Reporter ohne Grenzen

 

"Für Pressefreiheit schlechthin!" - Robert Ménard, Gründer und Vorsitzender von Reporter ohne Grenzen, über die Freiheit der Presse, ob "links oder rechts"

 

JUNGE FREIHEIT vom 26. Mai 2006

 

Robert Ménard ist Gründer und Vorsitzender von Reporter ohne Grenzen, einer der weltweit führenden Organisationen zur Wahrung der Pressefreiheit. Geboren wurde der französische Radiojournalist 1953 in Algerien.

 

Reporter ohne Grenzen (ROG): 1985 in Frankreich als "Reporters sans frontières" (RSF) gegründet, verfügt die internationale Organisation mit Sitz in Paris über neun nationale Sektionen in Eur­opa ‑ darunter seit 1994 in Deutsch­land mit Sitz in Ber­lin ‑ und fünf Büros in Nordamerika und Asien. Sie hat Beraterstatus beim Europarat, der UN­-Menschenrechts­kommisson und der Unesco und wurde von OSZE und Europäischem Parlament ausgezeichnet. Finanziert wird ROG durch Mitgliedsbeiträge und Spenden, die teilweise auch aus dem US‑Außenmini­sterium stammen, wie man inzwischen offen zugibt. ROG verwahrt sich jedoch gegen jeden Vorwurf der Einflußnahme durch die USA.

 

Kontakt: Skalitzer Straße 101, 10997 Berlin, Tel: 030 / 6 15 85 85,

Internet: www.reporter­-ohne‑grenzen.de

 

 

Herr Ménard, Sie haben 1985 "Reporter ohne Grenzen" (ROG) gegründet. Heute ist ROG eine der weltweit wichtigsten sogenannten Nichtregierungsorganisationen (NGO) in Sachen Pressefreiheit. Dabei haben Sie vor 21 Jahren ganz anders angefangen.

 

Ménard: Zu Beginn waren wir nicht das, was wir heute sind. Wir schlossen uns damals in Montpellier, am Ufer des Mittelmeeres, zusammen, weil wir festgestellt hatten, daß es eine ganze Reihe von Ländern und Situationen gab, die von den etablierten Medien einfach nicht beachtet wurden.

 

Ihnen schwebte also eher eine Art humanitäre Hilfsaktion für unterentwickelte Länder nach dem Vorbild der 1971 ebenfalls in Frankreich gegründeten "Ärzte ohne Grenzen" vor?

 

Ménard: Vor allem in Afrika, aber auch in Asien gab es Länder und Ereignisse wie Katastrophen oder lokale Kriege, über die die westlichen Medien einfach hinweggingen. ROG hatte es sich ursprünglich, etwa drei bis vier Jahre lang, zur Aufgabe gemacht, Reportagen über diese vergessenen Länder und Ereignisse zu machen. Diese Beiträge wurden Zeitungen, Funk‑ und Fernsehanstalten kostenfrei zur Verfügung gestellt. Doch wurde uns mit der Zeit klar, daß diese Vorgehensweise nicht funktioniert. Denn wenn eine Zeitung sich um einen Ort oder um ein Ereignis nicht kümmert, ist sie auch an kostenfreien Beiträgen darüber nicht interessiert. Gleichzeitig wurde uns bewußt, daß gerade in diesen Ländern, über deren Probleme wir berichten wollten, kaum von Freiheit der Presse die Rede sein konnte.

 

Ein Wandel von einer humanitären zu einer  Menschenrechtsorganisation?

 

Ménard: So ist es, heute befassen wir uns ausschließlich mit Fragen der Pressefreiheit. Die ursprünglichen Ziele verfolgen wir nicht mehr. Das ist ein großer Unterschied. Die damalige Idee ist gescheitert, das neue Profil entfaltet sich dagegen überaus erfolgreich.



"Die BND‑Affäre ist mit der Demokratie nicht vereinbar"

 

Wenn wir vom Kampf um die Pressefreiheit sprechen, denken wir in der Regel an Afrika, Asien oder Südamerika. Wie ist es aber tatsächlich um die Pressefreiheit in Westeuropa bestellt?

