Eine brillante Analyse der deutschen Medienlandschaft
Haltungen, Popper und Moneten Tom Schimmeck
Rede zur Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche
15.
- 16. Juni 2007
Sehr
geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als
mich der gefürchtete Enthüllungsjournalist Dr. Thomas Leif anrief,
um zu fragen, ob ich hier heute das erste große Fass anzapfen, die
Auftaktrede
halten würde, war ich sehr verblüfft. Genauer gesagt, ich
habe
gedacht: Die spinnen.
Ich
bin wahrlich kein “Alphajournalist”, wie das neuerdings heißt,
bestenfalls
ein Gamma-Tierchen. Ein Studienabbrecher, der den
Beruf
nie formell korrekt gelernt hat. Der nie einen Preis bekommen
hat
- nicht einmal die „Verschlossene Auster“. Der nie im Fernsehen
war.
Vielleicht
liegt schlicht eine Verwechselung vor. Man habe sich
entschlossen,
hieß es in einem der Ankündigungstexte zu dieser
hochwohlmögenden
Versammlung, mit der schon traditionellen
Medienschelte
am Samstagmorgen diesmal keinen „alten Hasen“,
sondern
mal einem „jungen Kollegen“ zu betrauen. Das geht einem
nach
28 Berufsjahren wirklich runter wie Butter. Aber man muss doch
erkennen:
Auch beim Netzwerk Recherche wird das Geburtsdatum
nicht
immer nachgecheckt.
Die
freundlichste Deutung ist, dass einigen Obernetzwerkern
womöglich
die Texte gefallen haben, die ich in letzter Zeit über den
Zustand
unseres Metiers verfasst habe. Der erste, ein langgezogener
Schmerzensschrei
mit dem wenig ausgewogenen Titel
„Arschlochalarm“,
befasste sich mit jenem verschmockten, völlig
inhaltsleeren,
dafür umso aufgeblaseneren Zirkus, der sich selbst
gerne
„Hauptstadtjournalismus“ nennt. Vermutlich in Abgrenzung zur
ordinären
Dorfschreiberei.
Ein
Akt purer Seelenhygiene meinerseits. Entstanden in jenem
Wahlkampf,
an dessen Ende ein verkorkster Abgang des
Kanzlerdarstellers
Schröder, ein lausiges Ergebnis seiner inzwischen
quartalsweise
umjubelten Nachfolgerin und vor allem der Bankrott
dessen
stand, was in besseren Zeiten politischer Journalismus hieß.
Ich
erinnere, wie ich eines tristen Tages der Kandidatin Merkel und
ihrem
neuen Star Kirchhoff lauschte – just auf Mutter Erde
herabgepurzelt,
um den Menschen Heil und Erlösung zu bringen.
Es war ein Riesenschmarren, da vorne auf der
Bühne der CDU-
Parteizentrale.
Der eigentlich schockierende Moment aber kam, als
ich
mich umdrehte. Und in die Gesichter einer gewaltigen Zahl von
Menschen
schaute, die wild entschlossen schienen, den ungelenken
Firlefanz
auf der Bühne mit ihren Blöcken, Mikrofonen und Kameras
zum
politischen Großereignis zu verdichten, mit Terabytes von
Wörtern,
Tönen und Bildern zu zelebrieren. Und sie taten es.
Unerschrocken.
Wochenlang. Bis einer wie im Märchen rief: Der hat ja
gar
nichts an! Da war plötzlich „die Geschichte durch“, wie man in
Berlin
sagt. Nun schrieb man mit gleichem Elan das Gegenteil.
Was
haben wir uns früher über das „Raumschiff Bonn“ lustig gemacht.
Dieses
provinzmiefige Provisorium, diesen absurden
Quadratkilometer
voller Schauspieler, Saufnasen und Seilschaften. In
Berlin,
das war die Hoffnung, würde ein großstädtischer Wind den
Kleingeist
wegpusten. Würde endlich wahre, wertige, wuchtige Politik
gemacht,
geistvoll, gehaltvoll, gut für die Menschen. In Berlin, hurra,
würde
auch deren Betrachtung und Analyse neue Tiefenschärfe
finden.
