Für Carl von Ossietzky
General-Quittung
von Kurt Tucholsky (1932)
Carl von Ossietzky geht für
achtzehn Monate ins Gefängnis, weil sich die Regierung an der <Weltbühne> rächen will, rächen
für alles, was hier seit Jahren gestanden hat. Ossietzky geht ins Gefängnis
nicht nur für den Mitarbeiter, der den inkriminierten Artikel geschrieben hat -
er geht ins Gefängnis für alle seine Mitarbeiter. Dieses Urteil ist die
Quittung der Generale.
Der Hexenprozeß wurde unter
sehr erschwerenden Umständen geführt.
Um Ossietzky zu verhindern,
beizeiten loszuschlagen, wurde die Anklage auch wegen militärischer Spionage
erhoben, ein Delikt, das nicht vorgelegen hat; der einschlägige Paragraph
bestimmt aber, daß wie bei einem Prozeß der westfälischen Feme oder wie in
einem Verfahren der Inquisition die Öffentlichkeit nicht einmal von der Erhebung
der Anklage etwas wissen darf. Ossietzky konnte sich also vor dem Prozeß
überhaupt nicht zur Wehr setzen.
Der Prozeß fand hinter
verschlossenen Türen statt. Die Angeklagten hatten vor der Öffentlichkeit
nichts zu befürchten ‑ die Regierung alles. Die Angeklagten hatten ein
gutes Gewissen. Die Regierung hatte das nicht.
Den Angeklagten und den
Verteidigern wurde strenge Schweigepflicht auferlegt; es durfte nichts über
das, was Gegenstand der Verhandlung gewesen war, veröffentlicht werden ‑
auch nicht nach dem Urteilsspruch. Es ist eine Frage der Taktik und des
Temperaments, ob man das befolgt.
Ossietzky hat alle diese
Schweigegebote nicht nur befolgt ‑ er hat sich in gradezu heroischer
Weise hinter die Sache gestellt. Vom ersten Augenblick an bis heute gibt es
keinen Satz, den dieser Mann geschrieben oder gesprochen hätte, wo er sich beklagt,
sich rühmt, sich herausstellt. Ossietzky hat mir, als das Urteil herausgekommen
ist, ebenso freundschaftlich wie fest verwehrt, ihn <anzusingen> ‑
ich habe also damals nicht sagen können, was alle Beteiligten längst wissen:
wie er noch im Prozeß versucht hat, sich vor den Schreiber des Artikels zu
stellen; wie er versucht hat, die ganze Schuld auf sich zu nehmen und wie
phrasenlos und still er diese böse Wartezeit durchgestanden hat. Nicht wissen,
was morgen mit einem geschieht ‑ und dabei seine Arbeit tun: das ist
nicht leicht. Das hat Ossietzky seit etwa zweieinhalb Jahren getan.
Es ist nun nachträglich
versucht worden, den Erlaß der Strafe oder die Umwandlung der Gefängnisstrafe
in eine Festungshaft auf dem Gnadenwege zu erreichen, und dazu ist folgendes zu
sagen:
Carl von Ossietzky hat,
während diese Bestrebungen im Gange waren, selbstverständlich nicht nur
Groener, sondern auch den Mann, der letzten Endes über das Gnadengesuch zu
entscheiden hat, dauernd angegriffen. Er hat gegen Hindenburg geschrieben, also
genau das Gegenteil dessen getan, was man als Opportunismus bezeichnen könnte.
Diese Angriffe hat er mit seinem Namen gezeichnet.
Grund genug, um nach gewissen
Begriffen deutscher Ritterlichkeit zu argumentieren: «Er greift uns ja doch an ‑
wozu soll man so einen begnadigen?»
Ein Funke von Ritterlichkeit
auf der amtlichen Seite wäre vielleicht zu erwarten gewesen ‑ ich habe
das nie erwartet, und es hat auch nicht gefunkt. Der <alte Herr> versteht
in Sachen der Armee keinen Spaß, die <Weltbühne>
auch nicht ‑ und Ossietzky geht ins Gefängnis. Die meisten
Begnadigungsversuche sind dem Reichspräsidenten gar nicht erst vorgelegt
worden.
Nach Kenntnis der ausländischen
Pressestimmen fasse ich zusammen:
Die behaupteten Tatsachen sind
wahr. Das Reichswehrministerium hatte Butter auf dem Kopf.
Es ist gar nichts verraten
worden ‑ und zwar deshalb nicht, weil die behaupteten Tatsachen,
insbesondere bei den Franzosen, bekannt gewesen sind. Es ist also auch vom
Standpunkt des Militärs der deutschen Republik kein Schade entstanden. Nicht
die Enthüllung hat geschadet ‑ die Tatsachen haben geschadet.
Die gegnerische Presse tut so,
als wollte Carl von Ossietzky für sich eine Extrawurst gebraten haben. Das ist
unrichtig.
Die Begnadigungsaktion will
geschehnes Unrecht mildern, weiter nichts. Denn hier ist ein schweres Unrecht
geschehn. Für dieses Delikt, das keines ist, über einen solchen Mann wie Carl
von Ossietzky diese Strafe zu verhängen, das ist eine Schande. Sie auf sich zu
nehmen ist keine.
Die Strafe ist und bleibt
nichts als die Benutzung einer formalen Gelegenheit, einem der Regierung sehr
unbequemen Kreis von Schriftstellern eins auszuwischen. Die Mitarbeiter und die
Leser der <Weltbühne> haben in
der Tat etwas getan, was den faschistischen Gegner bis aufs Blut gereizt hat:
er ist hier ausgelacht worden. Hier ist gelacht worden, wenn andre gedonnert
haben. Hier sind jene nicht ernst genommen worden. Und sie können ja vieles.
Aber eines können sie nicht. Sie können nicht erzwingen, daß man zu ihnen
anders spricht als von oben nach unten. Im geistigen Kampf werden sie auch
weiterhin so erledigt werden, wie sie das verdienen. Und das muß doch gesessen
haben. Denn sonst wären jene nicht so wütend und versuchten es nicht immer,
immer wieder. Es wird ihnen nichts helfen.
Es ist mir unmöglich, einem so
unpathetischen und stillen Kameraden wie meinem Freunde Ossietzky markige
Abschiedsworte zuzurufen; wir sind keine Vereinsvorsitzende. Ich wünsche ihm im
Namen aller seiner Freunde, daß er diese Haft bei gutem Gesundheitszustande
übersteht.
Alle anständig empfindenden
Menschen werden die Begnadigung fordern. Gummiknüppel sind keine Argumente. Und
weiter ist dieses Urteil nichts.
Das Blatt aber wird, getragen
von dem gewaltigen Auftrieb, den ihm Carl von Ossietzky gegeben hat, das
bleiben, was es immer gewesen ist.
Anderthalb Jahre Gefängnis für
eine gute Ware erhalten zu haben - das kann bescheinigt werden.
Die
Ware wird weitergeliefert.
Anmerkung: Die Aktion gegen die
"Weltbühne" und Carl von Ossietzky hat erstaunliche Parallelen zu dem
Staats- und Justizterror von Adenauer und Strauß gegen den SPIEGEL und Rudolf
Augstein.