 

Ménard: Kein ernstzunehmender Mensch würde diesbezüglich die Lage hier mit der in China, Kuba oder Burma vergleichen. Ich sage das im Bewußtsein, daß es Leute gibt, bei deren Reden man den Eindruck gewinnt, es gebe nirgendwo Pressefreiheit. Natürlich gibt es nirgendwo vollkommene Pressefreiheit, aber behält man die Verhältnismäßigkeiten im Auge, dann kann man schon feststellen, daß Sie hier schreiben können, was Sie wollen, ohne jene Risiken einzugehen, die man dabei in gewissen Ländern eingeht.

 

Jüngst wird Deutschland vom BND‑Skandal erschüttert. Die FDP spricht von einer "Krise", die Grünen vergleichen den Fall mit der "Spiegel"­-Affäre 1962. Kommentatoren erinnern an den Fall "Cicero" im September 2005.

 

Ménard: Nicht zuletzt wegen des Falls Cicero ist Deutschland auf dem von ROG jährlich herausgegebenen Media Freedom Index, der 167 Staaten aufführt, von Platz 11 im Jahr 2004 auf Platz 18 im Jahr 2005 gefallen. Was die BND­-Affäre betrifft, so muß festgestellt werden, daß das Rekrutieren von Journalisten seitens eines Geheimdienstes, um andere Journalisten auszuspionieren, ein völlig unwürdiges Vorgehen ist. Das ist nicht mit der Demokratie vereinbar. Nichts kann eine derartige Praxis rechtfertigen. Man muß aber auch hinzufügen, daß Journalisten, die sich für ein derart unwürdiges Vorgehen hergeben, ihren ganzen Berufsstand kompromittieren. Leute, die sich dafür hergeben, schließen sich eigentlich selbst aus ihrem Stand aus.

 

"Es ist Ehrensache, die Freiheit aller Medien zu verteidigen"

 

Ist die Pressefreiheit in Westeuropa außer durch solche staatlichen Eingriffe nicht auch durch die zunehmende Medienkonzentration gefährdet?

 

Ménard: Einerseits ist die zu große Konzentration von Medien in einer Hand zwar keine Gefahr für die Pressefreiheit, aber eine handfeste Gefahr für Pluralismus und Vielfalt der Information. ‑ Das ist allerdings nicht das gleiche. Andererseits kann man feststellen, daß die Garantie für gute Informationen um so höher ist, je größer und reicher die Pressekonzerne sind. Denn heutzutage braucht man, um gute Informationen liefern zu können, zahlreiche Mittel, und der Wohlstand einer Pressegruppe gewinnt große Bedeutung um den Journalisten jene Mittel zur Verfügung zustellen. Die Öffentlichkeit beklagt des öfteren, daß die Journalisten die Entwicklungen in dem einen oder anderen Land nicht adäquat abdecken, aber Medien, die nicht stark genug sind, verfügen nicht über die Mittel, um aus allen Ländern der Welt zu berichten.

 

Zum Beispiel?

 

Ménard: Eine Zeitung wie die New York Times etwa hat in der irakischen Hauptstadt Bagdad zwei Journalisten. Natürlich rotiert die Besetzung der Posten, aber es sind immer zwei an Ort und Stelle. Um diesen zwei Journalisten zur Hand zu gehen, gibt es mehrere Dutzend Leute, die für sie arbeiten: Informanten, Leibwächter, Übersetzer, Fotografen. Wie viele europäische Medien gibt es, die sich einen solchen Aufwand leisten könnten? Aber um gut arbeiten zu können, braucht man einen solchen Apparat. Deswegen behaupte ich, entgegen der Meinung vieler, daß der Reichtum von Medienhäusern auch eine Voraussetzung für die gute Arbeit einer Zeitung ist.

 

Wie steht es mit der politischen Bedrängung nonkonformer konservativer Medien in Westeuropa?

 

Ménard: Zum Beispiel?

 

Zum Beispiel die Schließung einer "rechten" moslemkritischen Weltnetzseite im Zuge des Karikaturenstreits im Frühjahr in Schweden.

