Oswald Spengler
Spengler, Oswald, geb. 1880 in Blankenburg a. Harz, Historiker und
Kulturphilosoph, Privatgelehrter in München. Schrieb das Aufsehen erregende und
viel umstrittene Buch: Der Untergang des Abendlandes. Umriß einer Morphologie
der Weltgeschichte, 1918 und 1922 u. ö. "Nach ihm ist die Weltgeschichte
nicht ein kontinuierlicher Prozeß, sondern die Aufeinanderfolge von Kulturen,
die als Ausdruck eines spezifischen Seelentums von einander wesenhaft
verschieden sind. So folgten in Europa aufeinander die griechische (apollinische),
die arabische (magische) und die abendländische (faustische) Kultur. Die
Lebensdauer jeder Kultur, die einen Aufstieg, Höhepunkt und Untergang notwendig
durchläuft, beträgt annähernd 1000 Jahre. Innerhalb einer Kultur sind alle
Erscheinungen und Leistungen als Ausdruck derselben Seele korrelativ
zueinander, im Verhältnis zu anderen Kulturen entsprechen einander die
jeweiligen Phasen oder sind homolog. Aus dem Vergleich der abendländischen
Kultur mit der abgeschlossenen griechischen läßt sich die Zukunft der ersten
berechnen; sie ist bereits in das Stadium der Zivilisation eingetreten, das
schicksalsmäßig ihren Untergang einleitet." (Frischeisen‑Köhler).
Quelle: "Philosophisches Wörterbuch" von Heinrich Schmidt, 8.
Aufl., Leipzig 1931, S. 397 f
Die ungeheure Wirkung der
Philosophie Nietzsches ist durch einen seiner Anhänger, den ihm geistig
ebenbürtigen Philosophen Oswald Spengler noch vertieft worden ‑ hin zu
einer "deutschen Philosophie", wie sie ihr Schöpfer nennt. Der in
Blankenburg am Harz 1880 geborene spätere Oberlehrer betätigte sich als
Schriftsteller mit größtem Erfolge und lebte bis zu seinem 1936 erfolgten Tode
als Privatgelehrter in München. Sein Hauptwerk "Der Untergang des
Abendlandes" (1918/22), das gegen seinen Willen und aus rein propagandistischen
Gründen diesen Titel erhielt ‑ statt "Die Erfüllung des
Abendlandes" zu heißen ‑ gab einer ganzen Geistesrichtung den Namen.
Ebenso von hoher Bedeutung sind andere seiner Werke, wie "Preußentum und
Sozialismus" (1920), "Neubau des Deutschen Reiches" (1924), "Der
Mensch und die Technik" (1931) oder "Jahre der Entscheidung" (1933).
Aus der Fülle seiner Gedanken kann hier nur weniges herausgehoben, werden.
Spengler war ein Verächter der Masse, des "Ungeziefers", wie so
mancher Große im geistigen Reich, er war ein absoluter Herrenmensch und
Protagonist eines zynischen Macchiavellismus. Für ihn steht "der geborene
Staatsmann jenseits von wahr und falsch". Er teilt mit Nietzsche hier die
Verherrlichung des Tatmenschen, welcher der Politik das Primat über alle anderen
Betätigungen zuspricht. So heißt es etwa in dem Kapitel "Der Staat"
im 2. Bande von "Der Untergang des Abendlandes": "Das ganze
Leben ist Politik ... der Krieg ist die Urpolitik aller Lebendigen ...
Politisch begabte Völker gibt es nicht, nur Völker, die fest in der Hand einer
Minderheit sind und sich deshalb gut in Verfassung fühlen ... Politische
Begabung einer Menge ist nichts als Vertrauen auf die Führung ... Das Höchste
ist nicht Handeln, sondern befehlen können. Erst damit wächst der einzelne über
sich selbst hinaus und wird zum Mittelpunkt der tätigen Welt." Den
pessimistischen Eindruck seines Hauptwerkes wollte Spengler durch seinen "Preußischen
Sozialismus" aufheben, durch jene straffe Haltung des Menschen der
Spätzeit, der einsieht, daß der Glaube an einen Fortschritt in der Geschichte
"philiströs" ist ‑ und daß die Masse nur durch den Cäsarentypus
gebändigt werden kann. Dabei verbindet er als begeisterter Apologet des
Preußentums dieses fest mit dem Sozialismus: "Altpreußischer Geist und
Sozialismus sind dasselbe." Die Internationale dieses Sozialismus
allerdings, so charakterisiert sie Spengler, "ist nur durch den Sieg einer
Rasse über alle anderen möglich. Die echte Internationale ist
Imperialismus". Für ihn ist die Härte, nicht der Begriff des Lebens
wesentlich. Er glaubt sie im Preußentum zu finden, einem Lebensgefühl, einem
Instinkt, "einem Nicht‑anders‑Können"; Dienen,
Gemeinschaftsgefühl und Zucht charakterisieren es. "Zur preußischen Art
gehört es, daß der Einzelwille im Gesamtwillen aufgeht ... Das ist nicht
Herdengefühl, sondern es ist etwas unendlich Starkes und Freies darin."
