Eine brillante Analyse der deutschen Medienlandschaft

 

Haltungen, Popper und Moneten                           Tom Schimmeck

 

Rede zur Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche

15. - 16. Juni 2007

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Als mich der gefürchtete Enthüllungsjournalist Dr. Thomas Leif anrief,

um zu fragen, ob ich hier heute das erste große Fass anzapfen, die

Auftaktrede halten würde, war ich sehr verblüfft. Genauer gesagt, ich

habe gedacht: Die spinnen.

Ich bin wahrlich kein “Alphajournalist”, wie das neuerdings heißt,

bestenfalls ein Gamma-Tierchen. Ein Studienabbrecher, der den

Beruf nie formell korrekt gelernt hat. Der nie einen Preis bekommen

hat - nicht einmal die „Verschlossene Auster“. Der nie im Fernsehen

war.

Vielleicht liegt schlicht eine Verwechselung vor. Man habe sich

entschlossen, hieß es in einem der Ankündigungstexte zu dieser

hochwohlmögenden Versammlung, mit der schon traditionellen

Medienschelte am Samstagmorgen diesmal keinen „alten Hasen“,

sondern mal einem „jungen Kollegen“ zu betrauen. Das geht einem

nach 28 Berufsjahren wirklich runter wie Butter. Aber man muss doch

erkennen: Auch beim Netzwerk Recherche wird das Geburtsdatum

nicht immer nachgecheckt.

Die freundlichste Deutung ist, dass einigen Obernetzwerkern

womöglich die Texte gefallen haben, die ich in letzter Zeit über den

Zustand unseres Metiers verfasst habe. Der erste, ein langgezogener

Schmerzensschrei mit dem wenig ausgewogenen Titel

„Arschlochalarm“, befasste sich mit jenem verschmockten, völlig

inhaltsleeren, dafür umso aufgeblaseneren Zirkus, der sich selbst

gerne „Hauptstadtjournalismus“ nennt. Vermutlich in Abgrenzung zur

ordinären Dorfschreiberei.

Ein Akt purer Seelenhygiene meinerseits. Entstanden in jenem

Wahlkampf, an dessen Ende ein verkorkster Abgang des

Kanzlerdarstellers Schröder, ein lausiges Ergebnis seiner inzwischen

quartalsweise umjubelten Nachfolgerin und vor allem der Bankrott

dessen stand, was in besseren Zeiten politischer Journalismus hieß.

Ich erinnere, wie ich eines tristen Tages der Kandidatin Merkel und

ihrem neuen Star Kirchhoff lauschte – just auf Mutter Erde

herabgepurzelt, um den Menschen Heil und Erlösung zu bringen.

 

 Es war ein Riesenschmarren, da vorne auf der Bühne der CDU-

Parteizentrale. Der eigentlich schockierende Moment aber kam, als

ich mich umdrehte. Und in die Gesichter einer gewaltigen Zahl von

Menschen schaute, die wild entschlossen schienen, den ungelenken

Firlefanz auf der Bühne mit ihren Blöcken, Mikrofonen und Kameras

zum politischen Großereignis zu verdichten, mit Terabytes von

Wörtern, Tönen und Bildern zu zelebrieren. Und sie taten es.

Unerschrocken. Wochenlang. Bis einer wie im Märchen rief: Der hat ja

gar nichts an! Da war plötzlich „die Geschichte durch“, wie man in

Berlin sagt. Nun schrieb man mit gleichem Elan das Gegenteil.

Was haben wir uns früher über das „Raumschiff Bonn“ lustig gemacht.

Dieses provinzmiefige Provisorium, diesen absurden

Quadratkilometer voller Schauspieler, Saufnasen und Seilschaften. In

Berlin, das war die Hoffnung, würde ein großstädtischer Wind den

Kleingeist wegpusten. Würde endlich wahre, wertige, wuchtige Politik

gemacht, geistvoll, gehaltvoll, gut für die Menschen. In Berlin, hurra,

würde auch deren Betrachtung und Analyse neue Tiefenschärfe

finden. Würde endlich ein Journalismus wachsen, wie er uns kaum je

vergönnt war: Genau, galant, scharf, human, humorvoll. Die Weimarer

Zeit war zu kurz, die Hitlerei lochte die Talente ein, trieb sie ins Exil

oder ermordete sie. Das piefige Bonn bot wohl nie recht den Humus

dafür. Von Berlin Ost mal ganz zu schweigen.

