertige Abarbeitung im Detail" zu sehen ist ‑ etwa in der
höchst unschönen Putz‑Pfriemelei an den sich
zum Fußboden apsenkenden Schalen?
Auf dem Petri‑Turm war
es zugig und kalt, aber sehr hell: Von unten strahlte uns nämlich der Glanz vom
weiß leuchtenden P&C‑Dach aus sechzehn hochgebusten Parabelbögen entgegen. Das wie Kunststoff
wirkende glatte Material und der die gesamte Umgebung dominierende Farbton
wurden schweigend zur Kenntnis genommen. Sogar Landeskonservator Michael Paarmann,
sonst eher konziliant, war erschrocken: Das Dach sei "doch wohl viel zu
hell und zu glänzend" geraten; er hoffe auf "die Gnade der
Patina". Daraus wird wohl nichts werden ‑ eher wird das Blech mit
der Zeit durch Anwitterung noch heller. ‑ Vom Turm herunter war auch
schön zu sehen, wie sehr die ohnehin schon kleine Markt‑Restfläche durch
den weiten Überstand der hohen Parabelhüte zusätzlich
reduziert wird.
Teil 2: ein Lob der lübschen
Planungskultur
Interessant wurde die
Konferenz erst, als es um Zukünftiges ging. Erstens um das sogenannte
Stadthaus. Das leergeräumte Grundstück ist weiterhin
im Besitz der Investoren Kahlen & Schöbben
("Markt GbR"). Interessenten für Büro‑, Laden‑, Altenheim‑,
Hotel‑ oder Wohnnutzug seien nicht in Sicht. Die Empfehlung der ersten
Konferenz, dem neuen Stadthaus eine andere "Kopfbedeckung" zu
verpassen als Parabelhüte wie auf dem Kaufhaus-Block,
sei ein Selbstgänger, sagte Schöbben: "Schon aus
finanziellen Gründen muss hier was anderes her". Würde man wie anfangs
geplant sechs Parabelhüte draufsetzen, wären die
Mieten in den Etagen darunter unbezahlbar. Denn die Hüte sind teuer: Das
Parabeldach auf dem P&C‑Block habe zwei bis
drei Millionen Euro mehr gekostet als geplant. ‑ Schöbben
wird auch einem Wettbewerb zustimmen. Aber wenn der Investor schon auf das
aufwendige Dach verzichte, solle man doch über eine andere Traufhöhe
nachdenken, sprich: ein Geschoss mehr! Da murrte sogar die Lübecker
Bauverwaltung. ‑ Nach Vorschlag von Frau Dr. Ringbeck
solle ein kombinierter Städtebau‑ und Architektenwettbewerb ausgelobt
werden, ein "Realisierungs"‑Wettbewerb,
sobald es Klarheit über Mieter und Nutzungen gebe. Natürlich könne sich das
Büro Ingenhoven, Overdieck
& Partner beteiligen.
Auch
das "Gründerviertel" kam dran. Die luftigen Vorstellungen der Stadt, von
Planungsamtchef Antonius Jeiler etwas konfus
vorgetragen, hatten bemerkenswerte Mängel: so wurde dezent verschwiegen, dass
ein wuchtiger, fast fertiger Studenten‑Wohnblock die Vision "kleinteiliger"
Bau‑Strukturen (entsprechend dem Gutachten von Klaus Petersen) bereits
"im Vorwege" ad absurdum führt. Frau Ringbeck,
darob aufgeklärt, reagierte mit deutlichen Worten: bei Maßnahmen von diesem
Kaliber ist Lübeck gemäß Welterbe‑Konvention verpflichtet, das UNESCO‑Welterbezentrum
in Paris über die Planungen zu unterrichten und zu konsultieren. Tatsächlich
hat Lübeck weder über die Zerstörung der gesamten gotischen Keller‑Landschaft
noch über die Planung selbst berichtet. Wozu uns die schöne Opera‑Buffo‑Szene
mit dem bei der ersten Konferenz noch zuständigen Senator Volker Zahn
einfällt: "Für das Gründerviertel erbitten wir Rat und Beistand von der
UNESCO". ‑
In diesem Stil ging es weiter:
Nebelhaftes über das "Welterbe‑konforme" Hotel Schmiedestraße,
dem der Investor abhanden zu kommen droht, und Ausflüchte beim Appartementblock‑Vorhaben
Dankwartsbrücke. Auch Denkmalpfleger Dr. Siewert (Rotarier) konnte nicht erklären,
weshalb der aus Mitte des 19. Jahrhunderts stammende "Petriziegelhof"
ohne Genehmigung abgebrochen wurde, obwohl er als "einfaches Kulturdenkmal"
eingetragen war. Zum "Haerder‑Center"
des Großinvestors Tenkhoff, eine Riesenkiste, die
anstelle des noch stehenden Haerder‑Komplexes
aus den 1950er und frühen 60er Jahren in Kürze entstehen soll, hörte man
zunächst eine fulminante Lobrede von BM Saxe auf
seinen Senator Boden, der die Vertragspartner in vielen harten Verhandlungen
zusammengebracht habe. Zum Stand der Dinge nur soviel: zunächst sei die
Bauverwaltung mit städtebaulichen Festlegungen beschäftigt. An der Wahmstraße wolle man die Bauflucht des neuen Kaufhauses
etwa wieder bis zur heutigen Straßenmitte vorziehen. Man mache sich auch
Gedanken darüber, wo die notwendigen 120 Kunden‑Parkplätze unterzubringen
sind. Fragen könne man erst beantworten, wenn alles fix und fertig eingetütet
sei. Immerhin: man wird einen Wettbewerb veranstalten, ein sogenanntes
"konkurrierendes Verfahren" zwischen sechs eingeladenen Architekten. ‑
Denkmalschutz für den 50er‑Jahre‑Bau? Als Dr. Siewert
noch herauszuarbeiten versuchte, dass ihm hier die Argumente für eine
Unterschutzstellung fehlten, befand Frau Ringbeck
knapp: "In Köln steht so was unter Denkmalschutz". Worauf eine
Diskussion über die Frage einsetzte, weshalb Köln nicht Lübeck ist.