Würde endlich ein Journalismus wachsen, wie er uns kaum je
vergönnt
war: Genau, galant, scharf, human, humorvoll. Die Weimarer
Zeit
war zu kurz, die Hitlerei lochte die Talente ein, trieb sie ins Exil
oder
ermordete sie. Das piefige Bonn bot wohl nie recht den Humus
dafür.
Von Berlin Ost mal ganz zu schweigen.
Pustekuchen!
Was wir bekamen, war die „Berliner Republik“. Viele
Scheinwerfer,
wenig Schatten. Verglichen mit den Meinungs-
Nussschalen,
die heute über die Spree tänzeln, hatte manch Bonner
Haudegen
den Tiefgang eines Tankers. Das klingt wohl ein wenig
nach
„früher war alles besser“. Was einem „jungen Kollegen“ natürlich
gar
nicht zusteht. Vielleicht sage ich es mit einem Ausruf des großen,
just
verstorbenen Stinktiers Lothar Günther Buchheim, der einmal,
sich
über einen Kollegen echauffierend, rief: „Der nennt sich Publizist
–
und ich höre immer nur Pups.“
In
Berlin passt der Satz gelegentlich sehr gut..
Vieles
ist an dieser Stelle schon gesagt worden. Frank A. Meyer hat
hier
im vergangenen Jahr die Hybris der gleichgeschalteten
Meinungsmacher
beleuchtet, die totale Geschwätzigkeit und die Gala-
geile
Selbstweihräucherungslust unserer sich immer hermetischer
abriegelnden
Kaste. Er kam dabei übrigens zu einem ganz ähnlichen
Schluss
wie ich in meinem ersten Wutausbruch: Dass sich viele
Medienleute
nicht mehr als Mittler zu den Menschen, sondern als
Mitinhaber
von Macht begreifen. Ihre Währung heißt Wichtigkeit. Sie
suchen
die Nähe anderer „Wichtiger“, möglichst im Fernsehen. Denn
sie
haben verstanden: Wer notorisch auf der Mattscheibe
herumfuhrwerkt,
wird quasi automatisch groß. Die Perpetuierung der
eigenen
Visage generiert Bedeutung.
Jürgen
Leinemann sprach hier vor zwei Jahren sehr aufrichtig über
seinen
eigenen Schmerz mit unserer Profession, über die Allüren und
Lebenslügen
der Medienfuzzis, dieses eitle Schaulaufen der
journalistischen
Selbstvermarkter, das man jetzt häufig bestaunen
kann,
wenn unsereins zusammenkommt. Seine Rede gipfelte in der
Schlussfolgerung,
die journalistische Freiheit unserer Republik sei
heute
– Zitat – “viel weniger durch obrigkeitsstaatliche Pressionen
bedroht
als durch die weiche Knechtschaft einer eitlen
Selbstverliebtheit.”
Leinemann ist viel zu loyal, um dies explizit auf
seinen
“Spiegel” zu beziehen. Wir wissen auch so, wen er meint.
Ich
gebe zu: Ich bin kein klassischer Tagungsteilnehmer. Beim letzten
Journalistenkongress,
den ich freiwillig besucht habe, war ich 16 und
Schülerzeitungsredakteur.
Ich erinnere, dass er in Frankfurt stattfand,
dass
er sich gegen “Zensur und Repressalien” richtete. Und dass an
der
Eingangstür kräftig gebaute Ordner einer DKP-nahen
Jugendorganisation
standen, die keinen durchließen, der ihnen
politisch
nicht in den Kram passte. Wir sind gleich alle empört
abgereist.
Was bedeutet: Ich war eigentlich noch nie freiwillig auf
einem
Journalistenkongress.
Ich
bin lieber unterwegs. In der weiten Welt. Am besten da, wo
möglichst
wenig andere Journalisten sind. Nicht weil ich ein Snob
wäre,
sondern weil alle Reportererfahrung lehrt: Je weniger
Medienmenschen
an einem Ort anwesend sind, desto besser kann
sich
dort Wirklichkeit entfalten, normalmenschliche Realität. Am
schlimmsten
ist es, wenn das Fernsehen kommt. Dann bricht alles
authentische
Leben jäh zusammen. Dann kann man eigentlich nach
Hause
gehen. Weil im Scheinwerferlicht alle nur noch Huhu und Haha
machen,
irgendwie wirken wollen und dabei komplett ballaballa
werden.
