Einfach schweigen!

 

Dein Recht auf Aussageverweigerung

 

Eine Festnahme, ein Verhör oder eine Hausdurchsuchung trifft Dich fast immer unvorbereitet. Das gehört bereits zur erfolgsgerichteten Taktik der Polizei. In dieser Situation hat sie Dir gegenüber die folgenden Vorteile:

 

- Für Dich ist die Situation eine Ausnahme ‑ für sie ist es Routine.

 

- Du bist unvorbereitet ‑ sie arbeitet mit genauen Instruktionen und Taktiken.

 

- Du bist von den Personen Deines Vertrauens abgeschnitten die Beamten haben ständig die Möglichkeit, bei veränderter Lage neue Instruktionen einzuholen.

 

- Du kennst Deine Rechte nur unvollkommen, sie wissen das, Du bist nervös und aufgeregt, sie sind cool und darauf gedrillt, Deine Nervosität zu ihren Gunsten auszunutzen.

 

- Du weißt nicht, was sie mit Dir machen werden und wie lange das Verhör dauert und was es ergibt, sie haben davon eine genaue Vorstellung.

 


- Du bist ausgeliefert und fühlst Dich auch entsprechend schlecht.

 

- Die Angst und die Ungewißheit machen Dich fertig ‑ sie rechnen damit.

 

In dieser Situation sind viele bereit, auf alle gesetzlich garantierten Rechte auf Aussageverweigerung zu verzichten.

 

Für den Wunsch nur raus hier und es hinter mir haben sind manche schon für Jahre ins Gefängnis gewandert, weil sie ihr Recht zu schweigen psychisch nicht mehr wahren konnten.

 

In dieser Lage bist Du nicht Herr des Verfahrens, Du kannst mit absoluter Sicherheit nicht wissen, ob eine Aussage Deine Situation letztlich bessert. In dieser Lage kannst Du nur spekulieren. Spekulation ist Abenteurerei.

 

Es gibt keine Situation, in der Du eine Aussage nicht auch noch in vierzehn Tagen machen könntest!

 

Wichtig ist, die Mechanismen zu kennen, die Menschen zum Reden bringen. Eine Vernehmung ist kein Spiel von Frage und Antwort. Sie ist zunächst eine Situation. In dieser Situation handelt man nicht nur bewußt und vernünftig, sondern auch, von unbewußten Regungen gesteuert, teilweise »mechanisch«. Der geübte Kriminalbeamte wird, wenn er Dich nicht schon kennt, bereits von Anfang an diese Regungen und Verhaltensweisen an Dir studieren, um im Verlauf der Handlung in Deinem Unterbewußtsein Reaktionen auslösen zu können, die ihn seinen Zielen näherbringen. Viele begreifen dann auch später nicht, wie es zu Aussagen kommen konnte.

 

Warum ist es richtig, nichts zu sagen, bevor man mit einem Anwalt gesprochen hat?

 

Das Gesetz gibt Dir als Beschuldigtem das Recht, Dich nicht selbst zu belasten. ... Es gibt, vor allem nach einer Festnahme, aber auch sonst, keine Situation, in der Du allein sachlich und juristisch beurteilen kannst, ob Deine Angaben tatsächlich einen Vorteil für Dich bringen. Du weißt gar nicht, an welchem Fleck des Verfahrens Du bist. Dir fehlt der Lotse. Frag erst einen Anwalt. Wenn er nicht gleich erreichbar ist, warte mit allem, bis du ihn erreicht hast und er kommen kann. Mach Dir unter keinen Umständen die Ungeduld oder Eile des Beamten zu eigen. Wenn er es eilig hat, hast Du gerade Zeit. Und nimm um himmelswillen nicht etwa ihn als Lotsen! Du kannst Dir hoffentlich denken, daß er Dich nicht in Deine Interessen, sondern in seine lotst.

 

Der Polizeibeamte hat nur ein Ziel: Seinem Vorgesetzten ein Ergebnis zu präsentieren. Du bist ihm letztlich scheißegal. Wenn Du aufgrund Deiner Aussage noch im Knast sitzt, ist er für Deine Aussage vielleicht schon befördert worden.

 


Die prozessuale Bedeutung der Aussageverweigerung

 

Dein Schweigen hat auch prozessuale Bedeutung. Nur die totale Aussageverweigerung darf bei einem Beschuldigten nicht zu seinem Nachteil gewertet werden. Sagst Du auch nur ein Wort, so wird dies zu einem Beweismittel, das nach der Rechtsprechung der sogenannten freien tatrichterlichen Bewelswürdigung unterliegt. Beispiel: Du wirst gefragt, wo Du im Mai 1972 warst. Wenn Du bisher weder auf diese noch auf andere Fragen geantwortet hast, kann Dein Schweigen nicht verwertet werden. Sagst Du aber auch nur: »Am 1. Mai habe ich demonstriert« (vielleicht, weil man Dir ein Bild vorhält, auf dem Du zu sehen bist), so kann daraus, daß Du zu den anderen 364 Tagen nichts sagst, der Schluß gezogen werden, daß Du an diesem oder jenem Ort warst und dies oder jenes getan hast.

 

Also: Solange Du keinen Lotsen hast: Schweigen!

 

Eine Aussage kann man nicht widerrufen. Man kann nur einer Aussage eine weitere anfügen, die in ihrem Inhalt von der ersten abweicht. Das Gericht ist dann in seiner Wertung frei, welcher es Glauben schenkt. Meist werden dann die Beamten, die die Aussage zustandegebracht haben, in der Verhandlung vernommen und sie werden ihr übriges tun, die geeignete Aussage dem Gericht mundgerecht zu machen.

 

Quelle: "Wie man gegen Polizei und Justiz die Nerven behält" von Klaus Eschen / Sibylle Plogstedt / Renate Sami / Victor Serge, Berlin 1973, S. 11 - 13