Paul Spiegel gegen Kardinal Meisner

 

Leo Lennartz          53879 Euskirchen

Rechtsanwalt

 

Herrn Generalstaatsanwalt

oder Vertreter im Amt

Persönlich

Reichensperger Platz 1

50670 Köln

 

Strafrechtlich relevantes Verhalten des Herrn Paul Spiegel gegenüber Herrn Kardinal Meisner

 

Sehr geehrter Herr Generalstaatsanwalt,

 

Der Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, hat in einer Predigt in seiner Metropolitankirche, dem Dom zu Köln, zum Dreikönigsfest am 6. 1. 2005 in Ausübung seines priesterlichen Amtes und entsprechend der Lehre der katholischen Kirche darauf hingewiesen, daß der Mensch da, wo er sich nicht eingrenzen und relativieren lasse, das Leben verfehle.

 

Er nannte als Beispiele den biblischen Bericht vom Kindermord zu Bethlehem, die millionenfache Vernichtung von Menschen durch Hitler und Stalin und die millionenfache Tötung von ungeborenen Kindern «in unserer Zeit».

 

Herr Paul Spiegel, Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland, hat diese Bemerkung des Herrn Kardinals nach Pressemeldungen in einem Interview mit der Saarbrücker Zeitung ‑ erschienen am 7. 1. 2005 ‑ nicht nur kritisiert, sondern darüber hinaus sinngemäß erklärt, Kardinal Meisner habe durch seine Äußerung Abtreibung und Sterbehilfe mit den Verbrechen des Naziregimes gleichgesetzt und damit die Opfer des Holocaust beleidigt

 

In der «Welt» vom 8. 1. 2005 wird Herr Spiegel wörtlich wie folgt zitiert:

 

«Was soll man von der Jugend erwarten, wenn ein katholischer Würdenträger auf diese Weise und ungestraft den millionenfachen Mord an Juden relativieren kann.»

 

Die «Welt» berichtet auch, Herr Spiegel habe weiter erklärt, bei allem Verständnis über die moralische Empörung Meisners über Abtreibungen sei «der direkte Vergleich mit dem systematischen und fabrikmäßigen Massenmord der Nazis unzulässig und in höchstem Maße empörend».

 

Die Welt schreibt weiter: «Spiegel forderte eine Distanzierung des Kardinals von seinen Worten: Personen des öffentlichen Lebens hätten aufgrund solcher Äußerungen schon von ihren Ämtern zurücktreten müssen.»

 

In der ARD‑Nachrichtensendung vom 7. 1. 2005 um 20.00 Uhr wurde Herr Spiegel im Bild mit etwa folgendem O‑Ton gesendet:

 

"Ich halte Herrn Kardinal Meisner für einen intelligenten und zwar so intelligent, daß er ‑ daß aufgrund der massiven, ... massiven Proteste jetzt einsieht, was er da falsch gemacht hat. Falls nicht, dann werden wir uns allerdings rechtliche Schritte überlegen."

 

In einer Presseerklärung des Erzbistums Köln vom 8. 1. 2005 wird Kardinal Meisner wie folgt zitiert:

 

«Wenn ich geahnt hätte, daß mein Verweis auf Hitler mißverstanden hätte werden können, hätte ich seine Erwähnung unterlassen. Es tut mir leid, daß es dazu gekommen ist. In der Dokumentation meiner Predigt werde ich darum auch den Hinweis auf Hitler tilgen lassen.»

 

Ich halte es für notwendig, daß Sie das Verhalten des Herrn Spiegel gegenüber Kardinal Meisner unter strafrechtlichen Gesichtspunkten überprüfen.

 

Die Erklärung des Herrn Kardinals hat offensichtlich keinen strafbaren Inhalt. Es handelte sich um eine Predigt im Rahmen der ihm obliegenden Glaubensverkündung, in der er ausdrücklich den theologischen Charakter des angesprochenen Problems betonte. Das war auch für Herrn Spiegel klar. Schließlich liegt die Holocaust‑Babycaust-Entscheidung des BGH, die zu Art. 5 GG ergangen ist, schon mehr als vier Jahre zurück. (NJW 2000, 3421 ff.)