Ist einfach so. “Kann man nicht gegenan”, sagt der
Hamburger.
Die
Reden von Leinemann und Meyer habe ich also nachgelesen.
Und
mich gefragt: Wie kann man das weiterspinnen? In eine
Richtung,
die nicht alle schon hundertmal gehört haben. In
Leinemanns
Rede kam viermal eine Vokabel vor, die ich in letzter
Zeit,
wenn ich über den Zustand des Gewerbes jammere, auch gerne
verwende:
Haltung. Nicht im Sinne von Körperhaltung, oder gar Hab-
acht-Stellung.
Sondern im guten Duden-Sinne von “Grundeinstellung,
die
jemandes Denken und Handeln prägt”.
Haltung.
Ich glaube, dass viele in unserem Metier mit diesem Wort
rein
gar nichts mehr anfangen können. Dass es ihnen fremder klingt
als
Desoxyribonukleinsäure. Aus einer Reihe von Gründen.
1.
Die Ausbildung. Da gedeiht ein Dschungel neuer
Medienstudiengänge
– für junge Menschen, die, wie das heute so
schön
heißt, “irgendwas mit Medien” machen wollen – TV, PR,
Werbung,
am besten alles zusammen. Die Zahl der Studenten,
meldet
der Wissenschaftsrat, habe sich binnen zehn Jahren auf rund
55
000 verdoppelt. Hinzu kommt eine Fülle von Journalistenschulen,
über
die ich wenig sagen kann, da ich sie höchstens mal als
Gelegenheitsdozent
von innen gesehen habe. Manche haben große
Talente
hervorgebracht. Doch der Verdacht bleibt: Dass
Geschmeidigkeit
hier oft mehr zählt als Charakter.
2.
Die Hackordnung. Wer ewig am unteren Ende der Leiter steht,
durch
einen nie endenden Tunnel von Praktika gezwungen wird, lernt
bald,
dass Überzeugungen und Prinzipien im Zweifel stören. „Ach, die
Jungen“,
seufzte neulich die kampferprobte Redakteurin eines
öffentlich-rechtlichen
Senders, als ich nach dem geistig-moralischen
Zustand
des Nachwuchses fragte. Dann rührte sie in ihrem
Kantinenkaffee
und sprach: „Die gucken immer gleich nach, ob noch
Platz
im Darm ist.“
3.
Die Berufsverhältnisse. Der aktuell arbeitende Journalist schuftet,
zumal
in der Hauptstadt, unter mehrfach durchrationalisierten
Stressbedingungen.
Jeder einzelne ist von – gefühlt – drei Dutzend
PR-Akrobaten,
Spindoktoren, Verbandslautsprechern und
Pressebeschwörern
umstellt, deren bloße Kakophonie ihn schon am
Denken
hindern könnte. Sofern er überhaupt Zeit dafür hätte.
4.
Der Zeitgeist. Da bin ich Experte. Schon weil ich vor 20 Jahren
einmal
kurzfristig Redakteur eines damals neuen „Zeitgeist-Magazins“
mit
dem flotten Namen „Tempo“ war. Seither verfolge ich die
Wirrungen
des so genannten „Popjournalismus“ mit einer gewissen
Faszination.
Betrieben wird er meist von Söhnen und Töchtern aus
gutem
Hause, die viel Freude an Markenprodukten und der
narzisstischen
Umkreisung des eigenen Bauchnabels haben. Sie
unterscheiden
streng zwischen “in” und “out”. Ersteres sind in der
Regel
sie selber, letzteres alle anderen, insbesondere “Prolls”, “Alt-
68er”
und alle dieses irgendwie albern engagierte Volk. Politisch
endet
der Popjournalist nach allerlei Pirouetten verlässlich und sehr
pragmatisch
irgendwo zwischen Guido Westerwelle und Roland Koch.
Sein
Feind ist der „Gutmensch“ im schlecht sitzenden Anzug.
„Gutmensch“ ist überhaupt eines seiner
liebsten Schimpfwörter. Weil
er
nämliche jede Art von Haltung zutiefst verachtet.