Pustekuchen! Was wir bekamen, war die „Berliner Republik“. Viele

Scheinwerfer, wenig Schatten. Verglichen mit den Meinungs-

Nussschalen, die heute über die Spree tänzeln, hatte manch Bonner

Haudegen den Tiefgang eines Tankers. Das klingt wohl ein wenig

nach „früher war alles besser“. Was einem „jungen Kollegen“ natürlich

gar nicht zusteht. Vielleicht sage ich es mit einem Ausruf des großen,

just verstorbenen Stinktiers Lothar Günther Buchheim, der einmal,

sich über einen Kollegen echauffierend, rief: „Der nennt sich Publizist

– und ich höre immer nur Pups.“

In Berlin passt der Satz gelegentlich sehr gut..

Vieles ist an dieser Stelle schon gesagt worden. Frank A. Meyer hat

hier im vergangenen Jahr die Hybris der gleichgeschalteten

Meinungsmacher beleuchtet, die totale Geschwätzigkeit und die Gala-

geile Selbstweihräucherungslust unserer sich immer hermetischer

abriegelnden Kaste. Er kam dabei übrigens zu einem ganz ähnlichen

Schluss wie ich in meinem ersten Wutausbruch: Dass sich viele

Medienleute nicht mehr als Mittler zu den Menschen, sondern als

Mitinhaber von Macht begreifen. Ihre Währung heißt Wichtigkeit. Sie

suchen die Nähe anderer „Wichtiger“, möglichst im Fernsehen. Denn

sie haben verstanden: Wer notorisch auf der Mattscheibe

herumfuhrwerkt, wird quasi automatisch groß. Die Perpetuierung der

eigenen Visage generiert Bedeutung.

Jürgen Leinemann sprach hier vor zwei Jahren sehr aufrichtig über

seinen eigenen Schmerz mit unserer Profession, über die Allüren und

Lebenslügen der Medienfuzzis, dieses eitle Schaulaufen der

journalistischen Selbstvermarkter, das man jetzt häufig bestaunen

kann, wenn unsereins zusammenkommt. Seine Rede gipfelte in der

Schlussfolgerung, die journalistische Freiheit unserer Republik sei

heute – Zitat – “viel weniger durch obrigkeitsstaatliche Pressionen

bedroht als durch die weiche Knechtschaft einer eitlen

Selbstverliebtheit.” Leinemann ist viel zu loyal, um dies explizit auf

seinen “Spiegel” zu beziehen. Wir wissen auch so, wen er meint.

Ich gebe zu: Ich bin kein klassischer Tagungsteilnehmer. Beim letzten

Journalistenkongress, den ich freiwillig besucht habe, war ich 16 und

Schülerzeitungsredakteur. Ich erinnere, dass er in Frankfurt stattfand,

dass er sich gegen “Zensur und Repressalien” richtete. Und dass an

der Eingangstür kräftig gebaute Ordner einer DKP-nahen

Jugendorganisation standen, die keinen durchließen, der ihnen

politisch nicht in den Kram passte. Wir sind gleich alle empört

abgereist. Was bedeutet: Ich war eigentlich noch nie freiwillig auf

einem Journalistenkongress.

Ich bin lieber unterwegs. In der weiten Welt. Am besten da, wo

möglichst wenig andere Journalisten sind. Nicht weil ich ein Snob

wäre, sondern weil alle Reportererfahrung lehrt: Je weniger

Medienmenschen an einem Ort anwesend sind, desto besser kann

sich dort Wirklichkeit entfalten, normalmenschliche Realität. Am

schlimmsten ist es, wenn das Fernsehen kommt. Dann bricht alles

authentische Leben jäh zusammen. Dann kann man eigentlich nach

Hause gehen. Weil im Scheinwerferlicht alle nur noch Huhu und Haha

machen, irgendwie wirken wollen und dabei komplett ballaballa

werden. Ist einfach so. “Kann man nicht gegenan”, sagt der

Hamburger.