 

Ménard: Ich kenne den Vorgang nicht.

 

Dieser Eingriff in die Pressefreiheit war immerhin Anlaß für den Rücktritt der ‑ allerdings sowieso belasteten ‑ verantwortlichen Außenministerin Leila Freivalds Ende März (JF 14/06).

 

Ménard: Ich kenne konkret diesen Fall, den Sie erwähnen, nicht, aber die Position von ROG in solchen Fällen ist ganz einfach: Intoleranz ist immer, aber wirklich immer, verdammenswert! Für ROG ist es Ehrensache, die Ausdrucksfreiheit aller Medien zu verteidigen. Man stellt sich nie und nimmer die Frage der ideologischen Ausrichtung der Medien.

 

Auch in den regelmäßigen Berichten des US­-Kongresses wird Deutschland unter anderem wegen Einschränkung der Meinungsfreiheit gegenüber "rechten" politischen Positionen kritisiert.

 

Ménard: Man verteidigt die Leute nicht abhängig von ihren Ideen, man verteidigt sie aufgrund des Prinzips. Solange ein Medium nicht die Gesetze seines Landes verletzt ‑ ich meine Aufruf zur Gewalt, zum Rassismus ‑, ist ROG für die Freiheit aller, sich ausdrücken zu dürfen. ROG verteidigt, wo immer es sein sollte, in Frankreich, in Deutschland oder in der Welt, Medien jeder Schattierung, solange sie keine Gesetze verletzen.

 

Gerade der Fall der dänischen Mohammed-Karikaturen ist besonders knifflig. Handelt es sich hier um eine Einschränkung der Pressefreiheit durch die demonstrierenden Moslems oder um einen Mißbrauch der Pressefreiheit durch die dänische Presse?

 

Ménard: Erstens: Die dänische Zeitung Jyllands‑Posten hatte das unbezweifelbare Recht, diese Karikaturen zu veröffentlichen. Man muß das mit Nachdruck wiederholen. Sie hatte das Recht zur Veröffentlichung! Moslemische Organisationen in Dänemark haben versucht, dagegen per Justiz vorzugehen, und sie haben verloren. Und das Gesetz ist bei den Gerichten beheimatet und nicht auf der Straße. Das Gesetz gründet nicht auf Drohungen gegen Journalisten und nicht auf Drohungen gegen Teile der Bevölkerung und auch nicht auf gewalttätige Straßendemonstrationen gegen Botschaften und Konsulate. Zweitens: Die Affäre wurde von gewissen Regierungen arabischer Länder aus innenpolitischen Gründen instrumentalisiert. Die erste Zeitung, die nach Jyllands-Posten die Karikaturen wieder veröffentlichte, war eine ägyptische Zeitung. Zu diesem Augenblick protestierte keine Seele, auch niemand in Ägypten. Die ganze Affäre ging hoch, nachdem einige moslemische Geistliche auf Einladung der ägyptischen Behörden eine Rundreise unternahmen, um in einer Anzahl von Ländern Öl ins Feuer zu gießen, und dabei sogar Karikaturen gezeigt haben, die in Jyllands‑Posten nie erschienen waren. Meinen Sie allen Ernstes, daß man in Damaskus oder Teheran eine Demonstration organisieren kann ohne den Segen der Behörden? Es war eine rein politische Machenschaft. Die ägyptischen Behörden etwa wollten demonstrieren, daß sie noch moslemischer sind als die Organisation der Moslembrüder. Im Iran wiederum war die Angelegenheit ein Degen in der Auseinandersetzung um die Atomfrage. In Syrien war es ein Mittel, Europa und den Vereinigten Staaten zu zeigen, daß man sich ‑ angesichts des Druckes, sich aus dem Libanon zurückzuziehen ‑ bedrohlich wehren kann. Drittens: Ich muß leider feststellen, daß wir, die Menschen im Westen, Dänemark nicht so verteidigt haben, wie wir es hätten tun sollen.

 

"Ob rechts oder links, kümmert mich keinen Deut!"

