Cause fameuse
Cause fameuse im Großen
Schwurgerichtssaal: Mordprozeß in Sachen Liebknecht und Rosa Luxemburg. Die
Anklagebank gesteckt voll: acht Offiziere und ein Mann, aber was für einer! Das
Bild, das unser frechster und bester Karikaturist George Grosz von dem Husaren
Runge gezeichnet hat, ist eine Schmeichelei, der Mann sieht noch viel übler
aus: kleine schiefe Augen, eine niedrige Stirn, roh und ungeschlacht. Die
Herren daneben ‑ sie befinden sich in der besten Gesellschaft ‑ die
üblichen Offiziersgesichter: Köpfe, wie man Sie auf Sekt‑ und
Zigarettenplakaten zu sehen pflegt. Die Marineoffiziere meist brav und stumpf,
mit Ausnahme von Pflugk‑Harttung, der so gescheit aussieht, wie er sich
später benimmt. Es geht los.
Die Angeklagten werden
vernommen. Runge legt Pathos und bieder vibrierenden Schmerz in seine Stimme:
als er der Luxemburg und Liebknechts ansichtig geworden sei, habe ihn eine
solche Wut über sein zertretenes Vaterland erfaßt ... Auch habe Liebknecht ihm,
dem Dreher Runge, früher einmal eine Pistole auf die Brust gesetzt, mit der
Drohung, wenn er noch weiter arbeiten würde ... Die Offiziere «weisen die Anklage
aufs schärfste zurück». Die Pflugk‑Harttungs (es sind zwei Brüder) am
gewandtesten, Vogel und Weller am ungeschicktesten. Vogel ist eine Katastrophe
für jede Monarchie, so dumm benimmt sich der Mann. Er gibt zu, falsche Angaben
gemacht zu haben, «um die Division nicht zu kompromittieren», Weller tapst
durch die Materie, als sei es ein Kinospaß und kein Mordprozeß. Stolz steht er
da im strahlenden Schmucke seiner Orden, versehen mit viel Vaterlandsliebe und
einer leeren Revolvertasche ... Die Zeugen fahren auf ...
Aber was wird denn hier
gespielt? Eine Tragödie? Rache und Sühne? Kaum, höchstens deren fünfter Akt.
Vier Akte, vier lange, dunkle Akte sind vorhergegangen, und man kann nur vage
ahnen, was in ihnen geschehen, und vor allem, was nicht geschehen ist.
Geschehen ist dies: Die
wilmersdorfer Bürgerwehr, brave Einwohner einer westlichen berliner Gemeinde,
die am übelsten und reaktionärsten von allen regiert wird, gründeten in den
bewegten Revolutionstagen des Januar einen kleinen Feuerwehrverein zur
Aufrechterhaltung gottgewollter Abhängigkeiten und begaben sich ‑ ohne
einen Auftrag, ohne einen Befehl, ja ohne das geringste Recht dazu zu haben ‑
in die Wohnung, in der sich damals grade Liebknecht und Rosa Luxemburg aufhielten.
Sie verhafteten beide. Das war ungesetzlich. Es ist notwendig, darauf
hinzuweisen, weil sich unsre Ordnungshüter, denen Ordnung über die Freiheit
geht, nicht genug mit Gesetzeszitaten aufspielen können und sich gar so sehr
über den Doktor Kurt Rosenfeld erbosen, der ein Revolutionstribunal für diesen
Fall gefordert hat. Die Angeklagten dürften ihrem ordentlichen Richter nicht
entzogen werden, sagen die Leute. Aber er soll, meine Geehrten, seinem
außerordentlichen Richter entzogen werden! Dies hier ist ein Kriegsgericht,
zusammengesetzt aus Kameraden der Angeklagten. Und es tut nicht gut, nun
beständig mit den Anschauungen zu wechseln: einmal heißt es, wir hätten eben Revolution
gehabt ‑ so muß die ungesetzliche Verhaftung erklärt werden ‑ und
einmal heißt es wieder, es müsse alles laufen wie im tiefsten Frieden. Hier
klafft ein Widerspruch.
Liebknecht
und Rosa Luxemburg also wurden verhaftet, ins Eden Hotel gebracht, und aus
diesem Paradies sollten sie ins Gefängnis transportiert werden. Liebknecht
wurde unterwegs erschossen, Rosa Luxemburg kam abhanden und fiel in den
Landwehrkanal. Während ich dies schreibe, ist das Verfahren noch nicht
abgeschlossen. Die Dinge stehen so, daß im Falle Liebknecht außer den üblichen
kleinen Disziplinarvergehen nicht viel herausspringen wird ‑ non liquet.