Die Reden von Leinemann und Meyer habe ich also nachgelesen.

Und mich gefragt: Wie kann man das weiterspinnen? In eine

Richtung, die nicht alle schon hundertmal gehört haben. In

Leinemanns Rede kam viermal eine Vokabel vor, die ich in letzter

Zeit, wenn ich über den Zustand des Gewerbes jammere, auch gerne

verwende: Haltung. Nicht im Sinne von Körperhaltung, oder gar Hab-

acht-Stellung. Sondern im guten Duden-Sinne von “Grundeinstellung,

die jemandes Denken und Handeln prägt”.

 

Haltung. Ich glaube, dass viele in unserem Metier mit diesem Wort

rein gar nichts mehr anfangen können. Dass es ihnen fremder klingt

als Desoxyribonukleinsäure. Aus einer Reihe von Gründen.

1. Die Ausbildung. Da gedeiht ein Dschungel neuer

Medienstudiengänge – für junge Menschen, die, wie das heute so

schön heißt, “irgendwas mit Medien” machen wollen – TV, PR,

Werbung, am besten alles zusammen. Die Zahl der Studenten,

meldet der Wissenschaftsrat, habe sich binnen zehn Jahren auf rund

55 000 verdoppelt. Hinzu kommt eine Fülle von Journalistenschulen,

über die ich wenig sagen kann, da ich sie höchstens mal als

Gelegenheitsdozent von innen gesehen habe. Manche haben große

Talente hervorgebracht. Doch der Verdacht bleibt: Dass

Geschmeidigkeit hier oft mehr zählt als Charakter.

2. Die Hackordnung. Wer ewig am unteren Ende der Leiter steht,

durch einen nie endenden Tunnel von Praktika gezwungen wird, lernt

bald, dass Überzeugungen und Prinzipien im Zweifel stören. „Ach, die

Jungen“, seufzte neulich die kampferprobte Redakteurin eines

öffentlich-rechtlichen Senders, als ich nach dem geistig-moralischen

Zustand des Nachwuchses fragte. Dann rührte sie in ihrem

Kantinenkaffee und sprach: „Die gucken immer gleich nach, ob noch

Platz im Darm ist.“

3. Die Berufsverhältnisse. Der aktuell arbeitende Journalist schuftet,

zumal in der Hauptstadt, unter mehrfach durchrationalisierten

Stressbedingungen. Jeder einzelne ist von – gefühlt – drei Dutzend

PR-Akrobaten, Spindoktoren, Verbandslautsprechern und

Pressebeschwörern umstellt, deren bloße Kakophonie ihn schon am

Denken hindern könnte. Sofern er überhaupt Zeit dafür hätte.

4. Der Zeitgeist. Da bin ich Experte. Schon weil ich vor 20 Jahren

einmal kurzfristig Redakteur eines damals neuen „Zeitgeist-Magazins“

mit dem flotten Namen „Tempo“ war. Seither verfolge ich die

Wirrungen des so genannten „Popjournalismus“ mit einer gewissen

Faszination. Betrieben wird er meist von Söhnen und Töchtern aus

gutem Hause, die viel Freude an Markenprodukten und der

narzisstischen Umkreisung des eigenen Bauchnabels haben. Sie

unterscheiden streng zwischen “in” und “out”. Ersteres sind in der

Regel sie selber, letzteres alle anderen, insbesondere “Prolls”, “Alt-

68er” und alle dieses irgendwie albern engagierte Volk. Politisch

endet der Popjournalist nach allerlei Pirouetten verlässlich und sehr

pragmatisch irgendwo zwischen Guido Westerwelle und Roland Koch.

Sein Feind ist der „Gutmensch“ im schlecht sitzenden Anzug.

 

 „Gutmensch“ ist überhaupt eines seiner liebsten Schimpfwörter. Weil

er nämliche jede Art von Haltung zutiefst verachtet.

