Erich Mühsam
(1878 - 1934) - Dichter und Anarchist
Eine wichtige kulturelle Einrichtung der Hansestadt
Lübeck ist das Buddenbrook-Haus in der Mengstraße. Viele Lübecker wissen nicht,
dass das Buddenbrook-Haus nicht nur den Brüdern Thomas und Heinrich Mann
gewidmet ist, sondern auch dem Schriftsteller Erich Mühsam. Alle drei haben
unsere Schule - das Katharineum - besucht, wenn auch damals nicht mit günstigen
Erinnerungen. Ein früherer Lübecker Bürgermeister hat bezüglich Thomas Mann,
Heinrich Mann und Erich Mühsam einmal gesagt:
"Daß die auch gerade
alle aus Lübeck sein müssen - was sollen die Leute im Reich von uns
denken!"
Die Geschichte hat den drei Dichtern und nicht
diesem um den angeblichen Ruf der Hansestadt besorgten Bürgermeister recht
gegeben. Die Brüder Mann mussten zwar ins Exil gehen und Erich Mühsam wurde
brutal ermordet, aber ihre Verfolger und Mörder stehen heute als die größten
Verbrecher und Lumpen dar. Der Dichter, Dramatiker, Lyriker, Zeichner,
Journalist und für den Frieden und gegen den Krieg kämpfende Politiker Erich
Mühsam aber zählt heute zu den bedeutendsten und vielseitigsten kritischen
Talenten Deutschlands im frühen 20. Jahrhundert.
Vor gar nicht langer Zeit waren die Plakatsäulen in
Lübeck mit einem Spruch von Erich Mühsam beklebt, der lautete:
"Sich fügen heißt
lügen."
Das hat mich neugierig gemacht, sein Leben und
Wirken näher zu betrachten:
Erich Mühsam war erst 56 Jahre als, als er von den
Nazis auf bestialische Weise im Konzentrationslager Oranienburg bei Berlin
ermordet wurde. Er wurde am 6. April 1878 in Berlin als Sohn eines jüdischen
Apothekers geboren. Mühsams Eltern verzogen alsbald nach seiner Geburt nach
Lübeck. Wie schon erwähnt, besuchte Mühsam das Katharineum, welches er mit 16
Jahren wegen sozialistischer Betätigung verlassen musste. Bei der Beurteilung
dieses "Rauswurfs" muss man die damaligen Zustände berücksichtigen,
die speziell für das Katharineum Heinrich Mann in seinem Buch "Professor
Unrat - Das Ende eines Tyrannen" 1905 beschrieben hat. Das Buch wurde erst
später durch die Verfilmung als "Blauer Engel" mit Marlene Dietrich
in der Hauptrolle weltberühmt. Gerüchten zu Folge soll das Buch "Professor
Unrat" jahrzehntelang am Katharineum verboten gewesen sein. Es soll aber
ein - im Laufe der Zeit total zerfleddertes Exemplar - unter den älteren
Schülern herumgereicht worden sein.
Erich Mühsam machte aber trotzdem sein Abitur und
zwar in Parchim; das liegt in Mecklenburg südöstlich von Schwerin.
Auf Wunsch und Drängen seines Vaters erlernte er
ebenfalls den Beruf des Apothekers. Während dieser Zeit hat er sich in Lübeck
für den Denkmalschutz verdient gemacht. Ihm verdanken wir, dass das Gebäude der
"Löwen-Apotheke" Ecke Königstraße und obere Dr. Julius-Leber-Straße
heute noch in dieser Form erhalten ist.
Dass er mit dem Beruf des Apothekers nicht glücklich
und ausgelastet war, beschrieb Rudolf Rocker - einer seiner besten Freunde -
wie folgt:
"Allein der junge
Feuerkopf, dem schon damals der Dichter und Künstler im Blute spukte, hatte
keinen großen Sinn für den Beruf, den ihm der Vater bestimmt hatte. Während die
Hände Mixturen mischten und Pillen drehten, schwelgte der Geist des Jünglings
in den höheren Regionen der Kunst und Poesie."
Im Alter von 24. Jahren verabschiedete er sich vom
Apothekerberuf.
Seine politischen Überzeugungen wurden bestätigt,
als er den Dichter und Anarchisten Gustav Landauer kennenlernte, den er als
seinen Lehrmeister betrachtete. Anarchismus ist die politische Ansicht, die die
Beseitigung jeder Herrschaft eines Menschen über andere anstrebt, wobei
Voraussetzung für den Zustand der Herrschaftslosigkeit die Vernichtung des
Staates ist.
