Volksverhetzung (2)

 

Wir präsentieren zwei Entscheidungen deutscher Gerichte zum nämlichen Sachverhalt, die zu entgegengesetzten Ergebnissen gelangen. Angeklagt war in beiden Fällen der Straftatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 StGB durch Verbreitung ein und desselben Gedichtes, welches sich kritisch und überspitzt mit dem Mißbrauch des Asylrechts auseinandersetzt. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat als Revisionsinstanz den Angeklagten durch Beschluß vom 20.12.1993 freigesprochen, während das Landgericht Hannover den Angeklagten durch Urteil vom 4.3.1994 verurteilt hat.

Das Urteil des Landgerichts Hannover setzt sich mit keinem Wort mit der abweichenden vorangegangenen Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts auseinander und auch der sich geradezu aufdrängende Gesichtspunkt des unvermeidbaren Verbotsirrtums wird nicht einmal gestreift. Aber so ist unsere Justiz. Machtbewußt und unfähig judiziert sie mit dem Bauch und nicht mit dem Kopf und wer Pech hat, kommt an den falschen Richter und der hat gerade schlecht geschlafen oder hat Ärger mit seiner Alten. Eine solche Justiz kann man kostengünstig und für die Rechtspflege völlig gefahrlos durch einen Würfelbecher ersetzen:

 

 

 

Bayerisches Oberstes Landesgericht

 

BESCHLUSS

 

Der 5. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Bayerischen Obersten Landesgericht Brießmann sowie der Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Kiesel und Hilger

 

am 20. Dezember 1993 in dem Strafverfahren gegen .............

 

wegen

Volksverhetzung

nach Anhörung der Staatsanwaltschaft

 

b e s c h 1 o s s e n :

 

I.  Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Augsburg             vom 8. Juli 1993 aufgeho­ben.

 

II. Der Angeklagte wird freigesprochen.

 

 



III. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeklagten.

 

G r ü n d e :

 

Das  Amtsgericht  Augsburg  hat  den  Angeklagten  am 8.7.1993  wegen Volksverhetzung (§ 130 Nr. 3 StGB) verwarnt und die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 80,‑‑ DM vorbehalten, weil der Angeklagte von einem Arbeitskollegen Anfang September 1992 ein Flugblatt nachfolgenden Inhalts erhalten, dieses kopiert und in der Zeit von Mitte bis Ende September 1992 an Kollegen und außerhalb seiner Dienststelle tätige Personen auf Wunsch verteilt habe.

 

Das Flugblatt hat folgenden Wortlaut:

 

"Herr Asylbetrüger, na wie geht's??

oh, ganz gut, bring Deutschen Aids.

Komm direkt aus Übersee -

hab Rauschgift mit, so weiß wie Schnee,

verteil im Sommer wie im Winter

sehr viel davon an Deutsche Kinder.

Muß nicht zur Arbeit, denn zum Glück

schafft Deutsches Arschloch in Fabrik.

Hab Kabelfernsehn, lieg im Bett -

werd langsam wieder dick und fett,

zahl weder Miete, Strom noch Müllabfuhr,

das müssen dumme Deutsche nur!!

Auch Zahnarzt, Krankenhaus komplett

zahlt jeden Monat Deutscher Depp.

Wird Deutscher Arsch mal Pflegefall

verkauft ihm Staat Haus, Hof und Stall.

Man nimmt ihm einfach alles weg,


schafft vierzig Jahr umsonst, der Depp.

Wenn Deutscher Dummkopf ist gestorben,

dann müssen Erben Geld besorgen,

denn Deutscher muß bezahlen für Pflegeheim und Grab,

was als Asylbetrüger umsonst ich hab.

Man sieht, daß Deutscher ein Idiot,

muß auch noch zahlen, wann ist tot.

Ich liebe Deutschland ‑ wo noch auf der Welt,

gibt's für Asylbetrug auch noch viel Geld.

Ist Deutschland pleite, ‑ fahr ich heim,

und sag: Leb wohl DU Nazi‑Schwein."

 

Im Oktober 1992 sei der Angeklagte von einem Beamten des Staatsschutzes darauf hingewiesen worden, daß das Amtsgericht München diesbezüglich einen Beschlagnahmebeschluß erlassen habe. Trotzdem sei­en Flugblätter noch am 23.11.1992 vom Angeklagten an seinem Arbeitsplatz vorrätig gehalten worden.