Im Falle Luxemburg hat Vogel den großen Unbekannten eingeführt, der, von hinten
auf den Wagen aufspringend, die von Kolbenschlägen Runges Halbtote erschoß ‑
die Herren warfen sie, die ihnen zum Transport übergeben worden war, ins
Wasser. Der Fall liegt also wesentlich schwerer, und es besteht die
Wahrscheinlichkeit, daß das Gericht hier zu einer Verurteilung gelangen wird.
Denn das Gericht ist des
besten Willens voll. Der Verhandlungsleiter
ist ein sympathischer jüngerer
Mann, der mit viel Takt und Umsicht arbeitet, wenn ihm auch hier und da einige
Suggestionsfragen durchrutschen. Aber was nutzt das alles?
Ich bin des trocknen Tones nun
satt, und es soll einmal gesagt werden, was zu sagen bitter not tut:
Wir pfeifen auf ein solches
Verfahren. Wir kennen nun alle, meist aus eigner Anschauung, die Schliche und
armseligen Pfiffe dieses Militarismus, der sich hinter die Maske der tadellos
korrekten <Meldung> verkriecht, nachdem er seine Schiebungen inszeniert
hat. So, wie damals auf die Angaben Vogels hin die gesamte deutsche Presse über
den Hergang bei der Ermordung belogen worden ist, so kann es diesmal wieder
gehen ‑ wer garantiert uns, daß nicht wieder bei den Angeklagten
<Zweckmäßigkeitsgründe> maßgebend sind? Wir lassen uns nicht dadurch fangen,
daß uns gesagt wird, «zwei gewählte Vertrauensleute der Garde-Kavallerie‑Schützen‑Division»
säßen unter den Richtern. Wer beim Militär gewesen ist, weiß, wie Wahlen
zustande kommen man denke nur an die berüchtigten Küchenkommissionen. Und wenn
sie selbst richtig und ordentlich gewählt sind: sind sie nicht befangen? Sind
nicht ihre Kameraden, die Angeklagten, tausendmal in der oppositionellen Presse
auf das heftigste angegriffen worden? Wer ist denn heute noch Soldat? Die
Besten sinds nicht, die da unterkommen und Arbeitsersatz suchen, und die
Idealisten auch nicht. Und die sollen richten? Man nennt das: in eigner Sache.
Die Formation urteilt über
sich selbst. Man stelle sich doch nicht das, was wir hier meinen, so ungeheuer
plump und simpel vor: gewiß ist der untersuchende Kriegsgerichtsrat nicht
nachts beim Schein einer düster qualmenden Lampe zu den Angeklagten in den
Kerker geschlichen und hat ihnen dort kleine Zettel zugesteckt! Gewiß hat
keiner das Stubenmädchen bestochen, das gehört haben wollte, wie ein Offizier
gesagt hat: «Die Herren werden unten im Tiergarten erwartet, um Liebknecht zu
begrüßen» ‑ gewiß hat keiner den Jäger gemeuchelt, der gesehen hat, wie
Vogel auf Frau Luxemburg schoß. So einfach ist das nicht. Aber diese unwägbaren
Dinge, die da mitsprechen, geben den Ausschlag: die Formulierung eines
Protokolls, der Verzicht auf diesen oder jenen Zeugen, die lange Zeit, die
verstrich ‑ am 15. Januar wurden die beiden ermordet, am 15. April wurde
der Beschluß zur Hauptverhandlung ausgesprochen. Umsonst sind die Mitglieder
der USPD, über deren Mitwirkung bei der Voruntersuchung sich der Verteidiger so
sehr entrüstete, nicht zurückgetreten. Sie hatten das Gefühl, mit dem großen
Krummen zu kämpfen, dem noch jeder unterlegen ist, der ihm nicht mit seinen
eigenen Waffen zu Leibe ging: mit schärfster Rücksichtslosigkeit.
Es sind zwei Welten, die da
zusammenstoßen, und es gibt keine Brücke. Hüben wir. Drüben die Offiziere alten
und ältesten Stils ‑ kein Klang der aufgeregten Zeit drang je in diese
Einsamkeit. Von Liebknecht wird nur als dem <Feind> gesprochen; einer
bedauert, daß er nicht unter der schimpfenden Menge gestanden habe und nur
Begleitmann war ‑ sie leben wie in einer Glaskugel.
Der Verhandlungsleiter war ‑
von seinem Standpunkt aus mit Recht ‑ bestrebt, die Politik bei dem
Verfahren auszuschalten. Aber es geht nicht. Sie hatten alle, alle den
politischen dolus eventualis. Die Luft, die im Gerichtssaal wehte, war für sie
und gegen Liebknecht. Und käme heute wieder solche Gelegenheit ‑ sie
täten es noch einmal: sie würden schießen und ertränken und verheimlichen und
stünden da als die Retter des Vaterlandes. Ihres Vaterlandes, denn unsres ist
das nicht.
