E. T. A. Hoffmann
Literaturkritische Einordnung und Leseprobe ("Elixiere des
Teufels")
Aus Königsberg stammt
schließlich auch der Dichter, den zwar nicht wenige Romantiker überlebt haben,
dessen Werk aber nicht zeitlich, sondern wesentlich den Ausklang der Romantik
bildet: Ernst Theodor Amadeus HOFFMANN (1776‑1822). Er bezeichnet den
Punkt, an dem Phantasie und Poesie mit der übermächtig sich durchsetzenden
Wirklichkeit, die sie nicht mehr zu bewältigen vermögen, in greller Dissonanz,
in schreiendem Dualismus zusammenstoßen. Schon Kindheit und Jugend nahmen ihm
mehr, als sie ihm gaben. Früh offenbarten sich Talent und Neigung zur Musik,
zum Zeichnen und eine phantasiemächtige, künstlerische Natur. Ungern
absolvierte er das juristische Studium, und mit Widerwillen ergriff er den
Beamtenberuf, zunächst in Posen, dann in Warschau, das damals zum preußischen
Verwaltungsbereich gehörte. Durch die preußische Niederlage 1807 und die damit verbundenen
Gebietsveränderungen verlor er seine Stellung. Nun gab er seinen eigentlichen
Neigungen Raum. Fünf Jahre lang lebte er als Dirigent, Komponist von Opern und
Singspielen, als Regisseur und Bühnenmaler in Bamberg. Hier hob ihn eine
unerfüllt bleibende hohe Liebe über den Alltag einer prosaischen Ehe und
verklärte sich in seiner Dichtung in einer immer wiederkehrenden idealen
Mädchengestalt. Nach kurzer Dirigententätigkeit bei einer Dresdener
Theatergruppe kehrte er 1816 wieder in den bürgerlich‑juristischen Beruf
zurück und wurde Kammergerichtsrat in Berlin. Hier nun kam es zu jener unverbundenen
Doppelexistenz eines pünktlich und tadelfrei seinen Beruf erfüllenden Beamten
und Bürgers und eines ganz von Traum und Phantasie, vom Rausch des Weingottes
und der Poesie lebenden Künstlers, Kunst und Leben, Poesie und Wirklichkeit,
die zu vereinen die Romantik ausgezogen war, stehen sich an ihrem Ende
unvereinbar in schroffstem Dualismus gegenüber. Hatte die frühe Romantik
versucht, durch Philosophie und Religion, die spätere durch die Wendung zu
Natur und Geschichte diese Kluft zu überbrücken, so scheint bei Hoffmann mit
dem Glauben an eine Heilung auf philosophischem oder religiösem,
geschichtlichem oder naturmystischem Wege auch das Organ für diese der Romantik
vor allem eigentümlichen Bereiche gänzlich geschwunden. Geblieben ist allein
die entbundene und bindungslose, die ohnmächtige und irreale Phantasie als reiner
Gegensatz zu der engen, beschränkt‑platten und selbstgefälligen,
berechnend‑tüchtigen und satt‑erfolgsstolzen Wirklichkeit. Die
Phantasie allein trägt die in der dumpfen und lärmenden Prosa der Wirklichkeit
erstickende Seele in das luftige und grenzenlose Märchenreich des Geistes und
der Geister, in dem das Wunder und die Schönheit aller Dinge und Wesen mächtig
sind. Dieses Reich steht nur reinen, nach innen aufgetanen und von der
Wirklichkeit nicht ertöteten Gemütern offen. Es ist unwirklich und daher
unantastbar durch alle Gewalt des Wirklichen. Aber es besitzt die Macht, sich
an der Wirklichkeit, von der es verleugnet und verlacht wird, zu rächen. Es ist
Illusion, aber mit der gefährlichen Kraft, die Wirklichkeit selber in Illusion,
in Gespenst, Grimasse, Karikatur zu verwandeln, die dämonischen, grausigen und
abgründigen Züge, die sich hinter ihrem bieder‑harmlosen Alltagsgesicht
verstecken, zu entlarven, so daß die Grenzen zwischen Sein und Schein, zwischen
Wachen und Traum, zwischen dem nüchtern und handfest Körperlichen und dem
Gespenstischen und Spukhaften noch einmal fließend werden und ineinander
übergehen. Das ist der Vorgang, der E. Th. A. Hoffmanns Dichtung zugrunde
liegt. In ihr schlägt immer wieder ein bisher unerreichtes realistisches Erfassen
der Wirklichkeit unvermittelt um in das reine Phantasiestück märchenhafter,
selig‑schöner Geister oder gespenstisch‑grausiger Fratzen und
Dämonen. Und gleichzeitig gerät die Gewißheit, was eigentlich Sein ist und was
Schein, was Wahrheit und was Wahn, ins Wanken. Dennoch bleibt es dabei, daß
weder der idealisierenden, in das höhere Leben hineinverzaubernden, noch der
satirisch‑dämonisierenden, die Wirklichkeit als Spuk entlarvenden
Phantasie der Glaube an sich selber mehr innewohnt. "Ich habe zu viel Wirklichkeit"
‑ so hat Hoffmann selber sein Schicksal und das Schicksal einer
unaufhaltsam heraufziehenden Zeit bezeichnet, die der Romantik das Ende
bereitet hat.