 

Sein am 15.7.1993 unbestimmt eingelegtes Rechtsmittel hat der Angeklagte nach der Urteilszustellung vom 23.8.1993 am 17.9.1993 als Revision bezeichnet und sie gleichzeitig begründet. Der Angeklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts.

 

II.

 

Das zulässige Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg. Es führt zur Aufhebung des Urteils (§ 353 Abs. 1 StPO). Der Senat konnte auch in der Sache selbst entscheiden, da der Sachverhalt sich vollständig aus dem angegriffenen Urteil entnehmen läßt und die Entscheidung auf einer Gesetzesverletzung beruht, deren Korrektur zum Freispruch für den Angeklagten führt (§ 354 Abs. 1 StPO)


 

Die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung des Textes ist unvollständig. Sie verstößt gegen Sprach‑ und Denkgesetze und trägt deshalb eine Verurteilung wegen Volksverhetzung nicht.

 

Die Staatsanwaltschaft bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht hat zu dieser Frage folgendes ausgeführt:

 

Bei der Auslegung einer Schrift ist nach ständiger Rechtsprechung vom objektiven Sinngehalt, d.h. von einem Erklärungsinhalt auszugehen, wie ihn ein unbefangener und verständiger Durchschnittsleser, nämlich der Erklärungsempfänger, versteht (BayObLGSt 1992, 15, 17 m.w.N.,BayObLG Urt. v. 23.9.1993 ‑ 2St RR 190/92). Der Bundesgerichtshof (BGHSt 3, 346, 347) spricht in diesem Zusammenhang unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts vom unbefangenen und unverbildeten Leser. Ist eine schriftliche Äußerung nicht eindeutig, muß ihr wahrer Erklärungsinhalt aus dem Zusammenhang und aus dem Zweck der Schrift erforscht werden. Die Auslegung ist Sache des Tatrichters. Sie kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob sie lückenhaft ist, gegen Sprach‑ und Denkgesetze, Erfahrungssätze oder allgemeine Auslegungsregeln verstößt (vgl. Kleinknecht/Meyer‑Goßner StPO 41. Aufl. 1993 RN 32 zu § 337). Diese Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

 

2.      Die Ermittlung des objektiven Sinngehalts hat zunächst vom Wortlaut unter Zugrundelegung des Sprachgebrauchs auszugehen. Insoweit fällt auf, daß die Schrift im Zusammenhang mit dem Begriff Asyl ausschließlich von 'Asylbetrüger' und 'Asylbetrug' spricht. Vom Sprachgebrauch und vom Verständnis eines unbefangenen, vernünftigen Lesers her verbindet sich mit dem Begriff Asylbetrüger regelmäßig die Vorstellung der bewußten und widerrechtlichen Erlangung von materiellen Vorteilen durch die Stellung eines Asylantrags auf Kosten der inländischen Wohnbevölkerung. Diese Deutung liegt schon auf Grund der mehrfachen Benutzung des Wortes Asylbetrug im Zusammenhang mit dem Hinweis auf die Begehung schwerer Straftaten (Handel mit Betäubungsmitteln) nahe. Diesen Aspekt läßt das Amtsgericht jedoch unbeachtet. Mit dem Begriff Asylbetrüger setzt es sich nicht weiter auseinander, sondern gelangt unvermittelt zu der Feststellung, es seien nicht nur die sogenannten Apylbetrüger angesprochen, sondern allgemein Menschen, die in Deutschland leben und hier einen Asylantrag gestellt haben.

 

Die hierfür gegebene Begründung ist nicht nachvollziehbar. Soweit auf den Gesamtzusammenhang der Schrift abgestellt wird, wird schon vom Wortlaut her die Wertung des Amtsgerichts nicht gedeckt.

 

Auch die weitere Begründung, jeder Asylbewerber könne sich durch die Schrift angesprochen fühlen, weil die Frage, ob jemand Asylbetrüger sei, letztlich vom Ausgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens abhänge, ist nicht nachvollziehbar. Das Amtsgericht bleibt insoweit jede Erklärung dafür schuldig, warum es jede Differenzierung zwischen jenen, die bewußt Behörden über das Vorliegen eines Asylgrundes zur Erlangung materieller Vorteile täuschen, und jenen Asylbewerbern, die guten Glaubens einen Asylgrund für sich in Anspruch nehmen, unterläßt. Dies kann, ohne nähere Erklärung, nicht dahingestellt bleiben. Ebensowenig wie nach dem Sprachgebrauch sogenannte Sozialbetrüger, also Personen, die unter Vortäuschung falscher Tatsachen Sozialleistungen beziehen, mit Personen gleichgestellt werden können, die guten Glaubens Anträge auf Sozialleistungen stellen, verbietet es der Sprachgebrauch, zwischen Asylbetrügern und Asylbewerbern einen Unterschied zu machen. Mit seiner undifferenzierten und unschlüssigen Gleichstellung beider Begriffe verstößt das Amtsgericht gegen allgemein anerkannte Auslegungsregeln."         4

 

Dieser Vortrag entspricht der Auffassung des Senats.