Die
Stärke dieser Subspezies Journalist ist ihr üppiges, zuweilen ins
Großkotzige
changierende Selbstvertrauen. In panischer Angst, einen
Trend
zu verpassen, am Ende gar die Jugend zu verlieren, haben
viele
deutsche Chefredakteure solche nassforschen Popper
eingekauft.
Warum auch nicht? Die sind in der Regel emsig und
stören
nicht, und deshalb heute in allen Zeitungen und Zeitschriften
von
Rang vertreten. Manch fruchtbaren Textacker haben sie komplett
umgepflügt.
Freien Autoren, wie ich einer bin, fällt das regelmäßig auf,
wenn
sie sich mal wieder fragen: Wo nur bringe ich diese große
Reportage
noch unter? Oder gar einen richtig analytischen Text? Das
ist
sehr, sehr schwierig geworden.
Das
Magazin der „Zeit“, für das ich einst schrieb, ist schon lange tot.
Neuerdings
findet sich hier ein buntes „Leben“, in dem Helmut
Schmidt
raucht. Der Herausgeber. Interviewt vom Chefredakteur. Das
ist
von großer, wenn auch unfreiwilliger, Komik. Das Magazin der FAZ
ist
auch längst weg, das der „Süddeutschen“ stürzte vor Jahren schon
ins
kunterbunte Nichts. Auf dem Höhepunkt seiner Pop-Karriere, wir
erinnern
uns, gab es den hübschen kleinen Skandal um
Tom
Kummer, diesen tollen Interviewer, der seine schrillen Gespräche mit
den
Stars leider frei erfunden hatte. Als er erwischt wurde, taufte er
den
Betrug „Borderline-Journalismus“.
Die
beiden SZ-Verantwortlichen, Ulf Poschardt und Christian
Kämmerling,
wurden furchtbar bestraft. Poschardt durfte bei der “Welt
am
Sonntag” als cooler Rechtsaußen antreten, Kämmerling beim
Radikalumbau
der einst seriösen Schweizer “Weltwoche” unter Roger
Köppel
mithelfen, der nach vollbrachter Tat bekanntlich Chef der
deutschen
“Welt” wurde. Nun hört man, Kämmerling beschäftige sich
mit
einem möglichen Neustart des FAZ-Magazins und einer Zeitschrift
namens
“Heroes”. Ulf Poschardt lenkt derweil das deutsche “Vanity
Fair”.
Noch so ein Blatt, wo wir alle noch viele kluge Texte
unterbringen
werden. Auch der Verlag Gruner und Jahr, eine andere
bewährte
Bastion des Qualitätsjournalismus, schenkt uns ja ständig
neue
Sturmgeschütze der Aufklärung. “Park Avenue” zum Beispiel.
Ich
bin eine Spur zu jung, um ein echter 68er zu sein. Aber ich frage
mich
immer öfter, warum die Generation der geschmeidigen Macher
direkt
nach mir, diese “Generation Mini-Golf”, wie ein Kollege mal
spottete,
die 68er derart hasst. Gewiss: Das ganze
Generationengerede
taugt nur bedingt. Und trotzdem hat jede Zeit
ihre
Stimmen und Stimmungen, ihren Geschmack, ihre Helden – ihre
Haltung.
Sie kennen das vielleicht: Wenn man Musik aus der Zeit hört,
die
einen geprägt hat, kommt das Lebensgefühl wieder. Meine 70er
etwa
waren eine schrille, oft absurde Zeit voller Widersprüche,
Zweifel,
Experimente, auch voller Unfug. Aber sehr lebendig, sehr
suchend
und intensiv. Immerhin haben wir damals die “taz”
geschaffen.
Neulich
dachte ich: Die armen Popper haben nichts eigenes, die
kennen
nur “hip” und “retro”, nur Zitate, kein Empfinden. Vielleicht sind
sie
einfach unendlich neidisch, langweilen sich schrecklich, müssen
gähnen
beim Anblick ihrer eigenen, ereignislosen Biographie. Immer
nur
cool gewesen und gut angezogen. Nichts erlebt, nichts ersehnt,
nie
enttäuscht worden. Wo soll da bitte Haltung herkommen?
