Paul von Hindenburg
Die Figur des
hölzernen Hindenburg wird abgebrochen und als Altmaterial
verkauft. Zeitungsnachricht 1919
Dem in allen Intrigen wohl
erfahrenen Herrn von Tirpitz (Freimaurer, d.B.) ist es gelungen, Herrn
von Hindenburg zur Annahme des Kandidatenpostens (Wahl zum
Reichspräsidenten, d.B.) zu bewegen. Die Komik, die darin liegt, daß der
alte Offizier (78 Jahre alt, d.B.) sich erst die Zustimmung seines
obersten Kriegsherrn zu diesem politischen Schritt einholt, tötet nur in
Deutschland nicht — die Kandidatur wird durchaus ernst genommen. Und sie wird
mit falschen Mitteln bekämpft.
Es mag ja bei der Sentimentalität der Deutschen vielleicht angebracht sein, nicht unnötigerweise Gefühle zu reizen, womit man erfahrungsgemäß nur dem Angegriffenen nützt — aber was da von dem Marx-Block (Wilhelm Marx war Zentrumspolitiker und von 1920 bis 1933 Mitglied des Reichstages, d.B.) gegen Hindenburg ausgesagt wird, das gibt doch zu schweren Bedenken Anlaß. Man geht scheu wie die Katze um den heißen Brei herum — und sagt nicht das Wahre.
Da
wird nämlich so getan, als ziehe diese Kandidatur eine hehre Menschengestalt in
den Alltag herunter, es wird geradezu bedauert, daß dieses unverrückbar
feststehende Idol der Politik so nahe gebracht wird — es fehlt nur noch das
Wort Entweihung. So stehts denn aber doch nicht.
Es scheint mir Pflicht des
anderen Deutschland, darauf hinzuweisen:
Die Eigenschaften des Herrn
von Hindenburg, die als «preußische Tugenden» ausgegeben werden, sind Fehler
schlimmsten Grades. Seine Sturheit, seine Unbildung, sein völliger Mangel an
Welterfahrung machen ihn vielleicht zu einem Ideal einer Kadettenanstalt — mit
dem besseren Teil Deutschlands hat diese Gestalt überhaupt nichts zu schaffen.
Und es ist recht bedauerlich, daß auch auf Seiten der Linken der Kampf so
geführt wird, daß man da hört: «So national wie der Herr von Hindenburg, sind
wir schon lange — auch wir schwärmen für das größere Deutschland (auf Kosten
der <Feinde>) — auch wir wollen unsern Platz an der Sonne erkämpfen.
Aber: wir stören Ihnen nicht das Geschäft! Wir sind moderner, ruhiger,
diskreter, gerissener. Wir wollen die internationale Anleihe — daher muß unser
Nationalismus nicht so säbelklirrend auftreten, wir können warten.»
Das ist Opportunismus — und
nicht einmal ein kluger. Es ist traurig, daß die Oberregierungsräte, die die
deutsche Propaganda leiten und für das Geld, das zum Beispiel für die
Beteiligung an der Kunstgewerbeausstellung in Paris nicht da war, lächerliche
Heftchen in die Welt senden, daß diese Beamten immer nur mit Menschen zusammenkommen,
die vor ihnen katzbuckeln, oder vor denen sie katzbuckeln, über niemals mit
freien, natürlichen Männern. Hätten sie diesen Verkehr, so würden sie nicht
den schlimmsten deutschen Fehler begehen, der einem Ausländer gegenüber möglich
ist, und den der so übel nimmt: ihn für dumm zu halten. Das verzeiht man
keinem. Und mit diesem Opportunismus, der gar keiner ist, wird nichts geschafft
werden.
Aber es ist doch traurig zu
sehen, wie wenig diese sogenannte Revolution eigentlich bewirkt hat. Da ist
kaum einer bei den Demokraten, da sind wenige in der Zentrumspartei (im
Gegensatz zur katholischen Jugend) — wenige bei den Sozialdemokraten, die grade
den geistigen Typus Hindenburg ablehnen, soweit da überhaupt noch von
Geistigkeit gesprochen werden kann. Die bewußt und mutig das ablehnen, was man
für ihn plakatiert: seinen absoluten Gehorsam, seine Überdisziplin, seine Liebe
zum Staat, die die Heimat nicht ehrt, seine Befangenheit in der Auffassung vom
Kriege, seinen Stand, dem er angehört. Hieran wagt sich kaum einer. Man muß die
Verehrung in den Stimmen zittern hören, wenn von ihm gesprochen wird . . .! Wie
leise ist dieser Kampf, wie vorsichtig, auf Zehenspitzen gehen die Kämpfer . .
