Korpsgeist, Seminartourismus, Pharmahuren, drückervermittelte
Schrottimmobilien und Karlsruher Weißwäsche
Es ging um Rechtsfragen
"drückervermittelter" Finanzierung von Eigentumswohnungen. Der Kläger
sah sich über den Tisch gezogen und verklagte die beteiligte Bank. Vor dem
Landgericht und dem Oberlandesgericht obsiegte er. Für das Revisionsverfahren
schwante ihm Böses. Zwei der Mitglieder des zuständigen Senats hatten nämlich
zahlreiche, von Banken finanzierte Seminare durchgeführt und dafür Honorare
bezogen. Sie hatten dort eine dem Kläger ungünstige Rechtsauffassung vertreten.
Ein Richter war auch Redaktionsbeirat einer von der
"Interessengemeinschaft ... Kreditinstitute" kontrollierten Zeitschrift.
Der Kläger lehnte beide Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Alle seine
Ablehnungsgründe wurden mit höchst zweifelhafter Begründung als unerheblich
abgewertet (BGH, Beschl. v. 14. 5. 2002 - XI ZR 322/01 = EWiR § 24 ZPO 1/03
(VOLLKOMMER)).
1. Ist es nicht schon
bedenklich und ungewöhnlich, daß Richter überhaupt an Seminaren mitwirken, die
von einseitig interessierten Veranstaltern ausgerichtet werden? Ähnelt das
nicht etwas den von der Pharmaindustrie für Ärzte in Erholungsorten
veranstalteten "Fortbildungsveranstaltungen"? Der Senat antwortete
darauf:
"Ein wissenschaftlicher Austausch in diesem
Sinne ist insbesondere für ein oberstes Bundesgericht unverzichtbar."
Ich meine umgekehrt, es gehört
sich nicht, wenn sich dieser "Austausch" zwischen einem am Ergebnis
interessierten Veranstalter und einem Richter vollzieht, der den
Interessenkonflikt später zu entscheiden hat und für die Teilnahme bezahlt
wird. Das ist mehr als eine Frage des guten Geschmacks, das ist eine Frage der
Berufsauffassung.
Davon abgesehen, ist es wohl
zu hoch gegriffen, den höchstrichterlichen "Seminartourismus" als
unerläßliche wissenschaftliche Aufgabe einzustufen. BGH‑Anwälte denken
wohl anders darüber. Ich auch. Es geht schlicht und einfach um lukrative
Nebeneinnahmen in vier‑ bis fünfstelliger Höhe, ebenso wie bei den noch
einträglicheren Schiedsgerichten.
2. Im Beschluß heißt es
weiter, der Kläger habe "keinen Anhaltspunkt dafür vorgetragen, daß die
unterstellte Abhängigkeit . . . den wissenschaftlichen Charakter des Seminars
in Frage gestellt und die (im Seminar dargelegte) Rechtsauffassung des Richters
zu den im vorliegenden Rechtsstreit erheblichen Rechtsfragen beeinflußt haben
könnte." Ist es etwa kein "Anhaltspunkt", daß dieser Richter ein
Honorar für seine Darlegungen kassiert hat? Der Bundesgerichtshof meint: Nein!
Es "fehlt jeder vernünftige Grund zu der Besorgnis, daß mit dem Honorar
Einfluß auf die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits genommen werden
könnte."
In § 42 ZPO steht nichts von
Vernunft oder von vernünftig, sondern die Vorschrift handelt von der Besorgnis ‑
psychologisch ein gewaltiger Unterschied! Und Besorgnis der Befangenheit ist
ein psychologisches Problem! Das ignoriert der Bundesgerichtshof und behandelt
den Fall mit der in Ablehnungsverfahren weitgehend üblichen
"Oberlehrerobjektivität", er setzt "den Korpsgeist über die
Wahrhaftigkeit", wie TUCHOLSKY es ausgedrückt hat.