“Medienalarm”
lautet die lärmende Überschrift, die Leif & Co dieser
Rede
gegeben haben. Also treten wir kurz einmal zurück und
betrachten
die Lage unserer Medien. Gehen wir zu einem gut
sortierten
Bahnhofskiosk. Wir sehen: Endlose Meter Zeitungen und
Zeitschriften.
Sagenhaft. Und dann suchen wir mal jene Publikationen
zusammen,
in denen wir den feinen Journalismus zu finden hoffen,
den
wir vom noblen Netzwerk Recherche gerne hoch halten. Welch
ein
elendes Häuflein.
Ein
ähnliches Erlebnis haben Sie alle schon an jenen scheußlichen
Abenden
gehabt, an denen die Finger auf der Fernbedienung vor
lauter
vermeintlicher Vielfalt nicht zur Ruhe kommen. Zapp zapp,
durch
alle Kanäle. Blut, Kitsch und Paris Hilton. Da entsteht oberhalb
von
C0 schnell echter Unterdruck. Ich, als typischer Tatort-und-
Tagesthemen-Konsument,
bin fassungslos, wenn ich die Statistiken
sehe:
202 Minuten guckt angeblich jeder Durchschnittsdeutsche
tagtäglich
in die Röhre, zusätzlich hört er 186 Minuten Radio.
Zeitungen
und Zeitschriften liest er auch noch. Wenn er das nicht
alles
gleichzeitig macht, kommen dabei rund sieben Stunden
Medienkonsum
pro Tag heraus. Wann schlafen die Leute eigentlich?
Wahrscheinlich
vor dem Fernseher.
Als
Fernsehmensch würde ich in die Kirche gehen und göttlichen
Beistand
erflehen. Stellen sie sich einmal diese Verantwortung vor:
82,459
Millionen Einwohner, und ein jeder glotzt 1229 Stunden pro
Jahr.
Das macht 100 Milliarden Stunden per annum allein in
Deutschland.
Welch ein geradezu astronomischer Zeitdiebstahl. In
Japan
- 251 Minuten Tagesdosis – und den USA – 271 Minuten – sind
die
Verhältnisse noch krasser.
Die
wichtigere Frage bleibt die inhaltliche: Was wird gedruckt? Und
was
quillt aus Deutschlands 43 Millionen angemeldeten Radios und
den
37 Millionen angemeldeten Fernsehgeräten? Wenn ich einen
masochistischen
Tag habe, schalte ich morgens um 5:35 Uhr im
Deutschlandfunk
die Presseschau aus deutschen Zeitungen ein. Da
tröten
die hohlen Phrasen der deutschen Meinungs-Armada, die
ganze
Blechbüchsenarmee der Platitüden scheppert einem durch den
noch
wehrlosen Kopf. Und weckt diese späte Sehnsucht, endlich doch
noch
einen anständigen Beruf zu ergreifen. Der Kommentar ist
wahrlich
nicht die Königsdisziplin in diesem Land. Der “Spiegel” etwa
drückt
sich hier seit dem Tod Rudolf Augsteine komplett. Die Ideologie
quillt
wohl zwischen den Zeilen hervor. Eine klar formulierte Meinung
aber
ist wahrscheinlich Chefsache. Und der Chef hat keine. Können
wir
da nicht mal etwas tun? Meinung hat ja idealerweise auch etwas
mit
Haltung zu tun.
Wenn
wir weiter an der Radioskala drehen, kommen viele Sender, auf
denen
“echte Hits” mit aufdringlich fröhlichen Worten verrührt werden.
Besonders
perfide: Die Sprüche sind immer gleich, werden aber alle
paar
Sekunden als “echte Abwechslung” angepriesen. Wir müssen
hier
gar nicht groß auf “die Privaten” schimpfen. Etliche öffentlich-
rechtliche
Programme gehorchen heute der gleichen Dumm-dumm-
Rezeptur.
Zum Beispiel bei der heute gastgebenden Anstalt NDR, die
so
bescheiden von sich behauptet, „das Beste am Norden“ zu sein.
Auf
NDR 2 etwa, dem Sender meiner Jugend, der früher
Informationen
und Debatten satt lieferte und abends den “Club”, ist
Dudeln
heute Pflicht. Längst ist der Kanal zum, ich zitiere „attraktiven
Begleitprogramm
für die jüngere und mittlere Generation” umgemodelt
worden.