 

Wenn er dennoch eine Bestrafung des Herrn Kardinals forderte, ihm den Verlust seines Amtes und zusätzlich in der Hauptnachrichtensendung der ARD am selben Tage «rechtliche Schritte» in Aussicht stellte, dürfte dies als rechtswidrige Androhung eines empfindlichen Übels gegenüber einem anderen zu werten sein, der dadurch zu einem bestimmten Tun gezwungen werden sollte (§ 240 StGB).

 

Verschärft wurde die Handlung durch den Umstand, daß Herr Spiegel seine Angriffe gegen Kardinal Meisner über die Medien führte, was seinen Äußerungen größtmögliche Verbreitung und größtmöglichen Druck auf den Angegriffenen garantierte.

 

Die in der Presseerklärung des Erzbistums Köln zitierte Äußerung von Kardinal Meisner beweist, daß Kardinal Meisner dies genau so verstanden hat, wie übrigens auch die deutsche Öffentlichkeit.

 

So erklärt sich die anschließende Berichterstattung der Medien, Kardinal Meisner habe seine Äußerung bedauert bzw. sich «nach seinem umstrittenen Vergleich zwischen Abtreibungen und den Massenmorden Hitlers ... entschuldigt». (Rheinische Post vom 10. 1. 2005.)

 

In diesem Zusammenhang dürfte weiter von Bedeutung sein, daß Herr Spiegel nach einer Meldung des Kölner Stadtanzeigers vom 10. 1. 2005 «nun auf juristische Schritte


verzichten» wolle, aber zusätzlich erklärt hat: «Meisner wußte genau, was er tat.»

 

Bei Herrn Spiegel dürfte des weiteren ein Verstoß gegen § 164 StGB infrage kommen.

 

Darüber hinaus stellt das Verhalten des Herrn Spiegel einen massiven Eingriff in den durch das Grundgesetz geschützten Bereich der katholischen Kirche dar.

 

Die Glaubensverkündung beinhaltet auch das Recht und die Pflicht, Lebensvorgänge aus Vergangenheit und Gegenwart und mögliche Entwicklungen, die noch in der Zukunft hegen, einzubeziehen und an ihnen die Glaubenslehre zu verdeutlichen.

 

Wenn sich die in dem Verhalten des Herrn Spiegel zutagegetretene Auffassung durchsetzen sollte, würde dies das Ende der freien Glaubensverkündigung in der katholischen Kirche wie auch in anderen religiösen Vereinigungen in Deutschland bedeuten, wenn es um die Einbeziehung des Unrechts in die Glaubensverkündung geht, das im Dritten Reich an Juden begangen wurde. Herr Spiegel oder andere Dritte hätten dann jeweils die Entscheidungsmacht darüber zu bestimmen, was insofern und mit welchen Worten in der katholischen Kirche hierzu gelehrt werden darf.

 

Ich mache darüber hinaus mein eigenes Recht als katholischer Christ, bestätigt durch Art. 4 GG, geltend, eine unzensierte Glaubensverkündigung zu erhalten. Dazu gehört auch, daß Priester keine Angst zu haben brauchen, daß sie wegen ordnungsgemäßer Ausübung ihres Amtes verfolgt werden.

 

Nicht nur wegen der betroffenen Personen, sondern auch wegen der Wichtigkeit der Angelegenheit und des erheblichen Aufsehens, das der Vorgang erregt, gehe ich davon aus, daß Sie meine Eingabe als Chefsache behandeln werden.

 

Das Verhalten des Herrn Spiegel, das sich auch in der letzten Meldung des Kölner Stadtanzeigers zeigt, läuft ganz offenbar darauf hinaus, in einem wichtigen Feld geistiger Auseinandersetzung in Deutschland ein Monopol zu erlangen. Ich halte es deshalb für notwendig, die Öffentlichkeit von meinem in Sie gerichteten Schreiben zu informieren.

 

Mit vorzüglicher Hochachtung

 

 

Anmerkung: Der Generalstaatsanwalt sah keinen Anlaß, die Sache weiterzuverfolgen. Die vorgesetzte Behörde - das Justizministerium des Landes NRW in Düsseldorf - schloß sich der Verweigerungshaltung des Generalstaatsanwalts an. Damit ist amtlich, daß der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland mit dem Mittel öffentlicher Brandmarkung auf die Inhalte der Religionsfreiheit der Christen in diesem Land zumindest mittelbar Einfluß nehmen darf.