Erich Mühsam war bis 1916 Lübecker Staatsangehöriger
- Lübeck war damals noch reichsfreie Stadt - und nahm dann die bayerische
Staatsbürgerschaft an, weil es nur in Bayern keine Schutzhaft wegen
irgendwelcher Gesinnungsdelikte gab. In München lebte er als freier
Schriftsteller und gab unter anderem ohne fremde Mithilfe die Zeitschrift
"Kain" heraus, die offenbar nach dem biblischen Brudermörder benannt
wurde.
Während des Ersten Weltkrieges war natürlich auch in
Bayern jede gegen den Krieg gerichtete Propaganda verboten. Als aber das
deutsche Volk die unendlichen Opfer für den Krieg nicht mehr tragen wollte und
das Deutsche Reich den Krieg nicht mehr gewinnen konnte, kam es im Januar 1918
in ganz Deutschland zu Streiks der Arbeiter in Munitionsfabriken. Arbeiter der
Münchner Kruppwerke holten sich den redegewandten Mühsam, damit er vor der
ganzen Belegschaft für den Streik werben sollte. Der Munitionsarbeiterstreik
brach jedoch schnell zusammen. Erich Mühsam wurde verhaftet und in ein Lager in
Traunstein gesteckt.
Anfang Oktober 1918 gab das Deutsche Reich den Krieg
verloren und unterbreitete am 3. Oktober ein Waffenstillstandsangebot an den
amerikanischen Präsidenten.
Am 29.10.1918 meuterte die deutsche Hochseeflotte,
da die Matrosen nicht mehr sinnlos verheizt werden wollten.
Am 5. November 1918 wird Erich Mühsam aus seiner
Lagerhaft entlassen, wobei er eine Bescheinigung durchsetzt, dass seine
Verhaftung widerrechtlich war.
Am 7. November 1918 erhebt sich in München eine
sozialistische Revolution, die zur Flucht des bayerischen Königs führt. An
dieser Revolution, die erst einmal ohne Blutvergießen ablief, war Erich Mühsam maßgeblich beteiligt. Bayern
wurde zur Republik und Kurt Eisner, der ebenfalls im Lager Traunstein
eingesessen hatte, wurde der erste Ministerpräsident.
Am 21. Februar 1919 wurde Kurt Eisner auf offener
Straße von einem Offizier erschossen. Vorübergehend regierten die
sozialistischen Arbeiter- und Soldatenräte. Am 13. April 1919 wurde diese
Räteregierung durch einen Rechtsputsch gestürzt. Erich Mühsam und zwölf weitere
Mitglieder des Zentralrates wurden von den Putschisten verhaftet. Noch am
selben Tage wurde der Rechtsputsch niedergeschlagen und eine neue Räteregierung
gebildet, aber Mühsam saß weit weg von München in Ebrach in einer
Zuchthauszelle.
In den weiteren Wirren von Revolution und
Gegenrevolution kam es in München zur Ermordung von Geiseln aus dem politisch
rechten Lager durch sozialistische Revolutionäre. Man hat versucht, Erich
Mühsam dafür mitverantwortlich zu machen. Er hatte damit aber nachweislich nichts
zu tun.
Auch Kreszentia - "Zenzl" genannt - Mühsam
- seine Ehefrau - wurde am 6. Mai 1919 verhaftet.
Im Juli 1919 wurde Erich Mühsam in München vor
Gericht gestellt. Es handelte sich aber um kein ordentliches Gericht, sondern
ein mit Offizieren besetztes Standgericht. Es wurde eine volle Woche verhandelt
und er wurde zu einer Festungshaft von 15 Jahren verurteilt. Er hatte mit der
Todesstrafe gerechnet. Allerdings hat das Gericht die Frage, ob Erich Mühsam in
irgendeiner Beziehung ehrlos gehandelt habe, ausdrücklich verneint.
Bezeichnend für die Justiz bleibt, dass der
österreichische Gefreite Adolf Hitler für den mißglückten Staatsstreich im
November 1923 nur fünf Jahre Festungshaft verurteilt wurde und bereits nach
einigen Monaten verbüßter Haft vorzeitig entlassen wurde.
Erich Mühsam wurde erst nach fast sechsjähriger Haft
auf Bewährung begnadigt und hatte schwere gesundheitliche Schäden erlitten. So
hatte er das Gehör auf dem rechten Ohr vollständig verloren.
Gleichwohl ließ Mühsam sich nicht beirren und trat
nach wie vor für unterdrückte und verfolgte Menschen ein. Diese Hilfe galt
insbesondere den politischen Gefangenen, die damals zu Tausenden in den Gefängnissen
und Zuchthäusern saßen. Sechs Jahre lang gönnte Mühsam sich keine Ruhe, um
seinen in Not befindlichen Mitmenschen zu helfen.
