Erinnerung an die Schule in der DDR
Ich wurde am 4. September
eingeschult. Eigentlich begann das Schuljahr in der DDR immer am 1. September,
aber der fiel 1967 auf einen Freitag. Das Schulgebäude in unserem Dorf nahe Rostock
war neu. Eine Polytechnische Oberschule, heute würde man Gesamtschule sagen.
Die ging von der ersten bis achten Klasse mit je zwei Parallelklassen. Wir
hatten Mathe, Deutsch, Turnen, Musik, Heimatkunde, Nadelarbeit und Schulgarten.
Es gab kostenlose Schulbücher, sonnabends Unterricht, Zensuren von eins bis
fünf und die berühmten Kopfnoten: Fleiß, Betragen, Mitarbeit, Ordnung,
Gesamtverhalten.
Ab der fünften Klasse kamen
Russisch und naturwissenschaftliche Fächer dazu, ab der siebten gab's Englisch,
doch das war freiwillig. Staatsbürgerkunde leider nicht. Neben Sport mein
Angstfach. Nicht nur, weil man sich genau überlegen musste, was man sagte. Es
ist auch nicht besonders lustig, wenn die eigenen Eltern, die eine private
Werkstatt für Kfz‑Anhänger besaßen, als Ausbeuter hingestellt werden.
Einmal in der Woche hatten wir
Unterricht in der Produktion, wo wir so nützliche Dinge wie Metallschleifen und
‑bohren lernten. Und später gab es dann den Wehrkundeunterricht, aber den
habe ich glücklicherweise nicht mehr erlebt.
Was hatten wir sonst?
Fahnenappell, Ferienlager und Schulfernsehen. Und Lernpatenschaften:
Leistungsstarke Schüler erteilten den schlechteren Nachhilfe. Wir gingen zu
Pioniernachmittagen. Das war manchmal Politunterricht, meist hatten wir aber
unseren Spaß bei irgendwelchen Veranstaltungen.
Woran erinnere ich mich noch?
Wir bekamen in der Frühstückspause Milch und mittags Essen. Nachmittags gab es
jede Menge Arbeitsgemeinschaften in der Schule, ich spielte Theater und
Tischtennis. Auf jeden Fall war immer etwas los. Zu jeder Klasse gehörte auch
eine "Patenbrigade", um uns kümmerte sich die örtliche Arztpraxis.
Die Ärzte erzählten uns über ihre Arbeit, am Ende des Schuljahres bekamen
einige Schüler Geschenke.
In der Achten entschied sich, wer
auf die Erweiterte Oberschule (heute: Gymnasium) durfte ‑ zwei bis drei
Schüler pro Klassenstufe, Arbeiterkinder oder Jungs, die sich drei Jahre zur
Armee meldeten, wurden bevorzugt. Ich hatte Glück: Obwohl die Eltern
selbständig waren und nicht in der SED, konnte ich das Abi machen.
Als meine Kinder in die Schule
kamen, gab es die DDR‑Schule nicht mehr. Gott sei Dank. Aber: Die
Ganztagsbetreuung, die vielen außerschulischen Angebote, das Miteinander mehr
als nur vier Jahre lang ‑ das hätte ich ihnen schon gewünscht. Weniger
Marx, mehr Pestalozzi ‑ so hätte die DDR Schule machen sollen.
Quelle: Petra Haase (45), zwei Kinder(18 und 22) - Leserbrief in den
Lübecker Nachrichten vom 9./10. April 2006
Traum und Wirklichkeit
Dieser Artikel sollte doch
besser den Titel "Träume von der Schule in der DDR" tragen, Auch in
der Nähe von Rostock war die Polytechnische Oberschule (POS) für alle Schüler
der Klassenstufen eins bis zehn zuständig; also keinesfalls vergleichbar mit
einer Gesamtschule, die sich Eltern aus anderen Schultypen wählen können, wobei
dieser Schultyp dann die Klassenstufen 1 bis 13 anbietet. Neben den genannten
Noten gab es im Zeugnis noch eine Beurteilung hinsichtlich der Einstellung zum
Arbeiter- und Bauernstaat. Bleiben wir zunächst beim Formalen.
Auch die erweiterte Oberschule
(EOS) in der DDR mit den Klassenstufen 8 bis 12 hatte wenig mit einem Gymnasium
der Klassenstufen 6 bis 13 gemeinsam. Nur zwei bis drei Schüler je Klassenstufe
der POS durften die Hochschulreife machen, das waren sechs bis zehn Prozent der
Schüler; demgegenüber gingen in Bayern 20 Prozent und in den anderen
Bundesländern mehr als 30 Prozent zum Gymnasium, wobei nicht wie in der DDR die
soziale Herkunft und die Einstellung zum Staat das Auswahlkriterium waren.
Natürlich sollte auch daran
erinnert werden, dass nach der Abschaffung der 1955 eingeführten Mittelschule
(Realabschluss, zehnte Klasse, Mittlere Reife) auch das Schulgeld
einschließlich Büchergeld entfielen und mit der dann eingeführten POS ca. 80
Prozent aller Schüler einen Abschluss der zehnten Klasse erhielten.
Wenn Frau Haase offensichtlich
so ungenaue Erinnerungen an die DDR‑Schule hat, wie sieht es dann mit den
Inhalten aus? Da gab es doch nicht nur das Fach Politunterricht, mit dem die
Treue zum Arbeiter‑ und Bauern‑Staat anerzogen werden sollte,
sondern auch die Fächer Deutsch, Geschichte, Kunst, Sprachen. Auch Fächer wie
Biologie, Physik, Chemie und Mathematik hatten ihren Beitrag zur
"klassenbewussten‑Erziehung" zu leisten. Dabei standen der Hass
auf den Klassenfeind, die Bonner‑Ultras, die angloamerikanischen
Kriegstreiber im Vordergrund. Die Bereitschaft zur Verteidigung der
sozialistischen Errungenschaften, der Kampf um die Planerfüllung, die
Wachsamkeit gegenüber Saboteuren und Agenten rundeten das Erziehungsziel ab.
Eine humanistische Erziehung gab es nicht. Alles, leider nicht ganz ohne
Folgen, aber ohne ausreichenden Erfolg. Gott sei Dank, und dies ohne aber!
Quelle: KAROLA WESER, Lübeck / Leserbrief in den Lübecker
Nachrichten vom 16./17. April 2006
Anmerkung:
Sozialismus mag ja eine tolle Sache sein, wenn er denn in einer wirklich
humanistischen Gesellschaftsform demokratisch und rechtsstaatlich funktioniert.
Daß Sozialismus eine tolle Sache sein muß, hatten sogar schon die Nationalsozialisten
erkannt, aber auch bei denen entartete die Ideologie in eines der übelsten
Verbrechersysteme des 20. Jahrhunderts. Die Notwendigkeit der Bekämpfung der
angloamerikanischen Kriegstreiber nebst ihrer Helfershelfer in Bonn und Zion
mag ja ohne weiteres ein akzeptables Staatsziel sein, aber deshalb muß man doch
nicht jeden, der einen kritischen Furz läßt oder dem Arbeiter- und Bauernstaat
den Rücken kehren will, für Jahre in Stasi-Gefängnisse stecken.