. Das ist nichts.
Tatsache ist:
Es
gibt heute in Deutschland unter den jungen Leuten eine Schicht, die sich
ehrlich müht, aus den Wirrnissen dieser Zeit nach Klarheit zu suchen und zur
Wahrheit zu kommen. Auch dies sind Deutsche — Menschen, die den Boden lieben,
auf dem sie aufgewachsen sind, die ihre Sprache lieben, ihre deutschen Freunde.
Herr von Hindenburg hat das Deutschtum nicht gepachtet — und es ist völlig
gleichgültig, wen er und seine Offiziere für einen <guten Deutschen>
erklären und wen nicht. Daß die Universitätsprofessoren, um die sich das
geistige Leben Deutschlands längst nicht mehr gruppiert, daß die Landwirte des
Ostens und viele Baumeister, Zahnärzte, Oberlehrer, Bankbeamte, die das Kostüm
des Reserveoffiziers nicht vergessen können, dem Mann und seinem System
anhangen, ist gewiß. Daß die vorsichtig abwägende Industrie, soweit sie an
Auslandsgeschäften interessiert ist, abbremst, ebenso. Daß aber der menschliche
Typus Hindenburg — und gerade der menschliche — unter dem Mittelmaß liegt, daß
dieser Typus, ein schlechtes Derivat der großen deutschen Seele, dazu
beigetragen hat, den Wert des Landes in allen Beziehungen herabzumindern, daß
dieser Typus ein kümmerliches und dünnes Konglomerat einiger
selbstverständlicher und banaler Eigenschaften ist, unter gleichzeitiger
Verkümmerung aller wertvollen Qualitäten des deutschen Volkes — das sollte der
Marx-Block seinen Wählern und Hindenburgs Wählern offen sagen.
«Man
soll die Gegner nicht unnötig aufbringen.» Und was habt ihr mit dieser Taktik
erreicht? Die völlige Niederlage eurer Ideen, die Vertrocknung aller
revolutionären Gedanken, dieses Parlament und diese Regierung.
Gegenüber
der selbstverständlichen Zurückhaltung, die man einem alten Mann schuldig ist —
eine Zurückhaltung, die niemals von der andern Seite ausgeübt worden ist — ist
schärfste sachliche Klarheit am Platz. Was an Hindenburg nichts taugt, ist
grade das, was ihm die andern noch nachmachen.
Hindenburg
ist: Preußen. Hindenburg ist: Zurück in den Gutshof, fort aus der Welt, zurück
in die Kaserne. Hindenburg bedeutet: Krach im aller Welt, unaufhörliche
internationale Schwierigkeiten, durchaus begründetes Mißtrauen des Auslandes,
insbesondere Frankreichs gegenüber Deutschland. Hindenburg ist: Die Republik
auf Abruf. Hindenburg bedeutet: Krieg.
Man
soll nicht nur gegen ihn stimmen. Man soll auch aussprechen was ist, und eine
Gesinnung verwerfen, die schon einmal den geistigen Niederbruch des Landes
herbeigeführt hat.
Quelle:
Kurt Tucholsky 1925
Anmerkung:
Im Jahre 1925 starb der erste deutsche Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) im
Alter von nur 64 Jahren. Nachfolger wurde im zweiten Wahlgang der Kandidat der
Rechtsparteien Paul von Hindenburg, dem durch seine zusammen mit Erich
Ludendorff im Ersten Weltkrieg in Ostpreußen errungenen drei Siege gegen die
mehrfach überlegenen russischen Streitkräfte ein gewisser Nimbus anhing.
Es
ist davon auszugehen, daß Tucholsky die wahren Hintergründe über die Entstehung
des Ersten Weltkrieges nicht bekannt waren. Zwar war Tucholsky – wie auch sein
Weggefährte Carl von Ossietzky – Freimaurer (er wurde 1924 in der Berliner Loge
„Zur Morgenröte“ des Freimaurerbunde zur aufgehenden Sonne aufgenommen), aber
wie schon Ludendorff zutreffend anmerkte, gibt es trotz der ausufernden Grade
der verschiedenen Systeme (der weltweit führende schottische Ritus kennt 33
Grade) im Grundsatz nur zwei Grade, nämlich der Wissenden und des nur
unvollständig eingeweihten Fußvolkes.