 

Wir nennen es Durchsetzen der Pressefreiheit, in Asien und Afrika nennen es viele westlichen Kulturimperialismus.

 

Ménard: Dieser Vorwurf ist ein Unfug. Das ist keine Frage des Kulturimperialismus, sondern eine Frage der universellen Freiheit. Für das Jahr 2005 nimmt Dänemark den ersten Platz auf dem Media Freedom Index ein. Dänemark ist geradezu ein Modell für die Pressefreiheit. Allein aus Angst von den Reaktionen der arabischen Hauptstädte hat man bei weitem nicht das nötige Maß an Solidaität mit diesem Vorbild bekundet.

 

Kritik an ROG kommt vor allem aus Afrika, wo man in einigen Zeitungen ‑ sogar in Ägypten ‑ behauptet, es gebe eine gewisse Übereinstimmung zwischen der Liste der "Feinde der Pressefreibeit", wie sie ROG herausgibt, und der Liste der Schurkenstaaten der amerikanischen Regierung.

 

Ménard: Wenn die amerikanische Regierung behauptet, daß es auf Kuba keine Pressefreiheit gibt, werde ich nicht das Gegenteil behaupten, nur weil die amerikanische Regierung das sagt. ROG formuliert seine Urteile nicht unter Berücksichtigung der Verlautbarungen der Vereinigten Staaten. Lesen Sie bitte schön, was von uns alles gesagt wird in bezug auf das, was auf Guantanamó geschieht, oder in bezug auf die amerikanische Politik im Irak. Wir verurteilen beides. Als im Juli 2005 die New York Times­-Journalistin Judith Miller 85 Tage in Beugehaft verbringen mußte, weil sie sich weigerte, ihre Quellen preiszugeben, wurde sie von uns gegen die US‑Regierung unterstützt. Als dagegen die US‑Reporterin Jill Caroll von Januar bis März 2005 im Irak in Geiselhaft war, haben wir an der Seite der USA gestanden. Wir stehen immer an der Seite des Rechts und der Freiheit. Es geht uns nicht darum, wer da die Fäden zieht, sondern darum, ob es eine gerechte Sache oder eine ungerechte Sache ist. Das ist die einzige Frage, die mich interessiert. Ob es rechts ist oder links, kümmert mich kein Deut. Ich frage nicht nach der politischen Sensibilität der Sache.

 

"Reporter ohne Grenzen waren die ersten, die protestiert haben"

 

In der Tat hat man auch in den USA ‑ Platz 22 auf Ihrer Liste ‑ in puncto Pressefreiheit keine weiße Weste. Jüngst machten die Fälle von Google und Microsoft Schlagzeilen, die es akzeptiert hatten, in China Zensur auszuüben.

 

Ménard: ROG waren die ersten, die protestiert haben, weil man den chinesischen Behörden Informationen geliefert hat, die zur Verhaftung der "Internet‑Dissidenten" geführt haben. Wir sind auf die Barrikade gegangen, wir haben in Kalifornien sogar eine Protestdemonstration vor dem Geschäftssitz von Yahoo organisiert. Es gibt kein Denunziantentum mit variabler Geometrie. Man kann keine ideologische Disposition als Grund für sein Vorgehen akzeptieren. ROG wird sich aber wohl immer Vorwürfen ausgesetzt sehen: Mal werden wir beschuldigt, allzu pro‑amerikanisch zu sein, am nächsten Tag werden wir angeprangert, weil wir angeblich zu pro‑arabisch sind, den darauffolgenden Tag werden wir beschuldigt, pro‑israelisch zu sein.

 

Sie meinen, im Kern geht es darum, daß Sie sich selbst treu bleiben?

 

Ménard: Genau. Es geht darum, gewissen Prinzipien treu zu bleiben. Die Pressefreiheit ist eine runde Sache. Die Leute setzen sich gewöhnlich für die Pressefreiheit ihrer Freunde ein und weniger für die Pressefreiheit ihrer Feinde. Wir sind dagegen für die Pressefreiheit schlechthin!

 

IVAN DENES