Die Stärke dieser Subspezies Journalist ist ihr üppiges, zuweilen ins

Großkotzige changierende Selbstvertrauen. In panischer Angst, einen

Trend zu verpassen, am Ende gar die Jugend zu verlieren, haben

viele deutsche Chefredakteure solche nassforschen Popper

eingekauft. Warum auch nicht? Die sind in der Regel emsig und

stören nicht, und deshalb heute in allen Zeitungen und Zeitschriften

von Rang vertreten. Manch fruchtbaren Textacker haben sie komplett

umgepflügt. Freien Autoren, wie ich einer bin, fällt das regelmäßig auf,

wenn sie sich mal wieder fragen: Wo nur bringe ich diese große

Reportage noch unter? Oder gar einen richtig analytischen Text? Das

ist sehr, sehr schwierig geworden.

Das Magazin der „Zeit“, für das ich einst schrieb, ist schon lange tot.

Neuerdings findet sich hier ein buntes „Leben“, in dem Helmut

Schmidt raucht. Der Herausgeber. Interviewt vom Chefredakteur. Das

ist von großer, wenn auch unfreiwilliger, Komik. Das Magazin der FAZ

ist auch längst weg, das der „Süddeutschen“ stürzte vor Jahren schon

ins kunterbunte Nichts. Auf dem Höhepunkt seiner Pop-Karriere, wir

erinnern uns, gab es den hübschen kleinen Skandal um

Tom Kummer, diesen tollen Interviewer, der seine schrillen Gespräche mit

den Stars leider frei erfunden hatte. Als er erwischt wurde, taufte er

den Betrug „Borderline-Journalismus“.

Die beiden SZ-Verantwortlichen, Ulf Poschardt und Christian

Kämmerling, wurden furchtbar bestraft. Poschardt durfte bei der “Welt

am Sonntag” als cooler Rechtsaußen antreten, Kämmerling beim

Radikalumbau der einst seriösen Schweizer “Weltwoche” unter Roger

Köppel mithelfen, der nach vollbrachter Tat bekanntlich Chef der

deutschen “Welt” wurde. Nun hört man, Kämmerling beschäftige sich

mit einem möglichen Neustart des FAZ-Magazins und einer Zeitschrift

namens “Heroes”. Ulf Poschardt lenkt derweil das deutsche “Vanity

Fair”. Noch so ein Blatt, wo wir alle noch viele kluge Texte

unterbringen werden. Auch der Verlag Gruner und Jahr, eine andere

bewährte Bastion des Qualitätsjournalismus, schenkt uns ja ständig

neue Sturmgeschütze der Aufklärung. “Park Avenue” zum Beispiel.

Ich bin eine Spur zu jung, um ein echter 68er zu sein. Aber ich frage

mich immer öfter, warum die Generation der geschmeidigen Macher

direkt nach mir, diese “Generation Mini-Golf”, wie ein Kollege mal

spottete, die 68er derart hasst. Gewiss: Das ganze

Generationengerede taugt nur bedingt. Und trotzdem hat jede Zeit

ihre Stimmen und Stimmungen, ihren Geschmack, ihre Helden – ihre

Haltung. Sie kennen das vielleicht: Wenn man Musik aus der Zeit hört,

die einen geprägt hat, kommt das Lebensgefühl wieder. Meine 70er

etwa waren eine schrille, oft absurde Zeit voller Widersprüche,

Zweifel, Experimente, auch voller Unfug. Aber sehr lebendig, sehr

suchend und intensiv. Immerhin haben wir damals die “taz”

geschaffen.

Neulich dachte ich: Die armen Popper haben nichts eigenes, die

kennen nur “hip” und “retro”, nur Zitate, kein Empfinden. Vielleicht sind

sie einfach unendlich neidisch, langweilen sich schrecklich, müssen

gähnen beim Anblick ihrer eigenen, ereignislosen Biographie. Immer

nur cool gewesen und gut angezogen. Nichts erlebt, nichts ersehnt,

nie enttäuscht worden. Wo soll da bitte Haltung herkommen?