Die preußische Armee, das preußische Beamtentum und Bebels Arbeiterschaft
(natürlich nicht jene, die 1918 versagt hat, weil sie mit der Macht nichts
anzufangen wußte, die ihr in den Schoß fiel) sind allesamt Produkte preußischer
Zucht. Preußentum und Sozialismus stehen gemeinsam gegen das "innere
England", gegen den kapitalistisch‑parlamentarischen
Liberalismus", jene Weltanschauung, welche "unser ganzes Leben als
Volk durchdringt, lähmt und entseelt ... " Der deutsche Charakter trage
die beiden Elemente des Arbeiters und des Soldaten in sich, die sich in der Geschichte
des aus Preußen aufgestiegenen Reiches tatsächlich verwirklichten. Das Ideal
eines Volkes der Dichter und Denker sei zwar herrlich gewesen, aber endgültig
vorbei. Wenn Deutschland neuerlich vor der übermächtigen welt‑imperialistischen
Idee des Bolschewismus bestehen wolle, so müsse es diese beiden typischen
Hauptgestalten zu einer einheitlichen nationalen Leistung vereinigen. Aus
dieser Haltung heraus kann es gar nicht anders sein, als daß Spengler das
Heraufkommen einer konservativen Revolution in Deutschland, eines neuen Reiches
erwartet. So schreibt er 1927: "Es gibt heute kein zweites Volk, das der Führer
so bedürftig ist, um etwas zu sein, um auch nur an sich glauben zu können, aber
auch keines, das einem Führer so viel sein kann, als das deutsche Volk."
Noch am Anfang des Dritten Reiches, in der Einleitung zu "Jahre der
Entscheidung", sagt er zum 30. Januar 1933: "Der nationale Umsturz
von 1933 war etwas Gewaltiges und wird es in den Augen der Zukunft bleiben
durch die elementare Wucht, mit der er sich vollzog und durch die seelische
Disziplin, mit der er vollzogen wurde. Die Zeit kommt, nein, sie ist schon da,
die keinen Raum mehr hat für zarte Seelen und schwächliche Ideale. Das uralte
Barbarentum, das Jahrhunderte lang unter der Formenstrenge einer hohen Kultur
verborgen und gefesselt lag, wacht wieder auf. Barbarentum ist das, was ich starke
Rasse nenne (Rasse, die man hat, nicht eine Rasse, zu der man gehört. Das eine
ist Ethos, das andere Zoologie), das ewig Kriegerische im Typus des Raubtiers
Mensch." Aber dann setzt Spengler sich ab. Eine persönliche Begegnung mit
Adolf Hitler, der Spenglers Werke gründlich studiert hatte, hat ihn nicht in
dem Maße beeindruckt wie die meisten Besucher des Diktators. Er bleibt
skeptisch und warnt sogar vor dem Dritten Reich, vor dem Nationalsozialismus,
von dem er schließlich totgeschwiegen wird. "Der Nationalsozialismus war
zum guten Teil ein Einbruch tartarischen Wollens in das Grenzgebiet des
Abendlandes, so undeutsch, ungermanisch, unfaustisch, wie nur möglich ‑
platt wie die großen asiatischen Ebenen!" Die NSDAP bezeichnet Spengler
als "die Organisation der Arbeitslosen durch die Arbeitsscheuen" und
Alfred Rosenbergs "Mythus des XX. Jahrhunderts" als ein "Buch,
an dem nichts stimmt außer den Seitenzahlen". An den NS‑Reichsleiter
Hans Frank schreibt er in einem seiner letzten Briefe im Frühjahr 1936 den prophetischen
Satz " ... da ja wohl in zehn Jahren ein Deutsches Reich nicht mehr
existieren wird!"
Quelle: "Bevor Hitler kam" von Dietrich Bronder, 2. Aufl., Genf
1975, S. 23 - 25
Es gab Zeiten, noch in unserer
jüngsten Vergangenheit, in denen der Begriff Kultur steil hinaufgeschraubt
wurde, was ihn zwar übermäßig erhöhte, aber auch unnötig verengte, als sei
Kultur nur höherer Kunstbegriff, etwas, das irgendwer irgendwann für uns
erworben hat und das wir nun vor den gemeinen Blicken verhüllt in ein
Sakramentskästchen stecken müßten. Dadurch entstand der sonderbare Eindruck,
als sei uns Kultur unverlierbar, solange noch ein paar Literaten darauf
herumreiten. Schon Spengler klagte darüber!