Immer wieder hatte Mühsam vor der heraufziehenden
Gefahr des Faschismus' gewarnt, aber er predigte offenbar vor tauben Ohren.
Durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten im
Januar 1933 war das Ende seiner Tätigkeit ebenso abzusehen, wie eine Wiederholung seines Martyriums.
Diesmal wollte er allerdings der Verfolgung
ausweichen und ins Ausland gehen. Er hatte große Schwierigkeiten, das Geld für
die Fahrkarte nach Prag aufzutreiben, was ihm dann doch noch am 27. Februar -
also vier Wochen nach der Machtergreifung - gelang. Die Koffer waren gepackt
und er wollte am 28. Februar früh morgens abreisen. Am Abend des 27. Februar
brannte dann der Reichstag und am 28. Februar Morgens um fünf Uhr wurde Erich
Mühsam von zwei Berliner Kriminalkommissaren verhaftet. Danach folgte ein an
Grausamkeit und Menschenverachtung nicht zu übertreffende Martyrium, dass man
sich noch heute schämen muss, dass dies von Deutschen begangen wurde.
Seine Frau Kreszentia Mühsam schreibt dazu:
"Diese ganze Arbeit wurde durch seine Verhaftung abgebrochen. Am 18.
März 1933 ließ die Hitlerregierung alle Briefe und Akten, den Niederschlag
jener Arbeit, ebenso wie den einzigen Besitz, den er hatte und liebte, seine
Bücher, beschlagnahmen. Mit Lastautos wurde alles fortgeschafft, aus dem
Häuschen, das wir sechs Jahre lang bewohnt hatten, die jahrzehntelange Arbeit
eines gewissenhaften, pflichterfüllten Menschen wurde vernichtet." ...
"Erich Mühsams Mörder wußten, was sie taten. Mühsams Leben, seine
Weltanschauung, sein Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit waren vor allem
getragen von seiner glühenden Liebe zu aller menschlichen Kreatur, von seinem
dichterischen Temperament und seiner tiefen Wahrhaftigkeit.
Vom 28. Februar 1933 bis zum 9. Juli 1934 zeigte er durch seinen
unbeugsamen Mut und seine unsägliche Verachtung seinen Peinigern gegenüber, daß
er alles, was er geschrieben und gedichtet hatte, auch unter den
schrecklichsten Foltern zu halten verstand. Ich selbst konnte oft nicht
begreifen, woher dieser sensible, alle körperlichen Mißhandlungen
verabscheuende Mensch die Kraft hernahm und alles das mit Würde ertrug, was ihm
die 17 Monate an Leiden und Qualen in den Konzentrationslagern brachten."
Einzelheiten zu den
bestialischen, grausamen und entwürdigenden Foltern, die Erich Mühsam in den
Gefängnissen und Konzentrationslagern der Nazis erleiden musste, erspare ich
mir. Es war unbeschreiblich.
Erich Mühsam wurde am 9. Juli
1934 durch SS-Männer ermordet und in einer Toilette ("Abtritt") des
Konzentrationslagers Oranienburg erhängt aufgefunden, wodurch die SS offenbar
einen Selbstmord vortäuschen wollte.
Der englische Staatsbürger
John Stone, der 35 Jahre in Deutschland lebte, schreibt:
"Noch am 9. Juli, nachdem die SS das Lager übernommen hatte, wurde
der bekannte Dichter und Schriftsteller Erich Mühsam ermordet. Das Schicksal
dieses hochbegabten Mannes ist ein wahres Martyrium, welches die Menschheit
erschüttern würde, wenn seine fürchterlichen Leiden bekannt wären. Ich war bereits in Brandenburg mit
ihm zusammen und wir wurden gemeinsam nach Oranienburg transportiert."
Dieser verfehmte Anarchist war
offenbar einer der besten und edelsten Menschen des 20. Jahrhunderts.
Sein Andenken wird auch von der Erich-Mühsam-Gesellschaft
bewahrt, die am 6. April 1989 in Lübeck gegründet wurde.
Schließen möchte ich mit drei kleinen Fundstücken
seiner politischen Dichtkunst:
Der
Reiche klappt den Pelz empor,
und
mollig glüht das Ofenrohr.
Der
Arme klebt, daß er nicht frier,
sein
Fenster zu mit Packpapier.
Der
Revoluzzer fühlt sich stark.
Der
Reichen Vorschrift ist ihm Quark.
Er
feiert stolz den ersten Mai.
(Doch
fragt er erst die Polizei.)
Der Tag
wird kurz. Die Kälte droht.
Da tun
die warmen Kleider not.
Ach, wärmte
doch der Pfandschein so
wie
der versetzte Paletot!
Quelle: Michael Winter