Komplett durchformatiert, harmlos, zahnlos, nur noch gut, um
Zeit
tot zu schlagen. Kein Journalismus mehr, der beim Netzwerk
Recherche
Gefallen fände.
Der
öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine wirklich großartige
Erfindung.
Doch viele seiner Oberen und die sie umgebenden
politischen
Kräfte, lieber Herr Wulff, scheinen seit vielen Jahren
danach
zu streben, das zahlende Publikum von jeder tiefer gehenden
Einsicht
fernzuhalten. Die gründlich ausgeforschte und typisierte
Kundschaft
wird aufgespalten. Hier die kleine Schar der
Unverbesserlichen,
die Futter für ihr Hirn verlangen, der „modernen
Kulturorientierten“,
wie das im Fachjargon heißt. Die bekommen ein
paar
Info- und Kulturkanäle. Dort die große Restmasse, denen nur
mehr
sedierende Zerstreuung eingeträufelt wird. Frohsinn und Musik,
zwo,
drei, dazu ein bisschen Wetter und Verkehr.
Ich
war zufällig dabei, als man hier, im ehemaligen „Rotfunk“, Anfang
der
80er begann aufzuräumen. Ein Herr Räuker war Intendant. Wer
als
studentische Hilfskraft auch nur auf den Knopf des Kopierers
drücken
wollte, musste mindestens im RCDS sein. Ich habe diese
Hinrichtung
journalistischen Esprits damals in Artikeln so liebevoll
beschrieben,
dass der Intendant vor versammelter Belegschaft einen
Tobsuchtsanfall
hinlegte. Den ich, dreist wie ich damals wohl war,
hinter
der letzten Sitzreihe kauernd, still genoss. Wenig später war ich
“Freier”
beim NDR. Die Ära fiel sehr kurz aus. Falsche Haltung.
Kommen
wir zum Kern. Reden wir über’s Geld. Da ist ein „Freier“
Experte.
Ahnt irgendjemand hier, wie viel von ihren rund 7,3 Milliarden
Euro
die öffentlich-rechtlichen Anstalten für guten Journalismus
ausgeben?
Ein Fernsehautor erzählte mir diese Woche, seine
Honorare
würden sich auf dem Niveau von vor 20 Jahren bewegen.
Bei
den Zeitungen, das kann ich halbwegs überblicken, ist nach den
Sparrunden
der vergangenen Jahre kaum mehr Geld da. Die
honorieren
in aller Regel dürftig und nach Zeile, was Recherchen
geradezu
bestraft. Reisespesen sind Glückssache. Selbst ein
Hochglanzmagazin
wie Geo hat Tagespauschalen längst gestrichen.
Für
viele freie Autoren ist die Lage bedrückend. Ihnen bleibt kaum
Raum
für anständigen Journalismus. Manchmal ist es auch eine
Frage
der Würde. Ein persönliches Beispiel: Nachdem vor fünf Jahren
mein
Stammblatt „Die Woche“ pleite ging, arbeitete ich unter anderem
für
die „Süddeutsche Zeitung“. Drei Jahre lang lieferte ich jede Woche
zwei
Texte, egal, ob ich Fieber hatte oder auf Reisen war. Das
machte
sogar Spaß. Obendrein war es ein festes Einkommen.
Eines
Tages klingelte das Telefon. Der Ressortleiter war dran. „Du,
hier
läuft ein Typ von Roland Berger rum“, raunte er, „Ende 20, mit
Fliege,
hochmotiviert.“ „Ja und?“, fragte ich. „Wir müssen Dein
Honorar
um 25 Prozent kürzen.“ Spontan schlug ich vor, es gleich um
100
Prozent zu kürzen. Ich würde dann einfach aufhören, sagte ich.
Weil
das kein Umgang mit guter, stets gelobter Arbeit sei. „Das kannst
Du
doch nicht machen“, brummte er. Wir verabschiedeten uns hastig.
Am
nächsten Tag rief er wieder an. „Ich hab mir das noch mal
überlegt“,
sagte er, „wir kürzen das Honorar nur um 12,5 Prozent.“
Das
fände ich eigentlich noch schlimmer, antwortete ich. „Warum
denn
das?“, fragte er. „Weil das keine echte Einsparung mehr ist,
sondern
nur noch der symbolische Akt, mich über das Roland-Berger-
Stöckchen
springen zu lassen.“ Dann sehe er keinen Spielraum mehr,
sprach
der Ressortleiter und legte auf. Die Mitarbeit endete sofort.