“Medienalarm” lautet die lärmende Überschrift, die Leif & Co dieser

Rede gegeben haben. Also treten wir kurz einmal zurück und

betrachten die Lage unserer Medien. Gehen wir zu einem gut

sortierten Bahnhofskiosk. Wir sehen: Endlose Meter Zeitungen und

Zeitschriften. Sagenhaft. Und dann suchen wir mal jene Publikationen

zusammen, in denen wir den feinen Journalismus zu finden hoffen,

den wir vom noblen Netzwerk Recherche gerne hoch halten. Welch

ein elendes Häuflein.

Ein ähnliches Erlebnis haben Sie alle schon an jenen scheußlichen

Abenden gehabt, an denen die Finger auf der Fernbedienung vor

lauter vermeintlicher Vielfalt nicht zur Ruhe kommen. Zapp zapp,

durch alle Kanäle. Blut, Kitsch und Paris Hilton. Da entsteht oberhalb

von C0 schnell echter Unterdruck. Ich, als typischer Tatort-und-

Tagesthemen-Konsument, bin fassungslos, wenn ich die Statistiken

sehe: 202 Minuten guckt angeblich jeder Durchschnittsdeutsche

tagtäglich in die Röhre, zusätzlich hört er 186 Minuten Radio.

Zeitungen und Zeitschriften liest er auch noch. Wenn er das nicht

alles gleichzeitig macht, kommen dabei rund sieben Stunden

Medienkonsum pro Tag heraus. Wann schlafen die Leute eigentlich?

Wahrscheinlich vor dem Fernseher.

Als Fernsehmensch würde ich in die Kirche gehen und göttlichen

Beistand erflehen. Stellen sie sich einmal diese Verantwortung vor:

82,459 Millionen Einwohner, und ein jeder glotzt 1229 Stunden pro

Jahr. Das macht 100 Milliarden Stunden per annum allein in

Deutschland. Welch ein geradezu astronomischer Zeitdiebstahl. In

Japan - 251 Minuten Tagesdosis – und den USA – 271 Minuten – sind

die Verhältnisse noch krasser.

Die wichtigere Frage bleibt die inhaltliche: Was wird gedruckt? Und

was quillt aus Deutschlands 43 Millionen angemeldeten Radios und

den 37 Millionen angemeldeten Fernsehgeräten? Wenn ich einen

masochistischen Tag habe, schalte ich morgens um 5:35 Uhr im

Deutschlandfunk die Presseschau aus deutschen Zeitungen ein. Da

tröten die hohlen Phrasen der deutschen Meinungs-Armada, die

ganze Blechbüchsenarmee der Platitüden scheppert einem durch den

noch wehrlosen Kopf. Und weckt diese späte Sehnsucht, endlich doch

noch einen anständigen Beruf zu ergreifen. Der Kommentar ist

wahrlich nicht die Königsdisziplin in diesem Land. Der “Spiegel” etwa

drückt sich hier seit dem Tod Rudolf Augsteine komplett. Die Ideologie

quillt wohl zwischen den Zeilen hervor. Eine klar formulierte Meinung

aber ist wahrscheinlich Chefsache. Und der Chef hat keine. Können

wir da nicht mal etwas tun? Meinung hat ja idealerweise auch etwas

mit Haltung zu tun.

Wenn wir weiter an der Radioskala drehen, kommen viele Sender, auf

denen “echte Hits” mit aufdringlich fröhlichen Worten verrührt werden.

Besonders perfide: Die Sprüche sind immer gleich, werden aber alle

paar Sekunden als “echte Abwechslung” angepriesen. Wir müssen

hier gar nicht groß auf “die Privaten” schimpfen. Etliche öffentlich-

rechtliche Programme gehorchen heute der gleichen Dumm-dumm-

Rezeptur. Zum Beispiel bei der heute gastgebenden Anstalt NDR, die

so bescheiden von sich behauptet, „das Beste am Norden“ zu sein.