 

Die Feststellungen des Amtsgerichts zum Sachverhalt sind vollständig; weitere Feststellungen, die unter Berücksichtigung des Gebots umfassender Sachaufklärung zu einer Verurteilung führen könnten, sind nicht ersichtlich. Deshalb kann für den Fall einer erneuten tatrichterlichen Verhandlung ‑ ohne den vorstehend aufgezeigten Verstoß gegen Sprach‑ und Denkgesetze ‑ eine Verurteilung ausgeschlossen werden, so daß das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden hat (§ 354 Abs. 1 StPO) .

 

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 Abs. 1 StPO. Die Entscheidung ergeht einstimmig (§ 349 Abs. 4 StPO) .

 

Brießmann                          Dr. Kiesel                         Hilger



A u s f e r t i g u n g

 

36 c 4/94

Ns 12 Js 16219/93

 

U r t e i 1

IM NAMEN DES VOLKES!

 

In der Strafsache

g e g e n

 

Wolfgang  H.                                                         

 

geboren am ...

wohnhaft in ...

 

w e g e n Volksverhetzung

 

hat die 6. kleine Strafkammer des Landgerichts  Hannover auf die Berufung

des Angeklagten gegen das Urteil des Strafrichters .... in der Sitzung vom 04.03.1994, an der

teilgenommen haben:

 

Vorsitzender Richter am Landgericht Warda

als Vorsitzender,

 

Beamter Wilhelm Stoepper, Hannover,

Friseurin Helma Weniger, Hannover,

als Schöffen,

 

Oberstaatsanwalt Borchers

als Beamter der Staatsanwaltschaft,

 

Justizangestellter Gehrke

als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

 

Rechtsanwalt Dr. Lohrberg, Laatzen,

als Verteidiger,

 

.....................



..........im Sommer wie im Winter" sehr viel davon an deutsche Kinder ... Muß nicht zur Arbeit, denn zum Glück, schafft deutsches Arschloch in Fabrik. Hab Kabel‑Fernsehen, lieg im Bett, werd langsam wieder dick und fett, zahl weder Miete, Strom noch Müllabfuhr, daß müssen dumme Deutsche nur!!! Auch Zahnarzt, Krankenhaus komplett, zahlt jeden Monat deutscher Depp... Wird deutscher Depp, mal Pflegefall, verkauf Haus Hof & Stall... Man nimmt ihm einfal alles weg, schafft vierzig Jahr umsonst der Depp ... Wenn deutscher Dummkopf ist gestorben, dann müssen Erben Geld besorgen. Denn Deutscher muß bezahlen für Pflegeheim & Grab, was als Asylbetrüger umsonst ich hab... Man sieht das Deutscher ein Idiot, muß auch noch zahlen wenn ist tot. Ich liebe Deutschland wo noch auf der Welt, für Asylbetrug auch noch viel Geld ... Ist Deutschland pleite, fahr ich heim, & sag leb wohl Du Nazi Schwein ...

 

  Unterschrift ................. der Kanake ............ "

 

Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung eingeräumt, daß er in den ihm vorgeworfenen Fällen diesen Text versandt hat. Er hat sich dahingehend eingelassen, der Text stamme nicht von ihm. Er habe ihn selbst zugesandt bekommen und ihn weiterversandt, weil es keine  vernünftige Presse gäbe. Er trage sich mit der Absicht, ein Bürgerschutzkomitee zu gründen, das sich aktuellen politischen Fragen annehmen solle. Dazu suche er noch Mitglieder. Er wolle Menschen nach Art eines runden Tisches zueinander bringen, um die politischen Probleme, die die Politiker nicht lösen könnten, aus der Welt zu bringen. Dadurch sollten den Bürgern schnelle Lösungen angeboten werden und ihnen unbürokratische Hilfe zuteil werden. Die Probleme der Arbeitslosigkeit, des Kinderschutzes, der Behörden und der Justiz müßten endlich gelöst werden. Er könne sich auch eine Zusammenarbeit mit dem Bundespräsidenten vorstellen, um die Gesetzesflut des Parlaments zu überarbeiten und zu bereinigen.