Monate
später schrieb der Chefredakteur eine Email, dass das ja
irgendwie
blöd gelaufen sei. Seither nichts mehr aus München. So
läuft
freier Journalismus heute. Vogelfreier Journalismus.
Man
schlägt sich so durch. Und ich will nicht larmoyant werden. Mir
geht
es gut. Ich mache, was ich will. Und das mit Wonne. Welcher
Journalist
kann das von sich sagen? Ich habe viel zu tun. Nächste
Woche
fliege ich in die USA, für ein Radiofeature über
Kriegsveteranen
in der amerikanischen Gesellschaft – „Die Narben
des Uncle Sam“. Der Deutschlandfunk, mein Lieblingssender, will das
senden,
und nicht um 0.45 Uhr, sondern um 19.15 Uhr. Nur die vollen
Reisekosten
kann auch er nicht tragen. Ich habe versucht, dafür eine
Koproduktion
einzufädeln. Aber glauben Sie nicht, man könne auf
eine
Antwort zählen, wenn man einer ARD-Redaktion ein
ausführliches
Exposé samt persönlichem Anschreiben schickt. In
diesem
Fall: Kein Ton. Funkstille beim WDR, beim SWR, beim NDR.
Ich
vermute, jeder Freie kennt das. Manchmal fehlt es eben nicht nur
an
Mitteln, sondern auch an Manieren.
Wie
also rettet man sein Feature-Projekt? In diesem Fall durch einen
Bruch
mit den hehren Prinzipien des Netzwerks Recherche.
„Journalisten
machen keine PR“, sagen wir. Ich habe das heftig
verteidigt,
mit flammendem Wort und erigiertem Zeigefinger. Doch
dann
meldete sich neulich ein alter Bekannter an und fragte, ob ich für
seine
Firmenzeitschrift eine USA-Reportage schreiben würde. Kurz
durchdacht:
Das würde die Reisekosten decken. Mein Feature wäre
gerettet.
Ich müsste eine nette kleine Rundum-Reportage schreiben,
eigentlich
nichts ehrenrühriges. Trotzdem ist es natürlich PR; für eine
Firmenzeitung;
in einem Werbeumfeld. Steinigt mich dafür, wenn
Euch
danach ist. Oder verratet mir eine Alternative.
Ich
fasse zusammen:
1.
Im heiklen Wechselspiel der „Leitmedien“ und Gleitmedien, der
politischen
Akteure und der sie umkreisenden Journalisten hat vor
allem
der politische Journalismus gelitten. Selbst in einst seriösen
Zeitungen
geht es oft nur mehr um die Frage, welcher Akteur gerade
wie
dasteht und wie gut sein Sakko sitzt. Die distanzierte Demut des
Beobachters
weicht dabei der Geltungssucht des Mitmischers, der
Menschen
und Themen nach Gusto herauf- und herunterschreibt.
Reale
politische Konflikte werden zunehmend als hässliches Gezänk
gespiegelt,
die vermeintlichen Sieger und Verlierer täglich neu und oft
willkürlich
festgelegt. Die Macht professioneller Einflüsterer ist
deutlich
gestiegen.
2.
Mit dem Niedergang ihrer Urteilskraft sinkt auch das Image der
medialen
Mittler. Am deutschen Film, besonders am deutschen
Fernsehkrimi,
kann man das gut ablesen. Dort hat sich der Journalist
als
verlässlich mieser Antityp etabliert, stets schmierig und penetrant.
Ein
Widerling, der meist im Rudel auftritt.
3.
Je unsicherer man ist, desto stärker wird das Bedürfnis nach
Selbstvergewisserung.
Die Binnenwelt der Medien gibt sich gerne
glamourös,
gebiert aus dem Nichts Stars, die sich bei Galas über rote
Teppiche
schieben. Man zeigt, interviewt, feiert und lobt sich
gegenseitig,
hängt sich allerlei Medaillen um. So entsteht ein klebriges
Miteinander.