Auf NDR 2 etwa, dem Sender meiner Jugend, der früher

Informationen und Debatten satt lieferte und abends den “Club”, ist

Dudeln heute Pflicht. Längst ist der Kanal zum, ich zitiere „attraktiven

Begleitprogramm für die jüngere und mittlere Generation” umgemodelt

worden. Komplett durchformatiert, harmlos, zahnlos, nur noch gut, um

Zeit tot zu schlagen. Kein Journalismus mehr, der beim Netzwerk

Recherche Gefallen fände.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine wirklich großartige

Erfindung. Doch viele seiner Oberen und die sie umgebenden

politischen Kräfte, lieber Herr Wulff, scheinen seit vielen Jahren

danach zu streben, das zahlende Publikum von jeder tiefer gehenden

Einsicht fernzuhalten. Die gründlich ausgeforschte und typisierte

Kundschaft wird aufgespalten. Hier die kleine Schar der

Unverbesserlichen, die Futter für ihr Hirn verlangen, der „modernen

Kulturorientierten“, wie das im Fachjargon heißt. Die bekommen ein

paar Info- und Kulturkanäle. Dort die große Restmasse, denen nur

mehr sedierende Zerstreuung eingeträufelt wird. Frohsinn und Musik,

zwo, drei, dazu ein bisschen Wetter und Verkehr.

Ich war zufällig dabei, als man hier, im ehemaligen „Rotfunk“, Anfang

der 80er begann aufzuräumen. Ein Herr Räuker war Intendant. Wer

als studentische Hilfskraft auch nur auf den Knopf des Kopierers

drücken wollte, musste mindestens im RCDS sein. Ich habe diese

Hinrichtung journalistischen Esprits damals in Artikeln so liebevoll

beschrieben, dass der Intendant vor versammelter Belegschaft einen

Tobsuchtsanfall hinlegte. Den ich, dreist wie ich damals wohl war,

hinter der letzten Sitzreihe kauernd, still genoss. Wenig später war ich

“Freier” beim NDR. Die Ära fiel sehr kurz aus. Falsche Haltung.

Kommen wir zum Kern. Reden wir über’s Geld. Da ist ein „Freier“

Experte. Ahnt irgendjemand hier, wie viel von ihren rund 7,3 Milliarden

Euro die öffentlich-rechtlichen Anstalten für guten Journalismus

ausgeben? Ein Fernsehautor erzählte mir diese Woche, seine

Honorare würden sich auf dem Niveau von vor 20 Jahren bewegen.

Bei den Zeitungen, das kann ich halbwegs überblicken, ist nach den

Sparrunden der vergangenen Jahre kaum mehr Geld da. Die

honorieren in aller Regel dürftig und nach Zeile, was Recherchen

geradezu bestraft. Reisespesen sind Glückssache. Selbst ein

Hochglanzmagazin wie Geo hat Tagespauschalen längst gestrichen.

Für viele freie Autoren ist die Lage bedrückend. Ihnen bleibt kaum

Raum für anständigen Journalismus. Manchmal ist es auch eine

Frage der Würde. Ein persönliches Beispiel: Nachdem vor fünf Jahren

mein Stammblatt „Die Woche“ pleite ging, arbeitete ich unter anderem

für die „Süddeutsche Zeitung“. Drei Jahre lang lieferte ich jede Woche

zwei Texte, egal, ob ich Fieber hatte oder auf Reisen war. Das

machte sogar Spaß. Obendrein war es ein festes Einkommen.

Eines Tages klingelte das Telefon. Der Ressortleiter war dran. „Du,

hier läuft ein Typ von Roland Berger rum“, raunte er, „Ende 20, mit

Fliege, hochmotiviert.“ „Ja und?“, fragte ich. „Wir müssen Dein

Honorar um 25 Prozent kürzen.“ Spontan schlug ich vor, es gleich um

100 Prozent zu kürzen. Ich würde dann einfach aufhören, sagte ich.

Weil das kein Umgang mit guter, stets gelobter Arbeit sei. „Das kannst

Du doch nicht machen“, brummte er. Wir verabschiedeten uns hastig.

Am nächsten Tag rief er wieder an. „Ich hab mir das noch mal

überlegt“, sagte er, „wir kürzen das Honorar nur um 12,5 Prozent.“

Das fände ich eigentlich noch schlimmer, antwortete ich. „Warum

denn das?“, fragte er. „Weil das keine echte Einsparung mehr ist,

sondern nur noch der symbolische Akt, mich über das Roland-Berger-

Stöckchen springen zu lassen.“ Dann sehe er keinen Spielraum mehr,

sprach der Ressortleiter und legte auf. Die Mitarbeit endete sofort.