In Bamberg begann er neben
seiner komponierenden, dirigierenden und bühnentechnischen Tätigkeit mit
schriftstellerischen Arbeiten hervorzutreten (Ritter Gluck, 1809; Don Juan,
1812). Sie sind beherrscht von dem Erlebnis der Musik, die für den Dichter
immer die stärkste von der Wirklichkeit erlösende und die Seele in das ideale
Reich des Poetischen und Schönen erhebende Macht blieb. In den Geschichten um
den Kapellmeister Johannes Kreisler, dessen reine Künstlernatur eingespannt war
zwischen die Welt des Genies und die des Philisters, zwischen Phantasie und
banale Wirklichkeit, hat Hoffmann immer wieder sein eigenes Dasein und Geschick
gestaltet. Eine erste Sammlung seiner Erzählungen knüpfte er an den Namen des
französischen Zeichners Jacques Callot (17. Jahrh.), in dessen bizarr
phantastischen Gestalten er die Geschöpfe seiner eigenen Phantasie wiederfand (Fanfasiestücke
in Callots Manier, 1814/15). Sie enthielten u. a. das Märchen von dem armen
Studenten Anselmus, dessen reines, unverletztes Gemüt ihn die goldenen
Schlänglein im Hollunderbusch erleben läßt. Er kommt dann in das Haus des
Archivrates Lindhorst, der aber in Wahrheit ein Fürst im Geisterreich der
Salamander ist und dessen jüngste Tochter Serpentina nach mancherlei
Fährlichkeiten von Anselmus erlöst wird. Sie soll ihm den zauberhaften "Goldenen
Topf" aus König Phosphors Reich bringen. Mit ihr vereinigt findet er
schließlich dauerndes Glück im Reiche Atlantis. ‑ Der Goldene Topf, Das
fremde Kind und Nußknacker und Mausekönig bilden noch einmal einen Höhepunkt in
der Geschichte des romantischen Kunstmärchens.
Die Gegenwelt in greller, den
Wahnsinn streifender Häufung des Grausigen bringen die Elixiere des Teufels
(1815/16), in deren Held, dem Mönch Medardus, wilde Leidenschaft, alter
Geschlechterfluch und die Dämonen der Tiefe sich zu einer atemraubenden Folge
sich verflechtender Schrecken vereinen. Der gleichen Nachtseite des Daseins
sind die in den Nachtstücken (1817) vereinigten Erzählungen zugewandt. Die
bedeutendste, durch eine geistreich durchgeführte Rahmenhandlung verbundene
Sammlung sind Die Serapionsbrüder (1819/21).
Sie enthalten u. a. die tiefsinnige, von Richard Wagner und Hugo von
Hofmannsthal wieder aufgenommene Geschichte des Bergwerks zu Falun, den
glänzend erzählten Kriminalfall des Pariser Goldschmiedes Cardillac, der seine
Meisterwerke so abgöttisch liebt, daß er ihre Käufer ermordet, um Meister Floh (1822). sich wieder in ihren Besitz
zu setzen (Das Fräulein von Scudéry) und die des Spukes und der Dämonen einmal
gänzlich bare Alt-Nürnberger Geschichte von Meister Martin dem Küfer und
seinen Gesellen, die Richard Wagner zu seinen "Meistersingern"
angeregt hat. In den Lebensansichten des Katers Murr (1820/21) wird mit
höchster romantischer Ironie die selbstbekenntnishafte Lebensgeschichte
Kreislers infolge eines angeblichen drucktechnischen Versehens mit der
selbstgefälligen banalen Lebensweisheit des Durchschnittsphilisters
verflochten. Den reifen und schönen Gipfel seines Schaffens gewinnt Hoffmann in
seinen letzten, zum Teil schon qualvoller und tödlicher Krankheit abgerungenen
Werken, der Prinzessin Brambilla (1821) und dem Meister Floh (1822).
Quelle: "Geschichte der deutschen Dichtung" von Fricke / Klotz,
14. Aufl. Lübeck und Hamburg 1968, S. 221 - 224
Der Mönch war so weit
hergestellt, daß er aufstehen und im Hause umherwandeln konnte, aber sein
Aussehen, sein Wesen war ganz verändert. Die Augen blickten sanft, statt daß
sonst ein gar böses Feuer in ihnen funkelte, er schritt ganz nach Klostersitte
leise und andächtig mit gefaltenen Händen umher, jede Spur des Wahnsinns war
verschwunden. Er genoß nichts als Gemüse, Brot und Wasser, und nur selten
konnte ich ihn in der letzten Zeit dahin bringen, daß er sich an meinen Tisch
setzte und etwas von den Speisen genoß sowie einen kleinen Schluck Wein trank.