Dabeisein ist die Währung. Könige sind jene
Fernsehgesichter,
die durch Dauerpräsenz einen Extra-Marktwert zu
schaffen
verstehen, oft mit Hilfe öffentlich-rechtlicher Anstalten und
ihrer
Gebührenzahler. Um solche Prominenz alsdann in klingende
Münze
umzuwandeln – schon weil sie ab einem bestimmten
Wiedererkennungswert
als Werbeträger taugen. Journalisten
verwandeln
sich hier in käufliche Kaufleute. Während das Publikum in
Billigformaten
zunehmend kannibalisiert, sich selbst zum Fraße
vorgeworfen
wird.
4.
Mut und Eigensinn der Journalisten müssen gestärkt, ihre
Arbeitsmöglichkeiten
dürfen nicht durch immer knapper werdende
Ressourcen
eingeschränkt werden. Qualitätsjournalismus brauch
guten
Raum: Einfallsreiche Programme und Publikationen. Mit jedem
Girlie-Blättchen,
jedem Shoppingkanal, jedem Dudelsender hingegen
verabschieden
sich wieder Millionen unterforderte Gehirnzellen in den
Vorruhestand.
5.
Alljährlich produziert unser Bildungssystem tausende
Nachwuchskräfte
für unser Metier. Sie landen in einem grellen
Medienmarkt,
der für analytischen, investigativen, kritischen
Journalismus
nur noch in Ausnahmefällen Platz und Mittel hat.
Denkbar
wäre ein Ausbildungsmoratorium für Journalisten. Gekoppelt
mit
dem Neustart einer Verlegerausbildung. Denn mutige Verleger
sind
Mangelware. In den Stamm-Verlagen sitzen nur noch
Marketingleute,
die auf Charts starren und Schickimicki-Ballaballa
machen.
Keiner, der sich etwas trauen, der sagen würde: Wir
schaffen
etwas richtig Gutes, das Neugier und Geist und Haltung
zeigt.
Wir nehmen Geld in die Hand und schicken Talente los, die sich
unser
Land und die Welt wieder gründlich und von allen Seiten
angucken.
Zum
Schluss: Wir wollen hier nicht zu düster malen. Es gibt eine
Menge
Leute, die in der Dunkelheit ein Licht anzünden. Nicht nur die
arrivierten
Damen und Herren vom Netzwerk Recherche, die die
Fackel
der Wahrheit bekanntlich ja nie aus der Hand legen. Sondern
auch
viele Journalisten, die etwa in ihrem Lokalblatt einfach aufrichtig
über
Menschen und Sachverhalte schreiben. Abseits der medialen
Büffelherden,
die Wucht nur durch bewegte Masse erzeugen. Jeder
Tag
bringt gute Artikel und Sendungen.
Wir
leben in einem stabilen, demokratischen Land. Manchmal scheint
unser
Missmut drückender als die realen Probleme. Deutschland,
schrieb
Timothy Garton Ash dieser Tage, sei „eines der freisten und
zivilisiertesten
Länder dieser Erde“. Die Bürgerrechte würden hier
besser
geschützt als in den USA oder seiner Heimat Großbritannien.
Und
rühmte dann die „paradoxe“ deutsche Großleistung: „In diesem
guten
Land haben die Professionalität seiner Historiker, die
investigativen
Fähigkeiten seiner Journalisten, die Ernsthaftigkeit
seiner
Parlamentarier, die Großzügigkeit seiner Geldgeber, der
Idealismus
seiner Priester und Moralisten, das schöpferische Genie
seiner
Schriftsteller und, ja, die Brillanz seiner Filmemacher sich
verbunden,
um in der Vorstellungskraft der Welt die unauslöschlichste
Verbindung
Deutschlands mit dem Bösen zu zementieren.“
Ich
finde, trotz etlicher Abstriche im Detail: Das stimmt. Lassen wir
uns
also unsere Medien nicht versauen. Wie sagte neulich unsere
Kanzlerin,
bei der Feier zum 80. von Alfred Neven DuMont? „Kaum
ein
anderer Bereich unserer Gesellschaft prägt Haltungen und
Lebensentwürfe
ganzer Generationen so stark, wie die Medien dies
vermögen.“
Haltungen!
Sie sehen: Auch Frau Merkel hat verstanden.