Monate später schrieb der Chefredakteur eine Email, dass das ja

irgendwie blöd gelaufen sei. Seither nichts mehr aus München. So

läuft freier Journalismus heute. Vogelfreier Journalismus.

Man schlägt sich so durch. Und ich will nicht larmoyant werden. Mir

geht es gut. Ich mache, was ich will. Und das mit Wonne. Welcher

Journalist kann das von sich sagen? Ich habe viel zu tun. Nächste

Woche fliege ich in die USA, für ein Radiofeature über

Kriegsveteranen in der amerikanischen Gesellschaft – „Die Narben

des Uncle Sam“. Der Deutschlandfunk, mein Lieblingssender, will das

senden, und nicht um 0.45 Uhr, sondern um 19.15 Uhr. Nur die vollen

Reisekosten kann auch er nicht tragen. Ich habe versucht, dafür eine

Koproduktion einzufädeln. Aber glauben Sie nicht, man könne auf

eine Antwort zählen, wenn man einer ARD-Redaktion ein

ausführliches Exposé samt persönlichem Anschreiben schickt. In

diesem Fall: Kein Ton. Funkstille beim WDR, beim SWR, beim NDR.

Ich vermute, jeder Freie kennt das. Manchmal fehlt es eben nicht nur

an Mitteln, sondern auch an Manieren.

Wie also rettet man sein Feature-Projekt? In diesem Fall durch einen

Bruch mit den hehren Prinzipien des Netzwerks Recherche.

„Journalisten machen keine PR“, sagen wir. Ich habe das heftig

verteidigt, mit flammendem Wort und erigiertem Zeigefinger. Doch

dann meldete sich neulich ein alter Bekannter an und fragte, ob ich für

seine Firmenzeitschrift eine USA-Reportage schreiben würde. Kurz

durchdacht: Das würde die Reisekosten decken. Mein Feature wäre

gerettet. Ich müsste eine nette kleine Rundum-Reportage schreiben,

eigentlich nichts ehrenrühriges. Trotzdem ist es natürlich PR; für eine

Firmenzeitung; in einem Werbeumfeld. Steinigt mich dafür, wenn

Euch danach ist. Oder verratet mir eine Alternative.

Ich fasse zusammen:

1. Im heiklen Wechselspiel der „Leitmedien“ und Gleitmedien, der

politischen Akteure und der sie umkreisenden Journalisten hat vor

allem der politische Journalismus gelitten. Selbst in einst seriösen

Zeitungen geht es oft nur mehr um die Frage, welcher Akteur gerade

wie dasteht und wie gut sein Sakko sitzt. Die distanzierte Demut des

Beobachters weicht dabei der Geltungssucht des Mitmischers, der

Menschen und Themen nach Gusto herauf- und herunterschreibt.

Reale politische Konflikte werden zunehmend als hässliches Gezänk

gespiegelt, die vermeintlichen Sieger und Verlierer täglich neu und oft

willkürlich festgelegt. Die Macht professioneller Einflüsterer ist

deutlich gestiegen.

2. Mit dem Niedergang ihrer Urteilskraft sinkt auch das Image der

medialen Mittler. Am deutschen Film, besonders am deutschen

Fernsehkrimi, kann man das gut ablesen. Dort hat sich der Journalist

als verlässlich mieser Antityp etabliert, stets schmierig und penetrant.

Ein Widerling, der meist im Rudel auftritt.