Und dann war da noch was mit "Welterbe"
...
Lauwarme Luft also ‑ und
dafür reisen teure Leute von weither an? Doch, ein wichtiges Ergebnis gab es:
Lübeck ist erneut deutlich auf seine versäumten Pflichten hingewiesen worden.
Frau Ringbeck erinnerte daran, dass die vor 1998
eingetragenen Welterbestätten den seitdem als Voraussetzung für die Eintragung
fungierenden "management plan" nachliefern
und den geschützten Welterbe‑Bereich samt umgebender
"Pufferzone" exakt definieren müssen. Lübeck, 1987 eingetragen, ist
bereits 1992 nach der Königpassage‑ Katastrophe eindringlich aufgefordert
worden, einen solchen "management plan"
aufzustellen ‑ bis jetzt hat man sich nicht dazu bequemen können. Zu den
Pflichten gehört auch die jährliche Berichterstattung und alle fünf bis sechs
Jahre eine zusammenfassende Bewertung der Welterbe-Arbeit in Bezug zu den im
"management plan" formulierten Richtlinien.
Dieser management plan ist im Kern eine politische
Verpflichtungserklärung, Erhaltung und Pflege der Denkmale im Welterbe‑Bereich
mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Einklang zu bringen. -
... und mit Wolkenschieberei
Vom zukünftigen sechs‑
bis achtköpfigen "Welterbe‑Beirat", den Boden-Vorgänger Volker
Zahn in einem Brief an die UNESCO noch elegant aus dem Hut gezaubert hatte,
wollte die Bauverwaltung jetzt natürlich nichts mehr wissen. Die "Welterbe-Angelegenheiten", so wurde gemeint, würden
doch vom fünfköpfigen Gestaltungsbeirat "mit erledigt". Obwohl Frau Ringbeck eindringlich darauf verwies, dass der Welterbe‑Status
eine Denkmalschutz‑ Kategorie ist, fühlte unsere Bauverwaltung sich in
ihrer Überzeugung sicher, dass jeder Architekt von Natur aus auch Denkmal‑Kenner
und ‑schützer ist. Dabei zeigt die Erfahrung,
dass Architekten nicht nur im Konfliktfall mit Denkmalpflege wenig am Hut haben
‑ sonst wären sie ja Denkmalpfleger und keine Architekten.
Dass der Gestaltungsbeirat gar
nicht von der Stadt, sondern von der Possehlstiftung
finanziert wird, tat der eigenen Schulterklopferei keinen Abbruch. Man ging
auch großzügig darüber hinweg, dass die "fünf Weisen" die Fortsetzung
ihrer Arbeit in Frage stellen ‑ einerseits wegen mangelhafter Vorarbeit
der Verwaltung, andererseits wegen der offenkundigen Neigung der Verwaltung,
diese kompetenten Fachleute von städtebaulichen Grundsatz‑ Entscheidungen
fernzuhalten. Die Possehlstiftung will über die
weitere Finanzierung noch einmal nachdenken. Der Verwaltung ist die Lage
wohlbekannt ‑ wenn sie jetzt aber dieses von ihr ungeliebte Gremium zum
Sachwalter der UNESCO‑Interessen proklamiert, wird plötzlich klar, wie
die Bauverwaltung über die Welterbe‑Verpflichtungen tatsächlich denkt.
Doch jetzt liegt als
Kompromiss der auch von Frau Ringbeck unterstützte
Vorschlag auf dem Tisch, den Gestaltungsbeirat um einen gestandenen,
überregional wirkenden Denkmal‑Fachmann zu erweitern. Wir werden sehen,
was daraus wird. Denn dies zu wollen und zu unterstützen wäre nicht nur Sache
der Possehlstiftung, sondern auch der Verwaltung.
Unangenehm das Ganze ‑
man musste den Eindruck gewinnen, dass Lübeck die Welterbe‑Verpflichtungen
nicht ernst nehmen will. Die Konferenz war über weite Strecken Provinztheater.
Was BM Saxe und Senator Boden an Wesentlichem
beitrugen ‑ und das war in erster Linie ihr Gesichtsausdruck ‑ ,
ließ erkennen, dass hier fürchterlich langweilige und nachrangige Dinge im
Raume standen. Da muss sich was ändern.
Quelle: Manfred Finke in "bürger nachrichten" Nr. 94 / Juni - Juli 2005, S. 2 f
Anmerkung:
In Venedig
regierte der Doge,
in Lübeck ist
es die Loge.
Heraus kommt
dabei nur Mist.
Wer schlau
ist, hat sich längst verpißt!