Dann sprach er das Gratias und ergötzte uns mit seinen Reden, die er so wohl zu
stellen wußte wie nicht leicht einer. Oft ging er im Walde einsam spazieren, so
kam es denn, daß ich ihm einmal begegnete und, ohne gerade viel zu denken,
frug, ob er nicht nun bald in sein Kloster zurückkehren werde. Er schien sehr
bewegt, er faßte meine Hand und sprach: 'Mein Freund, ich habe dir das Heil
meiner Seele zu danken, du hast mich errettet von der ewigen Verderbnis, noch
kann ich nicht von dir scheiden, laß mich bei dir sein. Ach, habe Mitleid mit
mir, den der Satan verlockt hat und der unwiderbringlich verloren war, wenn ihn
der Heilige, zu dem er flehte in angstvollen Stunden, nicht im Wahnsinn in
diesen Wald gebracht hätte. ‑ Sie fanden mich', fuhr der Mönch nach
einigem Stillschweigen fort, 'in einem ganz entarteten Zustande und ahnden auch
jetzt gewiß nicht, daß ich einst ein von der Natur reich ausgestatteter
Jüngling war, den nur eine schwärmerische Neigung zur Einsamkeit und zu den
tiefsinnigsten Studien ins Kloster brachte. Meine Brüder liebten mich alle ausnehmend,
und ich lebte so froh, als es nur in dem Kloster geschehen kann. Durch
Frömmigkeit und musterhaftes Betragen schwang ich mich empor, man sah in mir
schon den künftigen Prior. Es begab sich, daß einer der Brüder von weiten
Reisen heimkehrte und dem Kloster verschiedene Reliquien, die er sich auf dem
Wege zu verschaffen gewußt, mitbrachte. Unter diesen befand sich eine
verschlossene Flasche, die der heilige Antonius dem Teufel, der darin ein
verführerisches Elixier bewahrte, abgenommen haben sollte. Auch diese Reliquie
wurde sorgfältig aufbewahrt, unerachtet mir die Sache ganz gegen den Geist der
Andacht, den die wahren Reliquien einflößen sollen, und überhaupt ganz
abgeschmackt zu sein schien. Aber eine unbeschreibliche Lüsternheit bemächtigte
sich meiner, das zu erforschen, was wohl eigentlich in der Flasche enthalten.
Es gelang mir, sie beiseite zu schaffen, ich öffnete sie und fand ein herrlich
duftendes, süß schmeckendes starkes Getränk darin, das ich bis auf den letzten
Tropfen genoß. Wie nun mein ganzer Sinn sich änderte, wie ich einen brennenden
Durst nach der Lust der Welt empfand, wie das Laster in verführerischer Gestalt
mir als des Lebens höchste Spitze erschien, das alles mag ich nicht sagen,
kurz, mein Leben wurde eine Reihe schändlicher Verbrechen, so daß, als ich
meiner teuflischen Lust unerachtet verraten wurde, mich der Prior zum ewigen
Gefängnis verurteilte. Als ich schon mehrere Wochen in dem dumpfen, feuchten
Kerker zugebracht hatte, verfluchte ich mich und mein Dasein, ich lästerte Gott
und die Heiligen, da trat im glühendroten Scheine der Satan zu mir und sprach,
daß, wenn ich meine Seele ganz dem Höchsten abwenden und ihm dienen wolle, er
mich befreien werde. Heulend stürzte ich auf die Knie und rief: Es ist kein
Gott, dem ich diene, du bist mein Herr, und aus deinen Gluten strömt die Lust
des Lebens.' ‑ Da brauste es in den Lüften wie eine Windsbraut, und die
Mauern dröhnten, wie vom Erdbeben erschüttert, ein schneidender Ton pfiff durch
den Kerker, die Eisenstäbe des Fensters fielen zerbröckelt herab, und ich
stand, von unsichtbarer Gewalt hinausgeschleudert, im Klosterhofe. Der Mond
schien hell durch die Wolken, und in seinen Strahlen erglänzte das Standbild
des heiligen Antonius, das mitten im Hofe bei einem Springbrunnen aufgerichtet
war. ‑ Eine unbeschreibliche Angst zerriß mein Herz, ich warf mich
zerknirscht nieder vor dem Heiligen, ich schwor dem Bösen ab und flehte um
Erbarmen; aber da zogen schwarze Wolken herauf, und aufs neue brauste der Orkan
durch die Luft, mir vergingen die Sinne, und ich fand mich erst im Walde
wieder, in dem ich, wahnsinnig vor Hunger und Verzweiflung, umhertobte und aus
dem Sie mich erretteten.' ‑ So erzählte der Mönch, und seine Geschichte
machte auf mich solch einen tiefen Eindruck, daß ich nach vielen Jahren noch so
wie heute imstande sein werde, alles Wort für Wort zu wiederholen. Seit der
Zeit hat sich der Mönch so fromm, so gutmütig betragen, daß wir ihn alle lieb
gewannen, und um so unbegreiflicher ist es mir, wie in voriger Nacht sein
Wahnsinn hat aufs neue ausbrechen können.
Quelle: "Elixiere des Teufels" von E. T. A. Hoffmann