Ist das nur ein Einzelfall?
Nein, es ist keiner. Der Militarismus ist nicht tot, er ist nur verhindert. Die
kümmerlichen Reste verkriechen sich in die Noskegarden, die deshalb so
unendlich schädlich sind, weil da unter der neuen Flagge die alten Ideale
hochgehalten werden. Da ist wieder dieser falsche Kollektivgeist, der <die
Division>, diesen fabelhaften Begriff, höher stellt als alles Menschliche ‑
da ist die Schiebung, aber immer unter der Tünche der Korrektheit ‑, da
ist die alte, schlechte Gesinnung, die wir nicht mehr wollen. Eben das lehnen
wir ab und werden es bekämpfen, bis keine Spur mehr davon vorhanden ist: den
Zusammenschluß einer Gruppe von Menschen als Staat im Staate, das Pochen auf
den angeblich makellosen Ehrenschild, dessen beschmutzte Kehrseite wir alle
kennen, das Über‑ und Unterordnen von lebenden Menschen, die nicht fähig
sind, zusammenzuarbeiten ‑ kurz: Kasernenhof.
Es gibt keine Brücke. Sind es
nicht alles nette und ordentliche Menschen? War der Verhandlungsführer nicht
sauber? Sind es nicht alle brave, ehrenhafte Männer? Es sind nicht einmal
Männer, diese Offiziere, die eine wehrlose Frau und einen verwundeten Mann in
maiorem patriae gloriam beseitigen. Ich glaube nicht, daß das unter die Rubrik
<Tapferkeit> fällt.
Nichts gleichgültiger als das
Urteil. Blut kann nicht durch Blut gesühnt werden, das ist ein Wahn. Was wir
aber können und was wir tun werden, ist dieses:
Wir wollen bis zum letzten
Atemzuge dafür kämpfen, daß diese Brut nicht wieder hochkommt. Wir wollen
ebenso konsequent sein wie sie und nicht vergessen: Eulenburg nicht, der nicht
im Zuchthaus sitzt, weil er ein Fürst ist, den Grafen Arco nicht, der Eisner
erschoß, und diese Herren nicht, die sich nur einmal in ihrem Leben mit einem
gewöhnlichen Mann ganz verstanden haben: auf der Anklagebank.
Es ist völlig uninteressant,
zu wissen, ob Noske im guten Glauben handelt oder im schlechten. Er ist ein
Schädling, denn schlimmer als die exploitierenden Reichen sind ihre Handlanger,
schlimmer als der Großbauer ist sein Hund. Der Helm muß und wird
heruntergeschlagen werden.
Hetzen wir? Sind wir nicht
sachlich genug? Nur einmal noch, nur dieses eine Mal noch erlaubt mir, daß mein
Herzblut spricht, und nicht das Gehirn. Das soll euch werden: die kälteste und
klarste Sachlichkeit. Aber dieses Mal nicht. Aus ihren Gräbern rufen zwei Tote.
Ihr könnt die Schreie nicht hören, denn ihr seid taub. Wir aber hören sie. Und
vergessen sie nicht. Was da in dem großen Saal unter dem Bildnis <Seines>
glorreichen Großvaters, Kaiser Wilhelms des Großen, vor sich gegangen ist, ist
in unsre Herzen eingebrannt. Und eben, weil alle feinen Leute noch für den
letzten Verbrecher und Rohling eintreten, wenn er nur Liebknecht totschlägt,
und eben weil die schlechtesten Deutschen aufatmeten, als zwei Idealisten
ermordet wurden, eben deshalb bewahren wir unsre Trauer und unsern Schmerz und
vergessen nicht.
Die drüben kleben zusammen wie
die Kletten ‑ wir sind aneinander geschmiedet durch das Gedächtnis an
Eisner und seine Brüder. An unsre Brüder. Und haben weder Zeit noch Lust, euren
dicken Aktenbänden zu folgen, euren Plädoyers und euren Proklamationen. Das
Ding liegt so: da steht der Militarismus, da stehen wir. Und weil die Welt
nicht in Staaten, wohl aber in Fortstrebende und Zurückzerrende zerfällt, müßt
ihr beiseite gehen, in voller Uniform, in Feldbinde, Ordensschmuck und Helm.
Und was die Toten rufen, ruft unser Herz:
Ecrasez
l'infame!
Quelle: Kurt Tucholsky im Jahre 1919