3. Je unsicherer man ist, desto stärker wird das Bedürfnis nach

Selbstvergewisserung. Die Binnenwelt der Medien gibt sich gerne

glamourös, gebiert aus dem Nichts Stars, die sich bei Galas über rote

Teppiche schieben. Man zeigt, interviewt, feiert und lobt sich

gegenseitig, hängt sich allerlei Medaillen um. So entsteht ein klebriges

Miteinander. Dabeisein ist die Währung. Könige sind jene

Fernsehgesichter, die durch Dauerpräsenz einen Extra-Marktwert zu

schaffen verstehen, oft mit Hilfe öffentlich-rechtlicher Anstalten und

ihrer Gebührenzahler. Um solche Prominenz alsdann in klingende

Münze umzuwandeln – schon weil sie ab einem bestimmten

Wiedererkennungswert als Werbeträger taugen. Journalisten

verwandeln sich hier in käufliche Kaufleute. Während das Publikum in

Billigformaten zunehmend kannibalisiert, sich selbst zum Fraße

vorgeworfen wird.

4. Mut und Eigensinn der Journalisten müssen gestärkt, ihre

Arbeitsmöglichkeiten dürfen nicht durch immer knapper werdende

Ressourcen eingeschränkt werden. Qualitätsjournalismus brauch

guten Raum: Einfallsreiche Programme und Publikationen. Mit jedem

Girlie-Blättchen, jedem Shoppingkanal, jedem Dudelsender hingegen

verabschieden sich wieder Millionen unterforderte Gehirnzellen in den

Vorruhestand.

5. Alljährlich produziert unser Bildungssystem tausende

Nachwuchskräfte für unser Metier. Sie landen in einem grellen

Medienmarkt, der für analytischen, investigativen, kritischen

Journalismus nur noch in Ausnahmefällen Platz und Mittel hat.

Denkbar wäre ein Ausbildungsmoratorium für Journalisten. Gekoppelt

mit dem Neustart einer Verlegerausbildung. Denn mutige Verleger

sind Mangelware. In den Stamm-Verlagen sitzen nur noch

Marketingleute, die auf Charts starren und Schickimicki-Ballaballa

machen. Keiner, der sich etwas trauen, der sagen würde: Wir

schaffen etwas richtig Gutes, das Neugier und Geist und Haltung

zeigt. Wir nehmen Geld in die Hand und schicken Talente los, die sich

unser Land und die Welt wieder gründlich und von allen Seiten

angucken.

Zum Schluss: Wir wollen hier nicht zu düster malen. Es gibt eine

Menge Leute, die in der Dunkelheit ein Licht anzünden. Nicht nur die

arrivierten Damen und Herren vom Netzwerk Recherche, die die

Fackel der Wahrheit bekanntlich ja nie aus der Hand legen. Sondern

auch viele Journalisten, die etwa in ihrem Lokalblatt einfach aufrichtig

über Menschen und Sachverhalte schreiben. Abseits der medialen

Büffelherden, die Wucht nur durch bewegte Masse erzeugen. Jeder

Tag bringt gute Artikel und Sendungen.

Wir leben in einem stabilen, demokratischen Land. Manchmal scheint

unser Missmut drückender als die realen Probleme. Deutschland,

schrieb Timothy Garton Ash dieser Tage, sei „eines der freisten und

zivilisiertesten Länder dieser Erde“. Die Bürgerrechte würden hier

besser geschützt als in den USA oder seiner Heimat Großbritannien.

Und rühmte dann die „paradoxe“ deutsche Großleistung: „In diesem

guten Land haben die Professionalität seiner Historiker, die

investigativen Fähigkeiten seiner Journalisten, die Ernsthaftigkeit

seiner Parlamentarier, die Großzügigkeit seiner Geldgeber, der

Idealismus seiner Priester und Moralisten, das schöpferische Genie

seiner Schriftsteller und, ja, die Brillanz seiner Filmemacher sich

verbunden, um in der Vorstellungskraft der Welt die unauslöschlichste

Verbindung Deutschlands mit dem Bösen zu zementieren.“

Ich finde, trotz etlicher Abstriche im Detail: Das stimmt. Lassen wir

uns also unsere Medien nicht versauen. Wie sagte neulich unsere

Kanzlerin, bei der Feier zum 80. von Alfred Neven DuMont? „Kaum

ein anderer Bereich unserer Gesellschaft prägt Haltungen und

Lebensentwürfe ganzer Generationen so stark, wie die Medien dies

vermögen.“

Haltungen! Sie sehen: Auch Frau Merkel hat verstanden.