Um Aufmerksamkeit für seine Initiativen zu erhalten, sei heute schon eine reißerische Aufmachung notwendig. Er habe nicht die Absicht gehabt, Volksverhetzung zu betreiben.

Das unaufgeforderte Versenden des zitierten Textes erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung in objektiver wie subjektiver Hinsicht, die Einlassung des Angeklagten über seine Motiviation kann ihn nicht subjektiv entlasten.

 

Volksverhetzung in der hier einschlägigen Alternative des § 130 Ziffer 1 StGB begeht, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, die Menschenwürde anderer dadurch angreift, daß er zum Haß gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt. Die Verbreitung dieses Textes erfüllt die Tatbestandsmerkmale.                        

Als Zielgruppe des Textes sind ohne weiteres die Asylbewerber zu identifizieren, die als solche einen Teil der Bevölkerung darstellen. Teile der Bevölkerung sind deren einzelne Gruppen, also innerhalb der inländischen Bevölkerung jede Mehrheit von Menschen, die sich durch irgendein Unterscheidungsmerkmal heraushebt und als Personenmehrheit einen gewissen Umfang und eine gewisse Bedeutung hat . Da Asylbewerber in den letzten Jahren zu Hunderttausenden in unser Land gekommen waren und dieses Problem die öffentliche Meinung und Diskussion nachhaltig beschäftigt hat, so daß sich auch der Gesetzgeber genötigt sah, durch Grundgesetzänderungen einzugreifen, können Asylbewerber ohne weiteres als Teile der Bevölkerung i.S. des § 130 StGB angesehen werden.

 

Der Text stachelt zum Haß gegen die Asylbewerber auf. Aufstacheln zum Haß meint eine verstärkte auf die Gefühle des Aufgestachelten gemünzte Form des Anreizens zu einer emotional gesteigerten feindseligen Haltung, wobei eine bloße Befürwortung nicht genügt. In dem Text werden die Asylbewerber als Menschengruppe dargestellt, die ohne persönliches Zutun kostenlos, ausgestattet und allem Komfort, gesundheitlich bestens versorgt, faul auf Kosten des deutschen Bürgers leben, dabei grundsätzlich Straftaten begehen, nämlich betrügen zusätzlich mit todbringendem Rauschgift sich an den deutschen Kindern vergehen, die Deutschen als Idioten bezeichnen und sie, obwohl sie selbst als Schwerverbrecher anzusehen sind, obendrein die Deutschen pauschal als Nazi‑Schweine bezeichnen, während dem braven Deutschen nicht nur im Erwerbsleben sondern auch nach dem Tode noch alles erarbeitete für den Staat weggenommen wird.

 