Oswald Spenglers großes Werk
vom Untergang des Abendlandes erschien, geschäftsmäßig gesehen, in einem
äußerst günstigen Augenblick, der frühen Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, obwohl
schon vor Beginn des Krieges als Manuskript fertiggestellt.
Der Eindruck des erbarmungslos
geführten Krieges, die schrecklichen Nachkriegserfahrungen, die
Auflösungserscheinungen in einer Gesellschaft, die soeben erst in einer fast
sagenhaften Geschlossenheit und Unbedingtheit gekämpft hatte, das alles schien
die Theorie Spenglers von der Unabwendbarkeit des Untergangs unserer
abendländischen Kultur zu bestätigen. Aber dieses geistige Abenteuer, das
Spengler mit der Formenlehre von Hochkulturen der Öffentlichkeit vorsetzte,
stieß schließlich auf Ablehnung, weil die Vorstellung, daß Hochkulturen aller
Erfahrung nach zwangsläufig nach tausend Jahren zerfallen, keine Zukunft zu
eröffnen schien. Spengler selbst gab seiner Kulturformenlehre das Vorwort mit,
daß es sich um einen ersten Versuch handle, die Gestalten der verschiedenen
Hochkulturen entwicklungsmäßig gegeneinanderzustellen, der darum auch mit allen
Fehlern eines ersten Versuchs behaftet sei, unvollständig bleibe und sicherlich
nicht ohne inneren Widerspruch sein könne; aber wer den damit ausgesprochenen
Gedanken nicht nur höre, sondern auch verstehe, könne sich ihm nicht entziehen.
Stattdessen nahmen die Gelehrten Spenglers neuartigen Gedanken wie ein fertiges
Gebäude auf, gleichsam wie ein Wort Gottes, als das er nicht gedacht war. Man
müßte schon nichts anderes von Spengler gelesen haben als dieses eine Werk, um
sich ihn als Fatalisten denken zu können. Das hieße, diesen
universalgebildeten, schöpferischen Geist unterschätzen.
Die Zwangsläufigkeit in der
Gestaltnehmung von Hochkulturen, die Spengler in fünf Entwicklungsstufen
abgrenzt, führt er auf das Einströmen neuartiger Erlebnisgehalte zurück, die
sich als so wesentlich auf die Umwelt der Kulturmenschen auswirkten, daß sich
ihre Ansichten und Aussichten grundlegend wandelten. In dieser Feststellung
liegt keine Forderung, daß dies immer so sein müsse, sie besagt nur dies: wo
Erlebnisse dieser Art von einer Kulturgesellschaft, in einem bestimmten
Entwicklungsstadium ihrer Kultur, Besitz ergreifen, muß es zu bestimmten, aus
der Geschichte nachweisbaren Wirkungen kommen. Das schließt nicht aus,
zumindest nicht in der Theorie, denn die Praxis muß sich immer erst beweisen
wollen, daß man durch Umkehrung solcher Erlebnisgehalte als Folge des Erkennens
ihrer Wirkung auch den Verlauf der kulturellen Entwicklung beeinflussen kann.
Spengler selbst, der
bedeutendste Mahner gerade gegenüber der Irrlehre des Nationalsozialismus, hat
in seinen politischen Schriften immer wieder Wege aufgezeigt, wie diesem
Teufelskreis zu entfliehen sei. Er ist wohl häufig mißverstanden, aber nie
verstanden worden; sein Gedankengebäude war zu kühn, zu eigenwillig entworfen.
Wird die abendländische Kultur
tatsächlich den Lauf nehmen, den er ihr als wahrscheinlich vorausgesagt hatte?
Es ist dem Grunde nach unerheblich, ob das, was er für die Jahre 2000 bis 2200
prophezeite, schon früher eintritt: Der Sieg der Gewaltpolitik über das
Bürgertum und seiner Idee vom Kapital, der zunehmende primitive Charakter der
politischen Formen, der innere Zerfall der Nationen in eine formlose
Bevölkerung und deren Zusammenfassung in ein Imperium von allmählich wieder
primitiv-despotischem Charakter. Dies, im Jahre 1918 erstmals veröffentlicht,
läßt eine Sehergabe erkennen, die uns erschüttern sollte angesichts des neuen
Cäsarenstaates Sowjetunion, nicht, um den restlichen Mut zu verlieren, sondern
um diesen Kampf mit den Urfeinden der Kultur in aller Entschlossenheit wieder
aufzunehmen, eine geistige Auseinandersetzung, die zunächst damit beginnen muß,
sich über Wesen und Bedeutung der Kultur klar zu werden.
Quelle: "Bewußtseinsbildung für rechte und linke Deutsche" von
Gerd Schmalbrock, Velbert 1972, S. 13 - 15