Dieser Text zielt unmittelbar auf die Urängste der Bevölkerung, auf die Ängste Wohnung, Geld, Wohlstand, Gesundheit, Leben und dazu noch die Kinder zu verlieren, also in ein Dasein, was von allen als unwürdig empfunden würde, wobei die Gruppe der Asylbewerber direkt für diesen Zustand verantwortlich gemacht werden. Aber nicht nur damit hat es sein Bewenden, es kommt noch hinzu daß diejenigen, denen alles genommen wurde auch noch aus Sicht der Asylbewerber ‑ als Idioten und Nazi­-Schweine bezeichnet werden. Damit werden die Asylbewerber auch noch mit für die in der heutigen Zeit geführte Diskussion über eine vorhandene oder vermeintliche Fremdenfeindlichkeit der Deutschen verantwortlich gemacht und zwar auf die perfide Weise, daß ein krimineller Schmarotzer sich auf Kosten der schwerarbeitenden Wohltäter lustig macht. Eine solche Sichtweise schürt Haß und schafft auch Nährboden für Vorurteile und direkte Feindseligkeiten. Das gesamte Äußerungsbild dieses Textes muß auch auf dem konkreten geschichtlichen Hintergrund zur Tatzeit 1993 gesehen werden (vgl. dazu BGH NJW 68 Seite 309 ff). Zu einer Zeit als Deutschland von geradezu quälenden öffentlichen und politischen Debatten über Fremdenhaß, Übergriffe gegen Asylbewerber und Ausländern oder nur ausländische aussehenden Menschen geprägt war, die so bestimmend waren, daß politische Parteien dies als Wahlkampfthemen in den absoluten Vordergrund stellten, erhält der Text eine besondere Qualität: er appeliert an die sog. niedrigen Instinkte für Schwierigkeiten andere ‑ nämlich Asylbewerber ‑ verantwortlich zu machen. Mit dem Text wird auch die Menschenwürde der Asylbewerber unmittelbar angegriffen. Ein Angriff auf die Menschenwürde liegt dann vor, wenn eine Gruppe von Personen unter Mißachtung des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes als minderwertige Personen behandelt werden sollen oder wenn ihr ungeschmälertes Lebensrecht in der Gemeinschaft in Frage gestellt werden oder relativiert wird. Das ist der Fall. Asylbewerber werden in dem Text als allerletzte Hassenswürdige Gruppe dargestellt, denen an schlechten Eigenschaften kaum noch etwas fehlt. Mit der pauschalen Qualifizierung als Asylbetrüger, der tödliche Krankheiten verbreitet, Kindern die Rauschgiftsucht bringt, ohne Arbeit im Bett liegend fett wird, während dem deutschen schwerarbeitendem Depp alles genommen wird ‑ seinetwegen, wird dieser Gruppe der Asylbewerber das konkrete Lebens- ­und Existenzrecht abgesprochen in dem sie im Kern als völlig unterwertig dargestellt wird. Die Verbreitung des Textes ist auch geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Eine Hörung des öffentlichen Friedens liegt dann vor, wenn offene oder latente Gewaltpotentiale geschaffen werden, ein Zusammenleben ohne Furcht um Leib und Leben, Hab und Gut nicht mehr möglich ist und damit das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert wird. Dieser Text stellt gerade die Deutschen dar, gefangen in ihrem eigenen Rechtssystem, ausgebeutet von sich über ihn amüsierenden Betrügern, die ihm alles nehmen und nur den Tod zurückgeben. Das ist nicht nur geeignet latente Gewaltpotentiale zu schaffen, zumal durch das Heraufbeschwören aller Urängste das persönliche Vertrauen zerstört werden soll.

 

Der Angeklagte kann sich hinsichtlich der Verbreitung des Textes nicht auf die Kunstfreiheit berufen. Der verfassungsrechtliche Kunstbegriff schützt auch den Nichturheber eines Werkes, also den Mittler (vgl. dazu Hentschel in NJW 1990 Seite 1937 ff.), dennoch sind Eingriffe in den durch Art. 1 I GG geschützten Kern menschlicher Ehre niemals durch die Freiheit der künstlerischen Betätigung gedeckt (z. B. BVerfGE 67, 213). Denn bei dem Text handelt es sich ersichtlich nicht um eine Satire. Ziel einer Satire ist es, zum Lachen zu reizen, wobei mit Verfremdungen, Übertreibungen und Verzerrungen gearbeitet werden darf (vgl. z. B. BVerfG NJW 1992, 2074). Darum geht es diesem Text ersichtlich nicht. Er ist eher bierernst und zielt auf den Aufbau von niedrigen Gefühlen als um anderen das Existenzrecht zu nehmen.        

 

Der Angeklagte handelte auch vorsätzlich. Er ist intellektuell ohne weiteres in der Lage, die Qualität und die Wirkung des Textes zu beurteilen und darauf kam es ihm an: Er wollte mit Hilfe des Textes Anhänger und Gleichgesinnte für seine Ziele werben und identifizierte sich mit der dahinter stehenden Gesinnung......

 

Anmerkung. Es bedarf keiner besonderen Hervorhebung, daß es sich - jedenfalls in Hannover - um einen politischen Prozeß gehandelt hat und daß die Entscheidung aus Bayern richtig und die aus Niedersachsen falsch ist. Das Landgericht Hannover mißachtet nämlich die offenkundige Differenzierung zwischen legalen und illegalen Asylbewerbern, wobei sich jenes "Gedicht" nur gegen Letztere richtet, die außerdem weitere Kriminalitätsmerkmale aufweisen.

Mit der Ansicht, eine Satire sei nur etwas zum Lachen, betritt das Landgericht Hannover dogmatisches Neuland und man kann vermuten, daß dies mit dem "politischen Prozeß" zusammenhängt. Das berühmt gewordene Tucholsky-Zitat ("Soldaten sind Mörder") ist vom Bundesverfassungsgericht auch unter dem Aspekt der Satire ("Satire darf alles") zugelassen worden. Was gibt es bei diesem Spruch zu Lachen, Herr Vorsitzender Richter am Landgericht Warda???